Antifa Ost 2.0: Der Staat inszeniert einen Antiterrorprozess gegen links
Sieben Angeklagte hinter Panzerglas, internationale Terrorvorwürfe, ein brüchiger Kronzeuge: Der nächste Dresdner Großprozess gegen Antifaschisten wird erneut zum politischen Schauplatz – und zum Machtkampf um Deutungshoheit
Panzerglas, strenge Einlasskontrollen, eine Inszenierung wie ein Antiterrorprozess: Am 25. November wird im Hochsicherheitssaal des Dresdner Oberlandesgerichts auch das neue „Antifa Ost“-Verfahren beginnen wie das alte.
Angeklagt sind sieben mutmaßliche Mitglieder oder Unterstützer*innen der als kriminelle Vereinigung eingestuften „Antifa Ost“. Mit diesem Verfahren wird der gesamte Komplex juristisch wie politisch fortgeschrieben.
Im Mai 2023 war nach zweieinhalb Jahren und knapp 100 Verhandlungstagen der Mammutprozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte zu Ende gegangen – es folgten Freiheitsstrafen wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und schwerer Körperverletzung. Vorgeworfen wurden Angriffe auf tatsächliche oder augenscheinliche Neonazis in Sachsen und Thüringen.
Der erneute Prozessbeginn wurde mehrfach verschoben, nun sind 70 Verhandlungstage angesetzt. Klar ist: Es geht um weit mehr als die konkrete Schuldfrage. Verhandelt wird die Deutungshoheit über „konsequenten Antifaschismus“ – und wo der Staat die Grenzen seines Gewaltmonopols zieht.
Knapp 100 Verhandlungstagen der Mammutprozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte zu Ende gegangen – es folgten Freiheitsstrafen wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und schwerer Körperverletzung.
Vorgeworfen wurden Angriffe auf tatsächliche oder augenscheinliche Neonazis in Sachsen und Thüringen. Der erneute Prozessbeginn wurde mehrfach verschoben, nun sind 70 Verhandlungstage angesetzt.
Klar ist: Es geht um weit mehr als die konkrete Schuldfrage. Verhandelt wird die Deutungshoheit über „konsequenten Antifaschismus“ – und wo der Staat die Grenzen seines Gewaltmonopols zieht.
Terroreinstufung in Ungarn und den USA – zur Markierung politischer Gegner?
International wurde die „Antifa Ost“ inzwischen von Ungarn und den USA als terroristische Auslandsvereinigung eingestuft, was angesichts der geringen politischen Relevanz der genannten Gruppen zweifelhaft erscheint. In autoritär regierten Staaten wird eine solche Einstufung häufig genutzt, um politische Gegner zu markieren und zu delegitimieren.
Aber auch in Deutschland lässt sich seit Jahren eine Verschiebung beobachten: Neben islamistischem und rechtem Terror rückt „linke Militanz“ stärker in den Fokus, etwa durch die SoKo LinX des sächsischen LKA und die vermehrte Anwendung des Strafgesetzbuchparagrafen 129 gegen antifaschistische Strukturen.
Der Paragraf regelt den Straftatbestand der Bildung einer beziehungsweise Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.Kritiker*innen sehen darin den Versuch, politische Ideen zu kriminalisieren und das soziale Umfeld von Angeklagten auszuleuchten und einzuschüchtern.
Tatkomplexe von Deutschland bis Budapest
Im Zentrum des neuen Verfahrens steht Johann G., dem die Generalanwaltschaft gemeinsam mit Lina E. eine „herausgehobene Stellung“ zuschreibt. G. werden Angriffe und Angriffsplanungen in Deutschland und im sogenannten Budapestkomplex vorgeworfen.
Nach einer Öffentlichkeitsfahndung wurde er 2024 festgenommen und sitzt seither in Dresden in Untersuchungshaft.Tobias E., ebenfalls Angeklagter, wurde in Budapest bereits zu einer Haftstrafe verurteilt und nach Deutschland überstellt. Paul M. gehört zu jenen acht Beschuldigten, die sich Anfang 2025 stellten. Gegen sechs andere beginnt im Januar ein Prozess in Düsseldorf. Der siebte, Zaid A., hat sich den Behörden in Frankreich gestellt.
A. befürchtete, die deutschen Behörden könnten ihn, wie im Fall der nicht binären Antifaschist*in Maja T., nach Ungarn ausliefern. Im Nachhinein stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Auslieferung T.s nicht rechtens war. Trotzdem wird T. seit mehr als 500 Tagen in Budapest isoliert festgehalten und muss mit einer Haftstrafe von bis zu 24 Jahren rechnen.
Im Dresdner Verfahren werden unter anderem der Angriff auf einen Kanalarbeiter mit rechter Szenekleidung in Leipzig 2019 sowie der Überfall auf die Neonazi-Kneipe „Bulls Eye“ in Eisenach verhandelt. Der Betreiber der Kneipe, Leon R., steht selbst wegen Bildung einer kriminellen Organisation mit nationalsozialistischer Ideologie namens „Knockout 51“ vor Gericht. Ziel dieser Gruppe sei unter anderem die Schaffung eines „Nazi-Kiezes“ durch Gewaltausübung gewesen.
Das Verfahren ist für die Nichtinhaftierten bereits ein Teil der Strafe
Kristin Pietrzyk, AnwältinIn Budapest hängen die Vorwürfe mit dem geschichtsrevisionistischen „Tag der Ehre“ zusammen, der jährlich hunderte Neonazis anzieht. Bei den Auseinandersetzungen 2023 wurden unter anderem der im „Blood and Honour Netzwerk“ verankerte Rechtsrocker und Neonazi László Dudog verletzt.
Dudog posiert auf seinem Instagram-Account mit Rudolf-Hess-Gedenkshirt, „Blood and Honour“-Devotionalien und einem 88-Tattoo in einem Lorbeerkranz auf seiner Brust. Die 88 ist ein bekannter Neonazi-Code und steht für „Heil Hitler“.
Vor Gericht wurden die Geschädigten weitgehend als unbeteiligte Wanderer oder Musiker präsentiert; Bezüge zu extrem rechten Szenen kamen nicht zur Sprache.
Besondere Brisanz entsteht bei dem jetzigen Verfahren jedoch durch den Vorwurf des versuchten Mordes gegen drei Angeklagte Johann G., Tobias E. und Paul M. Der gleiche Vorwurf wurde bereits im, mit dem „Antifa Ost“-Verfahren verwobenen, Budapestkomplex-Verfahren gegen Hanna S. erhoben.
Der zuständige Senat am Oberlandesgericht München ging in der Urteilsfindung nicht mit, sah keinen Vorsatz und ließ den Punkt fallen. Die Anwältin von Johann G., Kristin Pietrzyk, erklärt zum anstehenden Verfahren gegenüber Freitag:
„Diese Vorwürfe werden in der Beweisaufnahme viel Zeit in Anspruch nehmen. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Vorwurf, wie im Fall von Hanna S., fallengelassen wird. Wir nehmen diese Vorwürfe jedoch sehr ernst und werden entsprechend verteidigen.“
Ein Kronzeuge mit Eigeninteresse?
Der aus dem ersten Verfahren bekannte Kronzeuge Johannes D. wird erneut aussagen. Seine umfangreiche Kooperation mit den Behörden bildet einen zentralen Teil der Anklage. D. sieht sich mit schwerwiegenden Vorwürfen sexualisierter Gewalt innerhalb der linken Szene konfrontiert; erst nach deren Veröffentlichung und einem Outing seiner Person, entschied er sich zur Zusammenarbeit.
Seine Glaubwürdigkeit dürfte daher im Fokus der Verteidigung stehen. Anwältin Pietrzyk meint, dass es im Ergebnis darauf ankommen wird, wie glaubwürdig das Gericht die Aussagen des Belastungszeugen einschätzt.
„Unsere Aufgabe als Verteidigung ist es daher, genau zu prüfen, wo bei ihm tatsächliches Wissen vorliegt und wo lediglich Vermutungen oder Szenetratsch vorgetragen werden.“
Der Ermittlungsausschuss Dresden hat bereits im ersten „Antifa Ost“-Verfahren die Verhandlung kritisch begleitet. Lena Wallsdrof, Sprecherin der linkspolitischen Gruppe, schätzt die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen D. als gering ein.
Dem Freitag gegenüber sagte sie: „Durch sein Anbiedern an die Behörden musste er natürlich liefern, sonst würden sie ihn als Kronzeuge fallen lassen. Das belegt, denke ich, sein Eigeninteresse stark.“
Herausforderungen der Verteidigung und Solidaritätsarbeit
Ein Antrag, das Verfahren aufzuspalten, scheiterte. Damit müssen auch diejenigen Personen, die lediglich wegen Unterstützung angeklagt sind, zu jedem Prozesstag erscheinen. Pietrzyk kritisiert:
„Das Verfahren ist für die Nichtinhaftierten bereits ein Teil der Strafe. Für mich ist es kaum vorstellbar, wie jemand Alltag und Beruf aufrechterhalten und am Leben teilnehmen soll, wenn er an jedem Verhandlungstag in Dresden anwesend sein muss.“
Auch die Nebenklage wird bei der Verfahrenseröffnung anwesend sein. Da es sich unter anderem um Personen aus dem extrem rechten Spektrum handelt und das Verfahren auch in der rechten Szene weithin bekannt ist, darf mit dem potenziellen Auftauchen von Neonazis gerechnet werden.
Eine rechte Kundgebung zum Prozessauftakt wurde bereits angemeldet.
Antifaschismus ist faktisch zu einem Schimpfwort degradiert worden Lena Wallsdrof, Ermittlungsausschuss Dresden
Die linke Szene setzt derweil auf Solidarität und Prozessbeobachtung. Gruppen wie „Budapest Antifascist Solidarity Committee Berlin“ (BASC Berlin) leisten Solidaritätsarbeit seit den Vorfällen in Budapest und den weiteren Festnahmen in Deutschland.
Julia Maren, Sprecherin der Gruppe, sagt: „Besonders wenn das öffentliche Interesse nachlässt, beginnt eine schwierige Phase, in der jede Unterstützung im Prozesssaal wertvoll ist.“
In Dresden laufen ebenso die Vorbereitungen für eine Solidaritätskundgebung zur Prozesseröffnung. Wallsdorf meint: „Antifaschismus ist faktisch zu einem Schimpfwort degradiert worden. Damit soll eine politische Idee, die sich für den Schutz von Menschenleben einsetzt, diffamiert und in eine kriminelle Ecke gedrängt werden.“
Es sei, so die Einschätzung von Walsdorf weiter: „auch ein Signal an Menschen, die nicht militant sind. Das soll uns spalten.“ Die Verurteilung von Hanna S. im September vor dem Oberlandesgericht München zu fünf Jahren Haft hat die politische Dimension solcher Verfahren noch einmal unterstrichen.
Der vorsitzende Richter betonte, es gebe „keine gute politische Gewalt“. Diese Haltung dürfte auch im Dresdner Verfahren maßgeblich sein – während das gesamte Land weiterhin mit erheblicher rechter Gewalt konfrontiert ist.