Nächste Anklagewelle gegen Antifa-Szene

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen siebe Linke. Sie sollen als Teil der Gruppe um die Leipzigerin Lina E. Rechtsextreme angegriffen haben.
Es ist der nächste Schlag der Bundesanwaltschaft gegen die linke Szene: Nach Angaben mehrerer Verteidiger*innen hat die oberste Ermittlungsbehörde Anklage gegen sieben Linke erhoben, denen vorgeworfen wird, an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen zu sein. Die Bundesanwaltschaft rechnet sie der Gruppe um die Leipzigerin Lina E. zu, die bereits vor zwei Jahren mit drei Mitangeklagten zu einer gut fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und diese derzeit absitzt.
Der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht Dresden stattfinden. Eine Gerichtssprecherin bestätigte der taz, dass Anklage erhoben wurde. Weiter wollte sie sich nicht äußern, bis nicht alle Beschuldigten die Anklage erhalten hätten. Wann der Prozess beginnt, sei offen, so die Sprecherin. Räumlich aber sei im Hochsicherheitssaal des Gerichts genug Platz für die Zahl an Angeklagten, ihre Verteidiger*innen und mögliche Nebenkläger*innen. Die Bundesanwaltschaft wollte sich am Freitag zu dem Verfahren nicht äußern.
Unter den nun Angeklagten ist nach taz-Informationen der Leipziger Johann G., der frühere Lebenspartner von Lina E., den die Bundesanwaltschaft als Mitanführer der Gruppe sieht. Er war vier Jahre abgetaucht, bevor ihn die Polizei im vergangenen November in einer Regionalbahn in Thüringen fasste. Zuvor soll eine Bekannte von ihm observiert worden sein. Johann G. ist von der Polizei als linksextremer Gefährder eingestuft, für Hinweise auf seinen Verbleib waren bis zu 10.000 Euro Belohnung ausgesetzt.
Nach Aussage eines Kronzeugen, der nach Vergewaltigungsvorwürfen im Herbst 2021 aus der linken Szene verstoßen wurde, sollen Johann G. und Lina E. die Gruppe gemeinsam angeführt haben. Sie hätten zu Trainings und Überfällen eingeladen. Insgesamt soll die Gruppe mindestens sechs Angriffe von 2018 bis 2020 verübt haben. An fast allen davon soll Johann G. beteiligt gewesen sein.
Die anderen nun Angeklagten, alle aus Leipzig oder Berlin, sollen sich an einzelnen Angriffen beteiligt oder die Gruppe unterstützt haben. Die Bundesanwaltschaft bewertet diese als kriminelle Vereinigung. Neben Johann G. sitzen drei weitere Beschuldigte in Haft. Einer der Inhaftierten, ein 48-jähriger Berliner, wird als Kampftrainer der Gruppe beschuldigt. Er war bereits im vergangenen Oktober in Berlin festgenommen worden.
Auch Angriffe in Budapest werden vorgeworfen
Neben Johann G. sollen zwei weitere der Beschuldigten auch an Angriffen auf Rechtsextreme im Februar 2023 in Budapest beteiligt gewesen sein, am Rande des europaweiten Szeneaufmarschs „Tag der Ehre“. Einer der Angeklagten, Tobias E., war bereits vor Ort in Budapest festgenommen und in Ungarn zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden, die später auf anderthalb Jahre verkürzt wurde. Nachdem Tobias E. diese Strafe abgesessen hatte, wurde er nach Deutschland ausgeliefert – wo er wegen der weiteren Vorwürfe der Bundesanwaltschaft erneut festgenommen wurde. Er saß seitdem im Hochsicherheitsgefängnis der JVA Burg, wo ihn die taz zuletzt besuchte und er über Gewalt und Willkür in den ungarischen Gefängnissen berichtete.
Der zweite Beschuldigte, der auch in Budapest dabei gewesen sein soll, war fast zwei Jahre abgetaucht, bevor er sich im Januar mit sechs weiteren Linken der Polizei stellte. Seitdem sitzt er, wie die anderen, in Haft.
Strafanzeige gegen das LKA Sachsen
Mehrere Verteidiger*innen der Beschuldigten kritisierten die Anklage in einer Erklärung deutlich. „Es erscheint bereits jetzt höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann“, heißt es dort. Dem Landeskriminalamt Sachsen, das die Ermittlungen führte, werfen die Anwält*innen vor, „nicht neutral“ ermittelt zu haben.
Zudem seien „eine Vielzahl von Ermittlungsergebnissen und persönlichen Informationen“ aus dem Verfahren rechtswidrig an Journalist*innen weitergegeben worden, auch in einem größeren Hintergrundgespräch Anfang Mai. Der Verteidigung sei da noch gar nicht bekannt gewesen, gegen welche Personen mit welchen Vorwürfen der Generalbundesanwalt Anklage erheben würde.
Bereits am 14. Mai 2025 erhoben die Anwält*innen deshalb nach eigener Auskunft Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Dresden wegen Geheimnisverrats gegen den Staatsschutz des sächsischen LKA und ihren Leiter Denis Kuhne. Sie regten an, die Diensträume zu durchsuchen und sämtliche Kommunikationsgeräte sicherzustellen. „Das Vorgehen des LKA Sachsen verstößt fundamental gegen die Unschuldsvermutung“, heißt es in einer Erklärung der Verteidiger*innen. „Unsere Mandant:innen waren und sind aufgrund der Informationsweitergabe einer staatlicherseits lancierten öffentlichen Vorverurteilung ausgesetzt. Ein faires Verfahren erscheint deshalb bereits jetzt fraglich.“
Weitere Anklage-Runde steht noch aus
Wegen der Budapest-Angriffe steht eine weitere Anklagerunde der Bundesanwaltschaft noch bevor. Ungarn fordert zwar die Auslieferung der deutschen Beschuldigten. Die Bundesanwaltschaft erklärte aber bereits, dass die Verfahren größtenteils in Deutschland geführt werden sollen – ausgenommen ist bisher nur ein Beschuldigter mit syrischer Staatsbürgerschaft. Eine finale gerichtliche Entscheidung steht noch aus.
Eine Person, die nonbinäre Maja T., wurde dagegen bereits im Juni 2024 ausgeliefert – rechtswidrig wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte. Gegen T. läuft derzeit ein Prozess in Budapest, in dem 24 Jahre Haft drohen. Seit Donnerstag ist Maja T. im Hungerstreik. Im Prozesstag am Freitag verlas T. dazu eine Erklärung, in dem die Haftbedingungen kritisiert werden. „Ich wurde im Knast lebendig begraben“, heißt es dort. „Ich ertrage das nicht mehr.“ Ungarn missachte „meine Menschenrechte und meine körperliche Unversehrtheit“.
Maja T. fordert die Rücküberstellung nach Deutschland und einen Prozess dort. Das Auswärtige Amt hatte erklärt, es setze sich für bessere Haftbedingungen ein. Über eine Ausreise nach Deutschland müssten aber ungarische Gerichte entscheiden.
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MDR INVESTIGATIV 05. Juni 2025, 18:41 Uhr
Neuer Prozess – Sieben weitere Anklagen gegen Umfeld von Lina E.
Aus dem Umfeld der verurteilten Leipziger Studentin Lina E. sind sieben weitere Personen angeklagt worden. Die Bundeanwaltschaft wirft ihnen Bildung einer linksextremen kriminellen Vereinigung sowie gefährliche Körperverletzung vor. Vier Beschuldigte sitzen nach Informationen des MDR in U-Haft.
Die Bundesanwaltschaft klagt sieben weitere Personen aus dem Umfeld der Leipziger Studentin Lina E. an. Das bestätigten mehrere mit den Vorgängen vertrauten Person gegenüber MDR INVESTIGATIV. Den nun Beschuldigten wird u.a. Bildung einer linksextremen kriminellen Vereinigung sowie gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Sie sollen Teil einer Gruppe sein, die teils auch unter den Namen „Hammerbande“ oder „Antifa-Ost“ bekannt wurde. Andere Mitglieder der Gruppierung wurden bereits im Mai 2023 vor dem OLG Dresden verurteilt. Die Bundesanwaltschaft wollte den Sachverhalt auf MDR-Nachfrage zunächst nicht kommentieren.
Mit sieben Angeklagten, die womöglich auch dieses Mal von je zwei Rechtsanwältinnen verteidigt werden, und zwei Bundesanwälten als Anklagevertretern dürfte das Verfahren größer werden als das Verfahren gegen die erste Gruppe im sogenannten „Antifa Ost“-Komplex. Hinzu könnten noch Nebenklagevertreter kommen, sollten sich Geschädigte entscheiden, als solche aufzutreten.
Mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft
Weder die Bundesanwaltschaft noch das Oberlandesgericht Dresden wollten sich auf MDR-Nachfrage zu den Verfahren äußern. Eine Gerichtssprecherin bestätigte jedoch, dass man eine Hauptverhandlung dieser Größe im Sitzungssaal am Hammerweg durchführen könne.
Bei einem der Beschuldigten handelt es sich nach MDR-Infos um Johann G., den Verlobten von Lina E. Er wurde Anfang November 2024 von Zielfahndern des sächsischen Landeskriminalamts in einer Regionalbahn in Thüringen festgenommen und befindet sich seitdem in Dresden in Untersuchungshaft.
Beschuldigte sollen Eisenacher Neonazi im Visier gehabt haben
Bei zwei weiteren Beschuldigten soll es sich um Männer handeln, denen die Ermittlungsbehörden die Teilnahme an einem Überfall auf den verurteilten Eisenacher Neonazi Leon R. im Dezember 2019 vorwerfen. Beide sollen nach Behördenerkenntnissen auch in die Überfälle auf Rechtsextremisten in Budapest im Februar 2023 verwickelt gewesen sein.
Einer von beiden wurde dafür von einem Budapester Gericht zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, die zwischenzeitlich verkürzt wurde. Nach seiner Überstellung nach Deutschland befindet er sich wegen weiterer Vorwürfe seit Dezember 2024 jedoch wieder in Untersuchungshaft. Auch ein vierter Beschuldigter soll an den Überfällen in Budapest beteiligt gewesen sein. Er stellte sich zusammen mit sechs weiteren Personen im Januar den Behörden.
Kritik der Verteidigung an Vorwürfen
Ein vierter Mann wurde von der Bundesanwaltschaft im Oktober 2024 in Berlin als Unterstützer der Vereinigung festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, als „Kampfsporttrainer“ für den Rest der Gruppierung tätig geworden zu sein. Zudem wird er von einem ehemaligen Mitglied der Gruppierung, Johannes D., der mittlerweile als Kronzeuge umfangreich mit den Behörden zusammenarbeitet, beschuldigt, an einem Überfall auf die Eisenacher Neonazikneipe „Bull’s Eye“ beteiligt gewesen zu sein.
Antonia von der Behrens, Verteidigerin eines der nun Angeklagten erklärte dem MDR, ihr sei die Anklage noch nicht zugestellt worden. Die im Haftbefehl ihrem Mandanten vorgeworfenen Taten würden eine solches Großverfahren vor einem Oberlandesgericht jedoch nicht rechtfertigen, das Verfahren sei aufgebläht, „um ein Mammutverfahren gegen Antifaschist:innen in Sachsen zu erzwingen“, so von der Behrens weiter.
Die übrigen Verteidigerinnen haben sich auf MDR-Anfrage bisher nicht zurückgemeldet oder verwiesen auf die bislang nicht zugestellte Anklage. Das Oberlandesgericht Dresden muss nun entscheiden, ob es die Anklage zulässt.