Höcke posierte für Fotos mit mutmaßlichen Rechtsterroristen
Ein Foto zeigt Björn Höcke (AfD) mit mehreren der mutmaßlichen Rechtsterroristen „Sächsische Separatisten“. Sie hatten auch Verbindungen zum III. Weg.
Nach der Festnahme von acht mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Sächsischen Separatisten“ kommen weitere Verbindungen zur AfD ans Licht. Der taz liegen Fotos vor, die fünf der acht Festgenommenen im Jahr 2022 zusammen mit dem AfD-Politiker Björn Höcke zeigen.
Dass einige der Festgenommenen Mitglieder der AfD waren, war bereits bekannt: Drei von ihnen waren lokale Funktionsträger. Die AfD hat nach Bekanntwerden der Vorwürfe beschlossen, die drei Männer aus der Partei auszuschließen.
Die Fotos, die der taz nun vorliegen, zeigen, dass noch mehr der Festgenommenen Verbindungen zur AfD und deren Jugendorganisation „Junge Alternative“ hatten. Der taz liegen zudem Belege für weitere Verbindungen zur militanten Neonazi-Szene vor, darunter zur rechtsextremen Kleinpartei III.Weg und zu den Jungen Nationalisten (JN), der Nachwuchsorganisation der ehemaligen NPD.
Die Fotos der vier Rechtsterroristen mit Björn Höcke entstanden am 21. Mai 2022 in Grimma. Der Generalbundesanwalt geht davon aus, dass die Vereinigung „Sächsische Separatisten“ etwa eineinhalb Jahre zuvor, im November 2020, gegründet wurde. Die taz konnte mit dem freien Fotografen sprechen, der die Bilder aufnahm. Er tritt in den sozialen Medien unter dem Pseudonym „Vue Critique“ auf, sein Name ist der Redaktion bekannt. Demnach hatte die AfD anlässlich der Landratswahl ein Fest auf dem Marktplatz organisiert. Bis zu 150 Gäste hätten die Bierbänke gut gefüllt.
Beschuldigte posierten 2022 mit Höcke für Gruppenfoto
Höcke war damals der Hauptredner. Laut dem Fotografen gab es tosenden Applaus für seine Rede. Im Anschluss hätte sich eine Gruppe der „Jungen Alternative Sachsen“ (JA) für Fotos um ihn geschart. Auf einem der Bilder posieren über ein Dutzend junger Leute hinter einem Banner der JA Sachsen – mit Höcke mittendrin.
Fünf Männer aus der Gruppe um Höcke wurden am Dienstag dieser Woche wegen des Verdachts auf Rechtsterrorismus festgenommen: Auf dem Foto ist in der ersten Reihe der AfD-Lokalpoltiker Kurt Hättasch zu erkennen, hinter Höcke stehen Karl K., die Brüder Jörn und Jörg S., am rechten Rand des Bildes Hans-Georg Pförtsch.
Auf Anfrage der taz erklärt Höckes Büroleiter Robert Teske: „Björn Höcke kennt weder die entsprechenden Personen, noch steht er in irgendeiner Beziehung zu Ihnen.“
Bei der Festnahme fielen Schüsse
Die Polizei hatte am Dienstag bei einer Razzia gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Säschische Separatisten“ Objekte in Deutschland, Polen und Österreich durchsucht. Bei der Festnahme von Hättasch fielen Schüsse, wie der taz aus Sicherheitskreisen bestätigt wurde. Demnach soll Hättasch eine Waffe gezogen haben, Polizisten hätten Warnschüsse abgegeben. Hättasch soll von einem Projektil am Kiefer verletzt worden sein und musste im Krankenhaus behandelt werden. Aus welcher Waffe die Kugel stammte, war bis Redaktionsschluss unklar.
Gegen sieben der acht Festgenommenen wurden mittlerweile Haftbefehle erlassen. Jörg S., der im polnischen Zgorzelec festenommen wurde, soll nach Deutschland ausgeliefert werden.
Den Sächsischen Separatisten wird vorgeworfen, sich militant auf einen von ihnen erwartete Kollaps der Gesellschaft, den Tag X, vorbereitet zu haben. Sie wollten danach ein Gesellschaftswesen nach nationalsozialistischen Vorbild durchsetzen und hätten „ethnische Säuberungen“ geplant. Die Rechtsterroristen sollen unter anderem für den Häuserkampf trainiert haben. Laut Spiegel wurden bei den Razzien mehrere unregistrierte scharfe Waffen und Munition, Schalldämpfer und Einzelteile von Kriegswaffen gefunden.
Mutmaßliche Rechtsterroristen in Uniformen des III. Weg
Nach Informationen der taz bestehen bei den Verdächtigen auch weitere Verbindungen in die militante rechtsextreme Szene. Fotos zeigen die Festgenommenen Norman T. und Hans-Georg Pförtsch gemeinsam auf einer Demonstration der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ 2019 in Plauen, ausgestattet mit T-Shirts der Partei.
Karl K. nahm 2020 am rechtsextremen Trauermarsch im Februar in Dresden teil. Ein Teil seiner Reisegruppe wurde auf der Rückreise von der später wegen gewaltsamer Übergriffe auf Neonazis verurteilten Gruppe um die Antifaschistin Lina E. angriffen. Beim Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden sagte K. laut Prozessbeobachter aus, er sei mit einem sächsischen Kader der „Jungen Nationalisten“ zum Trauermarsch gereist.
Der Dresdner Pförtsch war nach Recherchen der taz seit Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv und der Polizei bekannt. Er stand mehrfach in Leipzig vor Gericht. Im Herbst 2020 und 2021 in einem Verfahren wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, im April 2022 wegen Volksverhetzung. Beim ersten Verfahren wurde er freigesprochen, das zweite wurde eingestellt.
Zudem war er neben seinem früheren Engagement für die AfD im Leipziger Stadtbezirksrat Ost und seiner Teilnahme an dem Aufmarsch des III. Wegs auch bei diversen weiteren rechten Veranstaltungen dabei. Fotos, die der taz vorliegen, zeigen ihn ab 2015 auf rechtsextremen Demos in Leipzig, Chemnitz und Landkreis Zwickau, etwa beim „Tag der deutschen Zukunft“ und auf Demos von „Legida“, sowie auf Veranstaltungen des „Compact Magazins“, des „Institut für Staatspolitik“ und der „Identitären Bewegung“.
Zudem hatte er anscheinend auch internationale Kontakte – darunter mindestens zu einer weiteren terroristischen Organisation: Ein Foto von 2018 zeigt Pförtsch als Teil einer Abordnung des III. Wegs vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal gemeinsam mit Mitgliedern des schwedischen „Nordic Resistance Movement“, die das US-Außenministerium im Juni 2024 als Terrorgruppe einstufte.
Zwei der Festgenommenen bei Sonnenwendfeier in Strahwalde
Ende Juni hatte Hättasch an einer Sonnenwendfeier in Strahwalde teilgenommn, über die die taz berichtet hatte. Dort hatten sich AfD-Politiker und Mitglieder der Jungen Alternative mit teils militanten Neonazis getroffen und den Nationalsozialismus verherrlicht: Es wurden Lieder der Hitlerjugend gesungen und ein SS-Standartenführer geehrt.
Hättasch saß bislang im Vorstand des AfD-Kreisverbands im Landkreis Leipzig und wurde 2024 in den Stadtrat von Grimma gewählt. Erst Ende Oktober war er zum Schatzmeister der Jungen Alternative Sachsen gewählt worden. Zudem soll er für den sächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner gearbeitet haben. Er war für die taz nicht zu erreichen.
Nach taz Recherchen war zudem mit Kevin R. auch ein weiterer der Festgenommenen bei der Sonnenwendfeier in Strahwalde anwesend. Kevin R. saß seit August 2024 für die AfD als stellvertretendes Mitglied sowohl im Sozialausschusses als auch im Beirat für Kultur, Jugend und Sport der Stadt Grimma.
Jörn S. war im Februar 2024 mutmaßlich anlässlich des „Tag der Ehre“ in Budapest, der seit Jahren als europaweites Vernetzungstreffen der rechtsextremen Szene fungiert. Das Hauptevent ist dabei eine Wanderung, die aus der Stadt hinaus führt, wobei viele der Teilnehmenden sich in Militäruniformen mit faschistischen Abzeichen schmücken und von der Budapester Burg bis zu 60 Kilometer weit durch die Budaer Berge marschieren. Jörn S. taucht 2024 auf einer Lister der Teilnehmenden der Wanderung auf.
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08.11.2024 06:10 Uhr Tagesschau
„Sächsische Separatisten“ Hinweis kam vom FBI
Beim Schlag gegen eine Gruppe junger Rechtsextremer aus Sachsen kamen nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung entscheidende Hinweise von der US-Bundespolizei FBI.
Der Schlag deutscher Sicherheitsbehörden gegen eine mutmaßlich rechtsterroristische Gruppierung namens „Sächsische Separatisten“ geht auch auf Hinweise der US-amerikanischen Bundespolizei FBI zurück. Das belegen Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Demnach soll sich der mutmaßliche Rädelsführer und Hauptbeschuldigte der Gruppe selbst belastet haben, als er in Online-Chats und offenbar auch persönlich gegenüber Vertrauenspersonen von seinen Plänen berichtete.
Am Dienstagmorgen hatten Polizisten an rund 20 Orten in Deutschland, Polen und Österreich zahlreiche Liegenschaften durchsucht und acht Beschuldigte festgenommen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, sich durch Wehrsportübungen und Ausbildungen im Häuserkampf auf einen sogenannten „Tag X“ vorbereitet zu haben und sich konkret auf einen bewaffneten Kampf, auch gegen Andersdenkende und Minderheiten, vorbereitet zu haben.
Die Gruppe habe sich darauf vorbereitet, in einem Teil Sachsens Gebiete zu besetzen, diese mit rechtsextremen Milizen abzuriegeln und dort auch ethnische Säuberungen an Migranten und Mitgliedern der staatlichen Ordnung zu begehen. Die Rede soll dabei auch von einem „Holocaust“ gewesen sein. Der Gruppe wird daher vorgeworfen, einen gewaltsamen Systemumsturz zum „Tag X“ herbeiführen zu wollen, dessen Zweck auch darauf gerichtet ist, Mord oder Totschlag zu begehen.
Herangespielte Vertrauenspersonen?
Dem mutmaßlichen Rädelsführer und Hauptbeschuldigte der Gruppe, Jörg S., wurde offenbar zum Verhängnis, dass er in einschlägigen rassistischen Onlinekanälen Details zu ihm, seiner Gruppe und deren mutmaßlichen Plänen preisgegeben haben soll. In einem dieser Chats soll sich nach Informationen von NDR, WDR und SZ auch eine sogenannte Online-Vertrauensperson bewegt haben, ein Mitarbeiter des US-amerikanischen FBI.
So könnte Jörg S. und seinen teils noch jugendlichen Brüdern nun vorgehalten werden, was S. in einer Chatgruppe gepostet haben soll. Unter anderem soll der als Rädelsführer beschuldigte Mann Bilder von Personen in militärischer Tarnkleidung und Schutzausrüstung in bewaldetem Gelände gepostet haben.
Im Chat mit der Online-Vertrauensperson des FBI soll S. sich selbst als taktischer Instrukteur ausgegeben, von seinen Verbindungen in rechte Parteien berichtet und unterstrichen haben, dass es im Falle eines Zusammenbruchs des Staates schon einen bewaffneten Teil einer etablierten politischen Bewegung gebe.
Drei der nun festgenommenen Beschuldigten sind Mitglieder der AfD oder deren Jugendorganisation (JA). Die AfD hatte am Mittwoch erklärt, die mutmaßlichen Mitglieder der sogenannten „Sächsischen Separatisten“ unverzüglich aus der Partei ausschließen zu wollen.
Vertrauensperson nahe der Gruppe
Die Sicherheitsbehörden stützen sich bei den Ermittlungen gegen Jörg S. und die mutmaßliche Terrorgruppe indes nicht nur auf einschlägige Telegram-Chats: Offenbar ist es dem Bundeskriminalamt auch gelungen, eine Vertrauensperson nah an die Gruppe heranzuführen.
Dieser menschlichen Quelle gegenüber soll Jörg S. in diesem Jahr zunächst von einer Gruppe berichtet haben, die unter seiner Anleitung bewaffnete Trainings im Wald durchführe. In alten Gebäuderuinen, so soll Jörg S. damals angegeben haben, übe die Gruppe auch das Eindringen durch Fenster und das taktische Vordringen auf Treppen.
Später habe Jörg S. dann ausdrücklich von „Sächsischen Separatisten“ gesprochen und gegenüber seinem Gesprächspartner die besondere Abkürzung „SS“ betont, so der Vorwurf. Die SS war die persönliche Schutzstaffel Adolf Hitlers und während der Nazi-Herrschaft unter anderem für die gezielte Deportation und Ermordung von Juden, anderen Minderheiten und Andersdenkenden verantwortlich.
Söhne eines bekannten Rechtsextremen in Österreich
In seinen Äußerungen soll Jörg S. auch zum Ausdruck gebracht haben, dass er neben einem bewaffneten Kampf für eine Abspaltung Sachsens von der Bundesrepublik und einer Anerkennung eines vermeintlich neuen Nationalstaates durch das Putin-Regime offenbar auch einen Rassenkrieg anstrebe.
Jörg S. wurde am Dienstag in Polen festgenommen. Er und zwei weitere, ebenfalls beschuldigte Brüder aus der sächsischen Stadt Brandis stammen aus einer bekannten, FPÖ-nahen österreichischen Familie. Ihr Vater gehörte in den 1990er-Jahren zu den bekanntesten Rechtsextremen Österreichs. Die Bundesanwaltschaft zählt die Brüder offenbar zum harten Kern der „Sächsischen Separatisten“.
„Relativ harmlose Wandergruppe“
Teil des harten Kerns seien auch zwei Jugendfreunde der Brüder. Darunter Karl K., der nach Informationen von WDR, NDR und SZ schon seit mehr als vier Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv ist und aktenkundig wurde, als er nach einer Demonstration in Dresden von mutmaßlich Linksextremen niedergeschlagen wurde. Er soll sich gegenüber Ermittlern als AfD-Sympathisant geäußert haben.
Jörg S. selbst konnte sich zu den Vorwürfen auf Anfrage nicht äußern. Er soll sich zuletzt in Polen in Haft befunden haben. Bis zu einer Verurteilung gilt für ihn wie für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung.
Sein Anwalt Martin Kohlmann, der auch Politiker der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“ ist, hatte sich bereits kurz nach der Festnahme seines Mandanten in einer Videobotschaft unter anderem auf der Plattform X zu der Festnahme geäußert. Für ihn sehe es vorläufig so aus, dass eine „relativ harmlose Wandergruppe zur nächsten Terrororganisation hochgepuscht werden soll“. Eine kurzfristige Anfrage ließ er zunächst unbeantwortet. Andere Anwälte der Mitbeschuldigten waren zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
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Tobias Wolf freie presse
Neue Rechte, Neonazis, AfD: Wer steckt hinter der Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“?
Den Behörden sind die mutmaßlichen Terroristen aus Sachsen zum Teil wohlbekannt, sagt der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz. Mehrere AfD-Politiker sind darunter – mit Verbindungen bis nach Österreich.
Dresden/Karlsruhe.
Schnell vorfahrende Autos und vermummte Polizisten reißen am frühen Dienstagmorgen die Bewohner eines Altbaus im Dresdner Stadtteil Löbtau aus dem Schlaf. Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Bundespolizei stürmen ins Dachgeschoss. Ihr Ziel: Die Wohnung von Hans-Georg P. Er soll Teil der rechtsextremen Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“ sein.
Im Internet ist der Mann unter dem Pseudonym „Hans Landa“ unterwegs, dem Namen eines fiktiven SS-Standartenführers im Hollywood-Film „Inglourious Basterds“. Im wirklichen Leben war P. zuletzt für die AfD aktiv, engagierte sich in der Ortsgruppe Dresden-West im Landtagswahlkampf. Zuvor war er in Leipzig mal für einen Stadtbezirksbeirat nominiert, aber nie zur Vereidigung erschienen.
Wie im Film dürften sich auch die Anwohner des beschaulichen Viertels fühlen. Uniformierte sichern nach P.s Festnahme die Eingänge des fünfstöckigen Altbaus, Ermittler in Zivil durchsuchen später über Stunden seine Räume. Ein irritierter Nachbar darf erst in seine Wohnung, nachdem er seinen Personalausweis gezeigt hat.
Gebiete in Sachsen erobern und einen nationalsozialistischen Staat errichten
Gleichzeitig schlagen Ermittler im Auftrag des Generalbundesanwalts im Raum Leipzig, im Landkreis Meißen und im polnischen Zgorzelec zu und verhaften weitere sieben Terrorverdächtige. In Grimma tritt Medienberichten zufolge AfD-Stadtrat Kurt Hättasch bei seiner Festnahme mit einem Gewehr den Polizisten gegenüber, die daraufhin Warnschüsse abgeben.
Hättasch erleidet eine Verletzung am Kiefer. Was genau passiert ist, sollen Ermittlungen und Zeugenaussagen ergeben, so die Bundesanwaltschaft. Im bewachten Rettungswagen wird Hättasch, der Bezüge zur „Identitären Bewegung“ und zum rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek hat, ins Leipziger Uniklinikum gefahren.
Der AfD-Mann Hans-Georg P. ist unter dem Pseudonym „Hans Landa“ in Internet unterwegs, dem Namen eines fiktiven SS-Standartenführers aus dem Hollywood-Film „Inglourious Basterds“. Bild: Screenshot: Instagram/FP
Der AfD-Mann Hans-Georg P. ist unter dem Pseudonym „Hans Landa“ in Internet unterwegs, dem Namen eines fiktiven SS-Standartenführers aus dem Hollywood-Film „Inglourious Basterds“.
Mit Kevin R. verhaften die Ermittler im Landkreis Leipzig AfD-Politiker Nummer drei an diesem Morgen. Er und Hättasch kennen sich aus dem Jugendblasorchester Grimma. Alte Fotos zeigen sie als Kinder mit ihren Instrumenten. Als Teenager spielten sie dann „Der gute Kamerad“ zum Volkstrauertag für die Bad Lausicker AfD.
Nun sollen sie mit der 15 bis 20 Köpfe starken mutmaßlichen Terrortruppe einen „Tag X“ vorbereitet haben. Eine tiefe Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbinde die 20 bis 25 Jahre alten Beschuldigten, ihre Ideologie sei von rassistischen, antisemitischen und in Teilen apokalyptischen Vorstellungen geprägt, so der Generalbundesanwalt.
Demnach wollten sie Gebiete in Sachsen und anderen ostdeutschen Ländern erobern und einen am Nationalsozialismus ausgerichteten Staat errichten. Unerwünschte Menschen sollen notfalls durch ethnische Säuberungen „entfernt werden“. Die Mitglieder der „Sächsischen Separatisten“ sollen sich darauf mit paramilitärischen Trainings vorbereitet, Häuserkampf und Schießen geübt und militärische Ausrüstung beschafft haben – unter anderem Tarnfleckuniformen, Gefechtshelme, Gasmasken und Schutzwesten.
Mehrere der Männer seien dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aus dem Spektrum der Neuen Rechten, rechtsextremistischen Parteien oder der Neonaziszene bekannt, sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang gegenüber der „Freien Presse“.
Österreichische Herkunft: Rechte Ideologien über drei Generationen
Es ist eine mehr als illustre Truppe, die seit Dienstagnachmittag nach einem Hubschrauberflug dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt wird. Zwei weitere Verdächtige, Jörg und Jörns S. sind Brüder, Söhne des in Österreich verurteilten Rechtsextremisten Hans-Jörg S. und Enkel des früheren FPÖ-Politikers Hans Jörg S. senior, wie das österreichische Magazin „Profil“ berichtete.
Der Vater der jungen Rechtsextremisten hatte seit 2002 eine Leipziger Projektentwicklungsfirma im Bereich Immobilien und Bauplanung betrieben, die er schließlich liquidierte. Wohl auch deshalb durchsuchten Ermittler auch in Österreich am Dienstag Immobilien.
Jörg S., der nach eigenen Angaben boxte und sich einst bei der Bundeswehr bewarb, ließ sich 2020 für die „Leipziger Volkszeitung“ als Gärtnerlehrling bei Sachsenobst ablichten.
Der Chemnitzer Rechtsextremist, „Freie Sachsen“-Chef und Anwalt Martin Kohlmann reiste am Dienstag zur Anhörung von Jörg S. bei der Staatsanwaltschaft im polnischen Jelenia Gora. Dort behauptete er, dass die Terrorverdächtigen überwiegend aus dem Umfeld von AfD und Junger Alternative kommen.
Auch die drei anderen Tatverdächtigen Kevin M., Norman T. und Karl K. sollen mehr oder weniger über das Umfeld der AfD und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative mit den anderen verbunden sein.
BfV-Chef Haldenwang: Gruppierung „exemplarisch für terroristische Gefahren“
In der AfD haben die Festnahmen Unruhe ausgelöst. Bundeschef Tino Chrupalla distanzierte sich am Dienstag von der Gruppierung. Mit einer mutmaßlich neonazistischen „Separatistengruppierung“ verbinde die Partei weder inhaltlich noch organisatorisch etwas, sagt Andreas Harlaß, AfD-Sachsen-Sprecher. Bestätigten sich die Vorwürfe gegen Hättasch, „wird ein unverzüglicher Parteiausschluss vollzogen“. Man gehe davon aus, dass die Parteijugend Junge Alternative ihre Mitglieder ebenso unverzüglich ausschließe, sollte sich der Verdacht bestätigen.
„Bei zentralen Protagonisten dieser Gruppierung handelt es sich um teils sehr junge Rechtsextremisten, die Bezüge zu einer insbesondere im virtuellen Raum aktiven Szene aufweisen.“ Rechtsterroristen wie Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete, gelten ihnen als Vorbild. Die Festnahmen am Dienstag „verdeutlichen die anhaltend hohe Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands, die vom Rechtsextremismus ausgeht“, so Haldenwang. Die „Sächsischen Separatisten“ stünden „exemplarisch für terroristische Gefahren, die sich aus solchen Szenen entwickeln könnten“.
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Haig Latchinian
08.11.2024
Hätte die Radikalisierung von Kurt Hättasch vermieden werden können?
Im Jugendalter galt Kurt Hättasch, der für die AfD in den Grimmaer Stadtrat einzog, als Einzelgänger und Außenseiter. Nun ist er verdächtig, Mitglied einer rechtsextremen Terror-Gruppe zu sein. Hätte es so weit kommen müssen?
Die Vorwürfe wiegen schwer: Kurt Hättasch, der für die AfD in den Grimmaer Stadtrat einzog, ist laut Generalbundesanwaltschaft dringend verdächtig, der rechtsextremen Terror-Organisation „Sächsische Separatisten“ anzugehören. Mit dieser habe der 24-Jährige an einem „Tag X“ Gebiete im Freistaat erobern und dort eine neue Gesellschaft aufbauen wollen: ethnisch homogen und angelehnt an den Nationalsozialismus.
Inzwischen ist der Haftbefehl gegen ihn in Vollzug gesetzt. Wie berichtet, war er bei der Großrazzia am Dienstag bei Grimma festgenommen worden. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei hatte das Anwesen zuvor umstellt. Beim Zugriff wurde Hättasch verletzt. Die Frau des Beschuldigten wollte sich gegenüber der LVZ am Donnerstag nicht äußern. Nur soviel: Der Einsatz sei aus ihrer Sicht vollkommen unverhältnismäßig gewesen, sagte die Frau der LVZ unter Tränen und mit ihrem Kleinkind im Arm. „Man hätte wissen müssen, dass hier eine Familie wohnt.“ Die Ermittler hätten versucht, die Haustür aufzusprengen. Schließlich sei sie wohl aufgesägt worden.
„Hättasch wurde frühzeitig auffällig“
Wie konnte es so weit kommen? Hat sich abgezeichnet, dass sich Kurt Hättasch derart radikalisierte? Der 20-jährige Jonas O. Siegert vom Wahlbündnis „Demokratie!“ bejaht: „Bereits 2015 wurde Kurt Hättasch bei einem Projekttag in der Schule mit menschenfeindlichen Aussagen auffällig“, erzählt er.
Hättasch besuchte das Grimmaer St.-Augustin-Gymnasium. Besonders habe ihn das Fach Geschichte interessiert, berichten Grimmaer, die ihn in seiner Schulzeit erlebt haben. Er habe sich in der Kriegsgräberfürsorge engagiert und galt als rhetorisch begabt. Nur wenige Schüler hätten ihm widersprochen.
Der Abiturient Hättasch wird als Einzelgänger beschrieben: „Er schien sich in seiner Rolle zu gefallen, anders als die anderen zu denken“, sagt eine Zeitzeugin, die anonym bleiben möchte. Sie verurteile Hättaschs extremistische Gesinnung. Es sei aber zu einfach, sich jetzt hinzustellen und zu sagen, man hätte alles vorhersehen können. Gerade Jugendliche dürfe man nicht ausgrenzen oder ihnen gar das Wort verbieten, findet sie.
Hättasch lernte an einer „Schule ohne Rassismus“
Die Schulleitung lehnt am Donnerstag ein Statement ab. Das Gymnasium gilt als Vorreiter in der demokratischen Erziehung. Seit 2015 führt es den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Einer, der damals als Jugendhausleiter mit den Kids gearbeitet hatte, ist Tobias Burdukat. Der Sozialarbeiter und Dozent entwickelte für die „emanzipatorische Jugendarbeit“ die theoretischen Grundlagen.
Diese flossen auch im alternativen Jugendtreff in der einstigen Spitzenfabrik ein. „Weil der Boden am Muldenufer nach den Fluten belastet war, musste das Erdreich erneuert werden“, erinnert sich Burdukat. Es sei der Vater von Kurt Hättasch gewesen, der sich als Sponsor angeboten hatte und dem antifaschistischen Projekt mit Baumaterial helfen wollte.
Zu diesem Zeitpunkt war Kurt Hättasch bereits mit menschenfeindlichen Äußerungen aufgefallen, sagt Burdukat. Als immer mehr Flüchtlinge ins Land kamen und sich auch das gesellschaftliche Klima veränderte, habe sich Hättasch zusätzlich radikalisiert.
Kritik am Krisenmanagement 2018
Die folgenden Jahre an der Penne waren krass, wie es Burdukat nennt. Flyer der „Identitären Bewegung“, die eine sogenannte „Umvolkung“ verhindern will, tauchten vermehrt im Schulumfeld auf. 2018 sorgte ein bis zu drei Meter großes gelbes Plakat an einem Baugerüst in der Klostergasse für Aufsehen: „Linken Lehrern in die Suppe spucken – Identitäre Bewegung jetzt auch an dieser Schule.“ Ob und inwieweit Kurt Hättasch etwas damit zu tun hatte, ist unbekannt.
Der damalige Direktor, inzwischen im Ruhestand, glaubte nicht, dass seine Schüler hinter der Aktion steckten: „Da müsste ich mich schon sehr wundern, ich stehe zu unserer Schülerschaft“, sagte Wolf-Dieter Goecke seinerzeit. In vertrauensvollen Gesprächen mit den Schülern sei der Vorfall thematisiert worden, hieß es. Schüler hätten dabei geholfen, Flyer mit ähnlichem Inhalt zu beseitigen.
Es war Burdukat, der in der Stadtratssitzung scharfe Kritik am Krisenmanagement übte. Dass der Schulleiter eine Beteiligung von Schülern negiere, entbehre jeder Grundlage, argumentierte er. Zwar ermittelte der Staatsschutz in der Sache, letztlich blieb sie unaufgeklärt.
Burdukat: Es fehlte ein Angebot für Schüler wie Hättasch
Er habe sich seit der Razzia vom Dienstag gefragt, ob er genug getan hat, räumt Burdukat ein: „Letztlich hatte ich damals ein Projekt betreut, das sich an Jugendliche richtete, die sich gegen Rassismus stark machten.“ Es fehlte ein Angebot für Schüler wie Hättasch. „Zusammen hätte man die Lager nicht stecken können. Schüler, die sich gegen menschenfeindliche Einstellungen positionierten, wurden ja zum Teil gemobbt.“
Im örtlichen Jugendblasorchester spielt Hättasch das Flügelhorn. „Er war das ganze Jahr schon nicht mehr gekommen, hatte beruflich zu viel um die Ohren“, sagt Leiter André Rahmlow. Er betont, dass das Ensemble, das bereits in aller Welt auftrat, für Völkerverständigung stehe. Sollten sich die Vorwürfe gegen Hättasch erhärten, werde ein Ausschluss erwogen: „Derzeit liegt seine Mitgliedschaft auf Eis.“ Der AfD-Landesverband beantragte hingegen den Ausschluss von Hättasch aus der Partei und entzog ihm mit sofortiger Wirkung seine Mitgliedsrechte.
Die Entscheidung des Jugendblasorchesters verharmlose die nationalsozialistischen Bestrebungen des Beschuldigten, bewertet Jonas O. Siegert (Demokratie!). Er fordert das Ensemble auf, Kurt Hättasch mit sofortiger Wirkung auszuschließen. „Eine ruhende Mitgliedschaft vermittelt den Eindruck, man akzeptiere menschenfeindliches Gedankengut, wenn im Gegenzug bloß kräftig genug in die Trompete geblasen wird.“