Freiheit und Glückauf!
Wir, Brüder der Vietnamesen, wir, Schwestern der Indianer, wir, Töchter Kambodschas, wir, Söhne Annams. Wir, mit der Wut im Bauch. Wir, mit dem Hass im Kopf, wir, mit der Liebe zueinander. Wir, die Roten Ratten, die Pinscher, die Ungeheuer, bezahlt aus dem Osten, die Rauschgiftsüchtigen, die Monomanen, wir, die Psychopathen, Terroristen, raubenden, plündernden und brandschatzenden Anarchosyndikalisten. Wir, die jeden Schlag am eigenen Leiber erfahren, der in Huế oder Kent-State ausgeteilt wird….FÜR ALLES REAKTIONÄRE GILT DASS ES NICHT FÄLLT, WENN MAN ES NICHT NIEDERSCHLÄGT! Da sind Wir!
Peter-Paul Zahl – Die Glücklichen
An dem gleichen Tag, an dem der Aufruf für eine Demonstration Ende Februar 2025 in Solidarität mit Daniela Klette veröffentlicht wird, macht der Spiegel mit der Schlagzeile auf: “Daniela Klette soll im Untergrund Kontakt zu Christian Klar gehabt haben”.
Alles, was dann folgt, ist das Wiederkäuen der Mutmaßungen der Staatsanwaltschaft Verden in der Anklageschrift für den Prozess gegen Daniela, dass sich dies “lebensnah” aus der Tatsache ergeben würde, dass Christian Klar eine Zeit lang “in unmittelbarer Nähe” zu Danielas Wohnung am Moritzplatz gewohnt habe. Wobei “die unmittelbare Nähe” nach den scharfsinnigen Schlußfolgerungen der Staatsanwaltschaft Verden 1,5 km beträgt. Halb Kreuzberg ein Terrornest!
Das wusste BILD schon in den 80er. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll, aber das ist wirklich das Niveau, auf dem sich die Berichterstattung der bürgerlichen Medien zu dem Ganzen bewegt. Nicht nur der Staatschutzapparat lässt den permanenten Ausnahmezustand des “Krieges der 6 gegen 60 Millionen” der 70er und 80er wiederaufleben, wenn er SEK Kommandos mit MP im Anschlag Ausflugsdampfer entern lässt, auch die Medien überschlagen sich seit der Festnahme von Daniela Klette vor einem knappen Jahr mit ebenso dumpfer wie oberflächlicher Berichterstattung, die sich nicht einmal bemüht zu übertünchen dass es sich im Kern um billigste Propaganda handelt.
Man wartet nur auf den ersten Aufruf, sich des Abends auf den Balkonen zu versammeln, um unserer Demokratie und ihren Beschützer, den Helden der Polizei, lautstark Beifall zu zollen.
Doch wenden wir uns ab von dem intellektuellen Elend unserer Gegner und uns unseren eigenen Versäumnissen und Angelegenheiten zu. Die bewaffneten Gruppen – RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen und Rote Zora – entsprangen nicht den Launen und Befindlichkeiten einer Handvoll von Leuten, sondern konkretisierten sich in einem historischen Kontext und einer Diskussion und Suche von Abertausenden nach einem Weg, erstmalig seit der Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterbewegung durch den Nationalsozialismus wieder eine “Gegenmacht” hierzulande zu konstituieren.
Der “bewaffnete Weg” war eine Option der damaligen Diskussionen, einige haben ihn dann auch eingeschlagen, begleitet von den besten Wünschen und Sympathien von tausenden von Herzen. Die “Gründungserklärung” der RAF “Die Rote Armee aufbauen” wurde in der ‘883’ veröffentlicht, einem zutiefst undogmatischen Zirkular der langhaarigen Anarchisten West-Berlins.
Als Rudi Dutschke 1974 am Grab von Holger Meins mit erhobener Faust “Holger, der Kampf geht weiter” proklamierte, war dies nicht Ausdruck einer melancholische Reminiszenz um “der gemeinsamen alten Zeiten wegen”, sondern die messerscharfe Einordnung einer der klügsten intellektuellen Köpfe, die die Linke hierzulande je hatte, warum und in welchem Kontext der Tod von Holger im Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF von Bedeutung für die gesamte, nicht-reformistische, Linke war.
Von den Anfängen der bewaffneten Gruppen Anfang der 70er bis zur Selbstauflösung der RAF 1998 war es ein langer Weg und wahrscheinlich hätte er schon viel früher geendet wenn nicht Anfang der 80er die Überreste der RAF mit ihrem “Frontpapier” in der Revolte der Jugend- und Besetzerbewegung einen neuen sozialen Resonanzrahmen gefunden hätten.
In diesem von Anfang an schwierigen Spannungsverhältnis fanden nicht nur einige “aus der Bewegung” den Weg zu den Illegalen, sondern die Texte der RAF sowie der “antiimperialistischen Gruppen” wurden ebenso wie unzählige (kritische) Diskussionspapiere aus der autonomen Bewegung zu diesen Texten breit dokumentiert und diskutiert, u.a. in der damals noch “legal” erscheinenden ‘Radikal’ mit einer Auflage von 6.000 Exemplaren und einer vielfachen Leserschaft.
Als 1981 die wütenden Kinder der Hausbesetzerbewegung nach der Nachricht, dass Sigurd Debus im Hungerstreik der Gefangenen gestorben sei, in West- Berlin den Kudamm komplett zerlegten, war dies der Beginn einer hochambivalenten, aber von Zuneigung und Verbundenheit getragenen Beziehung der “Bewegung” zu den “Illegalen” und den Gefangenen die aus diesen Kämpfen stammten. Dies drückte sich auch in den Aktionen aus, die den Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF Ende 1984, Anfang 1985 begleiteten. Neben unzähligen Besetzungen, Demonstrationen und eingeworfenen Fensterscheiben bei Banken etc. zählte der Staatsschutzapparat über 100 (!) Brand- und Sprengstoffanschläge, von denen viele aus der autonomen Bewegung kamen.
Nicht nur, aber auch deshalb, ist die Geschichte des bewaffneten Antagonismus auch (in Teilen) unser Erbe, die wir aus dem Aufbruch der Jugend- und Hausbesetzerbewegung, aus dem kommen, was später als “die Autonomen” bezeichnet wurde. Die Bedingungen und Begrenzungen, die alle erfahren, die sich in grundsätzlicher Opposition zu den herrschenden Verhältnissen setzen, lange bevor sich die Frage von “Legalität” und “Illegalität” überhaupt stellt.
Das Verhältnis der Macht zu jeder Revolte, die sich nicht integrieren lässt, ist immer das, diese auszulöschen, zu vernichten, bevor sie zu einem grundsätzlichen sozialen Antagonismus heranreifen kann, in dem sich relevante Teile der Unterdrückten wiedererkennen.
Es gibt zwei Bedingungen, die innerhalb der Logik der Wertschöpfung nicht verhandelbar sind: Die Besitzverhältnisse und das Gewaltmonopol, um diese aufrechtzuerhalten. Deshalb die unerbittliche Repression selbst gegen scheinbar gesellschaftlich unbedeutende Akteure wie die hierzulande noch existierenden militanten antifaschistischen Zusammenhänge.
Deshalb die unerbittliche Hatz auf ehemalige Militante, und dies betrifft nicht nur Genoss*innen aus der RAF, sondern z.B. auch ehemalige Weggefährten aus der autonomen Szene in Berlin, die 1995 versucht haben (sollen), einen Neubau eines Abschiebeknastes in Berlin-Grünau in die Luft zu sprengen und gegen die Anfang des Jahres die Bundesanwaltschaft Anklage erhoben hat, obwohl selbst Interpol mittlerweile den internationalen Haftbefehl ausgesetzt hat und die beiden noch lebenden Gefährten mittlerweile als politische Flüchtlinge in Venezuela registriert sind.
Seit Jahrzehnten gab es nicht mehr so viele Genoss*nnen im Knast oder in ‘aufgezwungener’ Illegalität hierzulande. Und angesichts der Ermittlungen der Staatsschutzbehörden in den diversen Verfahren gegen antifaschistische Zusammenhänge droht dies noch mehr Menschen.
Zugleich gibt es zwar zahlreiche solidarische Aktionen und natürlich ist das jahrelange Wegtauchen (auch wenn sich jüngst sieben Menschen nach 2 Jahre Illegalität gestellt haben) von den Beschuldigten in den “Antifa-Verfahren” ohne “solidarische Netzwerke” nicht denkbar, aber der letzte Versuch, dieser staatlichen Repression etwas grundsätzlich Offensives entgegenzusetzen, war die Mobilisierung zum “Tag X” im “Antifa-Ost” Verfahren im Juni 2023, die in einem Desaster endete. Zahlreiche strategische und taktische Fehler führten am Ende dazu, dass über 1000 Menschen in Leipzig in einem Bullenkessel landeten und von nächtlichen Scharmützeln in Connewitz abgesehen, der Repressionsapparat alles im Griff hatte.
Die noch größere und politische Katastrophe aber ist, dass das Desaster dieses Tages, zu dem 1,5 Jahre lang mobilisiert wurde, nicht ansatzweise aufgearbeitet wurde. Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, welche Lähmungen solche nicht verarbeitenden Niederlagen hervorrufen. Die Geschichte der “Niederlage von Leipzig” schließt so gewissermaßen den Kreis dieser kurzen Anmerkung zu der geplanten Demonstration am 22. Februar in Berlin.
In Verbindung mit der Verschiebung der Ängste hat die Trauer eine Art, die lineare Zeit zu verzerren. Die Sekunden brauchen Jahre, um zu vergehen, und man hat das Gefühl, jede Zelle im Körper zählen zu können. Tage werden in Herzschlägen und Hohlräumen gemessen, in die man fällt oder denen man knapp entgeht. Die Reihenfolge der Ereignisse und die dazwischen liegende Zeitspanne lassen sich kaum noch feststellen. Jahrzehnte alte Erinnerungen drängen sich mit der ganzen Intensität aktiv erlebter Emotionen in Deinen Schädel.
Iganitus – If We Go, We Go On Fire
Wenn wir über uns sprechen, wenn wir über den Ort sprechen, von dem aus wir reden und schreiben, von dem aus wir handeln oder nicht handeln, dann sprechen wir über einen Ort, den wir uns nicht ausgesucht haben und von dem wir wahrscheinlich selbst in unseren schlimmsten Alpträumen keine Vorstellung hatten. Einen Ort, der all unsere Träume, Sehnsüchte und Wünsche auslöscht, einen Ort, an dem wir gezwungen sind, zu leben, obwohl wir die meiste Zeit nicht das Gefühl haben, dass wir wirklich leben.
Idris Robinson drückte dies in einem Essay zwei Jahre nach dem George Floyd Aufstand so aus:
“Nachdem die Revolte endgültig der Vergangenheit angehört, fällt es mir schwer, etwas Sinnvolles zu sagen. Auch auf die Gefahr hin, melodramatisch zu klingen, wenn Normalität und Stabilität wieder die Oberhand gewinnen, sehe ich ehrlich gesagt keinen Sinn darin, irgendetwas zu tun, und selbst die banale Tätigkeit des Lebens kann sich als ziemlich zäh erweisen. Darüber hinaus würde ich wetten, dass jeder von uns mit diesem Zustand vertraut ist, in dem diese Anstrengung von einem gewissen Maß an Leid begleitet wird, das von leichtem Unbehagen bis hin zu schwersten Qualen reicht.”
Wenn Widerstand nicht mehr wirklich möglich erscheint, wenn wir uns nur noch im Kreis drehen und uns nur noch durch die Tage schleppen und die Nächte nur noch irgendwie überstehen, wenn alles nur noch das “nackte “Überleben” scheint, von dem Agamben spricht, und das alles im Angesicht der prächtigen Farben jener fernen Revolte, an wir uns umso häufiger und unwillkürlicher erinnern, je unmittelbarer fällt uns jenes “Absurde” an, das das Lebensthema von Camus philosophischen Werks war.
Ohnmacht, Trauer, Angst
Inmitten des entfesselten Kapitalismus, der alles zerstört und mit sich in den Untergang reißt, inmitten der allgegenwärtigen Tendenz zum Krieg, die sich auch hier mitten in Europa seit über 2 Jahren verwirklicht, inmitten der allgegenwärtigen Faschisierung von Staat und Gesellschaft stehen wir mit leeren Händen vor einem bis an die Zähne bewaffneten Feind. Aber vielleicht sind unsere Hände gar nicht so leer, vielleicht haben wir nur den Umgang mit den den unserer Klasse so allzu vertrauten Werkzeugen nur verlernt.
Vielleicht speist sich ein Großteil unser Angst und Ohnmacht aus den nicht verarbeiteten Anteilen unserer Geschichte, vielleicht sind wir vereinzelt und isoliert gar nicht erst in der Lage, all diese Erfahrungen zu verarbeiten und zu analysieren, vielleicht brauchen wir genau dafür einander, all die Militanten aus den verschieden Epochen und Splittern unserer Geschichte. Die Geschichte schreiben die Sieger, so heißt es, aber haben wir es wirklich versucht, unsere Geschichte selbst aufzuschreiben, um wieder Geschichte schreiben zu können? Aufschreiben nicht als anekdotische Notiz, sondern als geteilte und gemeinsame Reflexion. Alles ist besser, als dieser Ort, der nach Verbannung schmeckt.
Im Herbst 2022 weckte Alfredo Cospito mit seinem Hungerstreik die sich im Tiefschlaf befindliche anarchistische italienische Galaxy wieder auf, die sich selbstbewusst militant auf den Straßen und Plätzen wieder einfand.
Im Frühjahr 2021 brach der Hungerstreik von Dimitris Koufontinas das Eis des Corona-Ausnahmezustandes, das das Pflaster von Athen bedeckte, und allabendlich zogen Zehntausende durch die Straßen, um sein Leben zu retten. Der Knast ist der Ort der Entfremdung, was ja auch das eigentliche Ziel jeglichen Wegsperrens ist, den Menschen so von sich selbst zu entfremden, bis er endlich gebrochen ist, „resozialisiert“ in der Sprache des Systems.
Aber der Knast, dieser Ort, der auch auch ein “Nicht- Ort” ist, um in den Begrifflichkeiten des derzeitigen mondialen “aufständischen Diskurses” zu sprechen, ist zugleich immer schon ein Ort des Kampfes. Um sich selbst, gegen den Prozeß der aufgezwungenen Entfremdung, gegen das System, das einem diese Entfremdung aufzwingt.
Aber zugleich ist der Knast ehrlicher als das Leben hier draußen, in dem wir unser Gefängnis mit uns selbst herumschleppen, unsere Ohnmacht, Trauer und Angst tagtäglich verleugnen, weil sie so schwer zu ertragen ist. “reden wir dazu von uns, von unseren wunden, unserem hass, unserer freiheit. das ist unser blues. werden die brüder und schwestern schon hören und verstehen, der widerspruch zwischen leben wollen und nicht leben können ist explosiv, die lunte dran, marx dran…” schrieb Gudrun Ensslin in einem Kassiber aus der Zelle.
Vielleicht wäre das der nächste Schritt, uns unsere historische Niederlage selbst und endgültig einzugestehen. Vor uns und allen anderen. Um in den Trümmern endlich nach den Schätzen graben zu können, die unsere Geschichte für uns und alle, die auf der Suche sind nach einem Leben, das Leben meint und ist, bereit liegen.
Fangen wir sie an zu bergen. Auf Veranstaltungen, in Diskussionen, in zaghaften und auf dem realen Kräfteverhältnis aufbauenden bescheidenen praktischen Schritten wie z.B. die Demonstration im letzten März in Berlin in Solidarität mit Daniela. Etwas besseres als den Tod werden wir überall finden heisst es bei den Bremer Stadtmusikanten. In diesem Sinne…
Freiheit und Glückauf für alle Gefangenen und Untergetauchten!
Kommt zur Demonstration am 22. Februar in Berlin. 18:30 Uhr Oranienplatz.
Quelle: https://lotzerswelt.noblogs.org/post/2025/01/31/freiheit-und-glueckauf/