Zum Hausprojektetext: Einige Missverständnisse, ein Angebot und etwas ganz Anderes

Anmerkung der Moderation:

Dieser Text ist ein Antwortschreiben auf den auf dieser Website erschienen Text: Aufruf an alle Hausprojekte ihre Infrastruktur wieder der Bewegung zu übergeben!


 

In dieser Stadt scheinen 100 Kneipentische auf 1 Schreibmaschine zu kommen. Und so zerreden sich jetzt viele den Mund über euren Text, aber niemand will euch antworten. Deswegen hier der doch eher individualistische Ansatz so einige Gespräche der letzten Tage mal zusammenzufassen.

Ich kenne euren Frust, denn ich teile ihn in anderen Momenten aufgeteilt auf mittlerweile viele Jahre immer wieder. Und viel wurde in den letzten 25 Jahren auch schon gesagt über Häuser, die kein Ort des politischen Kampfes mehr sind, meistens noch nicht mal mehr „Experimente eines kollektiveren Zusammenlebens“, sondern nichts besseres als privatisierte Wohngemeinschaften in einem Haus mit anderen – hoffentlich – netten Wohngemeinschaften. Viel ist auch mit Recht noch obendrauf gesetzt worden, als Corona gezeigt hat, dass auch die Leipziger Linke zu großen Teilen völlig einen an der Waffel hatte. Bei aller Sympathie, dem viel zu Großen satten, linksliberalen und von der Subkultur zerfressenen Anteil an der Leipziger „Szene“ immer wieder verbal einzuschenken, finde ich, dass eurem Text so einige Fehlannahmen zu Grunde liegen. Da ihr in heftigem Tonfall austeilt, ist es hoffentlich ok, jetzt auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

Fangen wir doch mal nett an:

Da eure Erfahrungen sich mit meinen nicht decken, scheint ihr diese einfach woanders zu machen als ich. Es gibt in dieser Stadt Räume, die anders funktionieren und „junge, engagierte Vollblutaktivisti“ zumindest mit Offenheit begegnen (im Erdgeschoss). Irgendwie scheint ihr auf eurer Suche diese nur noch nicht gefunden zu haben, schickt doch mal ne Email über den Projektevernetzungsverteiler, was ihr genau sucht für eure Veranstaltungen – wenn ihr zu dem keinen Zugang habt könnt ihr das bestimmt über einen der beiden autonomen Infoläden (Index/Osten und Samizdat/Westen) machen. Ich versprech euch, dass ich die nächsten Wochen eifrig die Augen offen und euch dann gerne anschreiben werde, falls mir und anderen nicht doch was Passendes für euch einfällt.

 

Nun aber mal zum Widerspruch. Los gehts:

a) Es hat nie ein Versprechen gegeben, dass gebrochen werden hätte können.

Wo habt ihr denn dieses „Große Buch Der Goldenen Regeln Für Hausprojekte“ gefunden? Wer hat euch denn jemals (im Namen aller existierenden und noch kommenden) Hausprojekte das Versprechen gegeben, diese hätten eure Ansprüche?

Ein Hausprojekt gehört (rechtlich, aber auch politisch) primär den Leuten, die darin wohnen. Und haltet euch fest: Die haben sogar schon bei ihrer Gründung oft gar nicht euren Anspruch gehabt. Warum sollten sie auch? Weil sonst der Häuserrat kommt und ihnen das Hausprojekt gründen verbietet?

Es ist kacke und nervt, das sehe ich ein: Das Leipzig so viele Hausprojekte hat liegt an bestimmten Dynamiken, die ihr nie die Chance hattet mitzugestalten: Vor 10, 20 Jahren waren Häuser hier einfach spottbillig. Jetzt sind sie sauteuer, Fenster zu, Chance verpasst und das ohne Schuld zu sein.

D.h. aber auch: Es haben hier einfach unglaublich viele Menschen Häuser gekauft. Und ein paar davon waren nicht nur Kleinbürger*innen, sondern sogar bauchlinks und ein paar noch weniger sogar links, und noch weniger sogar autonom. Und mal so nebenbei – die Leute haben teilweise Jahre ihres Lebens in den Ausbau dieser Häuser gesteckt, dabei dann ebenfalls prekär gelebt (da hatten die nämlich auch noch nicht ihr Studium abgeschlossen). Und ist es unfair, dass Häuser früher billig waren und jetzt unbezahlbar sind? Ja. Ist es deswegen die Schuld der Leute, die in den Häusern jetzt wohnen? Nein. Warum sollten Leute, die sich ihren eigenen Lebensraum ausgebaut haben, diesen jetzt verlassen?

Das Hausprojekte an sich ein Hort des autonomen Widerstandes seien ist ein Bild, dass sich – innen, wie außen – hartnäckig seit den 80ern, als das noch so war, hält. Es ist aber bloße Projektion. Und damit – leider – eure Projektion. Ihr könnt niemanden für eure falschen Erwartungshaltungen zur Rechenschaft ziehen.

b) „Hausprojekte-Zensus“

Ich hab mal durchgezählt: In meinem Projekt wohnen genau Null (0) Menschen, die „von der Bewegung“ bezahlt werden. Was ist das denn für eine merkwürdige Unterstellung? Und was soll das denn heißen? Und überhaupt: Wenn „die Bewegung“ Leute bezahlt, dann sollte dort, also in dem Lohnarbeitsverhältnis klargestellt sein, was das für eine Person ist und warum sie eigentlich Geld von „der Bewegung“ bekommt. Dann müsste sie sich ja wohl an diesem Ort (dem der Lohnarbeit) eh für ihren Alltag rechtfertigen – falls nicht ist „die Bewegung“ ja wohl selber schuld ihr Geld zu geben. Oder meint ihr der Kauf einer linken Zeitung berechtigt alle Käufer*innen zu entscheiden, was die Redakteur*in zu Hause an Lärm zu ertragen hat? Euer Bild von Hausprojekten scheint mir oberflächlich und dafür mit umso mehr Härte vertreten. Findet euch damit ab: Auch wenn sie das nicht über sich denken, leben in Hausprojekten einfach ganz normale Menschen. Manche haben extrem viel Geld, andere extrem wenig. Manche sind nett, manche sind Scheiße. Mit dem Leben in einem Hausprojekt gehen – entgegen eurer Erwartungshaltung – keine gesonderten Verpflichtungen einher, politischen Ansprüchen anders gerecht zu werden als in irgendner Mietswohnung.

c) „Wir coolen Autonomen“

Und wo wir schonmal dabei sind: Habt ihr in euren coolen Aktivisti-Kreisen untereinander eigentlich all das schon geklärt? Also habt ihr mal über Erbe geredet und wer von euch welches hat? Und wer easy an Geld von den Eltern rankommt und dass dann umverteilt? Verteilt ihr untereinander Geld um? Warum seid ihr eigentlich nicht Hartz-IV wenn ihr Politarbeit machen wollt? Bei meinen Freund*innen war es früher verpönt zu studieren. Warum studiert ihr also und müsst nebenbei noch arbeiten?

Nur mal so dahin gesagt. Denn ich wünsche euch ein gutes Studium und/oder eine Lohnarbeit, die euch Freude macht, wenn euch Hartz-IV nicht taugt. Aber schaut halt euch selber an und nicht andere in irgendwelchen giftigen Nebensätzen.

Abgesehen davon, dass ich finde, dass hinter eurem „wir machen jede Woche eine Aktion und ihr nix“ schon wieder diese verdammte Projezierei steht. (Rhetorische Fragen:) Was sind denn eure coolen Aktionen? Gehört da eigentlich Emo-Repro auch dazu? Oder Hintergrundarbeit: Recherche? Bildungsarbeit? Hausmeistertätigkeiten in linken Projekträumen? Arbeit in Basisgruppen?

Das sind alles nur mal so oberflächliche Anrisse, was all die Leute, die ihr vielleicht nicht auf euren „Aktionen“ seht, so machen. Und ich will damit eure Aktionen auch nicht verdammen oder schlechtmachen, gegenteilig. Aber da spricht von eurer Seite aus superviel Wertung raus, was ihr eben Tolles macht (und von so vielen tollen Aktionen, dass hier irgendwer einmal pro Woche irgendwas machen würde, lese ich aber nicht, oder ist es jetzt schon ne Aktion LeipzignimmtPlatz beim „Maske auf“-Rufen zu unterstützen oder irgendwo „Bullenschweine“ an die Wand zu malen?) – und diese dauernde „wir sind die Coolsten, weil wir Aktionen machen, Attitüde“ von Autonomen – egal ob 12 oder 55 – nervt einfach.

d) „Wir coolen Youngsters“

Sorry, aber ihr seid nicht mehr oder weniger wichtig, weil ihr jünger seid. Und andere nicht mehr oder weniger doof, weil sie älter sind. Entscheidend sollte das politische Handeln sein. Altersunabhängig. Da ihr aber selber diese Kategorie die ganze Zeit aufmacht: Schaut euch in eurer radikalen Bezugsruppe mal schön tief in die Augen: Mindestens ein Drittel – im Normalfall eher die Hälfte oder mehr von euch wird mit Mitte Dreißig nichts mehr machen und ihr werdet euch teilweise nicht mal mehr kennen. Das Gegenteil müsst ihr erstmal beweisen und könnt dann einen klugen und guten Text schreiben, wie ihr das geschafft habt alle am Ball zu halten. Das wäre – bestimmt auch nicht nur für mich – viel spannender als dieses sinnlose Altersgebashe eurerseits.

Sö.

And now to something completly different.

Ich finde euren Text ja gut. Da sind ja Missstände die ihr bennent, die ich sofort unterschreiben würde. Und ich finds auch richtig über solchen Frust zu reden, um daran die eigene politische Agenda zu schärfen. Nur ich frage mich so etwas was denn dieser euer Text (genau wie viele andere Texte) denn genau bezwecken soll? Also an wendet ihr euch da auf knack.news? Was ist denn diese Szene? Was ist denn diese „Bewegung“? Ich sag das nicht aus Abneigung euch gegenüber, sondern weil ich denke, dass es eben nichts bringt (und das machen andere seit vielen Jahren auch) immer wieder dieses Bild einer „Szene“ oder einer nicht-definierten „Bewegung“ zu benutzen um darauf dann irgendwelche Spiegelkämpfe auszufechten.

Was sich hier zeigt ist ja auch eher genau dieses grundsätzliche Probleme was eine diffuse „autonome“ oder „linke“ „Szene/Bewegung“ eben ausmacht: Alle behaupten es gäbe irgendwelche Standards, Klarheiten, etc. aber das hat halt einfach keinen wahren Gehalt. Dieses gerne laut geäußerte Gefühl, wie etwas zu laufen habe, ist nichts anderes als Ausdruck der eignen innerlichen Projektionen auf alle anderen. Das funktioniert oft ok, oft schlecht und dies eben spätestens wenn es mal ans Existenzielle geht (oder auch nur tiefer hinterfragt wird). Und Teile eures Textes zeigen ja auf, wie ein solcher Missstand zu bekämpfen wäre: Eben nur durch ernsthafte und verbindliche Organisierung. Denn wo ist denn in Leipzig die politische Struktur, die überhaupt in der Lage wäre gemeinsam Kriterien zu entwickeln, welchen politischen Ansprüchen Hausprojekte genügen müssten und gegenläufigen Dynamiken entgegenzusteuern – der letzte Ansatz für sowas (der sogenannte Häuserrat) ist im Leipziger Westen 2018 endgültig gescheitert – eine öffentliche Auswertung darüber gibt es meines Wissens nach leider nicht. In einem Setting mit verbindlicher Organisierung ließe sich dann zum Beispiel auch darüber nachdenken nicht andere aufzufordern ihren Wohnraum zu verlassen, sondern diese Leute mit billiger Miete in einen Solitopf einzahlen zu lassen, mit dem euch dann zum Beispiel eure Wohnungen gemietet werden (Natürlich nur, solange ihr den politischen Ansprüchen gerecht werdet).

Solche Strukturen, die miteinander verbindliche Kriterien erarbeiten und auch kollektive Kraft entfalten können (es bringt euch ja auch nichts, wenn ich euch von meinem Hartz-IV jetzt 10€ gebe), brauchen aber eben mehr als autonome oder anarchistische Cliquen, die sich in einem (anonymen) und unverbindlichen Meinungsaustausch gegenübertreten. Und ich denke bevor wir dauernd irgendwelche Scheingefechte im Nebel führen und uns über „Haltungsfragen“ streiten, stehen solche Fragen, nach Organisierung und Perspektive dringender auf der Tagesordnung.

Wir sehen uns auf der Straße oder vielleicht dann mal auf eurem wilden Tresen,

fragend, stolpernd ins neue Jahr,

einer von denen.