From the River to Hamas

Nicht umsonst gilt die Filmemacherin Heiny Srour als eine Ikone der Palästina-Solidaritätsbewegung. Unermüdlich engagiert sie sich seit Jahrzehnten für „ein säkulares, demokratisches, sozialistisches Palästina für Juden, Christen und Muslime“.

Davon zeugt nicht zuletzt ihr zweiter Film Leila and the Wolves (1984), der sich mit dem Anteil von Frauen am Widerstand in Palästina und in der libanesischen Linken beschäftigt. Auch ihr Erstlingswerk The Hour of Liberation Has Arrived (1974) ist inzwischen längst kein Geheimtipp mehr, sondern ein Klassiker des antikolonialen Kinos.

Für die Dreharbeiten war die Filmemacherin Anfang der 1970er Jahre zusammen mit einem Kameramann und einem Tontechniker, beladen mit schwerem Equipment, 800 km vom Südjemen in die omanische Provinz Dhojar zu Fuß durch die Wüste gelaufen, um den dortigen Kampf der maoistischen Popular Front for the Liberation of the Occupied Arabian Gulf (PFLOAG) gegen den Sultan von Oman und die Briten zu dokumentieren.

Der Film ist deswegen so besonders, weil es sich bei der PFLOAG um die einzige feministische Guerilla der arabischen Welt handelte, was Srour in ihrem Film mit zahlreichen Bildern von kurzhaarigen und mit Maschinengewehren bewaffneten Frauen unterstreicht.

Auch eine Migration ins südliche Nachbarland kam für die 1945 in eine bürgerliche jüdische Familie in Beirut geborene Filmemacherin nie in Frage. Sie bevorzugte ihr Leben in der jüdischen Gemeinde im Libanon und verließ das Land erst 1969, um in Paris bei dem Marxisten Maxime Rodinson ihre Doktorarbeit über die Lage der Frauen in der arabischen Welt zu schreiben.

Als die Regisseurin am Abend des 17. September 2025 im großen Saal des Berliner Kinos Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz vor die vielen hundert Menschen tritt, die gekommen sind, um sich ihren Palästina-Film anzuschauen, wird sie entsprechend mit großem Applaus bedacht. Bereits in den einleitenden Worten betont Srour, dass sie sich schon immer gerne zwischen alle Stühle gesetzt habe, und erzählt die Anekdote, wie sie 1983 eine vorläufige Fassung von Leila and the Wolves vor Angehörigen aller ethnisch-religiösen Bevölkerungsgruppen des Libanons – Drusen, Schiiten, Sunniten, Maroniten etc. –, aber auch Unbeteiligten wie etwa einer britischen Gruppe zeigte, um deren Meinungen über den Film einzuholen.

Alle hätten ihn insgesamt für gelungen befunden, so Srour, aber jede Gruppe hatte eine Szene, die ihr nicht gefiel und bei der sie darum bat, sie herauszuschneiden. Noch heute sichtlich erfreut sagt Srour grinsend, wenn sie den Wünschen aller entsprochen hätte, wäre am Ende kein Film übrig geblieben. Sie hatte also ihr Ziel erreicht: niemanden mit Kritik zu verschonen. Srour beendet die Einführung mit den Worten, dass sie sich auf eine hoffentlich kontroverse Diskussion nach dem Film freue.

Ihr nonkonformistischer Ansatz zeigt sich auch deutlich in dem Film. Er entwickelt seine Handlung ausgehend von der Protagonistin Leila, die gerade dabei ist, in London eine Ausstellung mit historischen Fotografien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert über den palästinensischen Widerstand zu installieren. Ausgesucht wurden die Bilder allerdings von ihrem Partner Rafiq. Als er die Ausstellungsräume betritt, konfrontiert sie ihn mit der Frage, was er eigentlich gegen Frauen habe. Rafiq versteht nicht, was Leila meint. Weil er kein einziges Bild ausgesucht habe, auf dem Frauen zu sehen sein, erklärt sie. Ach, erwidert Rafiq, damals hätten sich einfach noch keine Frauen am Widerstand beteiligt.

Daraufhin setzt eine erste vignettenhafte Rückblende ein: Während palästinensische Männer in den unübersichtlichen Gassen der Jerusalemer Altstadt gegen die Besatzungsmacht demonstrieren und die ersten dabei von den Briten erschossen werden, sind es die Frauen auf den Balkonen, die sie retten, indem sie die Soldaten mit Blumentöpfen bewerfen oder einem Kessel kochendem Teewasser übergießen. Auch in den anderen Rückblenden, die zeitlich bis zum libanesischen Bürgerkrieg vorrücken, macht Srour den oftmals übersehenen Anteil von Frauen am Widerstand gegen die britische Besatzung, die zionistischen Irgun-Milizen während des Massakers in Deir Yassin und christlich-falangistische Paramilitärs im Libanon sichtbar.

Würde sich der Film allein auf diese Geschichtskorrektur beschränken, auf diese „ungehörten Stimmen aus dem Archiv“, wie es heute in Kunstkreisen so schön heißt, wäre er allerdings schnell langweilig. Statt dem männlichen Heroismus lediglich einen weiblichen an die Seite zu stellen, scheut sich die Regisseurin nicht, auch die patriarchalen Missstände in den eigenen Reihen anzuprangern.

Direkt an die Vignette mit den Blumentöpfen schließt sich eine weitere an, die ebenfalls im Jerusalem des frühen 20. Jahrhunderts angelegt ist. Darin schluchzt eine Jugendliche, weil ihr Vater ihre Schulhefte zerrissen hat und ihr deutlich macht, dass sie keine weitere Bildung brauche. Ihre Tante versucht sie mit den Worten zu trösten, dies stimme doch, weil sie ja bald heiraten werde. Was eine solche Heirat mit sich bringen kann, macht Srour dann mit weiteren kleinen Szenen aus dem Leben der Tante mit ihrem cholerischen und gewalttätigen Ehemann deutlich. Solche Szenen, die patriarchale Gewaltverhältnisse innerhalb der widerständischen Gemeinschaften kritisieren, ziehen sich durch den weiteren Verlauf des Films über die Jahrzehnte hinweg.

Auch in der anschließenden Diskussion macht Srour deutlich, dass sie politische Bewegungen ungern mit Kritik verschont, nur um deren Einheit nicht zu gefährden. Bereits in ihrem ersten Statement vor den weiterhin zahlreichen Gästen, von denen viele eine schwarz-weiße Kufiya über ihre Schultern gelegt haben, legt sie ihre Sicht auf die aktuelle Lage in Palästina und Israel dar:

Es sei wichtig, Widerstand gegen den Genozid in Gaza zu organisieren, aber vielem, was in den Solidaritätsbewegungen vertreten wird, könne sie nicht zustimmen. So sei sie etwa gegen die Verwendung der von der Hamas in die Welt gesetzten Parole „From the River to the Sea…“, denn sie laufe letztlich auf eine ethnische Säuberung hinaus. Und auch wenn momentan alles dagegen spreche und Israels Gesellschaft rechtsradikaler sei denn je, hoffe sie darauf, dass irgendwann ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen in einem demokratischen Palästina möglich werde, etwa durch eine Zweistaatenlösung.

Gerade das Beispiel Deutschland, so die Filmemacherin weiter, zeige doch, dass selbst ein Land mit faschistischer Vergangenheit wieder zu einem halbwegs demokratischen Staat werden könne.

An diesen Aussagen der Regisseurin ist zwar sicherlich einiges nicht ganz korrekt, etwa dass besagte Parole von der Hamas stamme und auf eine ethnische Säuberung ziele (auch wenn man sie so interpretieren kann) oder Deutschland den Nazifaschismus erfolgreich aufgearbeitet habe.

Aber die Zielsetzung ist richtig: Die Misere, in der Israel/Palästina seit vielen Jahren gefangen ist, muss überwunden werden, sodass alle Menschen ungeachtet ihrer Zugehörigkeit gleichberechtigt zusammenleben können. Dass eine solche Perspektive nach dem antisemitischen Massaker vom 7. Oktober, zwei Jahren Massenmord im Gaza-Streifen und rechtsradikalem Siedlerterror in der Westbank momentan ferner denn je scheint, sollte gerade für Kommunist:innen kein Grund sein, nicht an ihr festzuhalten.

Sicherlich kann man Srour auch vorhalten, dass sie sich vorab nicht wirklich damit beschäftigt hatte, wie aufgeladen die Debatten in Deutschland besonders mit Blick auf die besagte Parole sind. Doch die Diskussion nach dem Film zeigte, wie weit sich Teile der Palästina-Solidaritätsbewegung in Deutschland mittlerweile von jeglicher Perspektive auf ein säkulares und sozialistisches Palästina für alle entfernt haben.

Noch während Srour spricht, kann man im Saal spüren, wie hier für einige gerade ein Idol zerbricht. Es wird getuschelt, die ersten verlassen demonstrativ den Saal. Der erste Wortbeitrag aus dem Publikum fasst dies dann in Worte: Sie finde den Film ja klasse, erklärt eine Frau, aber den Äußerungen der Regisseurin müsse sie entschieden widersprechen. Als sie in aktivistischen Floskeln darüber spricht, weshalb die von Srour kritisierte Parole richtig sei, redet sie so schnell, dass die 80-jährige Filmemacherin ihr nicht mehr folgen kann. Mehrfach fordert Srour sie auf, langsamer und deutlicher zu sprechen, da sie nicht mehr so gut höre.

Als die Frau fertig ist, bittet Srour sie sichtlich um eine sachliche Diskussion bemüht darum, dass sie ihre Aussage nochmal begründen soll, damit man darüber diskutieren könne. Die Begründung hat es in sich. Zwar beteuert die Frau im Publikum mehrfach:

„I’m a communist!“, nur um dann von einem heroischen Widerstand der Hamas zu sprechen, die gar nicht antisemitisch sei – sie habe nur etwas gegen Zionisten, nicht gegen Juden. Abschließend wiederholt sie nochmal, dass sie eine Kommunistin sei, und betont, auch die PFLP habe sich dem Widerstand der Hamas angeschlossen.

Rein zufällig sitze ich im Saal in der Nähe einer Mitorganisatorin des Abends von der Gruppe Making Waves Berlin, die laut Selbstbeschreibung „einen Raum schaffen“ will, in dem „verschiedene Perspektiven respektiert werden“. Als die erste Person aus dem Publikum noch redet, kommt ein anderes Mitglied der Gruppe auf sie zu und sagt sichtlich erzürnt: „We have to stop this. She said things that are unacceptable. We already stopped filming the talk. And we have to make a statement.“

Während die beiden noch darüber beratschlagen, wie sie Srour, deren Filme viele Jahre wegen ihrer kommunistischen und feministischen Positionierung in großen Teilen der arabischen Welt nicht gezeigt werden durften, zum Schweigen bringen können, antwortet die Regisseurin auf den ersten Beitrag aus dem Publikum.

Sie sagt dabei so „inakzeptable Dinge“ wie etwa, dass das eine Massaker nicht das andere Massaker rechtfertige, der Angriff der Hamas auf israelische Zivilist:innen abscheulich sei und ihre Ideologie falsch. Zu diesem Zeitpunkt hat bereits mehr als die Hälfte des Publikums demonstrativ den Saal verlassen. Das Gespräch geht noch kurz mit ähnlichen Wortmeldungen weiter, bis schließlich eine Mitveranstalterin von hinten in den Saal ruft, man habe leider keine Zeit mehr und das Gespräch sei nun zu Ende.

Dieser versuchte Diskussionsabbruch bekommt nun eine gewisse Komik, weil eine Verantwortliche des Kinos Babylon ebenfalls im Saal sitzt, angesichts dieser Ansage verwundert schaut und entgegnet, es sei noch reichlich Zeit für die Diskussion, da im anderen Kinosaal sowieso noch ein Film laufe.

Daher geht das Gespräch weiter, doch an dem Stil ändert sich wenig. Immer wieder versuchen einzelne Leute auch über den Film zu sprechen, den gerade alle gesehen haben, und kritisieren, wie hier mit Srour umgegangen wird. Doch ihnen werden schnell die Worte im Mund verdreht; die Aussage etwa, dass man Abschiebungen im heutigen Deutschland nicht mit den Vernichtungslagern der Nazis vergleichen könne, wird als eine Rechtfertigung von Abschiebungen attackiert. Auch zwei Leute von Making Waves lassen es sich nicht nehmen, ihren Gast öffentlich verbal anzugreifen.

In den letzten beiden Jahrzehnten galt es in der weiß-deutschen Linken weithin als normal oder sogar emanzipatorisch, dass eine verfolgte Minderheit sich vor weiterer Verfolgung zu schützen versucht, indem sie eine andere Gruppe systematisch vertreibt, entrechtet und immer wieder massakriert. Wenn nun auch hierzulande Stimmen laut werden, die die Grundlagen des zionistischen Staatsprojekts und die „Crazies of a Jewish Jihad“ (Haaretz) hinterfragen, kann man das nur begrüßen. Das macht es aber umso wichtiger, eine eigenständige kommunistische Position zu vertreten.

Gerade unabhängige Stimmen wie die von Heiny Srour, die sich nicht scheuen, beide Seiten zu kritisieren, sind vor diesem Hintergrund unverzichtbar.

Wie Teile der Berliner Palästina-Szene an diesem Abend mit der jüdisch-libanesischen Filmemacherin umgegangen sind, ist ein Skandal und zeigt, dass mit diesen Leuten keine Befreiung zu machen ist.