Auf „Indymedia“ kann jeder Anschläge verübt haben

Wo „Antifa“ draufsteht, muss nicht die Antifa drinstecken. Das hat sich in den vergangenen Wochen bei Taten mit Bekennerschreiben gezeigt. Die Verwirrung entsteht durch eine linksextremistische Seite: „Indymedia“.

Unter dem rußbedeckten Schutt des Jagdschlosses Thiergarten von Fürstin Gloria von Thurn und Taxis könnten noch Antworten auf offene Fragen liegen. Am 6. Oktober war das historische Schloss nachts vollständig niedergebrannt. Die Analyse von Proben, die an verschiedenen Stellen der Ruine genommen wurden, hat in der vergangenen Woche aber zumindest eine Klarheit gebracht: Mit Brandbeschleunigern war niemand am Werk. Damit steht auch fest: Ein auf der linksextremen Plattform „Indymedia“ veröffentlichtes Bekennerschreiben war gefälscht. Mal wieder.

Der Fall zeigt, wie leicht mit Fälschungen gezündelt werden kann – wenn sie auf Plattformen erscheinen, die als Sprachrohr extremistischer Milieus gelten. In Deutschland verbreitete sich online rasch, die Antifa stecke hinter dem Feuer. Das rechte Krawallportal „Nius“ um den früheren Bild-Chefredakteur Julian Reichelt hatte voreilig die Schlagzeile „Antifa bekennt sich zu Brandanschlag“ veröffentlicht.

Sogar Ungarns Präsident Viktor Orbán empörte sich dann entsprechend. Wenn etwas auf „Indymedia“ zu lesen ist, wird ein anonymer Beitrag in der Öffentlichkeit oft ernst genommen.

Die Plattform gilt laut Verfassungsschutz als das „wichtigste Informations- und Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum“. Dass Beiträge dort aber oft zu leichtfertig für Aufregung sorgen, liegt auch an mangelnder Medienkompetenz und Unwissen darüber, wie diese Plattform funktioniert.

Auf „Indymedia“ posten einerseits Personen und Gruppen aus dem linken, linksradikalen und linksextremistischen Spektrum. Ihnen werde „absichtlich eine Plattform geboten, die in hohem Maße einem verfassungsfeindlichen Zweck dient“, so der Verfassungsschutz. Die Bandbreite der Beiträge ist groß: Es finden sich dort Aufrufe zu Protesten, rechte Akteure werden geoutet; es wird zu Gewalt gegen „Faschisten“ aufgerufen oder sie wird verherrlicht, wobei fast alles „faschistisch“ sein kann.

In anderen Beiträgen werden solidarische Grüße an inhaftierte Gewalttäter geschickt, wie Mitglieder der „Hammer-Bande“ oder an das langjährige RAF-Mitglied Daniela Klette. Es gibt aber auch sachliche Einordnungen, wie aktuell zu den Folgen von Donald Trumps Einstufung der „Antifa Ost“ als Terrorgruppe. Und eben Bekennerschreiben zu Gewalttaten von Militanten, die dies als Antifaschismus bezeichnen.

Es posten dort allerdings auch Personen, die sich nur als Linke oder Linksextremisten ausgeben. In den vergangenen Jahren waren solche Fälle immer wieder in den Schlagzeilen, in den vergangenen Wochen gab es zwei. Potenziell kann jeder, der über einen Internetanschluss verfügt, auf der Seite als vermeintlicher Linksextremist posten. Was steckt hinter der mysteriösen Plattform, die die AfD verbieten will, die Ermittlern viele Hinweise liefert – und wieso landen dort so oft Fakes? t-online erklärt die Seite, wie sie gegründet wurde und wozu sie geworden ist.

dpa schickte Eilmeldung zum falschen BVB-Bekenntnis

Wer als Journalist an die „info“-E-Mail-Adresse von „Indymedia“ Fragen schicken will, kann dies nur mit einer verschlüsselten E-Mail tun. Damit wollen die Betreiber offenbar ihre Kommunikation davor schützen, dass Behörden möglicherweise mitlesen. Eine Antwort-Mail hat t-online dann dennoch nicht erhalten. Auf Medienanfragen kommt offenbar schon länger keine Reaktion mehr.

Die letzte Antwort könnte die Nachrichtenagentur dpa 2017 bekommen haben, als sie eine Eilmeldung verschickt hatte: Die Polizei prüfe ein Bekennerschreiben „aus der antifaschistischen Szene“ auf „Indymedia“. Es ging um den Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB im April 2017. In einer Antwort an die dpa schrieb „Indymedia“, dass das Schreiben gelöscht wurde, weil es nicht authentisch sei.

Auf dem Portal selbst war „Nazi-Fake“ der einzige Kommentar dazu, bevor das Bekenntnis nach wenigen Minuten von der Seite verschwand (Mehr zu dem Fall in diesem Text). Doch die Medienlawine rollte, die Empörung war in die Welt gesetzt, dass die „Antifa“ jetzt auch Fußballer angreife.

Wer damals der dpa noch antwortete und von wem heute Antwort kommen würde, ist unklar. Ebenso wie, wer das Portal betreibt. Es gibt auf der Plattform kein Impressum. Der Server steht in Kanada.

Eine alte Kontonummer für Unterstützer ist seit 2023 verschwunden. Über den Verein Netzwerk Selbsthilfe, der politische Förderfonds für selbstorganisierte Projekte in Berlin und Brandenburg betreibt, war damals ein Anderkonto für „Indymedia“ bei der Bank für Sozialwirtschaft gelaufen. Die Bank forderte vom Verein offenbar, es zu schließen oder alle anderen Konten würden gekündigt. Seither findet sich auf der „Indymedia“-Plattform eine Nachricht vom sogenannten Indykollektiv: „Sobald wir eine neue Kontoverbindung haben, melden wir uns.“ Jetzt müssen Unterstützer auf anderen Wegen zu den Kosten des Servers beitragen.

In den Anfängen gab es noch kein Facebook oder Twitter

Es gibt ein selbstironisches Bild aus dem Jahr 2002, das vier nicht erkennbare Aktivisten zeigt. Es stammt aus den Anfangstagen von „Indymedia“ in Deutschland, als das Internet noch ein völlig anderes war.

Die Online-Seiten vieler Medien waren spärlich; Facebook, YouTube oder gar Twitter, das heutige X, waren noch nicht programmiert, das erste iPhone sollte erst 2007 erscheinen und im Duden gab es das Verb googeln noch nicht. Da fand eine Idee aus den USA schnell Nachahmer: unabhängige Medien Center (IMC), „Indymedia“.

Aktivisten aus Medien und IT überlegten damals, wie sie die Proteste in Seattle gegen ein WTO-Treffen von 150 Staats- und Regierungschefs in die Welt tragen könnten. 40.000 kapitalismuskritische Demonstranten gingen Ende 1999 dort auf die Straßen – darunter Dutzende Menschen mit Kameras. Ihre Bilder brachten sie in ein nahegelegenes Büro, von wo aus sie die Eindrücke auf eine frisch erstellte Internetseite stellten: „Indymedia.org“ war geboren.

Auf diesen Bildern waren aus diversen Perspektiven Szenen zu sehen, von denen die amerikanische „New York Times“ fälschlicherweise ableitete, es seien Molotowcocktails auf Polizisten geworfen worden. Die renommierte Zeitung musste sich für diese falsche Darstellung später entschuldigen. In mehr als 70 Ländern entstanden als Korrektiv und als Zeichen der Unabhängigkeit von „Konzernmedien“ Unterseiten von „Indymedia“; 2001 auch die deutsche Variante.

Bei Castor-Protesten mit Claudia Roth auf dem Traktor ging es los

Zur Premiere bei den Protesten gegen den Castor-Transport nach Gorleben hatten sich rund 30 Aktivisten aus Berlin, Hamburg und Leipzig zusammengetan und frei zugängliche Computer mit Internetanschluss im Protestcamp aufgestellt. Jeder Demonstrant konnte diese nutzen und Eindrücke veröffentlichen – etwa ein Foto, das die damalige Grünen-Vorsitzende Claudia Roth am Steuer eines Traktors mit der Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller zeigt.

Später waren eigens aufgestellte Rechner nicht mehr notwendig, weil nun jeder mit dem Smartphone potenziell Zugang zur Plattform hat. Das Prinzip des anonymen Postens ohne Anmeldung ist bis heute geblieben.

2002 wurde die neue Seite für den Grimme-Online-Award nominiert und gewann in dem Jahr einen Preis des Vereins für „praktizierte e-Democracy“.

Diese Auszeichnung bescherte Rot-Grün unter Gerhard Schröder einen kleinen Skandal: Einerseits erwähnte der Verfassungsschutz die junge Seite bereits als ein „von Linksextremisten“ betriebenes Medienzentrum, das im Rahmen der „Anti-Globalisierungsbewegung“ die Aufgabe übernommen habe, aktuell zu informieren.

Andererseits zeichnete eine Jury mit Vertretern des Bundes „Indymedia“ beim Poldi-Award des Vereins Politik Digital als „Beste Online Initiative Wissenschaft, Bildung und Kultur“ aus. Geehrt wurde „Indymedia“ als „vorbildliche Online-Initiative“, die den „emanzipatorischen Umgang mit Informationen und Medien“ fördere, jeder könne vom Medienkonsumenten einfach zum Medienproduzenten werden.

Für Anti-AfD-Proteste in Gießen ist Indymedia nicht zentral

Von dem Gedanken war damals auch Anne Roth begeistert, eine der Gründerinnen der deutschen „Indymedia“. Sie hält heute manchmal Vorträge und ist als Referentin für Digitalpolitik der Linken-Fraktion im Bundestag tätig. „Ich habe vor 15 Jahren schon gesagt, dass sich ‚Indymedia‘ mit dem Entstehen kommerzieller sozialer Netzwerke langsam überlebt hatte.“ Die seien schließlich mit mehr Ressourcen aufwendiger programmiert und damit für viele Menschen attraktiv. Aber das müssen die Leute entscheiden, die sie betreiben.“

In den Anfangsjahren wäre Indymedia auch der Ort gewesen für umfangreiche Schilderungen der Proteste zur Gründung der neuen AfD-Nachwuchs-Organisation in Gießen. Dafür liefen deutschlandweit „Aktionstrainings“ einer „Widersetzen“-Bewegung, und die Polizei reagierte mit enormem Kräfteaufgebot.

Auf Indymedia gab aber nur Hinweis und Links auf einen Mastodon-Account und Freie Radios. Allerdings fand sich auf Indymedia aktuell auch ein Bekennerschreiben, dem Berliner AfD-Abgeordneten Martin Trefzer wegen der Veranstaltung in Gießen und seinem Agieren die Fassade seines Hauses beschrieben zu haben.

Anne Roth erklärt, zu Vorgehen und Akteuren heute könne sie nichts sagen. Seit 2003 sei sie nicht mehr Teil des Moderations-Teams der deutschen „Indymedia“. Damals war sie an der internationalen Vernetzung beteiligt, sie schrieb Texte und erlebte, wie sich Berichte ergänzten. Diese waren subjektiv. „Aber als Gemeinschaftsprojekt war das Gesamtbild verlässlich.“ Auch durch die Möglichkeit, Beiträge zu ergänzen.

dpa: „Man kann nicht oft genug auf Vorbehalt hinweisen“

Denn jeder durfte und darf schreiben und sofort veröffentlichen – ohne Vorab-Kontrolle und Registrierung. „Open Posting“ ist das Grundprinzip. Das ist auch der Grund, warum so leicht frei erfundene Beiträge auf dem Portal landen und wieso so viel Skepsis bei diesen angebracht ist.

Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und früherer Vorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten, beschreibt das mit Bezug auf den Verfassungsschutz so: „‚Indymedia‘ zeichnet sich dadurch aus, dass es keine Redaktion gibt, die Inhalte bearbeitet, sondern Nutzer ohne Kontrolle anonym posten können.“ Fiedler: „Es gibt lediglich ‚Moderationskollektive‘, die die Veröffentlichungen verwalten.“

Das heißt, „Indymedia“-Beiträge unterscheiden sich nicht von anonymen Bekennerschreiben, die auf anderem Wege verschickt oder publiziert werden. Für die Nachrichtenagentur dpa stehen Beiträge dort daher immer unter Vorbehalt und müssen von Redakteuren verifiziert werden, wie ein Sprecher erläutert: „Darauf kann man auch in der Berichterstattung nicht oft genug hinweisen.“

Die dpa erwähne das auch in der Regel ausdrücklich oder berichte „über entsprechende Verlautbarungen vor allem dann, wenn Ermittler eine erste Einschätzung abgeben beziehungsweise zumindest bestätigen, dass sie die Veröffentlichung prüfen“. Das muss die Polizei aber in der Regel: Es passiert selten, dass sie Bekennerschreiben umgehend mit hoher Wahrscheinlichkeit als Fake oder mutmaßlichen Fake einstufen kann.

Verfassungsschutz: Moderation gibt es, aber sie löscht oft nicht

Doch auch auf der „Indymedia“-Seite selbst wird manchmal auf einen Fake-Beitrag reagiert. Denn gelöscht oder verborgen wird dort sehr wohl – allerdings sehr einseitig. „Gelöscht werden Spam-Beiträge oder Inhalte, die mutmaßlich ‚unter falscher Flagge‘ veröffentlicht werden – beispielsweise von Rechtsextremisten“, hielt der Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht fest.

Die Betreiber müssten sich daher linksextremistische und strafbare Inhalte zurechnen lassen, die sie „trotz existierender Moderation nicht entfernen“. Ein bekannter Fall, in dem dann doch entfernt wurde, war ein Beitrag Ende 2017 mit Fotos von 54 Polizistinnen und Polizisten und dem Aufruf, Informationen an das Wohnprojekt militanter Autonomer „Rigaer 94“ in Berlin zu senden. Als die AfD die Bundesregierung nach deren Haltung dazu fragte, war der Beitrag nicht mehr abrufbar.

Die AfD, die oft Ziel von Veröffentlichungen, Drohungen und Geständnissen auf der Plattform ist, hat zuletzt 2021 ein Verbot von „Indymedia“ beantragt. Reaktion der anderen Parteien: Wenn man etwas verbieten wolle, setze man es um und kündige es nicht vorher an. Die Seite stünde zu Recht unter Beobachtung, das Ansinnen der AfD aber sei ein Schaufensterantrag.

2017 war der „Indymedia“-Ableger „linksunten.indymedia“ verboten worden – vom Innenministerium, ohne vorherige Debatten. Die gab es danach, aber die Verfügung wurde von allen Gerichten bestätigt. Auslöser für das Verbot war damals die Gewalt beim G20-Gipfel in Hamburg gewesen. Auf dem „Indymedia“-Ableger war auch für militante Proteste mobilisiert worden.

Wie viele Menschen zum Moderieren bei „Indymedia“ im Einsatz sind: völlig unklar. Als Linken-Politikerin Roth Anfang der 2000er-Jahre dort noch aktiv war, hätten sich fünf bis zehn lokale Gruppen zeitlich dafür abgestimmt. Moderation sei anstrengend, „mein Interesse war, Nachrichten zu schreiben, nicht Contentmoderator zu sein“. Auf der Seite heißt es, über Moderationskriterien werde immer wieder diskutiert.

Dass Beiträge automatisch veröffentlicht werden, führt auch in Kommentaren häufig zu Diskussionen: „Diese Scheiße wegräumen zu müssen, kostet mehr Energie als vernünftiges Moderieren mit Freigaben“, schrieb ein Nutzer im August 2024 zum „Scheitern des Openposting-Prinzips“. Es mache die Plattform „immer wieder temporär unlesbar, was ja die Absicht des rechten Netzterrors ist“.

Und es sind ja nicht nur mögliche Rechte, die dort aktiv sein könnten. Innen-Experte Fiedler: „Das Thema wird insoweit noch komplexer, als auch berücksichtigt werden muss, dass ausländische Akteure wie Russland willens und in der Lage sein könnten, hierzulande Operationen unter der falschen Feder des Linksextremismus durchzuführen.“

Und extremistische Strömungen reagierten klassischerweise aufeinander, so Fiedler: „Ein derart erstarkter Rechtsextremismus, wie er derzeit vor allem mit der AfD vorhanden ist, bietet automatisch die Gefahr einer Mobilisierung linksextremistischer Akteure oder Gruppierungen.“ Zugleich lieferten Taten, die öffentlichkeitswirksam Linksextremen zugeschrieben würden, der AfD wiederum Stoff für ihre Narrative.

Fiedler: „Die Antifa wird gern als ein Zielobjekt der politischen Agenda definiert. Dabei gibt es keine bundesweite, homogene Gruppenstruktur, die sich unter diesem Begriff zusammenfassen ließe“.

————————————————————————————

Brände, Bomben, Prügel – Zehn Bekennerschreiben: Von Antifa und Antifa-ke

Es sind Fälle, die Empörung auslösen: brutale Angriffe, Bombenanschläge und Feuer mit enormem Schaden. Wenn Bekennerschreiben auf der linksextremen Plattform „Indymedia“ auftauchen, sind auch Trittbrettfahrer mit Fakes darunter.

Bekennerschreiben auf „Indymedia“ bekommen regelmäßig viel Aufmerksamkeit. Die Plattform gilt als Anlaufstelle und Sprachrohr von Linksextremisten und ermöglicht es jedem, Texte zu veröffentlichen. Das nutzen auch Personen, um gezielt falsche Empörung zu erzeugen. t-online stellt fünf authentische sowie gesichert gefälschte und höchstwahrscheinlich gefälschte Bekennerschreiben vor. Auffällig ist, dass die Fälschungen oft sogar mehr Aufmerksamkeit erzielen als echte Texte.

Ob ein Bekennerschreiben echt ist, lässt sich an mehreren Merkmalen erkennen. Ein starkes Indiz ist etwa, wenn Details zu einer Tat – oder die Tat selbst – enthalten sind, die öffentlich noch nicht bekannt sind. Wird ein Bekennerschreiben hingegen erst wenige Tage nach einer Tat veröffentlicht, ist dies für Behörden in der Regel ein Hinweis auf Trittbrettfahrer.

Oft verrät sich ein Text aber auch durch seinen Sprachstil. So ist es auffällig, wenn rechte Akteure versuchen, in linkem Duktus zu schreiben, was mitunter zur Karikatur gerät: Eine Formulierung wie „Nazi_innen“ etwa ist völlig unüblich.

Ein erfahrener Polizist beim Staatsschutz berichtet, dass Behörden Autoren in manchen Fällen schnell am Stil wiedererkennen. Beim BKA gibt es seit 1990 eine stetig wachsende Datenbank:

Anonyme Texte werden in der „KISTE“, dem Kriminaltechnischen Informationssystem, gesammelt und sprachwissenschaftlich aufbereitet. Das dient vor allem dazu, Urheber von Erpresser- oder Drohschreiben zu überführen.

Viktor Orbán sprang Gloria „gegen die Antifa“ bei

Der Brand im Schloss der Fürstin – falsch: In der Nacht zum 6. Oktober stand das frühere Jagdschloss Thiergarten von Gloria von Thurn und Taxis, heute Sitz eines Golfclubs, in Flammen und brannte komplett nieder. Auf „Indymedia“ erschien drei Tage später ein Schreiben eines vorgeblichen „Kommando Georg Elser“, in dem sich die Verfasser dazu bekannten, an mehreren Stellen Feuer gelegt zu haben.

Sie drohten darin zudem: „Wenn du nicht aufhörst mit deiner menschenverachtenden Hetze, brennt das nächste Mal nicht nur dein Golfclub.“ Sogar Ungarns Präsident Viktor Orbán empörte sich daraufhin, es handele sich um eine Tat der Antifa.

Tatsächlich aber konnten Brandsachverständige keinerlei Hinweise auf Brandbeschleuniger oder andere Anzeichen für einen mutwillig gelegten Brand finden. Das Schreiben, das kein Täterwissen enthielt, hält die Polizei für das Werk eines Trittbrettfahrers. Ob ein technischer Defekt oder fahrlässige Brandstiftung, also ein Versehen, Auslöser war, könnte vielleicht ungeklärt bleiben, weil außer den Mauern kaum noch etwas übrig ist.

Brandanschlag beim AfD-Politiker – authentisch: Das Bekenntnis auf „Indymedia“ nach dem Brand von vier Autos kam 16 Minuten, bevor die Polizei überhaupt vom Fall berichtete: Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, wurde am 3. November höchstwahrscheinlich Ziel eines linksextremistischen Anschlags. Für seine Echtheit spricht hier auch, dass es nicht der erste Angriff mit ähnlichem Bekennerschreiben ist.

Bereits im August 2024 war zu lesen: „Wir haben Feuer unter einem hochpreisigen Auto auf der Straße vor dem Haus von Bernd Baumann (…) gelegt“. Und 2017 war ein Bekennerschreiben überschrieben mit „Auf allen Ebenen mit allen Mitteln den AfD Faschos das Leben zur Hölle machen“. Baumanns Haus wurde mit Farbe attackiert und in der Auffahrt ein Feuer gelegt – wie auf der Seite angegeben, mit zerstörten AfD-Plakaten.

Frei erfundene Lügen basierend auf spärlichen Fakten

Mord und Bombendrohung in München – falsch: In München tötete am 1. Oktober 2025 ein Mann seinen Vater, legte im Elternhaus Feuer und verletzte seine Mutter. Alles, weil der 57-Jährige die Vaterschaft für seine Tochter nicht anerkennen wollte, die aus dem brennenden Haus gerettet werden konnte. Er steckte auch sein Auto an, nahm sich das Leben und hinterließ Bombendrohungen zum Oktoberfest. Das Volksfest blieb an dem Tag lange geschlossen.

Die Polizei wies in der unklaren Lage schnell die Berichte um eine angebliche „Antifa-Verbindung“ zurück. Es war ein Trittbrettfahrer, der auf „Indymedia“ ein Bekennerschreiben veröffentlicht hatte. Dort hieß es, man habe „in den frühen Morgenstunden einige Luxuskarren abgefackelt und Hausbesuche abgestattet.“ Zudem sei „für einen Fascho sein Morgenspaziergang nicht besonders gut“ ausgegangen: Frei erfundene Lügen, die um die zunächst spärlich vorhandenen Informationen gesponnen waren.

Der Brandanschlag beim Grünen-Senator – authentisch:

Viel zu sehen war nicht, das große Feuer vor dem Haus des damaligen Hamburger Umweltsenators Jens Kerstan (Grüne) blieb aus. Die Brisanz wurde aber klar, als nach dem Fund von Zutaten für einen Brandsatz auf „Indymedia“ ein Schreiben zu dem bis dahin öffentlich nicht bekannten Zwischenfall auftauchte. So habe man mit einem zeitverzögerten Brandsatz aus Benzinflaschen und Grillanzündern die Wärmepumpe abfackeln wollen.

Dem langen Bekennerschreiben zufolge war die Tat Teil der Kampagne „Switch off“ – in diesem Fall das Abschalten von „Grüner Modernisierung“. Mit „Switch Off“ verbinden Behörden eine Vielzahl von Brandstiftungen. Im Bekennerschreiben hieß es, die Tat sei ein „Abschiedsgeschenk“ – Kerstan hatte seinen Rückzug aus der Politik aus gesundheitlichen Gründen angekündigt.

Rechtsextremes Portal mit falschem linkem Bekennerschreiben

Der Angriff auf AfD-Politiker Frank Magnitz – falsch: Frisch nach der Erstversorgung im Krankenhaus schickte Frank Magnitz 2019 ein Foto, das ihn mit üblen Verletzungen im Gesicht zeigte. Doch weder war, wie zuvor behauptet, ein Kantholz im Einsatz gewesen, noch war er getreten worden. Drei Männer kamen von hinten, einer von ihnen sprang ihn mit Wucht heimtückisch an. Magnitz, der die Hände in den Taschen hatte, stürzte aufs Gesicht und wurde bewusstlos.

Ein Bekennerschreiben auf „Indymedia“ verschwand schnell wieder. Die rechtsextremen „PI-News“ griffen als Erste das Schreiben auf und berichteten davon. Von einer Gruppe „Antifaschistischer Frühling Bremen“, die sich vermeintlich bekannt hatte, hatten die Ermittler davor und danach nie gehört. Auch andere Umstände sprachen stark gegen die Echtheit des Beitrags. Die Täter sind aber bis heute nicht ermittelt, die Polizei verfolgte Spuren unter anderem in der Ultra-Szene. Im Jahr 2024 wurde Magnitz zudem Opfer eines Brandanschlags auf seinen Transporter. Und da sind sich Ermittler fast sicher, dass ein Bekennerschreiben von Linksextremisten auf „Indymedia“ echt war.

Der Überfall auf die rechten Gewerkschafter – authentisch: Im Frühjahr 2020 wurden die „Querdenker“-Demos gegen Coronamaßnahme immer größer – und bei einer Kundgebung in Stuttgart wurden drei Mitglieder einer „alternativen“ Mini-Gewerkschaft mit rechtsextremem Hintergrund plötzlich aus einer größeren Gruppe Vermummter überfallen. Unter anderem Tritte auf den Kopf führten dazu, dass ein Betriebsrat der Gruppe nur knapp dem Tod entrann.

Ungewöhnliche neun Tage später gab es ein langes Bekennerschreiben auf „Indymedia“, in dem die Tat gerechtfertigt wurde. Es war echt. Zwei Linksextremisten (20 und 24) wurden später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, einer rechtfertigte die Gewalt auch im Prozess noch.

Der Anschlag auf den BVB-Bus – falsch:

Nachdem am 11. April 2017 drei Sprengsätze neben dem Mannschaftsbus auf dem Weg zum geplanten Spiel gegen den AS Monacco detonierten, gab es eine Inflation von Bekennerschreiben: Am Anschlagsort fanden sich vermeintlich islamistische Bekennerschreiben, auf „Indymedia“ eines vermeintlich von Linksextremisten und der „Tagesspiegel“ erhielt eines von vermeintlichen Nazis. Der später wegen versuchten 28-fachen Mordes verurteilte Täter Sergej W. hatte allerdings gar keine politischen Motive: Er hatte die BVB-Aktie abstürzen lassen und mit einer Börsenwette großen Reibach machen wollen.

Das Bekennerschreiben auf „Indymedia“ hatten Unbekannte kurz vor Mitternacht gepostet. Der Bus sei „Symbol für die Politik des BVB, die sich nicht genügend gegen Rassist_innen, Nazi_innen und Rechtspopulist_innen einsetzt.“ 14 Minuten nach dem Posting antwortete jemand darunter bereits „Nazi-Fake“, noch in der Nacht löschten „Indymedia“-Administratoren den Beitrag. Wieder war es das rechtsextreme Blog „PI-News“, das am frühen Morgen einen Text mit einem Screenshot veröffentlichte, alle anderen Medien zogen teils unkritisch nach.

„Vulkangruppe“ begeht und bekennt seit Jahren Taten

Der Anschlag auf Teslas Stromversorgung – authentisch:
Es ist das wahrscheinlich kostenträchtigste Attentat in Deutschland: Tesla meldete nach einem Anschlag auf die Stromversorgung einen Schaden „im hohen neunstelligen Bereich“. Schließlich war die Produktion in der Gigafactory für Tage völlig lahmgelegt, im Werk und umliegenden Orten fiel durch ein Feuer am Hochspannungsmasten die Stromversorgung aus.

Auf „Indymedia“ bekannte sich wenige Stunden nach dem Feuer ein „Agua de Pau“, der Name eines Vulkans. Er schrieb auch im Namen der „Vulkangruppe“, die dem Verfassungsschutz Berlin seit Jahren mit Anschlägen auf Stromversorgung bekannt ist und schon mehrfach auf „Indymedia“ Brandstiftungen für sich reklamiert hatte. Die Polizei erklärte das Schreiben schnell für authentisch. Es war fast zeitgleich auch auf einer zweiten Plattform aufgetaucht. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen nannte den Brandanschlag „Ökoterrorismus“, es handele sich um einen Angriff auf kritische Infrastruktur.

Die Bombenanschläge in Dresden – falsch:
Kurz vor den zentralen Feierlichkeiten in Dresden zum Tag der Deutschen Einheit 2016 detonierten zwei Sprengsätze: einer an der Moschee, in der der Imam und seine Familie wohnten, ein weiterer vor dem Kongresszentrum. Ein Bekennerschreiben auf „Indymedia“ legte zunächst eine völlig falsche Spur: „Wir haben das Feuerwerk zum ‚Tag der Deutschen Einheit‘ vorverlegt und (…) ein islamistisches ‚Gottes’haus beglückt“, hieß es.

Die Moschee stehe für „eine frauen- und israelfeindliche faschistische und antisemitische Ideologie“. Spezialisten entlarvten das Schreiben als Fälschung. Gefasst und verurteilt unter anderem wegen Mordversuchs wurde ein Mann, der sich bei der rechtsextremen Pegida-Bewegung radikalisiert hatte.