Warum Antifa und linksautoritäre Gruppen nicht zusammenpassen (5): Antisemitismus
Artikelserie: Warum Antifa und linksautoritäre Gruppen nicht zusammenpassen
Teil 5: Antisemitismus
Antisemitismus, oder: Die Guten und das Böse
Viele junge Antifaschist*innen, die sich in den vergangenen Monaten politisiert haben, taten dies auch unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“. Der Spruch, der an den Schwur von Buchenwald erinnert, ist im Original eine Absage an Faschismus und Krieg. Im weiteren Sinne meint das „Nie wieder!“ heute aber auch die Konzentrations- und Vernichtungslager des nationalsozialistischen Deutschlands, weil der Schwur von Buchenwald nach der militärischen Befreiung des Konzentrationslagers im thüringischen Weimar geleistet wurde.
Er stammt also von den zumeist „politischen“ Häftlingen, die hier interniert waren. Aber auch die Vernichtungslager im Osten – Auschwitz, Sobibor, Treblinka und weitere – wurden durch Krieg, durch militärische Gewalt der Sowjetunion, befreit. Größte und für die Nazis wichtigste Opfergruppe dieser Todesfabriken: Jüd*innen.
Antisemitismus, der sich zur Vernichtung berufen fühlt, war die zentrale, ideologisch treibende Kraft des NS. Entgegen jeder Behauptung der autoritären Linken, dass der Faschismus eigentlich auf die Arbeiter*innenbewegung und damit auf sie selbst gezielt habe und ziele, dass er das Mittel der Kapitalist*innen sei oder gleich des „internationalen Finanzkapitals“ – die Äußerungen der Nationalsozialist*innen zeigen es deutlich. Der „Bolschewismus“, also die Sowjetunion, wurden als jüdische Verschwörung verstanden.
Weil Jüd*innen als das mächtige, absolute Böse gedacht waren (und werden), ging es darum, mit ihrer Vernichtung eben dieses Böse aus der Welt zu bringen. Danach würde endlich „Frieden“ herrschen und kein Krieg mehr. Eine der „berühmtesten“ Äußerungen Adolf Hitlers zu genau diesem antisemitischen Verständnis klingt nicht zufällig selbst wie „antiimperialistische“ Propaganda gegen „den Krieg“, den die Reichen angeblich vom Zaun brechen wollten.
Am 30. Januar 1939 sagte er in einer Reichstagsrede: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“
Doch in der sich als besonders antifaschistisch gebenden Propaganda der autoritären Linken spielt ein Verständnis der tieferen Bedeutung des Antisemitismus keine Rolle. Er ist ein „Rassismus“ unter vielen. In ihrem Gedenken tritt diese besonders traurige, niederschmetternde Epoche der Menschheitsgeschichte zurück – hinter aus der Stalin-Ära übernommenen Sieges-Jubel. Die Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO) bewirbt etwa den Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 in diesem Jahr mit einem Motiv, das die 30 Meter hohe Statue eines Sowjetsoldaten im sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow zeigt.
„80 Jahre Sieg über Faschismus und Krieg“ heißt es hier, und: „Der Sieg der Arbeiter:innenklasse über Faschismus und Krieg am 8. Mai 1945 gibt uns Mut.“ Im Vorjahr versammelte sich unter anderem der „Rote Aufbau Burg“ in Magdeburg, um in einer Fahnen-Formation zum sowjetischen Ehrenmal zu laufen und einen Kranz mit der Aufschrift „Ruhm und Ehre der roten Armee“ niederzulegen.
Jahrestage wie die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Acht Jahrzehnte nach Kriegsende folgt das Narrativ der autoritären Linken noch immer der von Stalin und später in der DDR vorgegebenen Linie, die den Sieg und den angeblichen Held*innenmut im „Großen vaterländischen Krieg“ feiert. Und damit vor allem die Staats- und Kriegsmacht der Sowjetunion.
Dass man die „mutigen“ Soldat*innen in Wahrheit unter Androhung von Erschießung, frontal und manchmal sogar unbewaffnet(!) auf deutsche Stellungen geschickt hatte, passt so gar nicht zu dem heute noch gepflegten Bild der „heldenhaften Roten Armee“. Im faschistoiden Russland unter Putin dienen die selben sowjetischen Mythen bis heute dazu, die „meat grinder“-Taktik der russischen Armee etwa in der Ukraine durchzusetzen. In der sind die Gefallenenzahlen im sechsstelligen Bereich unter russischen Soldaten schon von vornherein militärstrategisch einkalkuliert. Die Verhinderung von Todesopfern in der eigenen Truppe spielt eine untergeordnete Rolle.
Von der Opferung der Massen, die zum Beweis ihres Gehorsams gegenüber Russland „todesmutig“, schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet in den Kugelhagel geschickt werden, erhofft sich die Führung innenpolitischen und ideologischen Profit. Begründet wird der Krieg mit „Antifaschismus“ und „Selbstverteidigung“: In Kyiw herrsche ein vom imperialistischen Westen installiertes Nazi-Regime. In Wahrheit ist der ukrainische Präsident Selenskij Jude und Nachkomme von Holocaust-Opfern und Rotarmisten. Wie kann das sein?
Der Faschismus gilt gemäß der Mitte der 30er-Jahre formulierten, sogenannten Dimitroff-Doktrin in der autoritären Linken nur als anderes Gesicht des „Imperialismus“. Er sei „die Macht des Finanzkapitals selbst“, führte Dimitroff aus, sei ein Agent des Kapitalismus. Mit ihm bekämpfe die Bourgeoisie in Wahrheit Proletariat und Revolution. Rassismus, Antisemitismus, war da was? Hinter Hitler und dem Nationalsoziaismus standen, so die Deutung von KPD und Co, ultrareiche Banker.
Letztlich handelt es sich bei der Dimitroff-Doktrin um keine Faschismusanalyse, sondern um eine Verschwörungstheorie, die Arbeiter*innen mobilisieren sollte – auch sozialdemokratische. Nicht Nazis, Faschist*innen und die proletarischen Massen in der Wehrmacht sind demnach verantwortlich für Angriffskrieg und Völkermord, sondern internationale Ultrareiche, die kalkuliert und eiskalt ihre Interessen durch Krieg durchsetzen.
Ganz am großen Vordenker Lenin und der früheren Sozialfaschismusthese geschult, hatte Ernst Thälmann dagegen noch 1931 gemeint: „Faschismus und Sozialfaschismus [die SPD, Anm.] stehen in einer Klassenfront und arbeiten beide an der Durchführung der faschistischen Diktatur mit“. Der Schwenk von der einen auf die andere, anschlussfähigere Verschwörungstheorie kam zu spät.
Damit schließen Sozialfaschismusthese und Dimitroff-Doktrin an eine verschwörungstheoretische Deutung der marxschen Kapitalismuskritik an, wie sie in autoritär-linken Kreisen gang und gäbe ist. In der geht es gar nicht mehr darum, den Zwang zu begreifen, der vom Kapital selber – also von „Dingen“ bzw. von Verhältnissen – ausgeht (Marx‘ Hauptwerk heißt „Das Kapital“!). Es geht nur noch darum, Kapitalist*innen und „Imperialist*innen“ individuell und moralisch für den Zustand der Welt und des eigenen Lebens zu beschuldigen. Und es ging darum, sich selbst als von diesen Mächten verfolgt zu begreifen – eine Aufwertung des Selbstwertes für autoritäre Linke.
Denn wem die Mächtigen nach dem Leben trachten, der muss ja schon aus logischen Gründen selbst mächtig und bedeutend sein. Würde man der Reichen habhaft, würde „ihr“ Kapitalismus zusammenbrechen – eine klare Praxisanweisung und so viel leichter zu verstehen als dröge philosophische Texte und inhärente, von Personen losgelöste Zwänge. So setzte sich die Sowjetunion nach der Oktoberrevolution einfach schnell als neuer, mächtiger, aber bedrohter Ober-Kapitalist ein – und nannte das dann „sozialistisch“. Diese „gute“ Diktatur „des Proletariats“ wurde nun gegen innere und äußere, „böse“ Feinde „verteidigt“, das Proletariat dazu zur Geisel genommen.
Die heute noch in der autoritären Linken propagierten Faschismusanalysen der Sowjet-Sozialist*innen erfüllen also gar nicht in erster Linie den Zweck, den Ist-Zustand vor dem Faschismus zu verteidigen. Sie sollen sowjetische Machtausübung mit Verweis auf die faschistische Gefahr rechtfertigen. Kein Wunder, dass solche verschwörungsideologischen Analysen ohne Verständnis von Antisemitismus und Kapitalismus anschlussfähig an eben jenen Antisemitismus sind. Und von dem hatte es bei den sozialistischen Parteien stets genug gegeben.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts geisterte ein Ausspruch durch die deutsche Linke, Urheber unklar und lange fälschlich August Bebel zugeschrieben: „Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls“. Das war keine Antisemitismuskritik. Gemeint war, dass sich im Hass auf Jüd*innen im Grunde genommen etwas richtiges zeige, nämlich eine sozialistische Haltung gegen die Mächtigen und das Geld. Antisemitische Assoziationen von Jüd*innen mit Geld und Macht sitzen so tief, dass man sie sogar in einigen Texten vom durch Lenin als unfehlbar behandelten Karl Marx findet (wenn er auch an anderer Stelle genau davor warnte). Die Linke hat es nie geschafft, sich vom Antisemitismus als einer Unterströmung zu befreien.
Im Jahr 1930 führte ein Team um den Sozialpsychologen Erich Fromm eine Studie durch, die später unter dem Titel „Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches“ veröffentlicht werden sollte. Darin wurden männliche Arbeiter und Angestellte durch einen umfassenden Fragebogen zu ihrer Einstellung zu kulturellen, sozialen und politischen Themen befragt. Die Studie ist eine der Vorarbeiten zu dem, was später von anderen marxistischen Forscher*innen aus Fromms Umfeld als „autoritärer Charakter“ beschrieben und sehr bekannt wurde.
Beiden Forschungen gemein ist es, die Neigung von Menschen zum Faschismus zu untersuchen – auch abseits der Frage danach, ob sie faschistische Parteien wählen. Es ging also um die „Massen“, nicht um die Eliten. Doch Fromm fand nicht nur heraus, dass Wähler der NSDAP über ein ganzes Spektrum an Einstellungen zu verschiedenen Themen autoritäre Haltungen zeigten.
Ein ähnlicher Befund zeichnete sich – wenn auch in abgeschwächter Form – bei Wählern der KPD ab. Tatsächlich waren die autoritären Tendenzen bei den Anhängern der Parteien der Mitte schwächer ausgeprägt. Ein großer Teil der KPD-Anhänger erlag etwa der Faszination für starke Führer und Männer (zu denen sie Marx, Lenin und Stalin zählten), äußerte sich moralisch rigide oder zeigte eine Affinität zu Disziplin und Ordnung sowie zu Verschwörungsdenken – so der Befund Fromms.
Verschwörungsdenken prägte auch die UdSSR und Stalin. Überall wurden Agent*innen und Verräter*innen gewittert. Hatte jemand eine andere Meinung, ging das auf westliche Steuerung zurück. Tatsächlich zeigte sich diese Ideologie in der Sowjetunion in vielfacher blutiger Weise – aber eben auch in Form von Antisemitismus.
Im Vorfeld der Gründung Israels 1948 wurde der Vorsitzende des Jüdischen Antifaschistischen Komitees in der Sowjetunion, Solomon Michoels, ermordet. Jüdische Kultureinrichtungen wurden verboten, schließlich auch besagtes Komitee samt Verhaftung seiner Mitglieder. Es erschienen Artikel gegen „wurzellose Kosmopoliten“ – eine Bezeichnung von Jüd*innen, die man so auch bei Hitler findet. Parteikader wurden der Verschwörung zugunsten des Zionismus verdächtigt, also der Bewegung zur Errichtung eines jüdischen Staate.
Stalin sagte etwa 1952: „Jeder jüdische Nationalist ist ein Agent des amerikanischen Geheimdiensts“. Und: „Unter den Ärzten gibt es viele jüdische Nationalisten“. Er und seine Gefolgsleute deckten in jenem Jahr schließlich eine „Verschwörung“ eben jener Ärzte gegen die Sowjetunion auf. Die dabei benannten Mediziner: jüdisch.
Deren Plan sei es gewesen, Stalin und andere Funktionäre zu ermorden. Der Hinrichtung der Hunderten von Festgenommenen kam dann 1953 Stalins Tod dazwischen. Die neue Führung erklärte die Verschwörung für inszeniert – und begrub mit den Diktator auch das Thema.
Zurück in Deutschland. Rund um den späteren Kandidaten der autoritär-linken KPD-AO, Dieter Kunzelmann, gründeten sich 1969 die „Tupamaros West-Berlin“. Die Mitglieder hatten sich in jenem Jahr in Jordanien in einem Camp der palästinensischen Fatah an Waffen und Bomben ausbilden lassen – übrigens in eben jenem Camp, in dem sich 1970 die Neonazis und Rechtsterroristen Udo Albrecht und Willi Pohl ausbilden ließen. Zurück in Deutschland, befanden es die Linksautoritären für das beste Zeichen, einen Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin zu begehen – während dort des Jahrestags der „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 gedacht wurde.
250 Personen bleiben nur wegen eines defekten Zünders unverletzt. Die Tupamaros pflegten Kontakte mit der RAF sowie den Revolutionären Zellen – von denen sich Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann wiederum 1976 an der Entführung einer Air-France-Maschine durch die palästinensische, linksautoritäre PFLP beteiligten. In dem in Tel Aviv gestarteten Flugzeug waren 270 Personen gefangen. Nach Uganda umgeleitet, ließen die deutschen Entführer*innen alle nichtjüdischen Passagiere frei. Alle jüdischen – eben nicht nur Israelis, sondern auch 22 Französ*innen, ein Staatenloser sowie zwei US-Amerikaner*innen – mussten im Flugzeug bleiben. Bei der Befreiung starben drei Passagiere.
Die palästinensische PFLP-„Marxistin“ Leila Chaled entführte gleich zwei Mal Flugzeuge mit Israelis an Bord. Ihr Foto mit Kufiya und Kalaschnikow ist bis heute eine Ikone des linksautoritären „Frauenkampfes“ und ziert als Poster WG-Wände.
Als Kind hatte sie noch, neben Lenin, Hitler bewundert. Da wusste sie noch nicht – wie es von ihr überliefert ist – dass die Nazis auch Araber*innen als rassisch minderwertig betrachteten. Es hatte genügt, dass der Führer der palästinensischen Araber*innen, der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, mit Hitler, den Nazis und ihrem Vernichtungsantisemitismus zusammenarbeitete. So galt Hitler in arabisch-palästinensischen Kreisen als Verbündeter im Kampf gegen die Jüd*innen, nicht als Vertreter einer weißen Überlegenheit oder eines auch gegen Araber*innen gerichteten Rassismus.
Bis heute ist Chaled Mitglied der PFLP, die sich mit zwei „Brigaden“ am Hamas-Massaker an israelischen Zivilist*innen am 7. Oktober 2023 beteiligte. Trotz Verbots ist die PFLP auch in Deutschland organisiert – kräftig unterstützt von und verflochten mit der deutschen autoritären Linken.
Ähnliche Verehrung als kämpfende Frau erfuhr in Deutschland die RAF-Anführerin Ulrike Meinhof. Von einer Unterstützerin des Existenzrechts Israels wandelte die sich im Lauf ihres Lebens zur Antizionistin. 1972 lobte sie die Geiselnehmer und Mörder von israelischen Sportlern während der Olympiade in München – der ersten nach 1936! – durch ein palästinensisches Kommando, für deren „Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge“. Elf Israelis wurden getötet.
Anlässlich dieser Tat setzte sie das israelische Vorgehen gegenüber Araber*innen in Nahost mit dem Holocaust – also der schlimmsten Form von Völkermord – gleich, nannte den sozialdemokratischen Verteidigungsminister Mosche Dajan einen „Himmler Israels“. Es ist offensichtlich ein Versuch, diejenige Schuld auszugleichen, die die Deutschen auf sich geladen hatten, die nämlich tatsächlich den Holocaust begangen und ihn vom echten Himmler hatten organisieren lassen.
Für den linksautoritären Genozidvorwurf gegenüber Israel ist es also schon immer völlig unbedeutend gewesen, was in Palästina tatsächlich passiert. Es ging immer darum, Menschen zu emotionalisieren und zum antiimperialistischen Krieg gegen Israel aufzuwiegeln, das als schlimmste Erscheinungsform des „Imperialismus“ gedeutet und als Stellvertreter für diesen Imperialismus bekämpft wird.
Diese menschenverachtenden Äußerungen der „linken“ Ikone Meinhof waren erst der Auftakt zur immer irrer werdenden „sozialistischen“ Rechtfertigung für antisemitischen Mord. Schon im Dezember desselben Jahres verteidigte sie sogar den Holocaust – den echten – als im Kern irgendwie links – ganz im Sinne des Antisemitismus als eines „Sozialismus des dummen Kerls“: „Auschwitz heißt, dass sechs Millionen Juden ermordet und auf die Müllkippe Europas gekarrt wurden als das, als was man sie ausgab – als Geldjuden“, schreibt sie.
Und direkt an diesen Satz anschließend: „Der Antisemitismus war seinem Wesen nach antikapitalistisch. Mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden wurde die Sehnsucht der Deutschen nach Freiheit von Geld und Ausbeutung mit ermordet… Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen – denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging –, können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren.“
Natürlich haben die Deutschen sehr genau gewusst, was in den Lagern vorging. Doch von genau dieser Schuld und Verantwortung wollten ausgerechnet manche „Linke“ sie freisprechen, weil sie durch sie ihre „sozialistische“ Revolution gefährdet sahen.
Wohlgemerkt: Ein Volk von seinem Völkermord freisprechen wollen hier die selben Leute, die Israel in den Jahrzehnten seither zu jeder Gelegenheit eines Genozids beschuldigen und daraus jede Gewalt gegen dem jüdischen Staat für gerecht erklären. Damit die Eigengruppe – das Proletariat und die Linken – unverantwortliches Opfer, das eigene Handeln gut sein können, braucht es ein ultimatives Böses. Gegenüber dieser Funktionsweise des Antisemitismus sind auch und gerade Linke nicht immun. Meinhof und die RAF werden nach wie vor geehrt, ihre Taten glorifiziert.
Wenn Linke also heute fordern, die Deutschen sollten sich von ihrer Schuld befreien, um endlich Palästina angemessen zu unterstützen, ist das so neu nicht. Forderungen nach einem „Schlussstrich“ unter die deutsche Geschichte hat es schon vor Jahrzehnten auch von links gegeben. Der Grund: Linker Antisemitismus, der an die Stelle der Jüd*innen den Staat Israel setzt. Auch, wenn er sich meist besser versteckt als bei Ulrike Meinhof.
Ein weiteres eindringliches Beispiel für die „sozialistische“ Umdeutung der NS-Verbrechen findet sich in Sachsen-Anhalt. In der Feldscheune Isenschnibbe bei Gardelegen fand in den letzten Kriegstagen das größte Todesmarsch-Massaker in Deutschland statt, bei dem von mehr als 1016 ermordeten und zumeist verbrannten KZ-Häftlingen auszugehen ist.
Tatsächlich ist mit Blick auf das Massaker von Gardelegen erstmals der Ausdruck „Holocaust“ genutzt worden – das Wort bedeutet ja wörtlich „Brandopfer“. Die Täter des 14. April 1945 stammten dabei aus den verschiedensten Institutionen des NS-Staates samt Hitlerjugend und der Gardelegener Bevölkerung. Die Häftlinge waren nur aufgrund des Zufalls in Gardelegen gelandet, weil ein Zug zur Umverteilung in andere Lager aufgrund eines Schienenschadens nicht weiterfahren konnte.
Am Tag nach dem Massaker entdeckte die US-Armee die halb verscharrten Leichen und beorderte die greifbare männliche Bevölkerung Gardelegens dazu, die Ermordeten zu exhumieren und in würdigen Gräbern zu bestatten – dem heute noch existierenden Friedhof an der Feldscheune. Die meisten Opfer konnten wegen der Methode des Mordes nie identifiziert werden. Dort, wo bekannt, bekamen sie Grabsteine in Form eines Davidsterns, ansonsten christliche Kreuze.
Die US-Amerikaner verpflichteten die „Bestatter“ aus Gardelegen außerdem individuell dazu, jeweils bis an ihr Lebensende für die Pflege eines bestimmten, zugewiesenen Grabes am Friedhof zu sorgen.Die US-Armee stellte eine Gedenktafel auf, verwies im Text auf die von den Bewachern Ermordeten und darauf, dass sie von Bürgern Gardelegens begraben worden sind, denen die Verantwortung aufgetragen worden sei, für die Gräber und für das Gedächtnis an die „Unglücklichen in den Herzen aller freiheitsliebenden Menschen“ zu sorgen. Darunter ist eine Drohung mit Strafe im Fall von Grabschändung gesetzt.
Doch als Gardelegen dann der sowjetischen Zone zufiel, wurde eine Inschrift an der Mauer der Feldscheune angebracht. Und die erklärte den Sachverhalt nun ganz anders.
Der Verweis auf die US-Armee fehlt. Stattdessen ist von einem „Eintreffen der Alliierten“ die Rede – als könnte es auch die Rote Armee gewesen sein. Die 1016 Opfer des Massakers werden als „internationale Widerstandskämpfer gegen den Faschismus“ verklärt – obwohl zumeist völlig unklar war und ist, was die genauen KZ-Kategorisierungen der Häftlinge waren und nur die wenigsten Menschen als Partisan*innen in KZs gesperrt wurden.
Zum Schluss heißt es: „Sollte euch jemals im Kampf gegen Faschismus und imperialistische Kriegsgefahr Gleichgültigkeit und Schwäche überkommen, so holt euch neue Kraft bei unseren unvergesslichen Toten“. Später fügte man sogar noch hinzu: „Und sie haben doch gesiegt.“ 1965 wurde dann die alte Tafel der US-Armee gänzlich entfernt und durch eine neue ersetzt.
Auf der hieß es dann: „Die Bevölkerung hat sie begraben und ihnen ein Mahnmal errichtet. Diese Stätte soll uns stets Mahnung und Verpflichtung im Kampf gegen Faschismus und Krieg, für Frieden und ein glückliches Leben aller Menschen im Sozialismus sein.“
Ganz so, als wären die Gardelegener nicht mit vorgehaltener Waffe zur Begrabung der Ermordeten gezwungen worden. Ganz so, als hätten sie – kaum, dass die Wehrmacht abgezogen war – wieder ihre von den Nazis nur unterdrückte, eigentlich sozialistische Gesinnung ausgelebt und als erstes für ein würdiges Gedenken der als sozialistische Partisan*innen kämpfenden gesorgt. Und als wäre das nicht genug, verstieß die SED-Führung gegen den Auftrag der US-Soldaten und erließ den individuell zugeteilten Gardelegenern die Pflicht zur Grabpflege und zum Gedenken. Die ging nun an die FDJ, Schulklassen und an Betriebe mit wechselndem Personal.
Die Toten dienten jetzt zur Volkserziehung in Sachen Anti-Imperialismus. Den verschiedensten Opfern – darunter sicherlich viele Jüd*innen, aber eben auch andere Opfergruppen – wurde so noch das den Gardelegenern aufgetragene Gedenken an sie und an ihr Unglück geraubt. Wer diese Menschen tatsächlich waren – in all ihren Eigenschaften oder auch Widersprüchen – und warum sie ermordet wurden, interessierte nicht länger.
Ob rechts oder links: Autoritäre Charaktere können nicht trauern. Die Opfer wurden zu angeblichen Held*innen, Kämpfer*innen und Sieger*innen nicht nur des Sozialismus‘ oder gegen den Faschismus, sondern jetzt auch gegen die „imperialistische Kriegsgefahr“.
Gemeint war der Westen – und damit vor allem jene US-Armee, die ursprünglich ein deutlich angemesseneres, nicht verklärendes Gedenken an die Ermordeten und an ihr Unglück angeordnet hatte. Dieses Vorgehen der SED zeigt das instrumentelle Verhältnis der autoritären Linken auch gegenüber den Opfern von faschistischer Gewalt, die als „unsere Toten“ wortwörtlich in den Besitzstand des Sozialismus übergehen – eine Haltung gegenüber Toten, die autoritäre Linke auch angesichts aller anderen Kriege und Morde zeigen.
Sie als Menschen sind nicht Zweck des politischen Handelns dieses Sozialismus‘, sondern nur Mittel für ein „höheres“ Ziel. Statt ihres tatsächlichen Unglücks und Leids zu erinnern und sich der Traurigkeit und Sinnlosigkeit ihrer Ermordung zu stellen, werden in der sozialistischen Propaganda „Sieg“ und ein „glückliches Leben aller Menschen im Sozialismus“, also positive Motive, aufgerufen. Die verschiedensten Opfergruppen und damit ihre tatsächlichen Lebenserfahrungen werden gleichgemacht, nivelliert.
So werden sie nach der Ermordung und des Diebstahls ihrer Identität noch ihrer letzten Möglichkeit beraubt, sich selbst zu bezeugen. Was im sozialistischen Gedenken vor allem kaum auftaucht: Antisemitismus und Jüd*innen. Und dass Jüd*innen als Opfer von Antisemitismus vom Sozialismus allein gelassen wurden, merkten natürlich auch die Jüd*innen selbst.
Gegen eine israelische Staatsgründung angeschrieben hatte bereits Lenin. 1903 meinte er, die „Idee der jüdischen ‚Nationalität‘“ habe einen „offen reaktionären Charakter“, und zwar auch jene Strömungen des Zionismus, die diesen „mit den Ideen der Sozialdemokratie in Einklang zu bringen“ versuchten. Statt eines eigenen sollten die Jüd*innen sich dem kommenden russisch-sozialistischen Staat und dem Antisemitismus der Bevölkerung beugen.
Tatsächlich war der Zionismus lange Zeit sozialistisch und sozialdemokratisch dominiert, allen voran in der Kibbuz-Bewegung. Erst in den 70er-Jahren – nach mehr als zwei Jahrzehnten Verteidigung gegen die Vernichtungsversuche der Nachbarstaaten – begann die Dominanz der rechten Kräfte, die heute mit Netanyahu an der Spitze für unsägliche Massengewalt und den Angriff auf die Demokratie verantwortlich sind.
Dass aber auch der sozialistische Zionismus an Gewaltverbrechen beteiligt war – etwa im Rahmen der Staatsgründung – unterscheidet ihn ja gerade nicht von anderen (sozialistischen) Staaten, am wenigsten von der UdSSR. Es gibt schlicht keinen Staat, der nicht das Ergebnis organisierter Gewalt gewesen, der nicht auf Toten errichtet worden wäre.
Karl der Große trug nicht umsonst den Beinamen „Sachsenschlächter“. Und doch geht es autoritären Linken immer wieder um Jüd*innen einerseits, um Israel im Besonderen.
Sie müssen auch hier als Stellvertreter*innen für alles Böse in der Welt herhalten – egal, ob vor oder nach der Staatsgründung Israels. Das von Thälmann geführte ZK der KPD fand 1932 in astreinem Nazi-Sprech:
„Jüdisches und nichtjüdisches Kapital sind untrennbar miteinander versippt und verquickt, auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Jüdisches Geld nährt auch den Faschismus. Faschistische Streikbrecher stehen im Sold jüdischer Industrieller.“
Von da bis zur Verschwörungstheorie, die Jüd*innen hätten den Holocaust mit den Nazis organisiert, um Israel gründen zu können, ist es nicht mehr weit.
Überhaupt: Die Phantasien des linken Antisemitismus‘ kreisen auffällig darum, den Jüd*innen eine vermeintliche Machtposition vorzuwerfen, die diese aus dem Holocaust ziehen würden – vergleichbar mit den täter-opfer-umkehrenden Gefühlen, die in den meisten Menschen aufkommen, wenn sie mit sexueller Gewalt konfrontiert sind. Das Gefühl kommt zuerst – die vermeintlichen Sachgründe werden sich dann gesucht.
Der ehemals autoritär-linke Rapper MaKss Damage rappte 2010 ganz „antifaschistisch“ in „linken“ Kreisen: „Ich leite Giftgas lyrisch in Siedlungen, die jüdisch sind“. Giftgas, Gaskammern, war da was?
Wie man es auch dreht und wendet: Die Ideenwelt der autoritären Linken läuft darauf hinaus, dass der Antisemitismus als Kernelement des Nationalsozialismus unbegriffen bleibt. Und dass autoritäre Linke ein Thema mit Jüd*innen, dem Holocaust und Israel haben.
Nach dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober rechtfertigte – wie bereits erwähnt – der deutsche Bundesverband von Young Struggle die Gewalt. Doch auch die sich feministisch gebende „Gruppe Zora“ aus Magdeburg hat entsprechende Verbindungen.
So führte die Polizei in Berlin Razzien bei den Zora-„Schwestern“ aus der Hauptstadt durch. Der Grund: Auch die Berlin-Gruppe hatte sich nach dem Überfall mit der am Hamas-Massaker beteiligten, in Deutschland verbotenen PFLP solidarisiert.
In dem Post der „feministischen“ Gruppe war auch eine „Kritik“ an der Hamas enthalten: Die hätte „kein Interesse daran, das Patriarchat zu zerschlagen“. Nochmal zur Erinnerung: Die Hamas ist eine islamistische, terroristische Gruppierung, die einen Gottesstaat führt, Frauen systematisch entrechtet und deren Ziel laut Gründungscharta die Vernichtung Israels ist.
Wie frauenkämpferisch oder feministisch kann also der Hinweis sein, dass die Hamas „kein Interesse“ an der Zerschlagung des Patriarchats hat? Bestand denn Verwechslungsgefahr? Ist sie dem Patriarcht irgendwie „neutral“ gegenüber eingestellt?
Im Gegenteil, trachten Antisemit*innen Jüd*innen doch auch deshalb nach dem Leben, weil sie sie für den Feminismus, Transgeschlechtlichkeit, aus der Ordnung gefallene Geschlechterverhältnisse verantwortlich machen. Die Freiheit, die Frauen in Israel genießen, ist für die Hamas bedrohlich. Auch deshalb führt sie Krieg gegen den Zionismus.
Apropos „Krieg gegen den Zionismus“: Die Gegenkundgebung von „Young Struggle“ und dem „Jugendkollektiv Salzwedel“ in Salzwedel gegen eine Antifa-Demo wurde antisemitisch begründet. An zentraler Stelle taucht im Aufruftext jene Forderung auf, auf die sich die örtlichen Antifas nicht einlassen wollten: „Krieg dem Zionismus!“.
Damit enthält der Text eine der vielen Chiffren – also codierte Formulierungen für Eingeweihte – die in antisemitischen Kreisen genutzt werden. Denn für Nicht-Eingeweihte, die mit autoritär-linken Gruppen, ihrer Ästhetik oder Mobilisierungsfähigkeit sympathisieren, ist die Bedeutung dieser Kriegsforderung zunächst gar nicht ersichtlich.
Sie wird erst einmal als Kampfansage an jene Mentalität verstanden, aus der heraus die israelische Regierung und Armee Gewalt in durchaus genozidalem Ausmaß entfacht haben – auch wenn sie meilenweit davon entfernt sind, zur restlosen Vernichtung der arabisch-palästinensische Bevölkerung anzusetzen. Aber „Zionismus“ bezeichnet nicht einen israelischen Überlegenheitswahn. Historisch ist er die Bewegung zur Errichtung eines jüdischen Staates – die bloße Idee, dass Jüd*innen Anspruch auf einen eigenen Staat haben.
Etwa, um nicht weiter Opfer antisemitischer Gewalt zu werden. Oder einfach nur, weil auch alle anderen Völker Staaten in den Territorien beanspruchen, in denen ihre Wiege steht. Wollte man ein konkretes israelisches Verhalten durch Gewalt unterbinden, würde es genügen, Krieg gegen Israel zu fordern.
Aber wenn dem Zionismus der Krieg erklärt wird, dann heißt das, dass Israel, seine Existenz, militärisch vernichtet werden soll. Und in diesem Zuge ein erheblicher Teil oder gar die gesamte (jüdisch-)israelische Bevölkerung. Autoritär-linke Gruppen in Sachsen-Anhalt nutzen laufend antisemitische Codes.
Wenn es etwa heißt „From the river to the sea – palestine will be free”, dann ist damit eine „Befreiung“ eines Palästinas vom Mittelmeer bis zum Jordan angesprochen. Wovon soll dieses Palästina an einem Ort befreit werden, an dem heute eben auch der israelische Staat ist? Offensichtlich von der Existenz Israels. Die Formulierung lässt aber zunächst daran denken, dass ja der Gazastreifen am Mittelmeer, das Westjordanland am Jordan liegt und es um die Gründung eines souveränen Staates geht, in dem israelische Truppen nichts mehr zu melden haben, der demokratisch verfasst ist und in dem die Bevölkerung ein Leben in Selbstbestimmung und nicht in Armut führen kann.
Nur geht es in der Parole eben nur scheinbar um das Wohlbefinden der palästinensischen Araber*innen. Wenn ein „Ende der Besatzung“ oder des „Kolonialismus“ zwischen Meer und Fluss gefordert werden, funktioniert das auf die selbe Weise: Nicht die momentane militärische Besatzung des Gazastreifens oder von Teilen des Westjordanlands ist gemeint, die enden soll. Sondern die „Besatzung“ desjenigen Gebiets, das heute Israel ist. Das „Ende der Besatzung“ ist also identisch mit dem Ende Israels.
Wenn „Kolonialismus“ gesagt wird, lässt das an rassistische Praktiken gegenüber den Palästinenser*innen denken. Es geht aber nicht darum, dass Israel anders, nicht-kolonialistisch handeln soll. Es geht darum, dass Israel gar nicht mehr handeln soll. Denn als „kolonialisiert“, als Kolonie wird das israelische Staatsgebiet bezeichnet. Wenn es gegen den „Siedlerkolonialismus“ geht, dann nicht gegen rechtsextreme Siedler*innen im Westjordanland. Sondern gegen die Idee des Zionismus‘ selbst.
Ein großer Teil des jüdischen Staatsvolkes ist ja durch Migration ins Land ihrer Vorfahren gekommen – übrigens zu großen Teilen nach Vertreibungen aus arabischen Gesellschaften. Für die autoritäre Linke sind sie jedoch alle weiße Kolonialist*innen aus dem Westen, oder, eine Veröffentlichung des Europaverbandes von Young Struggle vom 16.10. folgend, „zionistische Expansion der USA in Palästina“.
Wenn autoritäre Linke mit Sprüchen wie „resistance is justified“ kokettieren, ist mit „Widerstand“ gemeint, dass der Hamas-Überfall auf Israel richtig und gut war. Am 6. Oktober beschwerte sich die Linksjugend [solid] Sachsen-Anhalt, die Jugendorganisation der Partei Die Linke, über einen Post des Bundesverbandes von solid.
Darin empört sie sich, dass der den Trump-Plan für einen Frieden begrüßte, der in diesen Tagen erstmalig Hoffnung auf ein Ende des Krieges machte (auch wenn es schwer ist, Hoffnung darauf zu verausgaben, dass in Gaza in absehbarer Zeit wieder lebenswürdige Zustände geschaffen werden).
Wollte die Landes-Linksjugend etwa doch kein Ende des Kriegs in Gaza? „Auch wir als Linksjugend [solid] Sachsen-Anhalt stehen für einen schnellstmöglichen Waffenstillstand – aber nicht auf Kosten der Palästinenser*innen!“, hieß es weiter.
Denn: Der Frieden sei „imperialistisch“ und „erzwungen“, weshalb man die Hoffnung des Bundesverbandes so auf gar keinen Fall kommentarlos stehen lassen kann. Einerseits bekennt man sich schon irgendwie dazu, dass die Hamas zu entwaffnen sei, findet aber, dass man die Palästinenser*innen Israel ja dann „quasi schutzlos ausliefert“. Was stattdessen zu tun wäre oder eine Aufklärung des Widerspruchs gibt es nicht – wie so oft in Stellungnahmen zu Israel. Man muss sich seinen Teil dazu denken.
Etwa: Wie sähe ein „nicht-imperialistischer“, „nicht-erzwungener“ Frieden im Gazastreifen denn aus? Wer soll hier nicht zu Frieden gezwungen werden, sondern ihn „freiwillig“ eingehen? Was müsste passieren, damit die Hamas „freiwillig“ Frieden schließt – jene Organisation, deren oberstes Ziel laut Gründungscharta die Zerstörung Israels ist? Wie stellt sich die Landes-Linksjugend einen „echten“ Frieden in Palästina vor? Darauf gibt es durchaus Antworten.
In einem von den Landesmitgliedern von solid getragenen Beschluss, veröffentlicht sechs Wochen zuvor, hatte es geheißen: „Die Unterdrückung und Entrechtung der Palästinenser*innen hat nicht erst mit dem 7. Oktober angefangen. Die illegale Besatzung Palästinas, sowie Israels koloniale Strukturen und militante Politik spielen seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle und Grundlage für die schrecklichen Verbrechen am palästinensischen Volk und Apartheid.“
Ein Israel ohne „koloniale Strukturen“, „militante Politik“, „schrecklichen Verbrechen“ und „Apartheid“ ist zwar irgendwie in der Theorie vorstellbar. Aber ohne die „illegale Besatzung Palästinas“, und zwar schon „seit Jahrzehnten“? Was ist gemeint? Ist ein Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 gemeint, bevor Israel einen erneuten Überfall arabischer Staaten per Präventivschlag vereitelte? Wohl kaum.
Denn Israel wird ja als Ganzes als „illegale Besatzung Palästinas“ verstanden. Aber vielleicht ist das ja ein Missverständnis, eine sprachliche Unklarheit aus der Feder junger Linker? Mitnichten. Gleich darauf heißt es im Statement, dass man feststelle, dass sich Zionismus „für die Errichtung eines jüdischen Staates mit demographischer Mehrheit“ einsetze.
Und dann: „Diese Ideologie ist unvereinbar mit den Grundwerten der Linksjugend [solid] Sachsen-Anhalt“. Nur: Ohne Zionismus gibt es schlicht kein Israel. Ergo meint „koloniale Besatzungspolitik“ hier die bloße Existenz eines israelischen Tel Aviv, Haifa, (West-)Jerusalems.
Und genau so geht es weiter. Man setze sich für das „Rückkehrrecht der palästinensischen Geflüchteten in ihre Heimat“ ein – eine weitere antisemitische Chiffre. Es lässt an die Vertriebenen im Gazastreifen denken, die ihres Zuhauses beraubt worden sind. Doch die sind gar nicht gemeint. Denn bei den Vereinten Nationen gibt es einmal ein internationales Hilfswerk für Geflüchtete (UNHCR) – und einmal ein Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete (UNRWA).
Und dieses letztere Sonder-Flüchtlingshilfswerk hat eine andere Definition von Flüchtlingen, als sie im Rest der Welt oder beim UNHCR gilt. Wo etwa in Deutschland darauf bestanden wird, im Land geborene Menschen nicht wegen der Migration ihrer Eltern als Flüchtlinge, Migrant*innen oder „Ausländer*innen“ zu labeln, gilt für die Palästinenser*innen das genaue Gegenteil. Der Status als Flüchtling vererbt sich. Sogar für adoptierte Personen gilt er. Mittlerweile gibt es darum offiziell etwa 6 Millionen palästinensische „Flüchtlinge“.
Wenn von einem „Rückkehrrecht“ für diese Menschen die Rede ist, ist damit eine Rückkehr auf jene Grundstücke gemeint, die ihre Vorfahren bewohnt haben – im heutigen Israel. Israel selbst hat 10 Millionen Einwohner*innen, davon gut 7 Millionen Jüd*innen. Eine „Rückkehr“ von 6 Millionen „Flüchtlingen“ nach Israel würde nicht nur den Staat in eine organisatorische und wirtschaftliche Existenzkrise stürzen. Sie hätte eine nichtjüdische Mehrheit zur Folge. Und von der erhoffen sich die, die eine „Rückkehr“ fordern, das Ende des Zionismus.
Das Spiel mit den Chiffren und der Unwissenheit der eigenen Gefolgschaft ist auch deshalb bemerkenswert, weil autoritäre Linke an anderer Stelle wiederum ganz offen über Israel reden. Am 15. Oktober postete die „Kommunistische Organisation“ ein Werbe-Sharepic zu ihrer Veranstaltung „Zur Notwendigkeit der Ein-Staat-Lösung in Palästina“.
In der Grafik ist eine Landkarte der israelischen und palästinensischen Gebiete zu sehen. Dieses Land wird aber in zwei Teile geschnitten – von einer Fläche mit den selben Umrissen, die wiederum in die Farben der arabisch-palästinensischen Nationalfahne getaucht ist. Im zugehörigen Text beklagt sich die „KO“, dass sich bis vor kurzem nicht nur der Westen, sondern auch weite Teile der „kommunistischen Bewegung“ zur „sog. ‚Zweistaatenlösung‘“ bekannt hätten.
Zu dieser wenig zutreffenden Beobachtung wird völlig richtig festgestellt: „Dem gegenüber vertrat die palästinensische Nationalbewegung fast durchweg die Forderung nach der Befreiung des gesamten Gebiets zwischen Jorden und Mittelmeer.“ Hier wird ersichtlich, worauf all die Formulierungen „from the river to the sea“ und all die weiteren Chiffren hinauslaufen, wenn mal kein Blatt vor den Mund genommen wird: Israel soll verschwinden. An der Stelle des jüdischen soll ein arabischer Nationalstaat stehen. In den versteckten Botschaften geht es also immer um: Gewalt.
Immer wieder kommt es vor, dass linke Antisemit*innen ihr Spiel mit Chiffren verlieren und ihren Antisemitismus zu offen kundtun. Im August diesen Jahres sorgte ein unüberlegter Social-Media-Post der Linksjugend in Frankfurt am Main dafür, dass die hier gepflegte „Israelkritik“ als Antisemitismus überdeutlich erkennbar wurde. Die Jüdische Allgemeine hatte, wie viele andere Medien, berichtet, dass in Spanien eine französische Reisegruppe von 44 jüdischen Kindern und ihren sieben erwachsenen Begleiter*innen kurz vor Abflug aus einem Flugzeug geworfen worden waren.
Laut Darstellung der Gruppe sei das erfolgt, nachdem die Jugendlichen ein hebräisches Lied gesungen hatten. Die Fluggesellschaft gibt an, die Jugendlichen hätten sich aggressiv verhalten – und habe darum die Polizei zur Durchsetzung des Rauswurfs gerufen.
Die Linksjugend Frankfurt am Main wiederum repostete diesen Zeitungsartikel auf X samt eines Kommentars, der da lautete: „Wir müssen leider enttäuschen: Der Rauswurf fand nicht statt während das Flugzeug in der Luft war.“ Mordlustiges Gewitzel über jüdisch-französische Jugendliche – die offensichtlich für das israelische Vorgehen im Gazastreifen verantwortlich gemacht wurden. Für wie böse muss man jüdische Jugendliche halten, um ihnen Ermordung zu wünschen?
Gut und Böse – dieses Spannungsverhältnis steckt im Kern von Antisemitismus. Denn er erfüllt dem Individuum bestimmte Bedürfnisse. Vielleicht die wichtigste Funktion ist es, sich darüber zu versichern, dass man selbst, als Teil eines Kollektivs, moralisch gut ist. Antisemitismus diente schon immer zur Konstruktion von Kollektiven, deren Zusammenfinden ansonsten durch zu viele Widersprüche verhindert würde. Dazu braucht es zunächst gar keine Jüd*innen – Antisemitismus hat ja etwas mit Antisemit*innen zu tun, nicht mit Jüd*innen. Antisemitismus drückt sich also auch nicht einfach in Gewalt gegen Jüd*innen aus.
Er ist erst einmal eine Weltanschauung, eine Grundhaltung gegenüber dem Leben und der Welt. Der religiöse Antijudaismus diente der Überlegenheit von Christentum und Islam. Der NS-Antisemitismus diente der Konstruktion einer starken, gesunden und schönen „Rasse“. Israelbezogener Antisemitismus schließlich dient dazu, sich selbst als überlegen im Sinne der Menschenrechte zu empfinden, die ja, ebenfalls 1948, durch die UN zur moralischen Autorität erhoben wurden.
Zur Konstruktion der Eigengruppe und zum eigenen Gut-sein braucht es zwingend das Böse-sein einer Feindgruppe. Und als das ultimative Böse auf der Welt braucht es statt der Jüd*innen nun Israel – die Palästinenser*innen wiederum als Opfer. Wenn es im Antisemitismus also um ein Bedürfnis von Individuen geht – was passiert dann, wenn dem Individuum dieses böse Objekt abhanden zu kommen droht?
In einer am Tag des Inkraft-Tretens des gegenwärtigen Waffenstillstands auch von Young Struggle Magdeburg verbreiteten Botschaft des YS-Europaverbandes heißt es, „palästinensische Widerstandsgruppen“ hätten einen Waffenstillstand mit den „israelischen Besatzungstruppen“ geschlossen, „um das Blutvergießen zu beenden“. Aha? Lag es die ganze Zeit etwa doch in den Händen der „Widerstandsgruppen“, das Töten und damit den Genozid zu beenden? Wollte Israel gerade noch mehrere Millionen, gibt sich nun aber doch mit 60.000 Toten zufrieden?
Schnell schiebt YS die Behauptung hinterher, dass der Waffenstillstand in Gaza ja mitnichten ein Ende des Genozids bedeute. Es gehe vielmehr um die Etablierung einer „sanften Besatzung“ und darum, den Palästinenser*innen die Waffen zu ihrer Selbstverteidigung zu nehmen. Wenn das so ist, haben die Widerstandsgruppen dem Frieden also in Wahrheit doch gar nicht zugestimmt, „um das Blutvergießen zu beenden“? Ermöglichen sie dann dadurch nicht erst den restlosen Genozid?
Solche Widersprüche stören die autoritäre Linke nicht. Man werde das palästinensische Volk „bis zum Ende“ unterstützen – „Bis Palästina frei ist – vom Fluss bis zum Meer“. Also bis zur militärischen Niederschlagung Israels, für die ein Frieden wohl hinderlich wäre. Ein Wort aber fällt auch in diesem Text nicht: Hamas. Wenn jetzt also Frieden sein und die Hamas ihre Waffen abgeben soll, kann sie die Palästinenser*innen auch nicht mehr totverteidigen.
In den vergangenen Monaten hat sich auch die Antifa-Jugend Stendal (entblockt uns mal!) der autoritären Linken zugewandt. Die Gruppe unterstützte die antizionistische Gegenkundgebung gegen eine Antifa-Demo in Salzwedel oder organisierte zusammen mit Zora und Young Struggle Magdeburg eine Kundgebung gegen einen Femizid in Stendal, in dessen Rahmen zwar ganz viel Emotionalisierung und Gut-Böse-Rhetorik zu vernehmen war, feministisch-gehaltvolle Gesellschafts- oder Justizkritik jedoch nicht.
Die Stendaler*innen animierte der endlich geschlossene Waffenstillstand nun auch dazu, nochmal unter dem Motto „Stoppt den Genozid“ per Kundgebung schnell nachlegen zu müssen. Torschlusspanik? Offenbar sorgt man sich auch in der Altmarkstadt darum, dass ausgerechnet jetzt, wo es so schön war, das Morden aufhören soll.
„Dieser Frieden wird nicht von Dauer sein“, ist sich die Gruppe gewiss, „der Kampf geht weiter“. Gemeint ist natürlich nicht, dass die Hamas bei ihrer Zustimmung zu den Bedingungen des Waffenstillstands niemals vorhatte, diese Bedingungen auch zu erfüllen – die toten Geiseln zurück, ihre Waffen abzugeben oder von der politischen Macht zu lassen.
Doch genau das ist ja das Kalkül der Hamas: Keine Lüge ist zu offensichtlich, weil es auf der ganzen Welt Multiplikator*innen ihrer Erzählungen gibt. Und so lange es die gibt – inklusive der autoritären Linken – erscheint die bewusste Opferung der eigenen Bevölkerung auch als irgendwie vernünftige Taktik zur Erreichung der Vernichtung Israels.
Man werde auf die Straße gehen, schreibt die Stendaler Gruppe, „um für ein Palästina zu demonstrieren, das frei von zionistischem Terror, frei von Siedlerkolonialismus und frei von imperialistischen Machtkämpfen ist“. Dafür sterben sollen freilich Palästinenser*innen.
Sogar die aus der SED-Verklärung der NS-Opfer bekannte Positiv-Verkitschung findet sich im Aufruf: „Für ein Palästina voller Olivenhaine, lachender Kinder und glücklicher Familien. Wir sehen noch immer ein Palästina, das ungebrochen ist, das lebt und feiert und sich nicht unterkriegen lässt.“ Lachende Kinder, glückliche Familien? Wer in diesen Tagen nach Gaza blickt und dort nicht Tod, Leid, Elend, Hunger, Verwahrlosung, Gewalt und das ungebrochene Recht des Stärkeren, einen unmenschlichen, unerträglichen Zustand und eine Beschämung der ganzen Menschheit erblickt, leidet offensichtlich an Realitätsverlust. Und an Antisemitismus.
Am 16.10., als die Hamas schon längst kundgetan hat, sich an die für den Friedensplan zugesagte Entwaffnung gar nicht halten zu wollen, beklagt der Europa-Verband von Young Struggle unter dem Titel „Den imperialistischen Frieden zurückweisen“, dass eine Entwaffnung der Hamas ja eine Beendigung des palästinensischen „Widerstands“ darstellen würde. Der Text schließt mit der Forderung: „Verteidigt Palästina vom Fluss bis ans Meer“.
Und eben darum geht es ja beim „Widerstand“: „Widerstand“ gegen die bloße Existenz des jüdischen Staates, egal, was es kostet. Was autoritäre Linke also angesichts des möglichen Endes des offenen Krieges und des Massentötens im Gazastreifen empfinden, ist gar nicht Erleichterung und Trauer über das letztlich sinnlose Leid der vergangenen zwei Jahre. Es ist Wut darüber, dass jetzt der Krieg verloren gegeben werden könnte, den man von Anfang an – inklusive des Hamas-Überfalls vom 7. Oktober – unterstützt hatte.
Israel existiert in diesem Frieden – und das ist das Problem – immer noch. „Und solange Palästina lebt“, schreiben die Stendaler*innen, „wird unser Kampf leben“. Angesichts des virulenten Antisemitismus‘ eines viel zu großen Teils der Linken in und außerhalb Sachsen-Anhalts bleibt es den Palästinenser*innen daher zu wünschen, dass sie noch leben, wenn autoritäre Linke mit ihrem „Kampf“ fertig haben.