Bericht vom 1. und 2. Prozesstag im Antifa Ost – Komplex

2025.11.25 / 1. Prozesstag / Bericht

Der Tag startete schon einige Zeit vor dem offiziellen Verhandlungsbeginn mit einer Kundgebung vor der Außenstelle des OLG Dresden Hammerweg 2. In Redebeiträgen wurde die politische Dimension des Verfahrens betont, und die Freiheit der Inhaftierten gefordert.

An der Straßenkreuzung positionierte sich Sebastian Schmidtke um etwas verlassen ankommende Personen zu filmen. Die angekündigte „Gegenkundgebung“ von rechts startete erst mit einiger Verzögerung und konnte die angemeldeten Teilnehmerzahl (5) nicht erreichen. Zwei einsame Nazis kauerten hinter zwei extra gedruckten Transpis.

Durch das lange Sicherheitsprozedere, dauerte der Einlass zum Sitzungssaals mehr als 2 Stunden. Der für 9:30 geplante Start verzögerte sich um circa eine Stunde. Der Zuschauer*innenbereich des Gerichtssaals ist durch eine Glasscheibe vom vorderen Bereich getrennt, in dem sich Angeklagte, Anwält*innen, Senat, Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft sowie Nebenkläger und Nebenklägeranwält*innen befinden getrennt. Der Zuschauer*innensaal umfasst circa 150 Plätze, von denen 50 für Presse reserviert sind. Der Saal füllt sich fast vollständig.

Nach und nach betreten Anwält*innen und die nicht-inhaftierten Beschuldigten den Raum. Der „Hausheer“ des OLGs Landerer stellt sich für eine Ansprache auf einen bisher nicht besetzten Stuhl und hält eine kurze Ansprache, Solidaritätsbekundungen seien erlaubt, sobald jedoch der Senat den Raum betritt haben die Anwesenden ruhig zu sein.

Als die inhaftierten Angeklagten einzeln unter Handschellen von Sicherheitsbeamten in den Raum gebracht werden wird dies von lautstarken Applaus im Sitzungssaal begleitet. Als alle Antifaschist*innen anwesend sind wird „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ „Free all Antifas“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“ angestimmt.

Die Sitzung selbst wird durch durch den Vorsitzenden Kubista eröffnen und sogleich die Anwesenden Vetreter*innen des Generalbundesanwalts (GBAs) vorgestellt. Es folgte die Vorstellung der Nebenklage inklusive anwaltlicher Vertretung. Zuletzt wurden die angeklagten Antifaschist*innen und ihre anwältliche Vertretung vorgestellt.

Noch vor Verlesung der Anklage wollten mehrere Verteidiger*innen Anträge einbringen, dies wurde jedoch durch den Vorsitzenden nicht zugelassen und das Wort an die Bundesanwält*innen der GBA übergeben. Die Verlesung streckte sich über die Mittagspause hinweg.

Im Anschluss folgten mehrere Anträge der Verteidiger*innen, die jeweils die Aussetzung des Prozesses forderten. Zwei Anträge bezogen sich hierbei auf die Unvollständigkeit der Akteneinsicht, ein Antrag thematisierte die mögliche Prozessbeobachtung von Sicherheitsbehörden, ein weiterer ging darauf ein, dass die Folgen des Prozesses für die Angeklagten angesichts der US-amerikanischen Einstufung einer „Antifa-Ost“ als Terrorgruppe zu klären seien. Nach kurzer Erwiederung der OStAs – alle Anträge seien abzuweisen wurden alle Anträge abgewiesen.

Es folgten die Opening Statements der Verteidiger*innen.

In dem ersten Opening Statement verwies die Verteidigung darauf, dass die hier angeklagte Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bereits gegenstand in einem abgeschlossenen Strafverfahren in Ungarn war. Dieses Vorgehen verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot. Ein Grundsatz, der verbietet, dass jemand für die selbe Straftat mehrfach bestraft wird. In dem betreffenden Strafverfahren wurde ihr Mandant bereits in Ungarn inhaftiert. Die Haftzustände dort waren menschenunwürdig. Es gab zu kleine, überbelegte Zellen und fast jeder Freigang wurde gestrichen. Wenn Freigang erfolgte, fand dieser auf dem Blechdach des Knastes statt, wo auch die Lüftungsschächte der Sanitäranlagen endeten, eingefercht mit anderen Gefangenen. Die Zelle wurde permanent videoüberwacht.

Im Sommer waren die Zellen überhitzt, im Winter gab es keine Möglichkeit zu heizen. In den Duschen, in denen auch das Essensgeschirr gespült wurde, war auch ein blutiger Handabdruck eines Inhaftierten, der von einem Schließer verletzt wurde. Das Essen bestand aus nicht durchgekochtem Reis, Kartoffeln oder einem Nudel Klumpen. Die Verteidigung argumentierte, dass die Haftzeit aus Ungarn auf eine etwaige Haftzeit im hier verhandelten Verfahren angerechnet werden muss, und zwar aufgrund der widrigen Haftumstände in doppelter Dauer: „Zwei Jahre Haft in Ungarn entsprechen vier Jahren Haft hier!“

In dem zweiten Opening Statement kritisierte die Verteidigung, dass das Gericht voreingenommen sei. Drei von fünf Richter*innen waren bereits in dem ersten Antifa Ost Verfahren beteiligt. Die Tat, die ihrem Mandanten vorgeworfen wird, weswegen er nun hier angeklagt ist, war bereits im ersten Verfahren Gegenstand. Ebenso wurden bereits im ersten Verfahren Aussagen des Verräters und Vergewaltigers J.D. durch das Gericht als glaubwürdig eingeordnet. Die Verteidigung stellte daher bereits einen Antrag, die betreffenden drei Richter*innen wegen Vorbefasstheit abzulehnen, dieser Antrag wurde aber abgelehnt.

Die Vorbefasstheit des Gerichts ist problematisch, es gibt einen Ankereffekt: Es wird sich auf die Infos verlassen, die zuerst erlangt wurden. Neue Infos haben wenig bis kein Gewicht. Weiter kritisierte die Verteidigung, dass der Umfang des Verfahrens – zwei bis drei Verhandlungstage je Woche, angesetzt auf eineinhalb Jahre – nicht sachgemäß für die betreffenden Vorwürfe sei und damit auch gegen das Beschleunigungsgebot verstoße.

Das Beschleunigungsgebot soll dafür sorgen, dass Strafverfahren effektiv durchgeführt werden und nicht künstlich in die Länge gezogen werden. Problematisch an diesem Verfahren ist auch, dass den sieben Angeklagten teilweise sehr verschiedene Tatvorwürfe gemacht werden, die ausschließlich durch die Klammerwirkung des Vorwurfs der „MItgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ mit einander in Zusammenhang gebracht werden. So müssen die Angeklagten, darunter auch ihr Mandant, hier bei vielen Verhandlungstagen ihre Zeit absitzen, an denen Vorwürfe verhandelt werden, die für ihn überhaupt nicht relevant sind. Durch die Teilnahme an einem solch umfangreichen Verfahren droht auch der Verlust der Arbeitsstelle und somit der bürgerlichen Existenz, was dem Resozialisierungsgebot widerspräche und das Verfahren an sich stellt schon eine Bestrafung vor etwaigem Schuldspruch dar.

Ein weiteres Opening Statement ging auf die rechte Hegemonie in Ostdeutschland ein und erklärte, dass antifaschistischer Selbstschutz notwendig sei. Eine rechte Hegemonie in Ostdeutschland ist nach wie vor gegenwärtig, heutzutage aber mehr eingebunden und für viele weniger erkennbar. Zugleich stellt diese rechte Hegemonie aber für viele Menschen, die nicht dem Weltbild der Neonazis entsprechen, eine tägliche Bedrohung dar.

In einem weiteren Opening Statement wurde die Vorverurteilung eines Angeklagten auch mit der Besetzung des Gerichts arugmentiert, sowie auch mit der Öffentlichkeitsfahndung und der Darstellung in der Presse sowie den Sicherheitsvorkehrungen und der Trennung von anderne Mitgefangenen in Haft.

In einem weiteren Opening Statement wurde von der Verteidigung auch der unangemessene Umfang des Verfahrens und die Unzuständigkeit des Gerichts eingegangen. Das OLG sei für die hier gemachten Vorwürfe nicht zuständig, da den Vorwürfen keine besondere Bedeutung beikäme. Auch stelle das Verfahren für ihre Mandantin eine immense Belastung dar, sowohl zeitlich als auch informationell und finanziell.

Die Einstufung der sogenannten Hammerbande durch die USA als Terrorgruppe stelle auch eine Bedrohung für die bürgerliche Existenz ihrer Mandatin dar. Die Verteidigung habe nach wie vor nur unvollständig Akteneinsicht erhalten, drei von fünf Richter*innen sind wegen Beteiligung am ersten Verfahren vorbefasst. Ihre Mandantin war im ersten Verfahren bereits als Zeugin geladen. Dort verweigerte sie die Aussage, wegen der Möglichkeit der Selbstbelastung. Dieses Aussageverweigerungsrecht wurde ihr durch das Gericht abgesprochen, ihr wurde ein Ordnungsgeld auferlegt, nun ist sie vor dem selben Gericht angeklagt.

Damals wurden bereits Ermittlungen durch die GBA/Generalbundesanwaltschaft gegen sie geführt, zwei Monate nach der Aussageverweigerung wurde ihre Mandantin durchsucht, ihr Blut entnommen und sie wurde observiert. Auch die im Urteil des ersten Verfahrens enthaltenen Aussagen zu ihrer Mandantin stellen eine Vorverurteilung dar. Ein weiteres Argument der Verteidigung war, dass in dem Vorwurf gegen ihre Mandantin ein erheblicher Ermittlungsaufwand betrieben wurde, hier wurde nicht „nur jeder Stein, sondern jedes Sandkorn“ umgedreht. In anderen Sachgebieten, beispielsweise sexualisierte Gewalt oder Polizeigewalt wird das nicht getan. Das ist so, weil es hier um antifaschistische Taten nicht, und nicht wegen des entstandenen Schadens, der bei anderen Taten viel höher liegt.

Eine weitere Verteidigung stellte einen Einstellungsantrag für ihren Mandanten. Auch hier wurde auf die Unzuständigkeit des Gerichts, die willkürliche Zusammenstellung der Angeklagten und der Vorwürfe und die lange Verfahrensdauer eingegangen. Außerdem werde hier vor dem Staatsschutz-Senat verhandelt, den Vorwürfen kommt aber kein staatsschutzrelevanter Charakter zu. Auch ihr Mandant wird durch das Verfahren und die U-Haft bereits vorverurteilt.

Bei Verhandlung als Einzelverfahren könnten die Verfahren bereits abgeschlossen sein. Außerdem veröffentlichte das OLG eine Pressemitteilung, in dem fälschlicherweise von dem Vorwurf einer „terrorisitschen Vereinigung“ nach §129a StGB die Rede sei. Das ist juristisch falsch, diene aber der Aufbauschung des Verfahrens. Diese Pressemitteilung sei nach wie vor auf der Seite des OLGs zu finden und wurde vom OLG nicht ausreichend korrigiert. Ebenso argumentierte die Verteidigung, dass es in diesem Verfahren nicht um die Übergriffe an sich gehe, sondern um die zugrunde liegende Gesinnung.

Weiter geht es am 26.11.2025 mit dem 2. Prozesstag.

Du möchtest den Prozess solidarisch begleiten? Dann schau dir am besten vorher unser How to Einlass an.

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2025.11.26 / 2. Prozesstag / Bericht

Erste Eindrücke vom Tag

Der zweite Prozesstag begann, wie am Vorabend angekündigt, erst gegen 11:00. Die (klägliche) rechte Kundgebung vom Vortag bekam keine zweite Auflage. Die Zahl solidarischer Prozessbegleiter*innen nahm im Vergleich zum Vortrag etwas ab.

Eine Soliaktion des Vortrages, für einen beschuldigten Genossen, der in U-Haft sitzt, dass Tragen von Batik Shirts, wurde auch am zweiten Verhandlungstag fortgesetzt. Heute trug er selbst ein entsprechendes Shirt.

Generell machten unsere Genoss*innen heute einen entspannten Eindruck. Diverse Male fand pantomimische Interaktion, durch die hohen Raumtrenner aus Glas hindurch, statt.

Verlesung diverser Entscheidungen zu den Anträgen der Verteidigung des Vortages

Während der vorsitzende Richter Kubista ansetzte die Entscheidungen des Gerichts, zu den diversen am Vortrag gestellten Anträgen der Verteidigung, vorzutragen, ereignete sich eine Überraschung. Der Strom fiehl aus. Und das nicht nur im Gebäude, sondern großflächig in Dresden-Albertstadt und Pieschen. Grund dafür waren wohl die Beschädigung eines zentralen Stromversorgungskabels durch Straßenbauarbeiten. Kurzer Ratlosigkeit folgte allgemeine Belustigung unter den Supporter*innen, als auch den angeklagten Genoss*innen. Der Vorstizende verkündigte eine Sitzungspause, bis 13 Uhr.

Nachdem sich gegen 12:30 das Update verbreitete, der Schaden sei behoben, ging es zurück in den Gerichtssaal. Wieder wurden die angeklagten Genoss*innen beklatscht und bejubelt.

Und der vorsitzende Richter begann seine Verlesung der Entscheidungen erneut.

Zuerst wurde der Antrag auf Aussetzung des Prozesses bis zur Klärung der Frage, ob sich im Gerichtssaal Prozessbeobachter*innen verschiedener staatlicher Behörden befinden würden, zurückgewiesen. Gestellt wurde er, um feststellen zu lassen ob z.B. behördliche Mitarbeiter*innen der USA und Ungarn vor Ort seien. Aber auch inländische Behörden waren gemeint. Begründet wurde er mit deren Einstufung von Antifa – und spezifischen den behördlich konstruierten Vereinigung „Hammerband“/“Antifa-Ost“. Das Gericht habe keinerlei Anmeldungen durch entsprechende Institutionen erhalten und gehe davon aus, dass diese dementsprechend nicht vertreten seien.

Auch der daran anknüpfende Antrag auf Aussetzung des Gerichtsverfahrens, aufgrund der Einstufungen und den unabsehbaren Folgen für die angeklagten Genoss*innen, wurde abgewiesen.

Die Verteidigung unserer Genossin beantragte ebenfalls Aussetzung. Grund dafür ist die Tatsache, dass auch zum zweiten Verhandlungstag noch unklar sei, welchem Verteidiger*innenteam welche Aktenteile fehlten – also ingsgesamt keine vollständige Akteneinsicht ermöglicht wurde. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Der Vorsitzende führte dazu aus:

Beweisstücke unterlägen dem Besichtigungsrecht und technische Hilfsmittel der Polizei seien nicht einsehbar – nur die verschriftlichten, zu den Akten gegebenen Ergebnisse könnten übermittelt werden. Und zuletzt wurde darauf verwiesen, dass z.B. Fotografien, die im Rahmen von Observationen zur Gefahrenabwehr gemacht wurden, der Verteidigung nicht zugänglich gemacht werden müssten.

Das zur Verfügung stellen unvollständiger Akten an die Verteidigung allein ist schon bedenklich, eine besondere Brisanz erhielt diese Tatsache zusätzlich dadurch, dass das Gericht für Montag den 1. Dezember 2025 ankündigte, sich mit sogenannten „Ausspähfotos“ beschäftigen zu wollen. Diese liegen der Verteidigung jedoch bisher nicht vor. Das Gericht gab an, dass diese schon im Verlaufe des 27. Novembers an die Verteidigung übermittelt werden sollten.

Ein weiterer Aussetzungsantrag der Verteidigung eines angeklagten Genossens wurde noch nicht beantwortet. Seine angedachte Prozesserklärung hielt er daher, aus strategischen Gründen, nicht.

Prozesserklärungen von drei angeklagten Genossen

Die Verteidigerin eines Genossens, die am Vortrag vor Gericht eine kompakte, aber sehr eindrückliche Schilderung der ungarischen Haftbedinungen vorgenommen hatte, wies ausdrücklich darauf hin, dass dies keine Prozesserklärung im Namen des Genossens gewesen sei. Sie erklärte außerdem, dass er sich ihre Auführungen zu eigen mache – sprich dass sie als Teil seiner Prozesserklärung zu werten seien.

Dieser Hinweis hatte eine Diskussion zur Folge, ob die angeklagten Genoss*innen sich selbst zur Anklage äußern dürften, ohne das dies als eine Einlassung zur Sache gewertet werden würde. Da niemand, außer den jeweiligen Genoss*innen selbst, wusste, was der Inhalt der Prozesserklärungen sein würde, wurde dem persönlichen Vortrag stattgegeben.

Manche Supporter*innen im Raum hörten so die Stimmen ihrer Genoss*innen zum ersten Mal seit Jahren, manche das aller erste Mal überhaupt.

Die ersten beiden Genossen kritisierten die Anklage der GBA politisch und untermauerten ihre Argumente mit Analysen zur gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland sowie darüber hinaus. Dabei bezogen sie auch Stellung zur Notwendigkeit antifaschistischem Selbstschutzes.

Nach der ersten Prozesserklärung entbrannte die Debatte über den Charakter des Gehörten und damit dessen Verwertbarkeit im Verfahren erneut auf. Die Generalbundesanwaltschaft pochte darauf, dass sich daraus sehr wohl ein Bezug den den angeklagten Taten herstellen ließe. Das Gericht stimmte dem zu. Der Vorsitzende sagte, dass auch er die Prozesserklärungen nicht zu 100% als politisches Statement verstehe. Was das genau bedeutet, wird sich erst später im Prozess zeigen.

Die dritte Prozesserklärung ergänzte die vorherigen durch sehr bewegende persönliche Ausführungen zur Lebensrealität all jener Menschen, die durch Neonazis als Feind*innen ausgemacht werden und wie zentral antifschistischer Selbstschutz für das Über-/leben ist. Dazu wurde der Gerichtssaal in den ländlichen Raum Ostdeutschlands der Wendejahre bis in die 2010er Jahre mitgenommen.

Hierzu zwei Lesetipps: Dokumentationen zur Gewalt gegen Migrant*innen, Linke, Alternative und allen, die nicht in das Weltbild von Neonazis passen – explizit in den Wendejahren https://www.zweiteroktober90.de und https://www.rosalux.de/publikation/id/43063/erinnern-stoeren-1.

Auf eine detaillierte inhaltliche Wiedergabe der Prozesserklärungen wird bis auf weiteres verzichtet. Damit erklären wir uns mit dem Wunsch der angeklagten Genoss*innen solidarisch, bis zur Klärung der Auswirkung der Terroreinstufungen in Ungarn und den USA, mit ihren Prozesserklärungen nicht an die Öffentlichkeit gehen zu wollen.

Aus den gleichen Gründen wurden die Prozesserklärungen vorerst nur mündlich gehalten und wurden nicht schriftlich zu den Prozessakten gegeben.

Empathie- und Solidaritätsbekundungen mit den vortragenden Genossen wurden von mal zu mal harscher durch das Justizpersonal quittiert. Der maßgeblich Zuständige, dem diese „Verletzung“ der gerichtlichen Spielregeln, missfielen bzw. der sich in seiner Rolle und Kompetenz gekränkt zu fühlen schien, verwarnte jubelnde und klatschende solidarische Menschen mehrmals.

Nachdem die dritte Prozesserklärung vorgetragen war, gab es wieder Empathie- und Solidaritätsbekundungen. Hierauf folgte eine Sanktionierung durch den vorsitzenden Richter. Vier Besucher*innen wurden vom vorsitzenden Richter mit vollem Namen aufgerufen, da sie sich „ungehorsam“ benommen hätten. Ihnen wurde ein Besuchsverbot für den kommenden Prozesstag ausgesprochen und für den Fall einer erneuten Störung mit „letzter Warnung“ Ordnungshaft angedroht.

Diese Drohung wurde durch die solidarischen Zuschauer*innen mit Gelächter beantwortet.
Dass das Gericht während der Verhandlung keine Solidaritätsbekundungen duldet, hatte es bereits angekündigt. Vor und nach der Verhandlung sei es aber okay.

Für die weiteren Prozesstage ist dieses Vorgehen insofern spannend, als dass vermeintliche Störer*innen indentifiziert und anscheinend namentlich ausgerufen werden. Ein unangenehmes Vorgehen, wenn Neonazis als Nebenklage oder unter den Zuschauer*innen anwesend sind. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob das Besuchsverbot tatsächlich durchgesetzt wird, denn die vier Besucher*innen konnten den restlichen Prozesstag bis zum Ende begleiten.

Und noch ein Lesetipp: Rote Hilfe, Prozesse politisch führen (2023) https://rote-hilfe.de/sites/default/files/2024-03/broschuere_prozesse_politisch_fuehren_web.pdf

Zurück zu den unvollständigen Akten

Da die Verteidiger*innen unserer Genoss*innen mit der Antwort des Gerichts bzgl. des Antrags zur unvollständigen Akteneinsicht vollkommen zu Recht unzufrieden waren, forderten sie abermals das Gericht auf, dessen Verpflichtung zur Bereitstellung aller Verfahrensakten für alle Verteidiger*innen nachzukommen.

Richter Andreae übernahm jetzt die aktive Sprecherrolle des Gerichts. Es folgte erneut ein hin und her, in dem der Richter immer wieder, mit immer gleicher Argumentation, versuchte die Verantwortung den Anwält*innen unserer Genoss*innen zuzuschieben. Sie müssten sagen welche Akten ihnen fehlen, damit er das prüfen könne und ggf. fehlende Aktenteil nachhreichen lasse könne.

Ab und zu bezog er sich, offensichtlich in der Absicht keinerlei Zugeständnisse zu machen und verfehlte Veranwortung einzuräumen, auf Aktenteile, die Beweismittel umfassen – denn diese unterliegen nicht dem Akteneinsichtsrecht, sondern dem Beweismittel-Besichtigungsrecht. Das dies jedoch nur einen kleinen Teil der fehlenden Akten betrifft, schob er renitent beiseite. Einzig die eigene Überforderung, angesicht der schieren Masse an Akten bekundete das Gericht mehrfach.

Selbst gutgemeinte Versuche von Verteidiger*innen dem Gericht entgegenzukommen – durch 1.) eine höchst unübliche live Abfrage der Vollständigkeit, durch das Verlesen, Ordner für Ordner und Dokument für Dokument oder 2.) die persönliche Durchsicht der Originalakte in der Geschäftsstelle des Gerichts durch ein Verteidiger*innenteam – wurden vorerst nicht beachtet. Das Gericht versuchte die Verteidiger*innen mit der Ankündigung, es werde am 27. November eine Lösung suchen, zu vertrösten.

Und plötzlich ging die Beweisaufnahme los

Für die solidarischen Zuschauer*innen war dies jedoch nicht nachvollziehbar. Als der Richter Andreae anfing einen Dateipfad für eine Lichtbildmappe der Akten mehfach vorzutragen, in der Hoffnung die Verteidigung würde den entsprechenden Ordner übermittelt bekommen haben, hielten viele das Vorgehen noch für eine beispielhafte Demonstration eines Aktenbestandes – in dessen Ordnersturkturen manch eine Person schon verloren gehen könnte. Doch dem war nicht so.

Währenddessen ließ Oberstaatsanwältin Geilhorn es sich nicht nehmen, sich über Verteidiger*innen lustig zu machen, die nicht sofort den entsprechenden Ordner und das spezifische Dokmument finden konnten. Damit bekam ihre Performance im Gerichtssaal in Formfragen schon zum zweiten mal an diesem Tag einen ordentlichen Kratzer. Zuvor klingelte für alle im Saal hörbar ihr Mobiltelefon, während einer unserer Genossen gerade seine Prozesserklärung vortrug. Das Klingeln begleitete noch ein gut hörbares „Scheiße!“ und hektisches Herumgekrame.

Die auf Gerichtsprozesse spezialisierte freie Journalistin Wiebke Ramm (u.a. für Spiegel, Tagesspiegel, Süddeutschezeitung) setzte sich für diesen Teil der Verhandlung, ebenso wie Konrad Litschko (taz) und der seit 1992 für die Bild arbeitenden Bernhard Schilz, um. Denn auf den im Verhandlungssaal angebrachten Bildschirmen (für Verteidiger*innen, An- und Nebenklage) wurden jetzt Bilder der Polizei, von Asservaten und ihren mutmaßlichen Fundorten gezeigt. Die Drei hatten wohl die Hoffnung, einen catchy Aufhänger für ihre Berichterstattung zu bekommen. Das diese Form der Inaugenscheinnahme des Gerichts die Privatsphäre der von der Hausdurchsuchung betroffenen Genossin verletzt, interessierte sie offenkundig nicht.

Gegen die Verlesung gingen auch die Anwält*innen vor. Allerdings deswegen, weil die Beschriftung der Fotos von einem Cop durchgeführt wurde, der selbst nicht bei der Hausdurchsuchung anwesend war. Die Zuordnung wurde daher nicht aus eigener Wahrnehmung, sondern nach dem Bericht anderer Cops durchgeführt. Die Räumliche Zuordnung der Aservaten kann so zumindest in Zweifel gezogen werden.

Hinweis am Rande

Ramm, Litschko und Schilz schrieben zuletzt jeweils einen Artikel, in dem sie anhand vermeintlicher Ermittlungsergbenisse versuchten die Vita eines Angeklagten nachzuzeichnen (https://www.spiegel.de/panorama/justiz/hammerbande-johann-g-kommt-in-dresden-vor-gericht-der-mann-mit-dem-hate-cops-tattoo-a-1c7cf451-0320-4bd8-ad69-2592b7c6e769, https://taz.de/Antifa-Prozess-beginnt/!6130317/ und https://www.bild.de/regional/sachsen/antifa-ost-chef-der-brutalen-hammerbande-in-dresden-vor-gericht-6921928f18b978b3b9f5521d). Auch dieses Vorgehen kritisieren wir. Es ist spekulativ und sensationsheischend – Spiegel und Bild versuchen durch eine Paypall zusätzlich daraus Kapital zu schlagen.

Ausblick: die kommenden Wochen im Gerichtssaal

Damit war der Auftakt für die Beweisaufnahme gemacht. Ab Montag dem 1. Dezember werden Zeug*innen geladen. Das Gericht verkündete dazu, es gäbe derzeit eine Beweismittelliste, die nur die nächsten Verhandlungstage umfasse.

„Danach ist am 1.12. die Vernehmung von drei Zeugen vorgesehen, zwei Polizeibeamte und eine Privatperson, zur „Ausspähfahrt“ am 07.08.2018 sowie die Mitarbeit der von … und … in einer Leipziger Hausverwaltungsgesellschaft. Um dasselbe Thema geht es am 2.12. vormittags. Ab Nachmittag ist dann Thema der Angriff auf [AOK: den Neonazi] Cedric Scholz, und zwar bis zum 09.12.2025. Nachfolgend wird es ab 10.12. um den Angriff auf [AOK: den Neonazi] Tobias Nees gehen bis 16.12.2025.“

Den Erfahrungen im „Antifa-Ost-Prozess“, sowie den ersten Änderungen im Ablauf mit Prozesstag 2 des jetzigen Prozesses nach, müssen wir uns gleichzeitig darauf einstellen, dass dieser Plan nicht strikt eingehalten wird.

So der so steht fest: Vor der Winterpause werden Neonazis als Zeug*innen und „Opfer“ geladen sein.

Damit der letzte Lesetipp, in Vorbereitung auf die nächsten Wochen: https://www.soli-antifa-ost.org/neonazis/ und https://de.indymedia.org/node/555848.

Kommt zum Gerichtsprozess,
zeigt euch solidarisch!
Seite an Seite, gegen ihre Repression!