Prepperpläne in früheren KZ-Tunneln – Der große Bluff des Peter Karl Jugl
Ein Millionär mit ehemals rechten Kontakten kauft eine Stollenanlage, die einst von NS-Zwangsarbeitern gebaut wurde. Er plant dort angeblich krisensichere Luxusbunker. Wer ist dieser Mann?
Seit dem 12. August hat das Land Sachsen-Anhalt ein Problem. Und zwar eines der bizarren Sorte. An diesem Tag erfährt die Gedenkstätte des KZ Langenstein-Zwieberge in Halberstadt vom neuesten Vorhaben des Investors Peter Karl Jugl: »Bunkercoin« nennt er es, das angeblich »größte private Bunkerprojekt der Welt«.
Eine opulent angerichtete Website, vollgestopft mit KI-generierten Bunkerbildern, verrät mehr über die Idee: Tief im Wald, verborgen unter den Thekenbergen im Westen von Sachsen-Anhalt, werde für die Überlebenden der nächsten Apokalypse eine unterirdische Stadt entstehen. Angeblich. Die soll nicht nur vor Atomschlägen, Epidemien und Bürgerkriegen schützen, sondern auch üppig ausgestattet sein: mit Kindergärten und Schulen, Wellnesszentren und Samenbanken, mit Pilzzucht und Viehhaltung. Es gibt pompöse Visualisierungen dazu, alles fügt sich zu einer geschmacklosen Mischung aus Futurismus und Endzeitglaube.
Man könnte das als Unfug abtun, wie es ihn massenweise gibt im Internet, als absurde Prepperfantasie. Nur hat Jugl das 13 Kilometer lange Tunnelsystem tatsächlich für 1,3 Millionen Euro erworben. Es ist ein Stollen, den es nur gibt, weil NS-Zwangsarbeiter sie in der Endphase des Zweiten Weltkriegs in die Thekenberge treiben mussten.
Die Deutschen wollten dort, fern der Fronten und geschützt vor Fliegerangriffen, Jagdflugzeuge und V2-Raketen für den propagierten »Endsieg« bauen. Mehr als 4300 Menschen kamen binnen zwölf Monaten ums Leben, durch Arbeitsunfälle oder Krankheiten, durch Hinrichtungen und auf Todesmärschen.
2019 kaufte Jugl erste Teile des Geländes, drei Jahre später einen weiteren Teil des Areals inklusive historischem Bunkereingang. Dieser von KZ-Häftlingen erschaffene Ort, insgesamt 70.000 Quadratmeter im Untergrund, soll nun also zu einem »einzigartigen Rückzugsort in unsicheren Zeiten« werden? Klingt irrwitzig, ist aber nur irre, nicht witzig.
Jugls Skandal
Der SPIEGEL hat in den vergangenen Monaten schon mehrfach über Jugls Umgang mit dem KZ-Stollen berichtet, die Empörung ist groß, nicht nur in Sachsen-Anhalt: Internationale Medien griffen den Skandal auf, in Polen und der Slowakei etwa, auch der britische »Telegraph« berichtete. Der SPD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben, selbst Teil der Regierungskoalition unter CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, fürchtet inzwischen das Schlimmste, spricht vom »Worst Case für das Ansehen des Landes im Ausland«.
Monatelange Recherchen zu dem Fall lassen nun nur einen Schluss zu: dass dies nicht die Geschichte eines Visionärs ist, der Großes plant. Sondern eine Groteske, die sich zum geschichtspolitischen Desaster ausgeweitet hat, das in die düstersten Jahre der deutschen Vergangenheit zurückweist.
Und in dessen Zentrum ein Geschäftsmann mit fragwürdigen Geschäftsideen und noch fragwürdigeren Kontakten ins Neonazi-Milieu steht. Der womöglich aus strategischen Gründen Schindluder treibt mit der deutschen Gedenkkultur, um mittels öffentlicher Empörung den Druck auf das Land zu erhöhen. Damit Sachsen-Anhalt dem nach eigenen Aussagen auf »problembehaftete Immobilien« spezialisierten Geschäftsmann Peter Karl Jugl die marode Stollenanlage zu einem völlig unverhältnismäßigen Preis wieder abkauft.
Jugls Geschäfte
Peter Karl Jugl, 52 Jahre alt, ist schwer zu fassen. Für ein Gespräch mit dem SPIEGEL steht er nicht zur Verfügung, Fragen lässt er von einem Anwalt beantworten, wenn überhaupt. Es gibt kein Bild von ihm auf der Website seiner Immobilienfirma, kaum Spuren öffentlicher Auftritte, keine Aussagen in Pressearchiven. Um Fotos von ihm zu finden, muss man im Internet ziemlich tief graben.
Und der Mann mit den Bunkerplänen residiert selbst in einer Art Bunker. Sein Anwesen, eine von übermannshohen Hecken umzäunte Villa, steht im sächsischen Markkleeberg direkt an einem See. Eine Seniorin mit grauem Haar, vermutlich seine Mutter, öffnet die Tür, quält sich mit ihrem Rollator durch den Regen zum Eingangstor – und verspricht, sobald man »Bunkercoin« sagt, »den Herrn Jugl« anzurufen. »Der ist nicht da«, sagt sie, »ist ja immer unterwegs.«
Durchforstet man Handelsregister und Grundbücher nach Jugl, offenbart sich ein eigenwilliges Geschäftsportfolio. Der Wahlsachse, geboren in Südhessen, investiert nicht nur in KZ-Hinterlassenschaften, sondern betreibt auch ein Stundenhotel im ehemaligen »Eros Center« in Halle an der Saale, das Gebäude nebenan vermietet er an eine Tabledance-Bar. Oder einen Freizeitpark mit Wasserrutschen, Sauna und Restaurant im sachsen-anhaltischen Landsberg. Hinzu kommen Mehrfamilienhäuser, Studierendenwohnheime, Montagehallen – und eine Flüchtlingsunterkunft. Die steht auch in Halle, hat 250 Wohnplätze und wird Jugls Betreiberfirma laut Ausschreibung bis Ende 2026 rund zehn Millionen Euro Einnahmen bringen. Seine Immobilienholding trägt den unbescheidenen Namen Global Project Management GmbH, kurz GPM. Mit der hat er allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als acht Millionen Euro Gewinne gemacht.
An Gutbetuchte richtet sich auch ein weiteres Business, an dem der Nazi-Stollen-Besitzer beteiligt ist: eine Online-Kontaktbörse namens »Rich Meets Beautiful«. Hier sollen »finanziell unabhängige Gentlemen« auf »attraktive Ladies« mit einem »besonderen Maß an Ausstrahlung« treffen. Und hier findet sich tatsächlich ein Bild von Jugl, wenn auch nur als »Peter J.« ausgewiesen. Er sitzt auf einer Art Thron, lächelt süßlich und schwärmt von den »gut aussehenden und stilvollen Damen« auf dem Portal.
Damit wirbt Jugl für Jugl. Er ist nämlich selbst Mehrheitsgesellschafter dieses Portals, das er zusammen mit einem Geschäftspartner von dessen Exfrau übernommen hat: Ninja Wagner, bekannt aus dem DSF-»Sportquiz« und einst von der »Bild«-Zeitung als »Deutschlands heißeste TV-Moderatorin« gefeiert. Die Mitglieder des von ihr gegründeten Portals können sich laut Website zu Partys auf Anwesen und Jachten verabreden – oder die weiblichen Mitglieder per »Beautyvoting« bewerten. Männer zahlen 100 Euro monatlich, Frauen nichts.
Wie konnte dieser Mann mehr als eine Million Quadratmeter auf einem als Konzentrationslager ausgewiesenen Kulturdenkmal kaufen? Die Gründe hängen mit den Wirren der Wendejahre zusammen: Nach dem Untergang der DDR, die das Areal als Armeelager nutzte, verscherbelte es die Treuhand. Als der Eigentümer pleiteging, übernahm ein Insolvenzverwalter und verkaufte schließlich alles an Jugl. Der will auch erwogen haben, die »einst nutzlose Anlage«, wie der Stollen auf der »Bunkercoin«-Website genannt wird, für den Anbau von Cannabis zu nutzen. Oder als Oldtimer-Garage.
Jugls Gegner
Einer von denen, die für diese »einst nutzlose Anlage« regelmäßig durch Europa reisen, ist der Franzose Jean-Louis Bertrand, ein freundlicher Senior mit breiten Schultern und schlohweißem Haar. Sein Vater Louis, Häftlingsnummer 85250, arbeitete als KZ-Häftling im Stollen, überlebte – und formulierte vor seinem Tod 2013 einen letzten Wunsch: dort beerdigt zu werden, wo Deutsche ihn einst fast zu Tode quälten.
»Darf man keine Volkswagen mehr fahren, weil Zwangsarbeiter in den Volkswagen-Werken arbeiten mussten?«
Stellungnahme auf Bunkercoin-Webpage
So steht Jean-Louis Bertrand an einem sonnigen Septembertag vor dem Grabmal seines Vaters im Wald bei Halberstadt, direkt neben dem Massengrab für Hunderte andere KZ-Häftlinge, und spricht über Peter Jugl. »Ich glaube, dass dieser Investor nichts verstanden hat«, sagt er. »Ich glaube, dass er ein Mann ohne Kultur ist, der die Geschichte des Stollens und der Deportierten, die durch diese Arbeit vernichtet wurden, ignoriert und bespuckt.« Offensichtlich denke Jugl nur ans Geldverdienen, sagt Bertrand. »Aber mit dem Gedenken an die Deportation macht man kein Geld. Das ist einfach nicht richtig.«
Jugl kontert solche Vorwürfe mit Polemik, auf der Bunkercoin-Webpage heißt es: »Darf man keine Volkswagen mehr fahren, weil Zwangsarbeiter in den Volkswagen-Werken arbeiten mussten?« Er habe, so lässt er es über seinen Anwalt ausrichten, »die Immobilie rechtmäßig erworben« und nichts unternommen, um den Fortbetrieb der Gedenkstätte zu beeinträchtigen. Außerdem befände sich der Stollen ja gar nicht auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers, sondern mehr als zwei Kilometer entfernt.
Das ist eine zynische Argumentation. Denn den Stollen gibt es nur, weil Häftlinge aus dem Lager sie bauten. Und das Lager gab es dort nur, um den Stollen zu bauen. Beide Orte sind untrennbar miteinander verbunden – nicht umsonst heißt das komplette Kulturdenkmal, inklusive Massengräbern und Tunnelsystem, noch heute: Konzentrationslager Langenstein-Zwieberge.
Die Empörung ist dementsprechend groß: Fachleute und Politiker fordern die Regierung von Sachsen-Anhalt seit Jahren auf, den Stollen zu kaufen – vergeblich. Hanka Rosenkranz vom Förderverein der Gedenkstätte hält die »geplante Nutzung als Prepper-Bunker« für »unerträglich«. Und Rainer Neugebauer, Beiratsvorsitzender des Fördervereins sagt: »Das ist keine Immobilie, das ist ein Massengrab.«
Jugls Vergangenheit
Man wüsste gern, wie Peter Jugl persönlich zu den Verbrechen im Nationalsozialismus steht, zur historischen Verantwortung Deutschlands. Aufschlussreiche Anhaltspunkte gibt es in der Vergangenheit, die sich in verschiedenen Quellen und Akten finden, die der SPIEGEL einsehen konnte.
So hat Jugl als junger Mann im Februar 1994 an einem Treffen prominenter Rechtsextremer teilgenommen. In Burgen an der Mosel, das geht aus einem Polizeibericht hervor, kamen damals an einem Sonntagnachmittag die Gäste einer Feier zusammen, um den 65. Geburtstag von Friedhelm Busse zu begehen, Rechtsextremist und Vorsitzender der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP).
Weil die Versammlung untersagt worden war, erfassten die Behörden die Personalien der Angereisten – darunter viele einflussreiche Neonazi-Kader, manche davon standen unter verdeckter polizeilicher Beobachtung »in Staatsschutzangelegenheiten«. Aus den Akten geht hervor, dass etwa der niedersächsische FAP-Chef Thorsten Heise dabei war, der noch 30 Jahre später ein führender Rechtsradikaler ist. Oder die Vorsitzende der Deutschen Nationalisten in Thüringen, Kerstin Krönert. Neben der saß ein 21-jähriger Mann aus Fischbach im Taunus: Peter Jugl.
Was machte Jugl, dem die Polizei an diesem Wintertag einen Platzverweis erteilte, auf einem solchen Szenetreffen? Schwer vorstellbar, dass er von der Weltanschauung der anderen Gäste nichts wusste: Die Polizei konfiszierte Handzettel mit Slogans wie »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus«, und die FAP war zu dieser Zeit das größte militante Neonazi-Netzwerk in Deutschland. Parteichef Busse war schon mit 15 Jahren freiwillig zur Waffen-SS gegangen, in den Siebzigern wegen seiner Radikalität aus der NPD geflogen – und ließ sich nach seinem Tod 2008 den Herzenswunsch erfüllen, mit einer Hakenkreuz-Fahne beerdigt zu werden.
Busses Geburtstagsfeier im Februar 1994 fand schließlich in der Gaststätte »Zur Traube« in Löf an der Mosel statt: Etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte die Polizei, die meisten reisten abends wieder ab. Aber Busse übernachtete und fuhr erst am nächsten Tag weiter, im Auto von Peter Jugl.
Wie nah war der Mann, dem heute ein früherer KZ-Stollen gehört, jenem Verfassungsfeind, der gegen Juden hetzte? Jugls Anwalt verweist auf Erinnerungslücken: Sein Mandant wisse »heute nicht mehr verlässlich«, wen er vor 30 Jahren aus welchen Gründen im Auto mitgenommen habe. Die Namen der anderen Beteiligten hätte er zum Teil googeln müssen, er habe zu ihnen jedenfalls keinen Kontakt mehr. Der aktuelle Grundstückskauf bei Halberstadt jedenfalls sei »ein politisch-weltanschaulich völlig neutraler Vorgang« und habe nichts mit weit in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten zu tun.
Es gibt in Jugls Biografie noch weitere Berührungspunkte mit der extremen Rechten: Nur ein Jahr nach der Feier an der Mosel durchsuchten Ermittler bei einem Schlag gegen den organisierten Rechtsextremismus bundesweit mehrere Objekte – auch ein Grundstück von Peter Jugl im sachsen-anhaltischen Naumburg, damals laut Verfassungsschutz eine »strukturgefestigte rechtsextreme Hochburg«. Das einstige Bauernhaus im Ortsteil Boblas inklusive Gewölbekeller mit Theke hatte er 1992 gekauft, als 19-Jähriger, für 30.000 Mark in bar.
Was in dieser Zeit auf Jugls Neuerwerbung vor sich ging, interessierte schon bald die Sicherheitsbehörden: Die gehen 1995 dem Verdacht nach, dass Rechtsextremisten dort ein Ausbildungszentrum für die in Deutschland verbotene »NSDAP-Aufbauorganisation« einrichten wollte. Die Ermittler stoßen bei der Durchsuchung auf allerlei illegales Propagandamaterial. Zwei Bewohner hält der Verfassungsschutz fortan im Blick, die beiden sind auch Mitglied der »Nationalen Hilfsorganisation für politische Gefangene und deren Angehörige« (HNG) – einer Truppe, die sich für die Freilassung von Rechtsextremisten wie Thorsten Heise engagiert. Und in der auch FAP-Chef Friedhelm Busse mitmischt.
Jugls Anwalt lässt ausrichten, dass man seinen Mandanten wegen der Vorgänge damals nie angeklagt habe und er daher »rückstandslos rehabilitiert« sei. Außerdem handle er nur aus wirtschaftlichen Motiven mit Immobilien. Finanziell erwies sich die Episode in Naumburg tatsächlich als ertragreich: Jugl renovierte das heruntergekommene Gebäude, in dem er zwischenzeitlich auch selbst lebte, und teilte das Grundstück in kleinere Einheiten auf, die er ab 1998 einzeln weiterverkaufte, für insgesamt mehr als 400.000 Mark.
Jugls Bunkerplan
Wer soll nun von diesem Mann einen Weltuntergangsbunker kaufen und auf welche Weise? Das Businessmodell klingt abenteuerlich. Wer einen Schlafplatz im Ex-KZ-Stollen buchen will, kann den nicht einfach mieten oder gar kaufen – sondern, so formuliert es Jugls Anwalt, »eine Art ›Eintrittskarte‹ zum Bunker für den Notfall« erwerben. Zu diesem Zweck bietet Jugl sogenannte Token feil, eine eigens erfundene Kryptowährung namens Bunkercoin. Einer dieser Token soll einem Kubikzentimeter im Bunker entsprechen, der Startpreis liegt bei einem Cent. Ein 16-Quadratmeter-Zimmer mit zweieinhalb Meter hohen Decken würde demnach 400.000 Euro kosten. Insgesamt will Jugl so bis zu 2,5 Milliarden Euro einwerben.
Dieses Modell, so steht es auf der Bunkercoin-Homepage, soll angeblich den Bau der luxuriösen Untertagestadt ermöglichen, als Teil eines globalen Netzwerks ähnlicher Projekte. Im westafrikanischen Gambia, wo die Bunkercoin-Firma unter dem Namen Mining Project Management Company ihren Sitz haben soll, ist demzufolge sogar eine krisensichere Megacity geplant. Seltsam ist nur, dass die Homepage über kein gesetzlich vorgeschriebenes Impressum verfügt, keinen Geschäftsführer benennt, nichts über eine offizielle Registrierung der Firma verrät.
Klingt alles unseriös und realitätsfern, und das ist es auch. Geld verdienen könnte Jugl mit seinem Krypto-Keller trotzdem. Für den hochwahrscheinlichen Fall, dass nicht genug Kapital für das Monstervorhaben zusammenkommt, gibt es nämlich erst ab einer Investitionssumme von mehr als tausend Euro Geld zurück, angeblich. Und auch das nur »abzüglich der entstandenen Kosten, Provisionen und Bearbeitungsgebühren«. So steht es in einem online abrufbaren Konzeptpapier. Jugl könnte mit seinem Stollen also Gewinne machen, ohne dort auch nur eine Fußmatte ausgelegt zu haben.
So drängt sich der Verdacht auf, dass seine Idee vom Superbunker nichts weiter ist als ein unterirdisches Luftschloss. Ein ausgefeiltes Täuschungsmanöver.
Ein Geschäftsmann wie Jugl, der schon Dutzende Immobilien gekauft und saniert hat, dürfte jedenfalls ahnen, dass sich der Halberstädter Stollen nicht kurzerhand zur Bunkerstadt umwandeln lässt. Zumal er detailliert weiß – das geht aus Kaufverträgen hervor –, wie marode die Anlage ist: Die Tunnel sind zum Teil einsturzgefährdet, das dazugehörige Gelände gilt wegen des Verdachts auf Munitions-, Schwermetall- und Schadstoffrückstände als hoch belastet. Und die Luft im Stollen könnte, so warnt der Verkäufer, mit radioaktivem Radon belastet sein.
Wer möchte an einem solchen Ort leben? Und woher sollen die Unsummen kommen, die zur Sicherung der Anlage nötig wären, geschweige denn für deren Verwandlung in moderne Luxusbunker? Plant Jugl all das womöglich gar nicht – sondern will lediglich das Geld leichtgläubiger Anleger abgreifen? In den Milieus von militanten Impfgegnern, Querdenkern oder »Reichsbürgern« findet Jugl vielleicht durchaus ein paar Verrückte, die Interesse hätten an einem behaglichen Fluchtort aus der Realität.
Konfrontiert man Jugl mit diesem Verdacht, meldet sich sein Anwalt und sagt dazu: nichts. Jugl selbst befeuert derweil in Bunkercoin-Chatgruppen die Angst vor der Apokalypse, indem er Artikel mit Überschriften wie »Kriegsangst wächst – Gemeindebund will stillgelegte Bunker wiederbeleben« postet. Auf der Website bewirbt er seine Idee mit den Namen berühmter Männer, die angeblich ebenfalls auf Bunker setzen: Donald Trump, Elon Musk, Wladimir Putin.
Jugl-Freund Prinz von Preußen
Erstaunlicherweise ist Peter Karl Jugl nicht der einzige Immobilienhändler in Ostdeutschland, der ein ehemaliges KZ-Areal sein Eigen nennt und nachweislich Kontakte zu Rechtsextremen hatte. Und er ist auch nicht der Einzige, der daraus Profit zu schlagen versucht.
Bei der Suche nach Fotos von Jugl ist der SPIEGEL an einem merkwürdigen Ort fündig geworden: in einer Galerie mit Bildern der Gäste eines Treffens von Adelsfans in Tschechien im Jahr 2017. Dort, am »Karlsbader Wochenende«, kommen jedes Jahr Möchtegern- und echte Blaublüter zusammen, Pferderennen und Kostümball inklusive. Und dort verstand sich Jugl offenkundig prächtig mit einem Mann namens Ludwig Prinz von Preußen: Gleich mehrere Fotos von diesem Wochenende zeigen, wie die beiden, kostümiert mit Anzug und Zylinder, einträchtig in die Kamera lächeln.
Dieser Prinz von Preußen nun, der bis zu seiner Hochzeit 2017 Ludwig Kiefer hieß, ist kein Unbekannter, und es verbindet ihn einiges mit Jugl: Auch er war Geschäftsführer einer Immobilienfirma, und auch er ist Eigentümer eines ehemaligen KZ-Areals: nämlich des einst größten Frauenaußenlagers des KZ Buchenwald, am Rande von Leipzig, in dem SS-Schergen Tausende von Zwangsarbeiterinnen quälten . Die Sicherheitsbehörden führen den zweistöckigen Bau, den Prinz von Preußen 2008 für 36.000 Euro erwarb, seit Langem als »Treff- und Trainingsort« von Rechtsextremisten, die ihn für Konzerte, Partys und Kampfsport nutzen. Prinz von Preußen selbst gilt als Neonazi. Und er fordert von der Stadt Leipzig den völlig realitätsfernen Preis von rund zehn Millionen Euro für das Gelände, was diese ablehnt. Und so können sich Neonazis auch weiterhin ungestört in einem einstigen KZ treffen.
Der Skandal in Leipzig, bei dem Jugl-Freund Prinz von Preußen den Behörden und den Anständigen auf der Nase herumtanzt , klingt wie eine Blaupause für Jugls Strategie in Halberstadt: Tabus brechen, Empörung erzeugen, Preis hochtreiben. Fragt man Jugl nach seinem Verhältnis zu Prinz von Preußen, schreibt sein Anwalt dazu: »Die Projekte haben nichts miteinander zu tun.«
Beide Fälle, Leipzig wie Halberstadt, fügen sich ein in eine lange Reihe rechter Versuche, die Schauplätze von NS-Gräueln zu entwürdigen und die Aufarbeitung zu sabotieren. Am eifrigsten ist dabei die AfD. Die plakatierte auf dem Gelände des einstigen KZ Buchenwald etwa den Spruch »Mut zur Wahrheit«. Und Rechtsextremist Björn Höcke verunglimpfte nicht nur das Berliner Holocaustmahnmal als »Denkmal der Schande«, sondern forderte auch eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad«. Was darunter zu verstehen ist, formulierte Höckes Parteifreund Alexander Gauland einmal so: »Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.«
Die deutschen Massenmorde als Vogelschiss: Das ist genau der Geist, dem Jugls Bunkerprojekt gehorcht.
Jugls Aussichten
Wie geht es weiter? Wie ließe sich Jugls Treiben stoppen? Und was hat dieser nun vor?
Das Land steckt in der Zwickmühle, will es sich mit Jugl aber offenbar nicht verscherzen: Der bislang öffentlich zugängliche Teil des Stollens soll nämlich zu einem fast achtmal so langen Rundgang ausgebaut werden, das ist das erklärte Ziel – für das man sich allerdings mit Jugl einigen müsste. Und das könnte teuer werden. Und peinlich.
»Die Kaufsumme soll objektangemessen sein, sie dürfte weit unterhalb der Herstellungskosten liegen.«
Peter Jugl, Investor
Die Landesregierung weist jede Verantwortung für dieses erinnerungspolitische Desaster von sich: Jahrelang habe man versucht, einen Teil der Anlage zu erwerben. Der Insolvenzverwalter, der den KZ-Stollen an Jugl verkaufte, widerspricht. Die Behörden, sagt er, hätten drei Zwangsversteigerungstermine verstreichen lassen. Ähnlich argumentiert auch Jugl: Das Land, so sein Anwalt, verhalte sich »widersprüchlich, planlos, destruktiv« und wolle mit einer »polemischen Schattendiskussion« den öffentlichen Ärger auf ihn abwälzen.
Jugl hat nun Konsequenzen gezogen, und die werfen einmal mehr die Frage auf, ob er es mit den unterirdischen Schutzräumen jemals ernst meinte. Sein Projekt hat er nämlich vorerst gestoppt und den Stollen zum Kauf angeboten, allerdings mit einer absurd kurzen Frist bis Ende Oktober: Falls niemand schnell zuschlägt, soll es mit dem Bunkercoin-Projekt wie geplant weitergehen.
Jugls Anwalt beteuert, dieses Angebot sei ernst gemeint. Doch einer der Bunkercoin-Mitstreiter schreibt in einer öffentlichen Chatgruppe: »Mit diesem Angebot zeigen wir lediglich, dass niemand, auch nicht das Land Sachsen-Anhalt, ernsthaft Interesse hat, den Bunker zu kaufen.« So könne man vermutlich auch »noch mehr Publicity erreichen« und »Kritiker auflaufen« lassen. Garniert ist das Ganze mit einer vermeintlichen Großzügigkeit: Den historischen Stollenteil, so heißt es seit Donnerstagabend auf der Bunkercoin-Homepage, wolle man der Gedenkstätte überlassen, als »kulturellen Beitrag und zur Bewahrung der historischen Bedeutung der Anlage«. Allerdings nur, wenn das Land den Rest des Geländes kauft, und zwar für mehrere Millionen Euro. Über einen »vermeintlich zu hohen Preis« möge sich bitte niemand beschweren, schreibt Jugl selbst im Chat: »Die Kaufsumme soll objektangemessen sein, sie dürfte weit unterhalb der Herstellungskosten liegen.«
Herstellungskosten, das steht da wirklich. Als ginge es nicht um einen Ort, an dem Tausende Zwangsarbeiter zu Tode gequält wurden.