Prozesstage 1 – 6 gegen Hanna im Budapest-Komplex

Der erste Prozesstag startete um 07.30 Uhr mit einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude mit starken Reden und Musik. Die Schlange für die Zuschauer*innen öffnete kurz vor 9 Uhr, wobei die Einlasskontrollen ewig andauerten. Drei Mitglieder der rechten Burschenschaft Danubia versuchten, sich in der Schlange anzustellen, wurden aber erfolgreich daran gehindert und wegbegleitet.

Der Prozess begann dann mit einer Stunde Verspätung gegen 10.30 Uhr . Der Gerichtssaal fasst ca. 100 Zuschauer*innenplätze, welche voll besetzt waren. In den ersten zwei Reihen mit Journos, alle anderen Plätze waren mit solidarischen Besucher*innen gefüllt (bis auf die zwei sehr unauffälligen Zivis mit Knopf im Ohr in der letzten Reihe).
Als Hanna den Raum betrat, wurde sie mit Standing Ovations und „You are not alone“- Rufen begrüßt, die mindestens zwei Minuten andauerten. Danach eröffnete der Vorsitzende Richter Stoll den Prozess und ging auf die Wahl des Gerichtssaals ein. Dieser sei nicht ausgewählt worden, weil das Gericht davon ausgehe, dass Hanna eine „Gefahr für die Allgemeinheit darstelle“, sondern aufgrund der polizeilichen Einschätzung der Sicherheitslage. Diese habe dazu geführt, dass in diesem Saal verhandelt werde. Des Weiteren fasse der Raum mehr Sitzplätze, was mehr Menschen ermögliche, dem Prozess beizuwohnen. Außerdem „sei der Saal freundlicher und heller, als die anderen Säle“, „das sei ja vielleicht ein gutes Vorzeichen“.

Anschließend verlasen die Vertreterinnen des Generalbundesanwalts (GBA), Oberstaatsanwältinnen Brunschier und Mand die Anklageschrift.

Angeklagt ist Hanna für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB, gefährlicher Körperverletzung und versuchtem Mord. Mit zittriger Stimme beschrieb Brunschier die angebliche Bildung einer kriminellen Vereinigung, wobei schon aus der Anklageschrift deutlich wurde, dass selbst dem GBA nicht ganz klar zu sein scheint, wann Hanna welcher kriminellen Vereinigung beigetreten sein soll und wann sich diese gegründet haben soll. So bleibt für die GBA offenbar trotz jahrelanger intensiver Ermittlungen offen, ob die Taten in Budapest nun von der selben „kriminellen Vereinigung“ verübt wurden, der auch die Taten im Antifa-Ost-Verfahren zu Last gelegt werden oder ob es sich um eine andere, neu gegründete „kriminelle Vereinigung“ handelt.

Oberstaatsanwältin Mand ging im Anschluss näher auf den Tathergang ein. Hanna wird vorgeworfen, an einem Angriff auf einen ungarischen Staatsbürger als auch auf die Neonazis Sabine Brinkmann und Robert Fischer beteiligt gewesen zu sein. Diese hätten zwar bei den Angriffen lediglich Platzwunden sowie Schädelprellungen erlitten, dennoch, so der GBA, hätten die Angreifer den Tod ihrer „Opfer“ in Kauf genommen.

Daraufhin verlasen Hannas Anwälte Yunus Ziyal und Peer Stolle die Eröffnungserklärung der Verteidigung. Zunächst gingen die beiden auf die Rahmenbedingungen des Prozesses als auch die Art und Weise, wie Hanna von den Sicherheitsbehörden behandelt wurde und wird, ein. Sie kritisierten unter Anderem die Stigmatisierung ihrer Mandantin durch die Wahl des Gerichtssaals:

„Wir befinden uns heute hier in dem Hochsicherheitssaal der Münchner Strafjustiz. Ein Saal, der extra gebaut wurde für Verfahren gegen Terrorist*innen, gegen Personen, denen eine besondere Gefährlichkeit unterstellt wird“, so Hannas Verteidiger Peer Stolle. „Es ist klar, welches Bild vermittelt werden soll: Unsere Mandantin ist so gefährlich, dass gegen sie im Gefängnis – und nicht wie in einem rechtsstaatlichen Verfahren – in einem Gerichtssaal verhandelt werden müsse.“

Dies käme einer Vorverurteilung von Hanna gleich. Auch der Umstand, dass der Fall vor dem Oberlandesgericht und nicht wie bei Körperverletzungen üblich vor einem einfachen Amtsgericht verhandelt würde, rücke genau wie einige Aussagen des Generalbundesanwalts Hanna in die Nähe des Terrorismus, was in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Tatvorwürfen stehe. Zudem prangerten sie ihre Sonderbehandlung in der JVA, als auch den erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung trotz starker gesundheitlicher Beschwerden an. Außerdem wurde Hanna, nachdem sie am Montag vor Prozessbeginn nach München in die JVA Stadelheim verlegt wurde, am Dienstag in einen stillgelegten Krankentrakt im Männerknast verlegt. Dieser war nicht beheizt und der Boden sehr kalt. Die Begründung hierfür war, dass vom Frauenknast keine direkte Verbindung zum Gerichtssaal vorhanden sei, vom Männerknast aber schon.

Auch wurde auf das Datum des ersten Verhandlungstags eingegangen, den Jahrestag des Hanau-Attentats. Hier wurde eine Brücke geschlagen zu rechten Gewalttaten, welche seit 1990 laut Amadeu Antonio Stiftung 220 Todesopfer gefordert haben. Doch „Rechtsextremist*innen die durch Antifaschist*innen getötet worden seien, Fehlanzeige“. Hanna versuchten Mord vorzuwerfen, entbehre jeder Grundlage. Vielmehr ziele die Anklage darauf ab, Antifaschist*innen als Menschen darzustellen, von denen sich andere Menschen fernhalten sollten, da sie auch den Tod ihres politischen Gegners in Kauf nähmen. Die Anklage zeichne ein Bild von gefährlichen Linksextremist*innen, während die Gefahr, die von Neonazi-Vernetzungstreffen wie dem „Tag der Ehre“ ausgeht, laut Anklage scheinbar keine Rolle spiele.

Auch die immer noch andauernde U-Haft von Hanna wurde scharf kritisiert, weil zum Einen offensichtlich keine Fluchtgefahr vorliege und Hanna zum Anderen in ihrem Zuhause angetroffen wurde, also nicht untergetaucht war. Auch die Tatsache, dass mit Ausnahme von Lina E. als angebliche Rädelsführerin keine der Angeklagten im Antifa-Ost Verfahren in U-Haft saßen, zeige die Unverhältnismäßigkeit von Hannas Inhaftierung.
Im nächsten Punkt ging es um Hannas persönliche Verhältnisse. Lebenslauf und Zeugnisse wurden von dem Vorsitzenden Richter Stoll verlesen. Gute Noten und spannende Facharbeitsthemen sorgten für auflockernde Lacher und Beifall im solidarischen Publikum.

Vor Ende des 1. Verhandlungstags wurden zwei Durchsuchungsprotokolle verlesen und das „Programm“ für den 2. Prozesstag verkündet. Zudem wurde abschließend besprochen, dass sich darum bemüht werde, Hanna vor und nach den Verhandlungstagen nicht mehr im Krankentrakt des Männerknasts unterzubringen.

Nachdem für Hanna applaudiert wurde, Parolen gerufen wurden und das Publikum den Saal verlassen hatte, konnten Hanna und ihre Familie noch einige Worte wechseln.

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Am 26.02.2025 fand der zweite Verhandlungstag statt. Wieder waren viele solidarische Menschen vor Ort und der Saal gut gefüllt. Auch zwei Zivis saßen wieder mit Knopf im Ohr hinten im Publikum.

Beinahe pünktlich wurde dann um 09.30 Uhr gestartet, beim Betreten des Gerichtssaals wurde Hanna wie auch schon vergangene Woche mit Standing Ovations begrüßt.
Hannas Anwälte kritisierten zu Beginn des Verhandlungstags, dass ein Vollzugsbeamter hinter ihnen freien Blick in ihre Laptops habe, dieser setzte sich dann weg. Dann meldete sich Hanna erstmals im Prozess zu Wort:

„Es ist mir ein Anliegen, mich selbst zu äußern.“ In den darauffolgenden Minuten verlas Hanna die Erklärung zu ihren persönlichen Verhältnissen und skizzierte ihren Lebenslauf. Dabei nahm sie zunächst insbesondere Bezug auf ihre „tolle Familie“ sowie ihre Politisierung durch einen gescheiterten Abschiebeversuch eines Mitschülers in der Nürnberger Fachoberschule nach Afghanistan 2017, bei der es bei einer Blockade des Bullenwagens zu Polizeigewalt kam.

So nehmen auch viele ihrer Arbeiten als Kunststudentin Bezug auf Themen wie Flucht bzw. die Abschottung der EU-Außengrenzen, Ungleichheit, Feminismus und rechte Gewalt. Auch half sie beim Ausbau eines Schiffs für die Seenotrettung und setzt sich seit vielen Jahren für eine bessere Welt für Alle ein.

Im zweiten Teil ihrer Schilderungen äußerte sich Hanna dazu, „was es bedeutet, im Gefängnis zu sein“ und dabei zudem einer „Sonderbehandlung“ ausgesetzt zu sein: Stark eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung mit extrem langen Wartezeiten trotz ernstzunehmender gesundheitlicher Probleme und Schmerzen, Verweigerung von vielen Aktivitäten und stark eingeschränkte Kommunikation nach außen usw. Zudem verschrecke das Vorgehen der Justizbehörden gegenüber Hanna ihre Mitgefangenen:

„Meine Zelle in der Frauenhaftanstalt wurde drei Wochen freigehalten, bereits das sorgte für viele Fragen und Gerüchte. Geäußert wurde: Da kommt eine Terroristin, die ist schlimmer als der IS. Mehrfach hörte ich auch den Namen Beate Zschäpe.“ Dieser Umstand zeigt, dass das völlig unangemessene Vorgehen der deutschen Behörden gegen Hanna nicht nur außerhalb der Gitterstäbe für Vorverurteilungen etc. sorgt, sondern Hanna auch innerhalb der JVA von anderen Gefangenen isoliert wird, was für eine erhebliche psychische Belastung sorgt, von der offensichtlich unzureichenden medizinischen Versorgung ganz zu schweigen.

Abschließend sagte Hanna „Das Bild, das von mir durch die Generalbundesanwaltschaft und die Polizei gezeichnet wird, ist nicht das, was ich bin. Es zeigt lediglich, dass Sie mit aller Härte gegen mich und die Mitbeschuldigten vorgehen.“ Mit den Worten ,Schau hin, tu was, sei laut“ beendete Hanna ihre Äußerung, das Publikum applaudierte.

Vor der ersten Zeugenbefragung wurde zudem noch kurz auf Hannas gesundheitlichen Zustand eingegangen, wobei klar wurde, dass Hanna und ihre Anwälte nach wie vor auf Untersuchungsergebnisse warten, über die der Vorsitzende Richter Stoll schon Bescheid wusste! Das lassen wir mal unkommentiert so stehen…

Bevor wenig später der erste Zeuge des Prozesses, Bulle Holzmann aus Nürnberg zu Hannas persönlichen Verhältnissen befragt werden sollte, „ermahnte“ der Vorsitzende Richter Stoll das Publikum. Zum einen sei das Aufstehen im Gerichtssaal nicht dazu gedacht, dem Gericht Respekt zu zollen, sondern dazu, dass alle kundtun die „Sache ernstzunehmen“ und hier „kein Larifari herrsche„. Zudem solle das Klatschen und Rufen in Zukunft unterlassen werden, das Publikum hätte seine Solidarität und die Fähigkeit sich zu koordinieren bereits gezeigt und Hanna wisse jetzt ja sicherlich, wie solidarisch das Publikum mit ihr ist. Außerdem dürfe der gleich anwesende Bullenzeuge Holzmann nicht beleidigt werden o.ä.. Ansonsten müsse er jene Menschen mit „Ordnungsgeld und vorübergehender Freiheitsentziehung“ bestrafen…

Bevor der Bullenzeuge Holzmann in den Saal gerufen wurde, verkündete der Vorsitzende Richter Stoll, dass diesem Lichtbilder aus der ersten Durchsuchung gezeigt werden sollen. Dagegen legten Hannas Anwälte Widerspruch ein. Der Umfang, in welchem die erste Durchsuchung stattfand und wie detailliert ihre Gegenstände fotografiert wurden, stehe in keinem Verhältnis zu den ihr vorgeworfenen Straftaten in jenem Verfahren. Die Bundesanwaltschaft hatte natürlich keine Bedenken.

Dem Widerspruch wurde nicht stattgegeben, somit betrat dann Bulle Holzmann durch den Eingang der JVA-Seite den Gerichtssaal. Er ist vom PP Mittelfranken, KFD 1, Kommissariat 14, Nürnberg, Kornmarkt 8, 53 Jahre alt. Er wurde zu Hannas persönlichen Verhältnissen befragt und ihm (und allen anderen im Saal) wurden Fotos und andere Gegenstände von Hannas erster Durchsuchung auf dem Beamer gezeigt. Er sollte sagen, ob er auf Fotos Menschen erkennen würde. „Ich bin mir nicht ganz sicher, ich bin mir sicher, ich bin mir zu 90% Prozent sicher, könnte X oder Y sein“ waren nur einige Begleitfloskeln seiner schwammigen und redundant behämmerten Aussagen. Besonders wild war auch, dass er der festen Überzeugung war, eine komplett nicht erkennbare Person (weil schlechte Bildquali und nette Verkleidung) zu erkennen („wegen Statur“). Auch der Vorsitzende Richter Stoll wollte es an dieser Stelle dann doch noch etwas genauer wissen, was er zum Anlass nahm, mal zum Zeugentisch zu gehen und sich anzusehen, ob Holzmann denn wirklich einen so viel besseren Blick auf das Foto habe – Überraschung: Nein.

Generell verstrickte sich Holzmann immer wieder in Ungereimtheiten und Widersprüche, bspw. bei Fragen nach der Herkunft von vorgehaltenem Bildmaterial, die durch kritische Nachfragen teils des Vorsitzenden Richters, teils der Verteidigung festgehalten werden konnten. Zahlreiche weitere Nachfragen der Verteidigung beantwortete Holzmann nur sehr widerwillig oder gar nicht mit Verweis auf seine „Aussagegenehmigung“. So machte er auch keine Aussage dazu, warum bei einer Durchsuchung bei Hanna in einer völlig anderen Strafsache bereits 2023 das LKA Sachsen beteiligt gewesen sei, wie aus Aktenvermerken zweifelsfrei hervorgeht.

Je mehr die Verteidigung nachbohrte, desto röter wurde Holzmanns Nacken, die Stimme ungehaltener und er kurz vorm Ausrasten. Dazu mache er keine Angaben, pipapo… Hannas Anwalt Ziyal drohte mit der Beantragung eines Ordnungsgelds gegen ihn, was ihm noch mehr rote Flecken im Nacken bescherte. Der Vorsitzende Richter Stoll bat Bulle Holzmann dann darum, ihm die Aussagegenehmigung doch mal zu zeigen und fertigte eine Kopie an.

Bulle Holzmann wurde dann gebeten den Saal zu verlassen. GBA, Anwälte und Richter*innen disktutierten dann, ob der Zeuge dazu aussagen müsse, wieso das LKA Sachsen scheinbar schon 2023 an einer Durchsuchung bei Hanna beteiligt war, warum bei der Durchsuchung welche Fotos gemacht wurden, wie da die Auswahl stattfand etc. (Fun Fact: Holzmann selbst war bei der Durchsuchung gar nicht dabei…) Eine der Richterinnen verkündete, das „zu prüfen“ und die Mittagspause wurde eingeleitet. (12:21)

Und noch ein kleiner Fact am Rande: Holzmann wurde auch schon in der Vergangenheit bei einem Gerichtsverfahren dabei ertappt, wie er dreist gelogen hat. Aufgedeckt wurde das tatsächlich von einem USK-Kollegen, der seine Aussage zweifelsfrei mit Videomaterial widerlegen konnte… soviel zu seiner Glaubwürdigkeit, aber naja, wem erzählen wir das.

Um 13:35 Uhr ging es dann weiter. Die beiden Jungzivis (gerade mal 18 oder so) wurden in ihren North-Face Jacken und Knopf im Ohr diesmal mit Sicht aufs Publikum hingesetzt, welch schöner Anblick…

In Bezug auf die Aussagegenehmigung Holzmanns wurde sich darauf verständigt, die Frage danach, warum, wieso, weshalb das LKA Sachsen scheinbar schon 2023 bei einer Durchsuchung zugegen war, an anderer Stelle weiter zu erörtern. Der dann wieder hinzugezogene Zeuge wurde zu Hannas Telefon befragt, wobei er sich anfangs angeblich auch nicht mehr ganz sicher war, wann er das in die Finger bekommen habe. Nach mehrmaligem Bohren von RA Ziyal konnte er sich dann widerwillig doch daran erinnern, dass er es durch eine Kontrolle in die Griffel bekam, bei der wohl auch DNA entnommen werden sollte.

Das Aktenzeichen zu dem Verfahren, in welchem die Kontrolle stattfand, konnte er dann natürlich wie aus der Pistole geschossen runterrattern (für alle die’s nicht wissen: Das sind 16 Zeichen… okay). Auch bei Fragen dazu, welche Überwachnungsmaßnahmen denn so gelaufen seien, wollte er zunächst nicht antworten und bezog sich wieder auf seine depperte Aussagegenehmigung. Nach Nachbohren gab er dann doch an, dass einige Überwachungsmaßnahmen getroffen wurden.

Der wenig später geladene Bullenkollege Täumler/Teumler vom LKA Sachsen, 37 Jahre gab bei seiner sehr kurzen Vernehmung bereitwillig Antwort auf viele Fragen, denen sich Holzmann zuvor verweigert hatte. Er war beim LKA Sachsen dafür zuständig, einen Personenbericht von Hanna anzufertigen. Hier gab er auch bereitwillig an, den Bericht des Kollegen Holzmann mehr oder weniger abgeschrieben zu haben. Das sei halt „ein bisschen wie in der Schule“, man „schreibt das halt ab“. Aha. Nur die Frage, warum und inwieweit das LKA Sachsen bereits 2023 an polizeilichen Maßnahmen gegen Hanna in einer völlig anderen Strafsache beteiligt gewesen ist, wird wohl noch eine Zeit lang ungeklärt bleiben…

Zum Schluss des 2. Prozesstags verkündete der Vorsitzende Richter Stoll noch das „Programm“ für den nächsten Prozesstag. Vier Bullen des LKA Sachsen sollen kommen und Videos aus Budapest „nach Tatkomplexen sortiert“ zeigen. Hannas Anwälte gaben hier an, dass tunlichst vermieden werden sollte polizeiliche Hypothesen ins Feld zu führen, dieser Effekt solle vermieden werden. Nach kurzem Schlagabtausch sagte der Richter dann noch, dass die „Zeugen eingebremst“ werden sollen, sollten diese polizeiliche Hypothesen aufstellen. Eine der Richterinnen gab dann noch an, das LKA Sachsen damit beauftragt zu haben, die Videos der „Tatkomplexe“ nach „Vortat-, Tat-, und Nachtat-Phasen“ aufgegliedert „vorzustellen“.

Um 14:26 Uhr endete der Prozesstag und Hanna wurde beim Verlassen des Gerichtssaals mit Applaus verabschiedet. FREE HANNA!

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Am dritten Prozesstag gab der SOKO Linx-Cop Daniel Mathe Einblicke in die Ermittlungsarbeit und die Zusammenarbeit mit den ungarischen Behörden, bevor einer seiner Mitarbeiter das absurde Theater unter dem Motto „Die schönsten Trambahnstrecken Budapests – Teil 1“ eröffnen durfte. So wurden den ganzen restlichen Prozesstag hindurch nur Videoausschnitte gezeigt, wie sich Menschen durch Budapest bewegen – ein für alle Prozessbeteiligten (außer die sichtlich begeisterten Cops) unfassbar langweiliges Schauspiel, das den Prozess wohl immer wieder prägen wird, wenn das Gericht hierfür kein besseres Vorgehen findet.

Am 11.03.2025 begann mit etwas Verzögerung um 9:40 Uhr der dritte Prozesstag. Hanna wurde wie gewohnt mit Applaus von den solidarischen Genoss*innen im Publikum begrüßt, wobei der Publikumsbereich noch etwas leer war. Aufgrund der langen Wartezeiten an der Sicherheitsschleuse waren die letzten der ca. 70 solidarischen Zuschauer*innen erst eine gute halbe Stunde später im Saal. Dafür fehlten diesmal die beiden Zivis mit Knopf im Ohr – vielleicht war ihnen selbst aufgefallen, dass das nicht so zu 100% unauffällig gewesen war.

Zu Beginn der Sitzung erklärte der Vorsitzende Richter Stoll, dass eine als Zeugin geladene Supermarktmitarbeiterin aus Budapest nicht erscheinen werde, da sie kürzlich Mutter geworden sei. Er schlug daher vor, ihr Vernehmungsprotokoll aus Ungarn in Übersetzung zu verlesen. Zudem wollen die angegriffenen Faschos Rafal und Justyna Barnak sowie Bartlomiej Wilk nicht erscheinen, weil sie angeblich Angst um ihre körperliche Unversehrtheit hätten. Eine mögliche Lösung sei eine Videovernehmung. Die Verteidigung habe bis zum nächsten Tag Zeit, sich zu überlegen, ob sie damit einverstanden sei.

Dann war es auch schon so weit und es kam zum Auftritt des SOKO Linx-Cops Daniel Mathe, der auch bereits aus dem Antifa-Ost-Verfahren bekannt ist. Er sollte erklären, was seine Funktion in den Ermittlungen gegen Hanna war und was es mit den Videos auf sich hat, die in den nächsten Prozesstagen gezeigt werden sollen. Er erklärte, dass er einer der beiden Hauptsachbearbeiter des Falls beim LKA Sachsen ist.

Auf den Fall seien sie durch ein Twitter-Video aufmerksam geworden, das am 11.3.2023 veröffentlicht wurde und einen der Angriffe zeigen soll. Ihnen sei dabei aufgefallen, dass die Vorgehensweise ähnlich sei zu dem, was sie aus dem Antifa-Ost-Verfahren kennen. Sie hätten daher die ungarischen Behörden kontaktiert, die auch schon einen Beschuldigten aus dem Antifa-Ost-Verfahren als Täter identifiziert haben wollten.

Bei einem Treffen in Ungarn sei dem LKA Sachsen dann eine Festplatte mit Videomaterial übergeben worden, anhand dessen sie dann weitere Personen identifiziert hätten. Hanna sei ihnen durch den Austausch mit den bayerischen Kolleg*innen bekannt gewesen und sie hätten auch früh einen Verdacht gehabt, dass sie eine der Personen auf den Videos sein könnte, identifiziert hätten sie sie aber dann erst im Jahr 2024.

Im weiteren Verlauf wurde deutlich, dass das LKA letztlich das Material aus Ungarn einfach unkritisch übernommen hatte. Bei der Lokalisierung von Kameras stützten sie sich im Wesentlichen auf die Namen der Ordner, in denen die Videos auf der ungarischen Festplatte lagen, manchmal führten sie ergänzend eine Recherche mit Maps oder Streetview durch. Es waren offenkundig auch schon Bearbeitungen vorgenommen worden, so lagen in den Ordnern z.B. bereits Screenshots. Metadaten waren nicht vorhanden. Dazu, wie die ungarischen Cops an die Videos gekommen sind, konnte Mathe nur wenig sagen.

Diese könnten einfach recht schnell auf das umfassende Überwachungssystem in Budapest zugreifen. Außerdem seien sie vorbereitet gewesen, da sie damit gerechnet hätten, dass es am Wochenende des „Tags der Ehre“ Angriffe geben könnte. Ob die Videos vollständig sind, wusste er auch nicht. Dass das nicht der Fall ist, wurde aber bald klar, als er zugab, dass einige Überwachungsvideos erst auf Nachforderung zur Verfügung gestellt wurden, nachdem das LKA sie bei einer Videokonferenz mit den ungarischen Behörden in deren PowerPoint-Präsentation entdeckt hatte. Er wisse aber nicht, ob die auch in Ungarn erst später erhoben worden seien.

Etwas unterhaltsamer wurde es dann, als Mathe erklärte, wie sie mit den schriftlichen ungarischen Originaldokumenten umgegangen sind, die sie im Spätsommer 2023 übermittelt bekamen. Da offenbar beim LKA Sachsen niemand ungarisch spricht, nutzten sie Google Übersetzer, mit der überraschenden Erkenntnis, dass sie immer noch nicht so wahnsinnig viel verstanden. Daraufhin beschafften sie eine DeepL-Lizenz. Da seien zwar immer noch lustige Sachen rausgekommen, aber dafür, die wichtigen Dokumente zu identifizieren, die für das Gericht professionell übersetzt werden müssten, habe es schon gereicht. Wie genau die Auswahl getroffen wurde und warum zum Beispiel ein ganzer Aktenband nicht übersetzt wurde, wusste er nicht.

Auf Mathe folgte dann der nächste Cop vom LKA Sachsen, ein Polizeivollzugsbeamter namens Neugebauer, der den Bericht zum Angriff auf die Faschos Rafal und Justyna Barnak sowie Bartlomiej Wilk geschrieben und die Videos zusammengestellt hatte. Damit nahm die Absurdität dann Fahrt auf, denn von 10:40 Uhr bis 16:15 Uhr sollten in der Folge insgesamt 54 Videos präsentiert werden, auf denen im Allgemeinen nichts besonderes zu sehen war. Der Zeuge sollte nicht sagen, wer seiner Meinung nach auf den Videos zu sehen ist, sondern nur auf Nachfrage erklären, wo die Kamera steht und von wann das Video sei.

In der Folge ging er aber immer mehr dazu über einen Livekommentar zu den Videos abzugeben, was von Hannas Verteidigung auch moniert wurde. Und so sahen wir uns Bahnen, Straßenkreuzungen und Plätze aus verschiedenen Perspektiven an (Neugebauer: „Das dient dem Zeitabgleich“) und lernten dabei nicht viel, außer dass es unmöglich ist, sich in Budapest auch nur einen Zentimeter zu bewegen, ohne von mindestens zwei Kameras erfasst zu werden. Angefangen im Haus, in dem die Beschuldigten gewohnt haben sollen (mit fünf Kameras ausgestattet), bis zum Tatort und wieder zurück wurde der Weg detailliert nachvollzogen mit dem Highlight, dass wir uns auch eine sechsminütige Trambahnfahrt in voller Länge ansehen durften.

Neugebauer war sichtlich stolz, seine Arbeit aus zwei Jahren zu präsentieren, alle anderen einfach nur der Verzweiflung nahe ob der nicht enden wollenden Videoabfolge. Zumindest wurde die Unfähigkeit deutscher Behörden immer wieder zur Schau gestellt, wenn Neugebauer die Kameras verorten sollte. Wie er dutzendfach betonte, hätten sie da eine interaktive digitale Karte erarbeitet, die sie aber wegen des fehlenden Internets im Gerichtssaal nicht zeigen könnten. Daher hatte er A3-Ausdrucke mitgebracht, die jeweils unter eine Dokumentenkamera gelegt wurden. Die Erfindung des Screenshots ist wohl noch nicht in alle LKA-Abteilungen vorgedrungen

Und so zog und zog sich der Tag, der höchstens hin und wieder etwas zum Schmunzeln anregte, wenn Neugebauer erklärte, dass jemand an der Lichtzeichenanlage verharre (an der Ampel stehen wäre auch zu einfach ausgedrückt) oder sich einen Gegenstand ans Ohr halte („Telefonieren“ wäre ja eine Interpretation). Nach der Mittagspause war der Publikumsbereich schon etwas leerer, um 16:11 Uhr hatten es dann alle geschafft, leider in dem Wissen, dass wir in der Chronologie erst kurz nach dem vermeintlichen Angriff (der übrigens auf keinem Video wirklich erkennbar war) angekommen waren und es am nächsten Tag genauso weitergehen würde.
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Der vierte Prozesstag war wie auch der dritte Tag überwiegend geprägt von der stundenlangen Vorführung von Videos, die laut LKA Sachsen die Angreifer*innen auf ihrem Weg quer durch Budapest zeigen sollen. Davon abgesehen gab es neue Entwicklungen, die leider wenig erfreulich sind:

Unter starkem Protest der Verteidigung ordnete das Gericht eine Vermessung von Hanna für den folgenden Tag an. Bei dieser soll mit fragwürdigen Methoden ein digitales 3D-Skelett erstellt werden, das dann mit Bewegungsabläufen auf Videos abgeglichen werden soll. Zudem wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz versucht hat, an die persönlichen Daten der Besucher*innen zu kommen, die laut Verfügung des Gerichts am Ende eines jeden Sitzungstags vernichtet werden müssen.

Am 12.03.2025 begann recht pünktlich um 9:34 Uhr der vierte Prozesstag. Hanna wurde wie immer mit Applaus begrüßt. Einer der beiden Justizangestellten, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, zu schauen, dass auch wirklich alle im Publikum aufstehen, wenn die Richter*innen kommen, hatte entweder noch nicht ausgeschlafen oder tief in seinem Innersten doch gespürt, wer hier tatsächlich Respekt verdient hat. Jedenfalls forderte er ein*e Zuschauer*in sehr nachdrücklich auf, aufzustehen, dabei war ja Hanna und nicht der Senat des OLG in den Saal gekommen. Dieser folgte aber wenig später und den Genoss*innen im Publikumsbereich sollte nach dem erheiternden Beginn die Laune schnell wieder vergehen, denn aus dem Prozesstag sollte wieder eine stundenlange Videovorführung des LKA werden.

Doch zunächst wurde wieder auf den Vortag und die Vorschläge des Senats zur Vernehmung weiterer Zeug*innen Bezug genommen. In allgemeinem Einverständnis aller Beteiligten wurde beschlossen, die Befragung der Supermarktmitarbeiterin aus Budapest durch die Verlesung einer Übersetzung ihres Vernehmungsprotokolls zu ersetzen. Nicht einverstanden war die Verteidigung allerdings mit dem Vorschlag, die angegriffenen Faschos Rafal und Justyna Barnak sowie Bartlomiej Wilk nur per Video zu vernehmen.

Deren Behauptung, dass ihre Sicherheit nicht gewährleistet werden könne, zog Rechtsanwalt Yunus Ziyal sehr in Zweifel. Sie sei zudem nicht begründet worden. Die Staatsanwältin Mand sah das wie zu erwarten anders, aber der Vorsitzende Richter Stoll sagte zu, dass er sich nochmal darum bemühen werde, die drei nach München zu bekommen, auch wenn das schwierig sei.

Und damit startete dann Teil 2 der Videovorführung „Die schönsten Tramstrecken Budapests“ mit dem bereits bekannten Live-Kommentator LKA-Bullen Neugebauer. Diesmal wurde der Weg derjenigen, die aus seiner Sicht die Täter*innen waren, vom Tatort bis zurück zur Wohnung verfolgt. Direkt zu Beginn fing Neugebauer an, über den Tascheninhalt einer Person im Video zu spekulieren und wurde prompt von Rechtsanwalt Yunus Ziyal eingebremst. Es entwickelte sich eine Diskussion mit dem Vorsitzenden Richter Stoll, in der man sich darauf einigen konnte, dass Neugebauer zumindest Spekulationen unterlassen sollte.

Neugebauer hatte immerhin über Nacht seinen Unterhaltungswert nicht verloren und übte sich weiter in kuriosen Umschreibungen des zu sehenden. Die ungarischen Bullen hatten nicht nur öffentliche Überwachungskameras gesichert, sondern unter anderem auch die einer Bäckerei oder um es in den Worten von Neugebauer auszudrücken „ein Shop, der Backwaren oder Dinge, die aussehen wie Backwaren, in der Auslage hat“. Auch am zweiten Prozesstag zeigte sich wieder, wie krass die flächendeckende Videoüberwachung Budapests ist. Mehrere Kameras schwenkten automatisiert und zoomten auch immer wieder in hoher Auflösung. Um 11:31 Uhr hatte das Leiden dann für alle vorerst ein Ende: Nach der Vorführung von insgesamt 93 Videos an zwei Prozesstagen wurde Neugebauer entlassen und auch alle anderen durften in die Mittagspause.

Nach der Pause wurde der Verteidigung ein Schriftsatz der Generalbundesanwaltschaft überreicht. Rechtsanwalt Yunus Ziyal erbat sich zumindest zwei Minuten, um diesen lesen zu können. Wie sich herausstellte handelte es sich um eine Verfügung zur Vermessung von Hanna für die Erstellung eines digitalen 3D-Skelekts, das dann mit den Personen auf den Videos abgeglichen werden soll.

Die Verteidigung hatte dieser Vermessung widersprochen. Die Vertreterinnen des GBA argumentierten nun die von der Verteidigung angeführten Gerichtsurteile bezögen sich auf Fälle, die nicht vergleichbar wären. Hier hätten die Gerichte argumentiert, dass nur sehr schlechtes Videomaterial vorliege und das Vermessungsverfahren in diesem Fall nicht verlässlich genug sei. In diesem Prozess lägen allerdings qualitativ gute Videos vor und die Vermessung diene nur der Beschaffung zusätzlicher Informationen, wäre also nicht das Hauptbeweismittel, auf das sie sich stützen würden. Die Verteidigung widersprach dieser Argumentation.

Vielmehr würden die Urteile darauf hinweisen, dass der Erkenntnisgewinn der Vermessung gleich 0 sei, da viel zu wenige Vergleichsdaten vorlägen. Der Eingriff in Hannas Privatsphäre stehe dazu in keinem Verhältnis (mehr zur sehr fragwürdigen Metodik der digitalen Forensik und dem zur Beauftragung vorgesehenen Forensic Science Investigation Lab der Hochschule Mittweida erfahrt ihr unter https://de.indymedia.org/node/498222).

Nach diesem Einstieg in den Nachmittag ging es weiter getreu dem Motto „nach der Pause kommt der Krause“. Denn der noch sehr jungenhaft wirkende Bulle des LKA Sachsen namens Krause, der den Bericht zum nächsten Tatkomplex verfasst hatte, nahm nun den Platz im Zeugenstand ein. Bezogen auf den Angriff auf den Fascho Tóth, zu dem das Video des Angriffs auch online verbreitet worden war, wiederholte sich nun das gleiche traurige Schauspiel.

Der Senat versuchte, das Ganze nun zumindest etwas zu beschleunigen und übersprang einige Videos, die nur Ausschnitte aus bereits gesehenen Zusammenschnitten zeigten. Insgesamt gelang es dem Gericht aber erneut nicht, die LKA-Bullen einzubremsen, sodass auch trotz deutlichen Überziehens nach dem zweiten Videotag erst etwa die Hälfte der Videos vorgeführt waren. Im Unterschied zum vorherigen Tatkomplex gab es diesmal auch deutlich erkennbare Aufnahmen des vermeintlichen Angriffs selbst.

Dabei hatten sich die Bullen erdreistet, diese so zu schneiden, dass sie nach den letzten vermeintlichen Tathandlungen endeten. Zumindest war eine Richterin so aufmerksam und forderte, die ganzen Videos zu zeigen, auf denen erkennbar war, dass Tóth direkt nach dem Angriff aufstand, seine Sachen einsammelte und zur nächsten Hausecke wegging, was die These eines versuchten Mords, doch sehr abwegig erscheinen lässt. Andererseits übernahm die Richterin in ihrem Eifer auch den Job der Staatsanwaltschaft und zeigte mehrere Videos, die sie eigenständig angefordert hatte, weil ihr aufgefallen war, dass diese gefehlt hatten. Gegen 16 Uhr hatte die Videovorführung ihr Ende für diesen Tag erreicht. Krause bekam wieder eine Pause und wurde entlassen. Er wird aber ein weiteres Mal geladen sein und dann wird es auch zu einer von der Verteidigung bereits angekündigten Erklärung zum Zeugen kommen.

Auf die Videoshow folgte der nächste Tiefpunkt: Der Vorsitzende Richter Stoll erklärte, er ordne die Vermessung von Hanna durch Professor Dirk Labudde von der Hochschule Mittweida an. Hanna habe dafür in kurzer Sporthose oder Boxershorts und mit ärmellosem Top zu erscheinen. Wenn sie nicht freiwillig mitmache, könne sie auch mit Gewalt gezwungen werden. Die Methode sei nicht generell untauglich, wie von der Verteidigung behauptet. Diese Entscheidung wurde von der Verteidigung beanstandet.

Der Senat forderte daraufhin eine sofortige Begründung der Beanstandung, was die Verteidigung kritisierte, da sie erst sehr kurzfristig davon erfahren habe. Das Vorgehen des Gerichts sei zwar StPO-konform, aber messe dem Schutz der Rechte der Angeklagten keine große Bedeutung zu. Auch wisse die Verteidigung kaum im Voraus, welche Zeug*innen geladen seien, um sich vorzubereiten. Zu nächster Woche sei z.B. nur ein Zeuge bekannt (der angeblich angegriffene Fascho Tamás Pál Lipták). Der Vorsitzende Richter Stoll erklärte, sie bekämen auch alle Infos sehr kurzfristig und es sei daher nicht anders möglich, es stecke keine Strategie gegen Hanna dahinter. In Bezug auf die Vermessung verwiesen Verteidigung und Generalbundesanwaltschaft auf die bereits vorgebrachten Gründe. Das Gericht folgte der Staatsanwaltschaft und ordnete die Vermessung für den nächsten Tag an.

Mit Blick auf nächste Woche wird zum Einen der Fascho Lipták erwartet, zum Anderen sollen weiter Videos gesichtet werden. Auch wenn unklar ist, ob Lipták wirklich auftaucht, wollen wir an dieser Stelle nochmal eindringlich dazu aufrufen, nächste Woche den Prozess solidarisch zu begleiten. Gerade wenn Faschos vor Gericht die Bühne bereitet wird, ist solidarische Unterstützung enorm wichtig,

Zum Abschluss dieser Prozesswoche möchten wir noch auf eine Information eingehen, die kürzlich bekannt wurde: Beim Einlass werden die Persos von allen Besucher*innen kopiert. Laut Verfügung des Gerichts müssen diese Kopien nach dem Prozesstag vernichtet werden. Sie sollen nur genutzt werden, wenn es zu Störungen kommt. Als aktive Antifaschist*innen waren wir nun aber wenig überrascht, dass dennoch der Verfassungsschutz auf die Ausweiskopien zugreifen wollte.

Der Vorsitzende Richter Stoll hat dies abgelehnt, aber uns ist klar, dass mit derartigen Methoden beim VS jederzeit zu rechnen ist. Sie setzen alles daran, Antifaschist*innen unter Druck zu setzen und zu spalten. Das werden wir nicht zulassen: Was ihr auch macht, wir werden Hanna in diesem Prozess weiter solidarisch begleiten. Wir lassen uns von euch nicht einschüchtern und weichen in unserer Position keinen Millimeter zurück. Denn wir wissen, dass wir auf der richtigen Seite stehen und nicht ein von Nazis aufgebauter Geheimdienst, der auch heute hochrangige Nazis auf der Gehaltsliste hat. Grüße an unsere fleißigen Leser*innen hinter den Bildschirmen unserer Lieblingsbehörde gehen raus.

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Der fünfte Prozesstag am 18.03.2025 glich dem dritten und vierten Prozesstag: Erneut wurden stundenlang Videos von Überwachungskameras gesichtet, sodass alle Prozessbeteiligten sich nochmals ausführlich mit dem ÖPNV in Budapest vertraut machen konnten. Hinzu kamen Videos von öffentlichen Straßen und Plätzen, einer Bar, in der die Beschuldigten gewesen sein sollen und sogar die Dashcam eines Autos. Ursprünglich war auch die Vernehmung des Faschos Támas Pál Lipták vorgesehen, der jedoch zur Enttäuschung der drei anwesenden BILD-Journalist*innen nicht erschien.

Nachdem Hanna von den solidarischen Prozessbesucher*innen mit langem, stehendem Applaus begrüßt worden war, begann nahezu pünktlich der fünfte Prozesstag mit mehreren Erklärungen der Verteidigung zu den am vierten Prozesstag eingeführten Beweismitteln zum Angriff auf den Fascho Tóth. Hier hob die Verteidigung insbesondere hervor, dass der Vorwurf des versuchten Mordes jeglicher Grundlage entbehrt, denn auf den Videos war nur ein Schlag zu erkennen, der klar den Kopf traf und Tóth habe sich die ganze Zeit über bewegt. Außerdem stellten sie auch die Behauptung in Frage, dass die Angreifer*innen das Vorgehen genau einstudiert hätten, denn auf den Videos war zu sehen, dass diese sich mehrfach gegenseitig behinderten.

Daran anknüpfend war ursprünglich die Vernehmung von Támas Pál Lipták vorgesehen, einem führenden Mitglied der Légió Hungária, die den „Tag der Ehre“ mitorganisiert. Der vorsitzende Richter Stoll musste jedoch feststellen, dass er nicht gekommen war, woraufhin die angereisten Sensationsjournalist*innen der BILD-Zeitung genau wie ihr Kollege von der FAZ enttäuscht wieder abreisten. Die Generalbundesanwaltschaft führte u.a. die Option einer Videobefragung ins Feld, erklärte sich schlussendlich aber genau wie die Verteidigung mit der Verlesung des Vernehmungsprotokolls durch die ungarischen Cops einverstanden.

Richter Stoll, dem deutlich anzumerken war, dass er den Text lieber zusammengefasst hätte, las zur Vermeidung von Verfahrensfehlern daraufhin, so schnell er sprechen konnte, das gesamte Protokoll vor, das größtenteils aus Formalia und Belehrungen bestand. Interessanterweise enthielt es keine persönlichen Daten von Lipták, obwohl dieser angegeben hatte, dass er keinen besonderen Schutz für seine Daten wünscht. Inhaltlich wurde Lipták wenig konkret. Er sei am Westbahnhof von einem Mann beobachtet worden. Dieser sei dann zusammen mit einer Frau in den Zug gestiegen und die Frau habe ihn mit einer Substanz besprüht, woraufhin er ein Brennen im Gesicht gespürt habe. Beschreiben konnte er die beiden kaum und wusste auch nicht, ob er sie wiedererkennen würde. Ihm vorgelegte Fotos halfen ihm auch nicht weiter, die beiden seien einfach in allen Belangen total durchschnittlich gewesen.

Warum er angegriffen wurde, konnte er sich nicht erklären. Sein Foto kursiere zwar in linken Portalen und er habe Abzeichen an der Jacke getragen, die seien aber sehr klein gewesen. Wenn sie ihn anhand dessen identifiziert hätten, müssten sie auf jeden Fall auf ihn gewartet haben, es habe aber niemand gewusst, dass er zu dieser Zeit dort sein würde.

Nach der Verlesung folgte dann von 10:38 Uhr bis kurz vor 17:00 Uhr der dritte Teil der Kinovorführung mit den schönsten Aufnahmen aus Budapest. Durch die Vorstellung führte diesmal eine 29-jährige Bullin vom LKA Sachsen namens Pein. Die Videos bezogen sich auf Tatkomplex 4, den Angriff auf den Nazirocker László Dudog, einem Mann mit 88-Tattoo auf der Brust. Neben Bildern aus einer Bar, in der die angeblichen Täter*innen gewesen sein sollen und der Straßenüberwachung kamen wieder viele Videos aus dem ÖPNV zum Einsatz. Nachdem in der Vorwoche eine sechsminütige Tramfahrt eines der vielen Highlights der LKA-Videoshow war, setzten sie nun noch einen drauf und wir durften eine ganze Busfahrt nacheinander aus insgesamt drei verschiedenen Perspektiven bestaunen.

Dudog, der vor Gericht in Ungarn ausgesagt hatte, er habe keine besonderen Erkennungsmerkmale gehabt und erst auf Nachfrage angab, auf seiner Mütze sei ein kleiner Totenkopf gewesen, war dabei mit einer Mütze mit riesigem SS-Totenkopf zu sehen. Der Eifer der ungarischen Cops schien keine Grenzen zu kennen, denn dem LKA lagen sogar die Aufnahmen der Dashcam eines Autos vor, das kurz vor dem Angriff an den angeblichen Täter*innen vorbeigefahren war. Der Angriff selbst war auf den Videos nicht zu sehen. Immer wieder wollten die Richter*innen auch die längeren Ausschnitte der Quelldateien ansehen, sodass vor der Mittagspause um 12:22 Uhr nur 18 von 31 Videos gezeigt werden konnten. Und so ging das Schauspiel auch nach der Pause nochmal eine gute Stunde weiter, bis Bullin Pein als Zeugin entlassen wurde.

Es folgte der dritte Auftritt des LKA-Bullen Neugebauer, der auch die Videos zum fünften Tatkomplex, den Angriff auf die deutschen Faschos Robert Fischer und Sabine Brinkmann, präsentieren durfte. Auch er zeigte die Videos aus der Bar, da dieser Angriff am selben Abend stattfand wie der auf László Dudog. Diesmal durften wir dem Geschehen in der Bar noch deutlich ausführlicher beiwohnen.

Da auch auf Initiative der Staatsanwältin Brunschier immer wieder in die Quelldateien geschaut wurde, sahen wir gefühlt den gesamten 41-minütigen Aufenthalt in der Bar. Zumindest war über eine Stunde vergangen, bis wieder Videos von außerhalb der Bar gesichtet wurden. Bei den Aufnahmen aus der Bar stellte sich teils auch heraus, dass sich die Personen dort anders verhielten, als Neugebauer es zuvor geschildert hatte. Überhaupt schien Neugebauer nicht mehr in Topform und sorgte kaum mehr für Lacher durch eigenartige Formulierungen, mit denen er in der Vorwoche noch brilliert hatte.

Dass zwischen dem Verlassen der Bar und dem nächsten Auftauchen der Gruppe auf einer anderen Kamera ca. eine Stunde verging, konnte er auf Nachfrage der Verteidigung nicht erklären. Aufnahmen des Angriffs selbst lagen auch im Fall Fischer/Brinkmann nicht vor. Dafür referierte Neugebauer mehrere Minuten darüber, was das An- und Ausgehen eines Lichtes an einem Haus, das von einer Überwachungskamera mit mehr als bescheidener Qualität erfasst wurde, bedeuten könnte. Es war wie schon die Tage zuvor: viel Spekulation, wenig Konkretes.

Erst um kurz vor 17 Uhr hatten alle Beteiligten die Vorführung für diesen Tag überstanden. Alle Videos aus Tatkomplex 5 waren aber noch nicht gezeigt worden, sodass es am nächsten Tag weitergehen würde, wenn auch ohne den privat verhinderten Neugebauer. Am nächsten Prozesstag sollten dann auch die ersten Identifizierungsvermerke vorgestellt werden.

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Der 6. Prozesstag am 19.3. begann pünktlich um halb 10, Hanna betrat wieder unter Applaus den Raum. Noch bevor die Richter*innen in den Saal kamen, wurde eine Zuschauerin von einem Gerichtsbullen dazu aufgefordert, ihr T-Shirt zu bedecken. Auf dem Shirt waren die Namen und Gesichter der Ermordeten des rechten Terroranschlags am OEZ gedruckt.

Richter Stoll stellte zu Beginn den Tagesplan vor:
Es sollten weiter Überwachungsvideos geguckt werden, die gestern nicht mehr geschafft wurden oder chronologisch nicht gepasst haben. Anschließend sollten zwei Polizeizeugen gehört werden. Stoll kündigte an, pünktlich um 14 Uhr Schluss machen zu wollen. Mehrere Videos zum Tatkomplex 5 wurden mal wieder in Augenschein genommen. Hierbei handelte es sich um die Aufzeichnungen von Überwachungskameras in und vor dem Haus in Budapest, in dem Hanna und andere Personen übernachtet haben sollen.

Danach betrat der Zeuge Furth vom LKA Sachsen den Gerichtssaal der JVA. Er war 2024 dafür verantwortlich einen Identifizierungsvermerk für eine Person (nicht Hanna sondern G.) die verdächtigt wird am Tatkomplex 5 beteiligt gewesen zu sein anzufertigen.Furth – ein 26 Jähriger mit Vokuhila und der Wortwahl eines Rentners – erzählte dann im Schneckentempo wie er zu der Aufgabe kam: im Rahmen seines Studiums zum Polizeikommissar absolvierte er ein Praktikum beim LKA Sachsen.

Hier wurden ihm von der Sachbearbeitung in einer Cloud vorsortierte Videos zur Verfügung gestellt, welche er für seinen Bericht über G. verwenden sollte (d.h. konkret: Ihm wurde vorsortiert welche Videos angeblich relevant sein sollten und welche nicht). Es folgte eine langwierige Erklärung, wie sich Furth den Tagesablauf von G. konstruiert hatte. Diese wurde von – bereits gezeigten- Videos begleitet. Kurz: Es sind Menschen in/vor einem Haus, einer Kneipe, in verschiedenen Bussen, wieder in einem Haus – irgendwann dazwischen sollen Faschos zu Schaden gekommen sein. Furth erklärte lang und breit wo und warum er G. auf den Videos erkannt haben will, das Wort „augenscheinlich“ fällt dabei minimum 10 mal. Er bezog sich bei seinen Äußerungen hauptsächlich auf Kleidungsstücke. Bei den anschließenden Nachfragen gab Furth an, vor Erstellung des Berichts nicht erkennungsdienstlich geschult worden zu sein. Die Frage, wer ihm die Videos zur Verfügung gestellt und vorsortiert habe, wollte er wegen seiner angeblich eingeschränkten Aussagegenehmigung nicht beantworten.

Es folgte die Vernehmung der Zeugin Kästner, Bullin beim LKA Sachsen, PMK links. Sie sei im Verfahren für das Anfertigen mehrerer Identifizierungsvermerke zuständig gewesen. Sie sollte zu ihrem Bericht zu L. befragt werden. Ablauf und Videos waren praktisch identisch wie beim vorherigen Zeugen. Es ging sehr viel um irgendwelche Kleidungsstücke und wann diese angeblich wie getragen wurden.

-11:30 – 12:30 Pause-

Zum Abgleich zog Kästner zwei Fotos von L., eins vom Einwohnermeldeamt, eins von Social Media, heran. Zu ihrer Methodik bei der angeblichen Identifizierung von individuellen Gesichtsmerkmalen gab es einige kritische Nachfragen der Verteidigung die darin endeten, dass Kästner anfing, das Gesicht von Hannas Anwalt zu kommentieren. Als nochmals nachgebohrt wurde wie viel Prozent der Bevölkerung denn diese und jene Gesichtsmerkmale aufweisen, antwortete sie schippisch, dass sie das ja wohl nicht wissen könne… ok. Generell schienen ihr kritische Nachfragen zu ihrem Bericht, ihren Methoden und den daraus folgenden Schlussfolgerungen eher weniger zu gefallen.

Auch sie wollte nicht sagen, wer die Vorauswahl der Videos übernommen hatte. Nach ihrer Entlassung (sie wird wegen anderer Personen in den kommenden Wochen erneut geladen) folgte eine Erklärung von einem der Anwälte: Er hält eine Anfrage beim LKA Sachsen nach einer Liste der Personen, die die erste Identifizierung der Beschuldigten in den Überwachngsvideos vorgenommen haben für sinnvoller als weitere Zeugen wie Furth und Kästner. Diese hatten lediglich die Aufgabe, „ihre Zielperson“ im jeweiligen Video zu bestätigen. Hauptsächlich taten sie dies anhand von veränderlicher Kleidung.

Zum Abschluss dieses kurzen aber trotzdem schrecklich langwierigen Verhandlungstages verlas Richter Stoll dann noch folgende Dokumente, die natürlich brennend spannend waren:

– Mehrere Seiten Text zu einem Bagatelldelikt, das Hanna 2020 zur Last gelegt wurde
– Übersetzter Bericht von Budapester Cops zum 9.2.2023
– Übersetzter Antrag auf Gesichtsanalyse Überwachungskamera vom 10.2.2023 (abgelehnt, weil Bildmaterial zu schlecht) Die Fotos wurden unter die Dokumentenkamera gelegt, wirklich sehr schlecht.

Nächste Woche sollen zwei weitere Polizeizeugen ihre Identifizierungsvermerke vorstellen.