Ein Zwischenfazit zur Hausprojekt-Debatte

Wir wollen uns noch einmal zu Wort melden, um unser Hauptanliegen deutlich zu machen und einen etwas versöhnlicheren Ton anzuschlagen. Wir waren wütend und dadurch zu polemisch. Leider ist das Anliegen unseres Textes daher etwas untergegangen. Wir werden in unseren nächsten Texten diplomatischere Worte finden. An Diskussionen über „Spalter“-Vorwürfe/innerlinke Streitigkeiten und Recht auf Raumnutzung werden wir uns daher nicht beteiligen. Es sei nur soviel gesagt, wenn solche autoritären und dogmatischen Forderungen von der anderen Seite kommen würden, würden wir diese auch nicht unterstützen.
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Wer die Leipziger Debatte verfolgen will, hier die Links:
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Zum Hausprojektetext: Einige Missverständnisse, ein Angebot und etwas ganz Anderes
Kritik am Kollektiv des Køpi Haus während der Räumung des Wagenplatzes von der Interkiezionale : https://de.indymedia.org/node/168593
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Wir wollen an erster Stelle die Diskussion um Auszüge von Personen aus politischen Hausprojekten beiseitelassen. Wie gesagt, dies war nur ein (umstrittener) Teilaspekt unseres Textes. Die Hauptforderung des Textes ist darunter unglücklicherweise verschüttet worden. Es ging uns in erster Linie nicht um „gate-keeping“ oder einen „sicheren Nestplatz“, sondern um kostenlos nutzbare Plenums- und Bar-Räume. Wenn Räume sich selbst finanzieren sollen, kann dies gemacht werden. Aber Menschen Konzerte organisieren zu lassen, bei denen ihnen nicht einmal die Getränkeeinnahmen zustehen, ist scheisze. Ebenfalls kacke ist, bei Soli-Abenden nur die Einnahmen von Cocktails oder Schnaps weiterzugeben. 10-20€ mehr Miete tut niemanden weh und sollten als Beitrag zur Bewegung verstanden werden. Wie gesagt, es sollte als Verantwortung und Aufgabe gelten, in (halb-)politischen Hausprojekten zu wohnen. Falls Räume sich doch selbstfinanzieren sollen, kann das in von den Betreibenden veranstalteten Abenden geschehen. Warum sollten wir wochenlang mobilisieren und arbeiten, damit der Großteil des Geldes an das Haus geht und wir noch nicht mal einen Mindestlohn raus haben, geschweige denn, Bruchteile der benötigten Summe für den Soligrund zusammenkriegen? (Und Räume, bittet kümmert euch um Legalisierung oder scheiszt richtig drauf. Es gibt nichts Sinnloseres als Räume, die nicht öffentlich beworben werden können und dadurch immer nur der eigene Freundeskreis die Solikosten ersäuft bzw. von Inhalten erfährt).
Wir fordern, dass das Mietshaussyndikat diese Punkte in seine Statuten aufnimmt und jedes politische Haus sich in dieser Hinsicht selbst reflektiert. Es ging uns also darum, dass politische Projekte wirklich politisch sein sollen. In politische Hausprojekte wurde viel Energie reingesteckt (auch von Menschen die nicht darin wohnen), um diese zu kollektiven Orten zu machen. Wir haben euch Geld gespendet, Strafbefehle bei Tag X + 1 Demos kassiert und viel Schweiß in Bautage gesteckt. Warum sollten wir das tun, wenn am Ende die Häuser reine billige Refugien für die ersten Bewohner*innen bleiben und diese voller Arroganz auf alle (jungen) Linken blicken?
Es geht nicht darum, jemandem seinen Wohnwagen, schnuckliges Einfamilienhaus oder Schöner-Leben-Hausprojekt wegzunehmen. Es freut uns, wenn Menschen angekommen sind und ein glückliches Leben führen. Aber bezeichnet diese privaten Rückzugsräume bitte nicht als „politisches Hausprojekt“. Es ist nun einmal keine selbstlose oder der Bewegung dienliche Arbeit, ein Haus jahrelang zu renovieren, wenn am Ende der einzige Nutzen davon ist, dass ihr darin wohnt. Die Reaktion einiger ehemaliger Hausbesetzer*innen auf Indymedia à la „Ich hab das gekauft/besetzt, bebaut und jahrelang darin gewohnt, also ist das jetzt meine Ressource“ zeigt das vorherrschende Eigentumsdenken. (Dass trotzdem noch von „Ressourcen“ gesprochen wurde, fanden wir sehr witzig). Versteht uns nicht falsch, der Einfluss einer geilen Wohngemeinschaft auf das psychische Befinden ist unbezahlbar. Der Rückhalt von Menschen, die verstehen, wie anstrengend und belastend politischer Aktionismus sein kann, schafft eine safe zone. Umso mehr sollte dieses soziale Netz besonders die auffangen, die von Repression und Gewalterfahrungen durch Bullen etc. betroffen sind. Doch in der Regel gibt es für peer groups von außen oft nicht einmal die Möglichkeit, die Räumlichkeiten für Reflektion und emotionale Care-Arbeit zu nutzen. Wir finden es in der Hinsicht wichtig, drei Formen von Hausprojekten festzuhalten: 1. private, 2.  halb-politische (einzelne politische Räume) und 3. vollkommen politische Hausprojekte bzw. autonome Zentren. Politische Hausprojekte sollten eher als soziale Einrichtungen wie Kindergärten oder Krankenhäuser bzw.(um im Szenesprech zu bleiben) soziale Zentren angesehen werden. Es sind Orte, die niemandem gehören und deren Errichtung der Gemeinschaft zugute kommt. In sie fließt selbstlos Arbeit, quasi als „Baubrigade“, ähnlich wie auch bei Infotelefonen, Security- und Küfa-Schichten usw….
 
Wir wollten also ein neues Bewusstsein für Hausprojekte schaffen. Es ist nunmal in den großen Städten, auch nach eigener Erfahrung, quasi nicht mehr möglich, Häuser zu besetzen oder zu kaufen. (Das geht an alle  Spaßvögel, die uns vorwerfen „es nicht selbst versucht zu haben“). Die vorhandenen Räume sollten daher als wertvolle Ressourcen betrachtet werden, welche möglichst effektiv genutzt werden müssen. Hausprojekte sollten also lebendige Orte der Propaganda, Anschlusspunkte und nutzbare Räume für kollektive Strukturen sein. Wir sollten uns in der Hinsicht auch fragen, ob jedes Haus wie ein Bruchbude aussehen sollte. Es ist so, dass wir nach jeder Räumung von unseren Verwandten, Kolleg*innen und nicht radikalen Freund*innen gefragt werden, ob die Vermüllung selbstverwalter Projekte nicht das beste Argument gegen Anarchismus ist. Es muss natürlich auch ranzige Projekte geben (Rest in Peace, Köpi!). Aber muss wirklich jedes politische Projekt so aussehen? Nonkomformismus und „Kulturrevolution“ ist wichtig, aber die soziale Revolution auch. Wir glauben, Häuser sollten Aushängeschilder der Bewegung sein, die zeigen, wie gut Anarchie funktionieren kann. Sie sollten als funktionierende Strukturen unsere Ideologie propagieren. Jedes Haus sollte am besten entweder eine insurrektionalistische Parole oder Schwarz-Roten-FAU Stern über der Tür haben. (Ja wir sind für Labels zur Propaganda und gegen einen Hyperindividualismus.) Am wichtigsten ist aber, dass Hausprojekte durch ihre bloße Existenz/Funktionsweise Orte der Propaganda sind. Hausprojekte könnten bspw. auch nicht immer nur Fahrradselbsthilfewerkstätten, Box-Räume und Bars beinhalten, sondern vllt. auch mal anarchistische Arztkollektive, Nachmittags- und Abendkinderbetreuung, Suchtberatung und Schießstände. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Die Kritik richtet sich daher auch an das Konsumdenken einiger Nutzenden. Wer in einem Projekt boxen geht, sollte es als selbstverständlich ansehen, auch mal die Flure zu wischen, den Müll rauszubringen und sich auch um andere Räume zu kümmern.
Nun doch zurück zum ersten Punkt. Wir waren wütend, weil wir erlebt haben, dass in angeblich politischen Hausprojekten verdrogte Studis eingezogen sind, deren einzige Kommentare auf Nutzungsplena von Bar-Räumen waren „Sorry dass ich die ganze Zeit einpenne, ich war gestern auf einem Rave“ und dass Bar-Flächen für die Finanzierung von DJ-Karrieren statt für Anti-Repressionsarbeit genutzt werden sollten. Es war uns quasi nicht möglich, Anschluss in Projekten zu finden, als wir jung und voller Tatendrang in eine Großstadt gezogen sind (nach einigen Jahren in der Szene geht das natürlich einfacher). Die Schwierigkeit der Bewertung von „richtiger politischer Arbeit“ sehen wir auch als problematisch an. Unser Fokus auf „Aktionen“ wurde zurecht kritisiert und das entspricht auch nicht unserem Verständnis von effektiver poltischer Praxis. Emo-Arbeit oder das Stellen von Strukturen und Bildungsarbeit sind mindestens genauso wichtig. Es zählt nicht nur blinder Aktionismus und die coolste Aktion. Wir denken, jede Person sollte sich da selbst reflektieren und auch in den Hausprojekten die vielfältigen Wirkungsweisen gesehen werden. Es ist aber nun mal so, dass Hausprojekte politische Kräfte bündeln, welche von einigen Personen nicht benötigt werden und von anderen dafür umso dringender. Wer nicht mehr gerne nächtliche Aktionen macht, regelmäßig Nazis blockiert, Spontis organisiert oder malen geht, braucht einfach nicht die Kontakte und Infos eines Hausprojektes. Es gibt ab einen gewissen Punkt Ermüdungserscheinungen und eine Hinwendung zu Arbeit, Familie oder anderen Sachen und das ist auch legitim. Einige von uns sind auch jetzt schon an dem Punkt, dass sie es ablehnen würden, in ein vollkommen politisches Hausprojekt zu ziehen, weil nach ihrem 8-Stunden-Tag Politik nicht mehr ihr Lebensmittelpunkt ist. Wir denken politische Hausprojekte sollten Orte sein, die jungen Menschen Kontakte, Raum und Zeit für ihre politische Aktivität geben. Hausprojekte sollten Orte sein, in denen hauptsächlich Personen wohnen, die gerade aktiv sind bzw. deren Hauptaktivität Politik ist. Auch wenn wir natürlich das Problem der „Verheizung“ sehen, überwiegen doch die schlechten Anschlussmöglichkeit der Szene für junge Menschen und die (häufige) Entpolitisierung mit zunehmendem Alter.
Eine bessere Anschlussfähigkeit würde auch eine stärkere Nutzung des Internets hergeben. Menschen ohne Szeneerfahrung, welche Plenumsräume für ihre erste Gruppe suchen, sind oftmals aufgeschmissen. Auch bei einem Umzug kennt mensch oftmals keine oder vllt. nur 1-2 Adressen. Aber auch mit langjähriger Erfahrung ist mensch immer wieder überrascht, welche Lädchen doch nutzbare Räume in der eigenen Stadt anbieten. Es wäre hier schön, wenn die Seite squat.net stärker genutzt und propagiert werden würde (oder eine neue Seite für (halb-)politische Hausprojekte ins Leben gerufen wird). Das Konzept von zentralen Seiten, wie bspw.Indymedia für Berichte, könnte auch auf Hausprojekte ausgedehnt werden (und auch für bundesweite subkulturelle Terminkalender um Anschluss an die Szene zu erleichtern, bspw. eine Fusion von Planlos-leipzig.de,bewegungsmelder.org, stressfaktor.squat.)
Uns ist auch wichtig zu erwähnen, dass es viele gute Beispiele für politische Projekte gibt, was sowohl das Stellen von Strukturen, als auch das Agieren als eigene politische Einheit angeht. Das auf Knack.news vorgeschlagene Index + Haus war zum Beispiel von Anfang an nicht mitgemeint (sehr netter Infoladen), aber auch zum Beispiel Projekte wie die Rigaer 94 und andere versuchen, ihre Ressourcen strategisch zu nutzen.
Und an diesem Punkt möchten wir einmal Danke sagen, an alle hundert Stammtische in Leipzig und die Antworten. Wir hätten nie gedacht, dass wir so viele Menschen erzürnen, verletzen und aufstacheln könne 😉 Die Antworten haben auch gezeigt, dass wir mehr (offene) Räume und Organisierung brauchen, die Rückhalt, (Kennenlern-)Basis und Vernetzung von autonomen Gruppen sind.  Mieter*innengewerkschaften, Mietshaussyndikat und Häuserräte sind wichtige Ideen, was nicht oft genug zu betonen ist. (Wir sehen ein, dass wir zu oft Alterswitze gebracht haben, was kontraproduktiv war. Die Reaktion einiger Kommentare von „Helikoptergeneration“ und „woken Neu-Linken“, spricht aber Bände und zieht Grenzen, die keine sein sollten)
PS an Casi Knacksi: Auch, wenn wir manche Punkte deines Textes anders sehen: „wenn euch politische Hausprojekte nicht politisch genug sind, dann geht doch in den Osten/aufs Land“. (Ja, die Provinz muss mehr in den Fokus, aber nicht alle Menschen haben Bock auf antifaschistische Arbeit und Kritik an Strukturen muss immer möglich sein). Doch dein Stil ist mega witzig. Hoffe wir können mal zusammen einen saufen. Wenn du Bars im Osten suchst, probier mal das Atari, die Wurze oder das erwähnte Index aus, vllt. triffst mensch sich ja da. Du erkennst uns an den schwarzen Klamotten, autonomen Phrasen und jugendlicher Anmut 🙂