„Ich habe schließlich nur ein Leben“: Warum ein Bautzener seine Stadt aufgegeben hat

Hagen Schuster engagiert sich in seiner Heimatstadt gegen Rechtsextremismus. Bei der Schulabschlussfeier seiner Tochter wird er zusammengeschlagen. Nun will er weg. Ein Gespräch.
Herr Schuster, Sie sind in Bautzen geboren und haben mit kurzer Unterbrechung immer in Ihrer Heimatstadt gelebt. Im Juni traten sie für die Satire-Partei „Die Partei“ bei der sächsischen Kommunalwahl an. Was hat sich seitdem für Sie verändert?
Im Vorfeld der Kommunalwahl mussten wir Unterschriften zur Unterstützung sammeln. Um als Partei zugelassen zu werden, gelten in Sachsen strengere Kriterien als anderswo. Bürger müssen selbst ins Einwohnermeldeamt kommen und dort unterschreiben.
Auf diesem Weg ist es natürlich schwierig, die vorgegebene Mindestanzahl zu erreichen. Deswegen haben wir sowohl Infostände organisiert als auch den Kontakt zur Presse gesucht.
Die „Sächsische Zeitung“ hat daraufhin einen großen Artikel gebracht, in dem über die Hürden für kleine Parteien berichtet wurde. Das hatte zur Folge, dass ich in den Wochen rund um die Wahl immer mal wieder erkannt wurde. Es gab positives Feedback, aber natürlich auch Anfeindungen.
Diese Anfeindungen erreichten fünf Tage nach der Kommunalwahl ihren vorläufigen Höhepunkt. Sie wurden brutal attackiert. Was ist passiert?
Meine ältere Tochter hatte ihre Schulabschlussfeier. In der Schule hatte sie zuvor immer mal wieder Auseinandersetzungen mit anderen Jugendlichen, weil sie sich im Bautzener Queer-Netzwerk engagiert. Ihr Engagement ist natürlich vor allem bei den rechtsgerichteten Jugendlichen auf der Schule nicht gut angekommen. Einer von ihnen hat meine Tochter verbal bedroht.
Ich habe ihn damals zur Rede gestellt und gesagt, wenn das nicht aufhört, werde ich dafür sorgen, dass er von der Schule fliegt. Er ist mir dann zuvorgekommen und hat die Schule abgebrochen. Am besagten Tag sind wir uns bei der Abschlussfeier in einem Hotel begegnet. Es war eine geschlossene Veranstaltung, er kam trotzdem und wurde abgewiesen.
Ich hielt mich gerade im Foyer auf, als er mich sah. Völlig unvermittelt folgte der Angriff. Er hat mir sofort ins Gesicht geschlagen, schließlich streckte er mich nieder und machte mit den Füßen weiter. Der Abend endete für mich im Krankenhaus. Ich hatte massive Prellungen und Blutergüsse am ganzen Körper.
Wie reagierten die anderen Eltern auf der Veranstaltung? Wurde Ihnen Solidarität ausgesprochen?
Es gab schon Hilfe von anderen Eltern im Nachhinein. Einige fragten nach, wie es mir geht. Hier in Bautzen ist es aber leider so, dass sich viele sehr schwer damit tun.
Viele wollen sich mit möglichen Solidaritätsbekundungen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Man will es sich nicht mit Freunden oder Arbeitskollegen verscherzen. Der Anteil der Menschen, die hier rechts wählen und denken, ist eben sehr, sehr groß.
Es gab tatsächlich auch gegenteilige Aussagen nach der Attacke. Ich sei selber schuld, wenn ich mich für „so was aufstellen“ lasse. Oder der Klassiker: „Wenn du Politik machst, musst du eben damit rechnen.“ Im Denken vieler hier gibt es auch „gute Nazis“. Ich weiß, das klingt komisch, aber einige denken, der Junge, der mich zusammengeschlagen hat, ist eigentlich ein „Guter“.
Was wissen Sie über den Täter, der Ihnen das angetan hat?
Der Angreifer ist ein organisierter Rechtsextremer. Er gehörte zum sogenannten schwarzen Jugendblock (Anm. d. Red.: eine junge Neonazi-Gruppe in Bautzen), lief dort sogar regelmäßig in der ersten Reihe mit. Er ist bei vielen rechtsextremen Versammlungen in der Stadt immer wieder aufgefallen. Auch bei der Neonazi-Gegendemonstration zum CSD, die überregional für Aufmerksamkeit gesorgt hat.
Wie erleben Sie abseits der Attacke Ihren Alltag in Bautzen?
An meinen Taschen trage ich Regenbogensticker. Das ist mir sehr wichtig, auch wegen des Engagements meiner Tochter. Diese kleinen Sticker reichen oftmals aus, um auf offener Straße zum Feindbild zu werden. Im Einkaufszentrum werde ich deswegen als „Schwuchtel“ oder „Scheiß Homo“ angepöbelt.
Meine Frau war letztens mit einer Einkaufstasche in Regenbogenfarben unterwegs. Mitten an der Kreuzung ließ der Busfahrer eines regionalen Unternehmens die Scheibe herunter und schrie „Scheiß linkes Gesindel“ aus dem Fenster. Ich habe später das Unternehmen kontaktiert. Der Busfahrer hat seinem Arbeitgeber gegenüber den Vorfall nicht mal bestritten. Für ihn war das wohl so was wie erste Bürgerpflicht.
Gleichzeitig begegnet mir im Alltag immer häufiger unterstellte Fremdenfeindlichkeit. Auf der Arbeit werde ich von Kunden angesprochen: „Keiner spricht hier mehr deutsch. Schlimm, oder?“ Oder: „Was will man schon erwarten, wenn das Zeug nur noch von Schwarzen geliefert wird?“
Es wird also geradewegs angenommen, dass ich ebenso denke. Viele Menschen ziehen nicht einmal in Betracht, dass ich nicht so eine menschenverachtende Denkweise haben könnte. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind hier oft schon gelebte Realität. Das finde ich beängstigend und massiv verstörend.
Wie gehen Sie damit um?
Ich habe meinen Rucksack mit den bunten Streifen mittlerweile abgelegt. Den trage ich normalerweise auf dem Weg zur Arbeit. Ich konnte es nicht mehr ertragen, ständig angeguckt und angesprochen zu werden. Immer wieder kamen dumme Sprüche. Gerade in der dunklen Jahreszeit wurde es mir tatsächlich einfach zu unsicher.
Jetzt wollen Sie mit der Familie Ihrer Heimatstadt den Rücken kehren.
Meine Frau hat schon länger den Gedanken, Bautzen zu verlassen. Damals wollte ich noch nicht so richtig. Seit der körperlichen Attacke beschäftige ich mich mittlerweile auch ernsthaft damit. Dieses Gefühl, frei zu sein, sicher zu sein, ist hier leider nicht mehr für mich gegeben.
Das macht es einem sehr schwer, sich hier noch eine Perspektive vorzustellen. Gucken Sie sich die Bilder vom letzten CSD und der massiven rechtsextremen Gegendemonstration an. Das sorgt bei mir für Beklemmung, für Unsicherheit. Warum soll ich mir das antun? Ich habe schließlich nur ein Leben.
Würden Sie sagen, Sie haben aufgegeben?
Wenn man gefühlt nur gegen Windmühlen kämpft, fragt man sich automatisch, ob es das wert ist. Es ist nun mal die Realität. Mir geht die Kraft aus. Es gibt noch andere wichtige Initiativen und Engagierte in der Stadt, aber tatsächlich habe ich für mich selber Bautzen aufgegeben.
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David Berndt -sächsische zeitung
Verfassungsschutz zur „Mahnwache Bautzen“ – Bautzener Montagsproteste sind Treffpunkt für Rechtsextremisten aus Ostsachsen
Laut dem sächsischen Verfassungsschutz vernetzen sich bei den Demos der „Mahnwache Bautzen“ Rechtsextremisten über die Grenzen des Landkreises Bautzen hinaus. Dazu gehören die Parteien AfD und Freie Sachsen sowie weitere Gruppen.
Die Versammlungen der „Mahnwache Bautzen“ werden immer mehr zum Treffpunkt für Rechtsextremisten in Ostsachsen. Das geht aus dem jüngst erschienenen Bericht des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) für Dezember 2024 hervor. „Die Anreise von jungen Rechtsextremisten aus dem Raum Görlitz und Löbau zeigt, wie gut die Szene inzwischen in Ostsachsen vernetzt ist“, heißt es in dem Bericht.
Die Versammlungen der „Mahnwache Bautzen“ finden seit Februar 2021 regelmäßig montagabends in der Bautzener Innenstadt und hier meist auf dem Kornmarkt sowie mit Aufzügen statt. Organisiert werden sie von Eckhard Schuman und dem Ehepaar Veit und Katrin Gähler. Das LfV hat die „Mahnwache Bautzen“ bislang nicht als extremistisch eingestuft.
Rechtsextremisten gehören zu festen Teilnehmern der „Mahnwache Bautzen“
Allerdings gehören dem Bericht nach „zum festen Teilnehmerfeld längst auch parteigebundene und parteiungebundene Rechtsextremisten, die lautstark auftreten und ihre verfassungsfeindliche Gesinnung offen zur Schau stellen. Die Veranstalter lassen dies zu, ohne sich von diesen Personen zu distanzieren.“ Diese Proteste seien damit für die rechtsextremistische Szene über die Landkreisgrenze hinaus anschlussfähig geworden.
Das zeigte sich vor allem bei der 200. Versammlung der „Mahnwache Bautzen“ am 9. Dezember 2024 mit rund 500 Menschen auf dem Bautzener Holzmarkt sowie einem Aufzug durch die Innenstadt. Wie das LfV erklärt, haben daran mehrere extremistische Gruppierungen teilgenommen.
Darunter war auch Jörg Urban, Vorsitzender der AfD in Sachsen. Er habe Wahlkampf für die Bundestagswahl betrieben und die Bundesregierung als „die Kriegstreiber in Berlin“ bezeichnet. Die ebenfalls in Sachsen als rechtsextremistisch eingestufte Partei „Freie Sachsen“ habe die Versammlung mit einem Informationsstand und einem Szenemusiker unterstützt. Das LfV ordne ihn der Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zu.
70 Demo-Teilnehmer aus der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene
Zudem hatte die rechtsextremistische Szene in Ostsachsen vorab für die Veranstaltung mobilisiert, darunter die Gruppierung „Urbs Turrium“ (Stadt der Türme) mit einem eigenen Aufruf, der vielfach geteilt worden sei. Ende November 2024 beleidigten Vertreter dieser Gruppe eine Kindereinrichtung aus der Region, nachdem diese eine Spende der Rechtsextremisten abgelehnt hatte.
Wie das LfV weiter zur Demo am 9. Dezember ausführt, beteiligten sich „am Versammlungsgeschehen circa 70 Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene aus Ostsachsen, insbesondere aus Bautzen und Löbau“. Dazu gehörten unter anderen „Proto“ und „Runa“, zwei Musiker des Labels NDS Records mit Sitz in Weifa.
Die schwarz gekleideten Teilnehmer „bildeten einen eigenen Block hinter einem Transparent mit der Aufschrift ,#ReMigration – Heimatliebe ist kein Verbrechen!‘ und grenzten sich damit deutlich von den übrigen Teilnehmern der ,Mahnwache‘ ab“, heißt es in dem Monatsbericht des LfV.
Besagter Block sei demnach von zwei Personen mit Megafon angeführt worden. Sie gaben Parolen vor. Die anderen Teilnehmer skandierten diese dann. Dazu gehörten etwa „Kriminelle Ausländer – raus, kriminelle Ausländer – raus, kriminelle Ausländer – raus, raus, raus.“, „Ob Ost, ob West, nieder mit der roten Pest“ oder „Jugend, Freiheit, Revolution“.
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Fionn Klose und David Berndt
Bautzen: Rund 500 Teilnehmer bei 200. Montagsprotest
Am 9. Dezember versammelten sich circa 500 Teilnehmer bei der 200. Demo der „Mahnwache Bautzen“. Es wurde Pyrotechnik gezündet und die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen.
Die sogenannte Mahnwache Bautzen hat am 9. Dezember ihren 200. Montagsprotest in Bautzen veranstaltet. Laut Polizei nahmen daran in der Zeit von 18 bis etwa 20.30 Uhr rund 500 Menschen und 21 Fahrzeuge teil. Darunter waren mehrere Traktoren sowie drei Lkw der Bautzener Firma Hentschke-Bau.
Um 18 Uhr startete die Kundgebung auf dem Holzmarkt. Mit einem Stand dabei war die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen. Kurz vor dem Start des Demoumzuges über die Steinstraße und die Friedensbrücke sangen Teilnehmer unter anderem die erste und zweite Strophe des Deutschlandlieds. Dazu gehören die Zeilen „Deutschland, Deutschland über alles.“ Das Absingen ist nicht strafbar, aber historisch belastet. Die Nationalsozialisten verwendeten die erste Strophe des Deutschlandlieds gemeinsam mit dem Horst-Wessel-Lied als Nationalhymne.
Bei dem Autokorso waren auch mehrere Fahrzeuge von Hentschke-Bau dabei.
Während der Demozug über die Steinstraße zog, brüllten circa 30 schwarz gekleidete Teilnehmer Parolen wie „Unsere Regeln, unsere Stadt“ oder „Jugend, Freiheit, Revolution“ Auf einem Banner forderten sie die „Remigration“. Ein Begriff, der laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein innerhalb der Neuen Rechten verbreitetes Konzept beschreibt. „Dieser Leitvorstellung folgend setzen sich neurechte Akteure in Deutschland die Bewahrung der ‚ethnokulturellen Identität und Substanz‘ des deutschen Volkes zum Ziel“, so das BfV.
Polizei nahm bei Demo in Bautzen zwei Anzeigen auf
Als die Demo über die Friedensbrücke lief, entzündeten Unbekannte an der Michaeliskirche Feuerwerk und Pyrotechnik. Laut Polizei habe man mehrere Tatverdächtige in der Nähe gefasst und Reste vom Feuerwerk aufgesammelt. Die Ermittlungen liefen. Die Polizei nahm im Rahmen der Demo eine Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Sprengstoffgesetz und eine wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr auf.
Unter den Demoteilnehmern waren auch die AfD-Politiker Steffen Lehmann (Kreisrat und Gemeinderat in Malschwitz), Oliver Helbing (Stadt- und Kreisrat), Frank Peschel (Kreisrat, Kreisverbandsvorsitzender und Landtagsabgeordneter), sowie der sächsische Landes- und Fraktionsvorsitzende im Landtag Jörg Urban. Nach der Rückkehr des Demozuges auf den Holzmarkt forderte er in seinem Redebeitrag etwa, dass Syrer nach dem Sturz des Assad-Regimes zurückgehen sollen, um ihr Land wieder aufzubauen. Urban warb dafür, bei der kommenden Bundestagswahl für die AfD zu stimmen, um die „Kriegstreiber“ anderer Parteien abzuwählen. Diese würden, unter anderem durch Waffenlieferungen, den Krieg in der Ukraine unterstützen.
Die Mahnwache veranstaltet seit Februar 2021 regelmäßig Versammlungen, die sich vor allem gegen staatliche Maßnahmen im Rahmen der Corona-, Energie- oder Russland-Politik richten. Die Hauptorganisatoren Veit Gähler und Eckhard Schumann sprach erneut davon, das bestehende System zu überwinden.
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David Berndt
Kreisrat trägt im Bautzener Kreistag rechtsextremistische Kleidung
Ein Kreisrat der Freien Sachsen ist im Bautzener Kreistag mit Kleidung der rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“ erschienen. Was das Landratsamt und Sachsens Verfassungsschutz dazu sagen.
Seit August 2024 sitzt Benjamin Moses für die gemeinsame Liste der als rechtsextremistisch eingestuften Freien Sachsen und des Bündnisses Oberlausitz aus dem Umfeld der Montagsproteste im Bautzener Kreistag. Aus seiner rechtsextremistischen Gesinnung macht er hier zumindest mit seiner Kleidung keinen Hehl.
So trug er bei der jüngsten Sitzung am 2. Dezember ein schwarzes, langärmeliges Oberteil des Labels „KdN“, also „Kampf der Nibelungen“. Dabei handelt es sich um eine Kampfsport-Veranstaltung der neonazistischen Szene. Der Schriftzug sowie darunter der Spruch „Disziplin ist alles!“ waren auf Moses‘ Rücken gut sichtbar etwa für andere Kreisräte, Mitarbeiter des Landkreises sowie Gäste der Sitzung zu lesen.
Demokratie-Netzwerk fordert Erklärung von Bautzener Kreisrat Benjamin Moses
Der „tv bunt“, ein Netzwerk für Demokratie und Toleranz im Landkreis Bautzen, kritisiert dieses Auftreten scharf. Damit habe Benjamin Moses bewiesen, dass er weder die Werte der Demokratie noch den Respekt vor dem Amt eines Volksvertreters versteht.
„Mit seiner Wahl, eine Jacke mit dem Logo von ‚Kampf der Nibelungen‘ in der Kreistagssitzung zu tragen, outet er sich als Anhänger neonazistischer Kampfsportevents, die wiederholt gerichtlich verboten wurden, weil sie ‚der rechtsextremen Kampfertüchtigung‘ dienten“, teilt das Netzwerk am Tag nach der Sitzung mit.
Der „Kampf der Nibelungen“ stehe demnach für eine Ideologie, „die unsere Demokratie abschaffen will. Er ist ein Sammelbecken für Neonazis, Gewaltverherrlicher und Feinde der Menschenwürde.“
Dies sollte ein Kreisrat nicht repräsentieren. Der „tv bunt“ fordert Benjamin Moses auf, sich zu erklären: „Steht er hinter den demokratischen Werten, die er als Kreisrat zu schützen geschworen hat? Oder ist er nur ein Platzhalter, der unser Gremium mit seinen rechtsextremen Eskapaden beschädigt?“
Benjamin Moses verharmlost seine rechtsextremistische Kleidung
Benjamin Moses erklärt auf Anfrage von Sächsische.de, dass es jedem Menschen frei stehe, „seine Kleider selbst zu wählen“. Moses trägt und vertreibt auch Kleidung mit der Aufschrift „The White Race“, also „Die weiße Rasse“. Eine entsprechende Kappe hatte er im Kreistag dabei.
Er gehe davon aus, so Moses, dass die Menschen im Landkreis Bautzen politische Vertreter nach ihrem Einsatz für „unsere Heimat bewerten und nicht nach Kleidung“. Bislang ist der Einsatz von Benjamin Moses und seinen beiden Mitstreitern der gemeinsamen Liste von Freien Sachsen und Bündnis Oberlausitz, Justin Winkler und Veit Gähler, im Kreistag allerdings sehr überschaubar. An Abstimmungen haben sie sich beteiligt. Das war es bislang.
In seiner Tätigkeit als Fotograf und Grafiker arbeite er „mit vielen Menschen und Markenbetreibern aus der Bewegung“ zusammen, teilt Moses mit. Dies basiere auf gemeinsamen Werten. Mit seiner Gruppe „Balaclava Graphics“ (früher Stream BZ) ist Benjamin Moses seit Jahren als Rechtsextremist bekannt und etwa auf Demos aktiv. Seine Filme und Fotos davon postet er in sozialen Netzwerken.
Der Verfassungsschutz stuft „Balaclava Graphics“ als neonationalsozialistisch ein. Die Gruppe biete die grafische Gestaltung von Werbe-Flyern und Covern an, die etwa von rechtsextremistischen Bands genutzt werden, heißt es im sächsischen Verfassungsschutzbericht für 2023.
In demselben Bericht thematisiert der Verfassungsschutz auch Kampfsportveranstaltungen wie das Format „Kampf der Nibelungen“, das aus Nordrhein-Westfalen stammt. Dessen Austragung sei zuletzt von der Stadt Ostritz im Jahr 2019 verboten und dies gerichtlich 2022 bestätigt worden. „Das Verwaltungsgericht Dresden urteilte damals, dass Kampfertüchtigung dem Einstieg in den politischen Kampf diene, um auf diese Weise politische Ziele gewaltsam durchsetzen zu können.“
„Balaclava Graphics“ an rechtsextremistischer Kampfsportveranstaltung in Ungarn beteiligt
Im Jahr 2023 habe „Balaclava Graphics“ über verschiedene rechtsextremistische Veranstaltungen berichtet, so der Verfassungsschutz. Dazu gehörte die rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung ‚European Fight Night‘ am 6. Mai in Ungarn. Als Organisator sei dabei das rechtsextremistische Kampfsportformat „Kampf der Nibelungen“ in Erscheinung getreten.
Was sagt eigentlich der Landrat zu Moses Auftreten in der Kreistagssitzung? Nach Aussage des Landratsamtes hat Landrat Udo Witschas (CDU) nicht wahrgenommen, was Benjamin Moses in der Sitzung getragen hat. Sein Augenmerk liege auf der geordneten Durchführung der Sitzungen und nicht auf der Beobachtung von Details wie der Kleidung einzelner Kreisräte.
Zudem sei der Aufdruck auf dem Kleidungsstück von Kreisrat Moses aus der Position des Landrates während der Sitzung nicht ersichtlich gewesen.
Sollte es eine Eingangskontrolle geben, um das Tragen solcher Kleidungsstücke im Kreistag zu verhindern? Im Landratsamt ist man skeptisch, schließlich könnte solch ein Kleidungsstück auch erst zum Vorschein kommen, wenn jemand während der Sitzung seine Jacke auszieht. Außerdem: „Selbst der Verfassungsschutz legt dar, dass das Tragen eines solchen Kleidungsstückes nicht verboten ist“, hält das Landratsamt fest.
Verfassungsschutz: „KdN“-Kleidung ist Ausdruck rechtsextremistischer Gesinnung
Das bestätigt das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). Es stelle auch keine Straftat dar. Aber „das Tragen des T-Shirts der Marke KdN mit den beiden Aufdrucken ‚Kampf der Nibelungen‘ und ‚Disziplin ist alles!‘ wird vom LfV Sachsen als eindeutiger Ausdruck einer rechtsextremistischen Gesinnung bewertet“. Problematisch sei das Tragen dieser Kleidung auch, „da durch die regelmäßige und öffentlichkeitswirksame Verwendung ein Gewöhnungs- oder Werbeeffekt in der Gesellschaft eintreten dürfte“.
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David Berndt
Bautzens Landrat: „Ich werde im Kreistag niemanden ausschließen“
Die Verhältnisse im Bautzener Kreistag haben sich nach der Wahl 2024 verändert. Landrat Udo Witschas erklärt, wie er die Ergebnisse einordnet und wie er mit den Vertretern rechtsextremistischer Parteien umgehen wird.
Im August 2024 wird der neue Kreistag zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen. 92 Kreisräte von zehn verschiedenen Parteien oder Wählervereinigungen gehören diesem Gremium an. Das ist das Ergebnis der Kreistagswahl vom 9. Juni.
Damit hat sich die Zusammensetzung des Kreistages deutlich verändert. Klarer Sieger ist die AfD (34,8 Prozent), die als stärkste Fraktion mit nun 32 Sitzen (bisher 29) den Abstand auf die CDU (27,2 Prozent) stark vergrößert hat. Diese hat jetzt 25 Sitze (bisher 28).
Neben der CDU haben auch Linke, SPD, Grüne und FDP Stimmanteile und Sitze verloren. Die Freien Wähler haben ihr Ergebnis von 2019 gehalten. Neu im Kreistag ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das mit allen acht angetretenen Kandidaten in das Gremium einzieht. Zudem wird das Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen mit drei Kandidaten vertreten sein.
Landrat Udo Witschas (CDU) wird am 19. August also auf bekannte und neue Kreisräte treffen, vor allem aber eine neue Zusammensetzung des Kreistags vorfinden. Die Kreisverwaltung ist bei ihren Beschlussvorlagen auf die mehrheitliche Zustimmung des Kreistages angewiesen. Wie Udo Witschas das Ergebnis der Wahl einordnet und wie er mit dem neuen Kreistag zusammenarbeiten will, erklärt er im Interview.
Herr Witschas, wie bewerten Sie als Landrat das Ergebnis der Kreistagswahl?
Ich glaube, in der Wahlentscheidung liegt viel Frust gegenüber der Bundesregierung und den Parteien, die sie tragen. Positive Nachrichten aus der Region – und die sind unbestreitbar vorhanden – werden entweder nicht wahrgenommen oder als selbstverständlich angesehen.
Haben Sie das so erwartet?
Es war zu erwarten. Wer jetzt völlig überrascht ist, der hat den Menschen nicht viel zugehört.
Welche Gründe gibt es dafür?
Ich bin fest davon überzeugt, dass ein wesentlicher Grund für das Ergebnis darin liegt, dass den Menschen immer wieder – durch Parteien und auch Medien – aufgedrückt wird, was gut und was schlecht ist, mit wem man reden darf und mit wem nicht. Gerade in Ostdeutschland erinnerte man sich eben noch gut an die Zeit, in der man vorschrieb, welche Denk- und Verhaltensweise genehm ist. Dieses Gefühl wird mir bei meinen vielen Gesprächen immer wieder gespiegelt. Und das quittieren die Wähler in vielen Fällen eben mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzettel. Aber ich weiß auch, dass es viele andere Menschen gibt, die stolz sind auf das Erreichte, sich über das Wahlergebnis erschrocken zeigen und sich nach den Gründen fragen.
Was bewegt denn aus Ihrer Sicht die Menschen aktuell?
Es gibt vor allem einen deutlichen Unmut gegenüber der Ampel in Berlin: Das hat aus meiner Sicht mit vielen einzelnen schwierigen Projekten der Regierung, dem öffentlichen Dauerstreit der Koalition und auch mit den steigenden Lebenshaltungskosten zu tun. Energie, Essen in Kita und Schule, Lebensmittel, Elternbeiträge, Musikschule, Benzin, Hallengebühren – alles wird teurer.
Wie wird sich nun die Arbeit der Kreisverwaltung durch das Ergebnis verändern?
Das hängt entscheidend davon ab, ob die neuen Kreisräte in der Sache miteinander zusammenarbeiten wollen und werden. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns, um die vielen positiven Entwicklungen im Landkreis zu einem guten Ergebnis zu bringen. Die Bäder in Kirschau und Kamenz, die vielen Schulbauten, die Musikschule, das Bauforschungszentrum, die Ansiedlung der Bundeswehr – da gibt es viel zu tun. Ideologie ist da fehl am Platz. Hier müssen die Sachthemen im Vordergrund stehen. Ich kann das nur wie ein Mantra wiederholen.
Und wie sieht es mir Ihrer Rolle im Kreistag aus?
Das kann ich jetzt noch nicht abschätzen. Zum derzeitigen Zeitpunkt kann ich noch keine Notwendigkeit erkennen, meine Arbeitsweise zu ändern.
Mit welchen Parteien wollen oder würden Sie versuchen, Mehrheiten für die Beschlussvorlagen der Verwaltung zu organisieren, und welche Parteien schließen Sie dafür aus?
Jedem Kreisrat muss klar sein, dass er mit seiner Tätigkeit im Kreistag an erster Stelle dem Landkreis und nicht seiner Partei dient. Ich werde mich mit jedem in der Sache auseinandersetzen und keinen ausschließen. Ich muss nicht jeden Kreisrat persönlich mögen. Aber ich bin als Landrat zur Zusammenarbeit verpflichtet. Als Demokrat sehe ich die Zusammenarbeit in der Sache mit den gewählten Mitgliedern als notwendig an. Als Gemeinderat, Bürgermeister oder Beigeordneter habe ich immer den Wählerwillen akzeptiert. Das werde ich auch als Landrat nicht ändern. Da muss ich nicht die Meinungen im Einzelnen teilen. Aber der Respekt vor dem Wähler und dem Argument des Anderen, der ist wichtig.
Mit der AfD ist eine Partei stärkste Kraft geworden, die in Sachsen als gesichert rechtsextremistisch gilt. Wie wollen Sie mit dieser Partei im Kreistag umgehen?
Nicht anders als zuvor. Ich gehe als Landrat mit der AfD um, wie mit jeder anderen Fraktion im Kreistag. Eine Zusammenarbeit mit einem Kreisrat ausschließen, das kann ein Landrat nicht. Ich schließe die Zusammenarbeit mit legitim gewählten Kreisräten daher nicht aus.
Mit dem Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen sitzt eine weitere, als rechtsextremistisch eingestufte Partei – zumindest, was die Freien Sachsen betrifft – im neuen Kreistag. Im sächsischen Verfassungsschutzbericht gilt sie als neonationalsozialistisch. Wie wollen Sie mit diesem Bündnis im Kreistag umgehen?
Es ist Teil des Gremiums und damit Teil der Verantwortungsgemeinschaft, die Kreisräte und Kreisverwaltung bilden. Sie tragen also Verantwortung für eine gute Entwicklung unserer Region, und das muss die Richtschnur sein. Auch der von ihnen benannte Personenkreis ist zur Wahl zugelassen worden und wurde in einer freien Wahl gewählt.
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31.03.2023
Landrat Udo Witschas gratuliert auf Facebook einem Neonazi zum Geburtstag
Ein Facebook-Beitrag von Bautzens Landrat Udo Witschas sorgt für Fragen. Er gratuliert auf Facebook einem Neonazi zum Geburtstag. Das Landratsamt spricht von einem Versehen.
„Alles erdenklich Gute“, wünscht Udo Witschas (CDU), Landrat des Landkreises Bautzen, am Donnerstag auf Facebook einem seiner Kontakte. Nun ist das Gratulieren zum Geburtstag nichts Verwerfliches, problematisch ist in diesem Fall jedoch der Empfänger der Botschaft. Denn Witschas hinterlässt seinen Glückwunsch auf der Timeline eines in Bautzen stadtbekannten Rechtsextremen. Dieser ist Betreiber des selbsternannten Medienkollektivs „Balaclava Graphics“. Der sächsische Verfassungsschutz stuft dieses als rechtsextremistisch ein.
Aufgefallen ist diese Nachricht, weil die rechtsextremen „Freien Sachsen“ einen Screenshot des Beitrags auf ihren Kanälen verbreiten und sich für die „standesgemäße“ Gratulation des Landrats bedanken. Auf Twitter greift unter anderem Kreisrat Jonas Löschau (Grüne) den Beitrag der „Freien Sachsen“ auf und stellt ironisch fest: „Auch sonst ist hier alles okay.“
Okay ist daran aber offenbar nicht allzu viel. Denn den Anfangsverdacht, dass es sich bei dieser Gratulation in Zeiten von KI-generierten-Bildern und gezielt eingesetzten „Fake News“ auch um eine Manipulation handeln könnte, schließt das Landratsamt in seiner Antwort auf eine Anfrage von Sächsische.de hin aus.
„Herr Witschas hat den Geburtstagsgruß über sein privates Facebook-Profil gelöscht“, heißt es. In Kenntnis dessen, wer sich hinter dem Kanal verberge, wäre der Gruß auch nicht erfolgt, heißt es weiter. Demnach sei Witschas erst nach Hinweisen ersichtlich geworden, wer sich hinter dem Pseudonym Beni Balaclava verberge. Zudem kenne er die Person nicht persönlich und distanziere sich von dessen Haltungen sowie Aktivitäten.
M. ist einer von Witschas‘ rund 4.000 Facebook-Kontakten. Wenn man so will, ist M. also in der „Freundesliste“ des Landrats ein Ball im Bällebad. Dass Witschas ausgerechnet M. einen Geburtstagsgruß hinterlässt, kann Zufall sein, aber genauso auch umgekehrt gedeutet werden.
Die missglückte Gratulation ist nicht der erste Fall, bei dem Witschas mit seinen Aktivitäten auf Facebook für Wirbel sorgt. Ende vergangenen Jahres erntete er für eine Weihnachtsrede viel Kritik. In dem Video versicherte Witschas, er werde Flüchtlinge weder in Turnhallen noch in leerstehenden Wohnungen unterbringen, weil das den „sozialen Frieden“ gefährde und den Sport bluten ließe. Später erklärte sich Witschas dafür.