Angriffe auf Neonazis: Anklage gegen mutmaßliche Linksextremisten wegen versuchten Mordes

Im sogenannten „Budapest-Komplex“ geht die Justiz mittlerweile gegen mehr als ein Dutzend Beschuldigte vor – anders als Maja T. wird ihnen der Prozess in Deutschland gemacht. Im Raum steht nun der Vorwurf des versuchten Mordes.
Es war im Februar 2023, als mutmaßliche Linksextreme in Budapest eine Gruppe Rechtsextreme attackierten, mit Fäusten, Pfefferspray und Schlagstöcken. Die Angreifer sollen aus Nürnberg gekommen sein, aus Jena – aber auch aus Leipzig.
Was unter dem Begriff „Budapest-Komplex“ bekannt ist, beschäftigt mittlerweile nicht mehr nur die Justiz, sondern auch die Politik. Im Fokus steht vor allem Maja T., die von den deutschen Behörden an Ungarn ausgeliefert wurde, wo ihr derzeit der Prozess gemacht wird. Das Bundesverfassungsgericht hat das Vorgehen als unzulässig eingestuft. Maja T. befindet sich im Hungerstreik, Menschen gehen für sie auf die Straße, Politiker ergreifen das Wort: Sie wollen, dass Maja T. zurückgeholt und vor ein deutsches Gericht gestellt wird – so wie die anderen mutmaßlichen Angreifer von Budapest.
Nun hat der Generalbundesanwalt (GBA) gegen sechs von ihnen Anklage erhoben. Nele A., Emilie D., Paula P., Luca S., Moritz S. und Clara W. wird die Mitgliedschaft in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung vorgeworfen, außerdem Körperverletzung und versuchter Mord, teilte der GBA am Dienstag mit. Die sechs Beschuldigten, zwei davon aus Leipzig und vier aus Jena, hatten sich aus Angst vor einer Auslieferung nach Ungarn gestellt. Sie sitzen seit Anfang des Jahres in Untersuchungshaft.
Angefangen hat es offenbar mit Überfällen auf Läden der bei Neonazis beliebten Kleidungsmarke „Thor Steinar“: Am 23. April 2022 soll Emilie D. in Erfurt eine Verkäuferin zu Boden gerissen, ihr zahlreiche Faustschläge gegen den Kopf und Oberkörper versetzt haben. Eine Mittäterin schlug offenbar mehrfach mit dem Teleskop-Schlagstock zu. Überwachungskameras haben den Vorfall aufgezeichnet.
Das gezielte Vorgehen erinnert an Lina E.
Am 12. Januar 2023 soll Emilie D. bei einem Angriff auf zwei Personen dabei gewesen sein: Die Angreifer brachten sie zu Fall, schlugen mit der Faust, Schlagstöcken und einem Hammer auf die Geschädigten ein. Kurz darauf dann die Angriffe zum „Tag der Ehre“ in Budapest, als sich zahlreiche Rechtsextreme in der ungarischen Hauptstadt befanden.
Das gezielte Vorgehen erinnert an Lina E., die im Mai 2023 wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen wurde. Das Urteil ist rechtskräftig. Tatsächlich gibt es Verbindungen. Als Anführer der Gruppe gilt ihr ehemaliger Verlobter Johann G.. Er war jahrelang abgetaucht, bis ihn die Polizei Ende 2024 festnehmen konnte.
Johann G. war auch unter den Angreifern in Budapest. Gegen ihn und sechs weitere Person hat der Generalbundesanwalt bereits im Juni Anklage erhoben. Der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht Dresden stattfinden. Einen Termin gibt es bisher nicht.
Nele A., Emilie D., Paula P., Luca S., Moritz S. und Clara W. sind dagegen vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf angeklagt – obwohl unter den Angeklagten Personen sind, die aus Leipzig und Jena stammen, sich die Taten abseits des „Budapest-Komplexes” vor allem in Mitteldeutschland abgespielt haben: Neben Schwerin führt der Generalbundesanwalt Halle, Magdeburg, Erfurt und Leipzig als mutmaßliche Tatorte auf. In Leipzig sollen zwei Angeklagte versucht haben, Ware aus einem Bekleidungsgeschäft zu entwenden. Einem Ladendetektiv legten sie fremde oder falsche Ausweise vor.
Dass nun in Düsseldorf verhandelt wird, kritisieren die Anwälte in einer Pressemitteilung: Das Oberlandesgericht Jena sei aus deren Sicht der richtige Ort gewesen. Aber man wolle offenbar Protest vermeiden, in einer Stadt, in der es auch viel Unterstützung gibt. Eine Sprecherin des Generalbundesanwalts erklärt die Entscheidung dagegen so: Zwei der Angeklagten hätten sich in Hamm und Köln gestellt und damit im Zuständigkeitsgebiet des Oberlandesgerichts Düsseldorf.
Verteidiger kritisieren Prozess in Düsseldorf
Die Verteidigung kritisiert auch den Vorwurf des versuchten Mordes: Selbst Ungarn habe bei dem Angriff in Budapest keine Tötungsabsicht erkannt. „Dass der Generalbundesanwalt dennoch von einem Tötungsvorsatz ausgeht, ist bedenklich und lässt befürchten, dass dem eine politische Motivation zu Grunde liegt“, heißt es in der Pressemitteilung.
Eine Sprecherin des Generalbundesanwalts weist darauf hin, dass es sich juristisch um eine Abwägung im Einzelfall handelt: Mit welcher Wucht haben die mutmaßlichen Angreifer agiert, haben sie ab einem bestimmten Zeitpunkt aufgehört? Luca S. und Paula P. sollen auf einen Geschädigten eingeprügelt haben, als er schon bewusstlos auf dem Gehsteig lag.