Applaus für die Angeklagten
In Dresden hat das neueste Großverfahren gegen Antifas begonnen. Vor Gericht verteidigen sie den Selbstschutz gegen Rechts
Das ideologische Konstrukt der Anklage zielt auf meine Haltung als Antifaschist und die antifaschistische Bewegung ab«, sagte der 49-jährige Thomas J. zur Eröffnung des neuesten Antifa-Verfahrens vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden. Der Prozess steht in einer Reihe mit anderen Ermittlungsverfahren, die unter den Überschriften »Antifa-Ost-Verfahren« bzw. »Budapest-Komplex« den Sicherheitsbehörden Anlässe für eine eskalierte Repressionswelle gegen Antifaschist*innen liefern.
Mit großem Sicherheitsbrimborium startete Ende November nun der Prozess gegen sieben Antifaschist*innen in einem unangenehmen Zweckbau am unwirtlichen Stadtrand von Dresden. Angeklagt ist neben Thomas J. auch der Leipziger Johann G., der als zentrale Figur bei den Angriffen auf Neonazis präsentiert wird. G. war Anfang November 2024 festgenommen worden, nachdem er fast vier Jahre abgetaucht war.
Noch läuft im selben Zusammenhang auch das Verfahren gegen Maja T. in Budapest. Der Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte vor dem OLG Dresden endete im Mai 2023 mit hohen Haftstrafen. Das Verfahren vor dem OLG München in einem Hochsicherheitstrakt der JVA Stadelheim gegen Hanna S. endete erst im September mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Ein weiteres Verfahren gegen sechs Angeklagte beginnt im Januar in Düsseldorf.
Für Boulevardmedien ist das alles eins und läuft unter »Antifa Ost« oder »Hammerbande«, der Generalbundesanwalt (GBA) liefert den nötigen Stoff, für die Angeklagten bedeutet das Vorverurteilung, kein faires Verfahren, keine unvoreingenommenen Richter*innen und in einem Fall sogar Doppelbestrafung.
Den Angeklagten in Dresden werden Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung sowie neun schwere Straftaten an verschiedenen Orten in Ostdeutschland und in Budapest zur Last gelegt. Zwei davon wertet die Bundesanwaltschaft (BAW) als versuchten Mord.
Hinzu kommt noch ein Anschlag auf einen Laden der bei Nazis beliebten Modemarke Thor Steinar in Dortmund. Angesetzt sind über 120 Prozesstage, terminiert bis Ende April 2027. Eine besondere Brisanz hat die Anklage, weil sie über weite Strecken auf den Aussagen des Kronzeugen Johannes Domhöver beruht, der nach der Eröffnung eines Vergewaltigungsverfahrens gegen ihn einen Deal mit den Behörden eingegangen war und in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde.
Die Einstellungsanträge und Eröffnungsstatements der Verteidigung sowie die Erklärungen der Angeklagten dokumentieren, wie instrumentell das Spiel der Verfolgungsbehörden mit dem Paragrafen 129 (Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung) und der neuen internationalen Antifa-Hysterie ist – mit wahrscheinlich erheblichen Folgen für die Angeklagten. All das kam am ersten Prozesstag in Dresden zur Sprache, doch ist nicht zu erwarten, dass sich die BAW oder das Gericht davon beeindrucken lassen werden.
Politisierung in den Baseballschlägerjahren
Umso wichtiger war am zweiten Prozesstag die Erklärung von Thomas J. zu seinem antifaschistischen Selbstverständnis – und wie es in der Nachwendezeit entstand. »Die Wende« hatte der damals 13-Jährige als eine Zeit nahezu unbegrenzter Gewaltexzesse von Neonazis in ganz Ostdeutschland erlebt, mit besonderen Auswirkungen im ländlichen Raum wie dem, wo er aufwuchs, nahe dem brandenburgischen Königs Wusterhausen (»KW«). Habe er zunächst noch gedacht, es sei normal, dass rechte Schüler*innen »alternative Jugendliche« terrorisierten, merkte er bald, dass er selbst in den Fokus geriet. Es kam zu Angriffen auf ihn, Menschen in seiner Umgebung starben, einem Brandanschlag entkam er selbst nur durch Zufall.
J. erinnerte an das Dorf Dolgenbrodt, unweit seiner Herkunftsgemeinde, wo die Bevölkerung Ende 1992 einen Neonazi dafür bezahlte, die Geflüchtetenunterkunft anzuzünden. Mehr als 200 Menschen wurden seit dem Fall der Mauer bis heute in Deutschland von Nazis ermordet.
Eine wichtige Episode ist für Thomas J. die Geschichte des Führers der United Skins in »KW«, Carsten Szczepanski, der 1992 die schwere Misshandlung und den Mordversuch an dem nigerianischen Lehrer Steve Erenhi anführte. Szczepanski tauchte später als Blood-&-Honour-Kader im Kontext des NSU-Komplexes wieder auf – als Spitzel des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Obwohl er wichtige Informationen zum untergetauchten Kerntrio des NSU lieferte, stoppten die Behörden die Mörder damals nicht.
Diese Erfahrung von Straflosigkeit für die Täter*innen, der fehlende polizeiliche Schutz für Angegriffene und die Verstrickung des Inlandsgeheimdienstes in die Gewalt haben Thomas J. wie viele andere zu einem Antifaschisten gemacht, dessen Maxime der Selbstschutz und die Nothilfe für Angegriffene ist: »Die Aufgabe aller Antifaschist*innen besteht darin, von rechter Gewalt betroffene Menschen zu schützen und dem Aufstieg von Faschismus Einhalt zu gebieten«, sagte J. vor Gericht.
Auch andere Angeklagte wiesen darauf hin, dass die Konstruktion einer »kriminellen Vereinigung« eine Verkennung der Nachwenderealität, nazistischer Gewalt und des aktuellen Rechtsrucks bedeute.
Extremismusvorwurf und Vorverurteilung
Der Extremismusdoktrin folgend, braucht die Staatsräson offenbar ein »linksextremes« Gegenbild zur extremen Rechten, um den demokratischen Bankrott der bürgerlichen Mitte im Kampf gegen die Faschisierung der Gesellschaft zu kaschieren. Dazu wird antifaschistische Not- und Gegenwehr mit der mörderischen Gewalt von Nazis gleichgesetzt. Das habe auch die Ex-Innenministerin, Nancy Faeser (SPD), getan, so die Verteidigung von Thomas J., als sie dessen Festnahme 2024 mit dem Tweet feierte:
»Der Rechtsstaat hat einen langen Atem im Kampf gegen gefährliche Linksextremisten. Niemand kann sich im Untergrund sicher fühlen.« Neben der Vorverurteilung als »gefährlicher Linksextremist« suggeriere Faeser einen »Untergrund« und »eine besonders große Gefährlichkeit, die keine Entsprechung in den strafrechtlichen Vorwürfen und dem Umstand (haben), dass er in Berlin, an seinem Wohnsitz, festgenommen wurde«.
Die Verteidigung von Tobias E., einem weiteren Angeklagten, wies überdies darauf hin, dass ihrem Mandanten eine Mehrfachbestrafung drohe, die in Deutschland verboten ist: Tobias E. hatte wegen des Vorwurfs, Mitglied in einer kriminellen Vereinigung zu sein, bereits in Ungarn zwei Jahre in Haft – und zwar unter menschenrechtswidrigen Bedingungen – zugebracht.
Auch müsse, so die beiden Verteidiger*innen, sichergestellt werden, dass nach der Einstufung der sogenannten Antifa Ost bzw. »Hammerbande« als internationale terroristische Vereinigung durch das US-Außenamt dem Mandanten und den anderen Angeklagten nicht weitere Nachteile entstünden.
Die Folgen der US-Politik seien in keiner Weise vorhersehbar. Deshalb beantragten die Verteidiger*innen, behördliche oder gar geheimdienstliche Beobachter*innen im Dresdener Gerichtssaal, durch die Informationen aus dem Gericht auch an fremde Dienste abfließen könnten, ausfindig zu machen und aus dem Prozess zu verbannen.
Die Verteidigung Thomas J.s monierte außerdem, dass ihr Mandant am falschen Gericht angeklagt sei und sein Verfahren vor einer niedrigeren Gerichtsbarkeit vermutlich längst abgeschlossen wäre. Die Vorwürfe gegen ihn zeugten von keiner »besonderen Gefährlichkeit« – eine Voraussetzung für die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft –, was die BAW noch im Dezember 2021 im Grunde selbst so gesehen habe, ehe sie das Dresdener Verfahren willkürlich unter dem Paragrafen 129 bündelte:
»Es werden über die Einbeziehung von Herrn J. in dieses Großverfahren somit strafgleiche Fakten geschaffen.« Kronzeuge Domhöver sei wegen derselben Vorwürfe im Kontext der Geschehnisse in Eisenach nach Einstellung der Paragraf-129-Vorwürfe mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Ihrem Mandanten jedoch würde nicht einmal – wie ursprünglich Domhöver – Mitgliedschaft in, sondern nur Unterstützung der Vereinigung vorgeworfen.
Knatsch in der Soliszene
Fast alle Verteidiger*innen äußerten zudem die Befürchtung, das Gericht könnte voreingenommen sein, zumal drei der Richter*innen bereits im Verfahren gegen Lina E. geurteilt haben und es lebensfern wäre zu glauben, sie würden nun unbefangen alle Tatsachen neu abwägen und bewerten. Auch diese Rügen der Verteidigung verhallten ohne Wirkung.
In besonderem Fokus stand an den ersten Verhandlungstagen der Hauptangeklagte Johann G.: Die Bild-Zeitung führte ihn genüsslich als den großen Dämon des Verfahrens vor. Sie zeigte ihn dabei mit einem T-Shirt des »Nova«-Tanz-Festivals in Israel, wo die Hamas am 7. Oktober 2023 360 Besucher*innen ermordet und etliche weitere als Geiseln in den Gazastreifen entführt hatte.
Dies führte zu Kapriolen sowohl in der Soliszene, in der sich einige Gruppen von G. als »Zionisten« distanzierten, als auch in der JVA, wo G.s Shirt einige Tage später zur »Wahrung des Anstaltsfriedens« beschlagnahmt wurde.
Vor und im Gericht hatten sich an diesen ersten Verhandlungstagen etwa 50 Freund*innen und Unterstützer*innen eingefunden, die die Angeklagten mit Jubel und Applaus begrüßten. In der solidarischen Szene läuft seit dem Beginn der Repression und mit Blick auf die Vorwürfe gegen Domhöver eine Diskussion über Sexismus und sexualisierte Übergriffe, deren Vertuschung und Mackertum in der antifaschistischen Bewegung. Und über die Frage, ob und wenn ja welche Art Gegenwehr und -gewalt gegen Nazi-Gewalt legitim ist. (1)
Anmerkung:
1) Eine interessante Lektüre ist dazu das Herbstheft 2023, Nr. 140, des Antifaschistischen Infoblatts.
Fritz Burschel
ist Historiker, Politikwissenschaftler und Publizist. Er beobachtete für NSU-Watch, Radio Lotte Weimar und die Rosa-Luxemburg-Stiftung über fünf Jahre den NSU-Prozess in München.