Nach Terrorrazzia in Sachsen: Verstörende Gewaltfantasien

Am Dienstag hatte der Generalbundesanwalt die „Sächsischen Separatisten“ ausheben lassen, die sich auf eine gewaltsame eigene Staatsgründung vorbereitet haben sollen. Nach ARD-Recherchen bekamen die Ermittler Einblick in eine verstörende Gedankenwelt.

Irgendwann haben sie ihren Hass mit der falschen Person geteilt. Schon seit Ende 2020 sollen die mutmaßlichen Mitglieder der „Sächsischen Separatisten“ in virtuellen Chats über ihre Pläne geschrieben und sich in Gewalt- und Ausrottungsfantasien ergangen haben.

Darüber, wie man vorgehen werde, wenn die verhasste Bundesrepublik Geschichte sei. Wie man im „Häuserkampf“ bestehen könne und wie man „die Juden“ ausrotten wolle. „Boogaloo“ nannten sie diese Phase – so wie US-amerikanische Rechtsextremisten ihre Vorstellung eines „zweiten Bürgerkriegs“ nennen.

Immer größer wurde die Gruppe, die zunächst vor allem aus drei Brüdern bestanden haben soll, deren Vater in Österreich als bekannter Rechtsextremist gilt und deren Großvater Ende der 1990er-Jahre in Niederösterreich FPÖ-Vorsitzender (Parteiobmann) war. Doch irgendwann wurde auch das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die radikalen Chats aufmerksam und las mit, was in den Chats diskutiert wurde. Und Anfang 2024 tauchte dann ein neuer Name in der Gruppe auf. Es handelte sich um einen Vertrauensmann der Sicherheitsbehörden.

SS – so wie die Schutzstaffel

Der Beschuldigte Jörg S. soll es gewesen sein, der im Mai 2024 der Vertrauensperson (VP) brühwarm von den bereits erfolgten und noch geplanten Aktivitäten der Gruppe erzählte: Von dem verlassenen Flugplatzgelände aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, auf dem man Häuserkampf und taktisches Kämpfen trainiere. Von den 15 bis 20 Kameraden, die man schon gewonnen habe und von den Plänen, wie man in den ostdeutschen Bundesländern einen eigenen Staat errichten wolle, wenn der „Tag X“ erst einmal gekommen sei.

Auch den Namen der Gruppe soll Jörg S. der VP erklärt haben. „Saxon Separatists“ – also sächsische Separatisten – und abgekürzt SS, so wie die „Schutzstaffel“ des Dritten Reiches – also das Terror-Instrument der NSDAP und des NS-Staats.

Auch wenn das neue Staatskonstrukt offenbar besonders deutsch sein sollte, gefielen der Gruppe amerikanische Ausdrücke wohl besonders gut. Nicht nur „Saxon Separatists“ und Boogaloo waren ständige Redewendungen. Auch der Tag, an dem die Bundesrepublik untergehen werde und der auf Deutsch oft auch „Tag X“ genannt wird, bekam in der Gruppe einen englischen Ausdruck: „When shtf“, was wohl „when shit hits the fan“ bedeutet und auf Deutsch am besten mit „wenn die Kacke am Dampfen ist“ übersetzt werden kann.

Warnschuss für AfD-Kommunalpolitiker

Am Dienstag nahmen mehr als 400 Polizeikräfte acht mutmaßliche Mitglieder der Gruppe fest und durchsuchten bei weiteren Beschuldigten und auch bei Unbeteiligten Wohnungen. Sie fanden Waffen, Munition, Messer, Ausrüstungsgegenstände und elektronische Geräte, die Auswertung dauert an.

Einer der Festgenommenen, der sächsische AfD-Kommunalpolitiker Kurt H., erkannte offenbar schon vor dem geplanten Zugriff, dass die Spezialeinheit GSG 9 sich vor seinem Haus befand. Daraufhin soll er eine scharfe Waffe genommen und aus einem Hinterausgang des Hauses gerannt sein, heißt es in Ermittlungskreisen. Doch wie bei solchen Zugriffen üblich, hatte die Polizei das Gelände vollständig umstellt.

Ein Beamter der Bundespolizeieinheit „BFE+“ für besondere Lagen gab mindestens einen Warnschuss ab. H. wurde am Kiefer getroffen, möglicherweise durch einen Splitter der Polizeipatrone. Er kam ins Krankenhaus und musste operiert werden. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat wegen des Vorfalls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Kein aktiver Umsturz, aber hohe Militanz

Vergleicht man die Vorwürfe gegen die mutmaßlichen „Sächsischen Separatisten“ mit denen gegen andere Umsturzgruppen, wie etwa die mutmaßliche Verschwörung rund um Prinz Reuß oder die „Vereinigten Patrioten“, die offenbar Karl Lauterbach entführen wollten, so wird schnell ein Unterschied deutlich: Im Gegensatz zu den anderen Gruppen lautet der Vorwurf gegen die „Sächsischen Separatisten“ nicht, dass sie selbst den Umsturz auslösen wollten.

Sie sollen einen Kollaps des Landes aber für unausweichlich gehalten und für die Zeit danach ihre Pläne gehabt haben: ein eigenes Staatsgebiet in Ostdeutschland, eine „Säuberung“ von Juden und Migranten, sowie von einem „Holocaust“ war die Rede, der unweigerlich auch Tote mit sich bringen werde.

Aktuell sitzen sechs der Beschuldigten in Deutschland in Untersuchungshaft. Ein Beschuldigter wurde in Polen festgenommen, seine Auslieferung wird beantragt. Kurt. H. wurde der Haftbefehl durch einen Ermittlungsrichter im Krankenhaus eröffnet.

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Denise Peikert 07.11.2024

AfD-Politiker und mutmaßlicher Rechtsterrorist Kurt Hättasch kommt in U-Haft

Am Dienstag war Kurt Hättasch, Grimmaer Stadtrat für die AfD, als einer der mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Sächsischen Separatisten“ festgenommen worden. Ein Richter schickte ihn nun ihn U-Haft.

Der mutmaßliche Rechtsterrorist Kurt Hättasch muss in Untersuchungshaft. Das hat ein Ermittlungsrichter entschieden, wie aus einer Mitteilung des Generalbundesanwalts vom Donnerstag hervorgeht.

Hättasch ist einer von acht Männern, die zur rechtsterroristischen Vereinigung „Sächsische Separatisten“ gehört haben sollen. Die Gruppe plante den Ermittlungen zufolge, nach einem aus ihrer Sicht bevorstehenden Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung Gebiete in Sachsen zu erobern und dort einen Staat angelehnt an den Nationalsozialismus zu errichten.

Richter entschied anders als üblich in Leipzig

Zuvor waren schon die Haftbefehle gegen sechs der mutmaßlichen Terroristen in Vollzug gesetzt worden. Offen ist noch die Entscheidung über die Untersuchungshaft des mutmaßlichen Rädelsführers der „Sächsischen Separatisten“, der in Polen festgenommen wurde.

Anders als üblich entschied der Ermittlungsrichter in Hättaschs Fall nicht am Bundesgerichtshof in Karlsruhe über die Untersuchungshaft, sondern in Leipzig. Der Grund: Hättasch war bei seiner Festnahme verletzt worden und zur Behandlung ins Uniklinikum Leipzig gebracht worden. Er soll unbestätigten Berichten zufolge mit einer Langwaffe vor die Polizisten getreten sein, die dann Warnschüsse abgegeben haben.

Nach LVZ-Informationen wurde Hättasch durch ein Projektil im Gesicht verletzt und musste am Kiefer behandelt werden. Die genauen Umstände soll das Landeskriminalamt Sachsen aufklären. Zunächst blieb unklar, ob Hättasch auch am Donnerstag noch im Krankenhaus behandelt wurde.

AfD hat Hättasch ausgeschlossen

Hättasch war einer von drei AfD-Kommunalpolitikern, die zu den „Sächsischen Separatisten“ gehört haben sollen. Er ist Stadtrat in Grimma und hatte zuletzt für den AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner gearbeitet. Außerdem war er Mitglied im Kreisvorstand der AfD im Landkreis Leipzig, verantwortlich für das Thema Organisation.

Nach seiner Festnahme beantragte der AfD-Landesverband den Ausschluss von Hättasch und den beiden anderen Festgenommen aus der AfD und entzog den drei Männern mit sofortiger Wirkung ihre Mitgliedsrechte.

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Denise Peikert 07.11.2024

Sie sprengen Autos und trainieren den Umsturz: Was rechtsextreme Terrorgruppen aus Sachsen ausmacht

Freital, Chemnitz, Borna: Immer wieder werden in Sachsen rechtsextreme Terrorgruppen ausgehoben. Was den „Sächsischen Separatisten“ vorgeworfen wird, reiht sich ein. Und doch ist etwas neu.

Die „Sächsischen Separatisten“ träumten gleichermaßen schlecht und groß. Der Kollaps des deutschen Staates, davon soll die Gruppe nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft überzeugt gewesen sein, stehe kurz bevor. An jenem „Tag X“ wollten die „Sächsischen Separatisten“ mit 15, 20 Mann Gebiete in Sachsen erobern und dort eine neue Gesellschaft nach ihren Vorstellungen aufbauen: ethnisch homogen und angelehnt an den Nationalsozialismus.

Der Größenwahn, der aus solchen Plänen spricht, mag besonders sein. Aber rechtsextremer Terror aus Sachsen ist nichts Neues. In den vergangenen zehn Jahren sind drei rechtsextremen Terrorgruppen ausgehoben worden, die „Sächsischen Separatisten“ noch nicht mitgezählt. Warum passiert das so oft im Freistaat? Und was verbindet die Gruppen?

„Sachsen ist Aufmarschgebiet für Neonazis“

Für den Soziologen Johannes Kiess ist die Frage „Warum immer wieder Sachsen?“ schnell beantwortet. Er forscht am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig zu rechtsextremen Strukturen im Freistaat und antwortet:

„Weil Sachsen seit 1990 als Aufmarschgebiet und Erprobungsland für Neonazis fungiert.“ Rechtsextremisten könnten hier auf feste rechtsextreme Strukturen aufbauen, schätzten die Bedingungen in Sachsen für eine rechtsextreme Mobilisierung als ideal ein.

Das ist der Nährboden, auf dem sich 2014 von Borna aus die Gruppe „Oldschool Society“ formierte und Anschläge auf Moscheen und Flüchtlingsheime plante. 2015 griff dann die Gruppe Freital tatsächlich Unterkünfte von Flüchtlingen mit Sprengsätzen an, ließ unter anderem das Auto eines linken Politikers hochgehen.

Und 2018 griff die „Revolution Chemnitz“ eine Gruppe vermeintlicher und tatsächlicher Migranten an, gerierte sich dabei als Ordnungsmacht. All das wurde juristisch als rechtsextremer Terror eingestuft und verurteilt, der Rädelsführer aus Freital etwa zu zehn Jahren Haft.

Die „Sächsischen Separatisten“ – heimlicher, jünger, militärischer

Neben der Ideologie – eine ethnisch-homogene Volksvorstellung, die Ausrichtung auf einen Führerstaat – ist es also das Andocken an jahrzehntelang gewachsene rechtsextreme Strukturen, die die „Sächsischen Separatisten“ mit den vor ihr ausgehobenen Terrorgruppen eint – jedenfalls so weit man das jetzt schon sagen kann. Der Rädelsführer der „Oldschool Society“ bewegte sich im NPD-Umfeld, der Kopf der Gruppe Freital stammt auch aus dem Umfeld von Neonazi-Strukturen und die „Revolution Chemnitz“ hatte Kontakte zur ehemaligen Kameradschaft „Sturm 34″.

Bei den „Sächsischen Separatisten“ sind es nun die familiären Verbindungen des mutmaßlichen Rädelsführers, die auffallen: Der Vater von Jörg S. ist ein bekannter und verurteilter Rechtsextremist aus Österreich.

In einigen Details unterscheidet sich die mutmaßliche Terrorgruppe „Sächsischen Separatisten“ aber auch von den bisher ausgehobenen Zellen. So agierten die „Sächsischen Separatisten“ offenbar mehr im Geheimen, entzogen sich im Verborgenen der Beobachtung. Öffentliche Chats wie bei der „Oldschool Society“, der einem damaligen Medienbericht zufolge „dümmsten Terrorgruppe Deutschlands“, sind bislang nicht bekannt und auch Kennern der Szene sagten die „Sächsischen Separatisten“ bis zum Dienstag nichts.

Das offenbar straff Paramilitärische fällt auf – bei der Gruppe Freital, einer selbst erklärten Bürgerwehr, klang es damals nur an. Hinzu kommt die Konzentration auf Untergangsszenarien statt etwa auf den politischen Gegner oder auf Flüchtlinge. Und schließlich ist neu: Das sehr junge Alter der mutmaßlichen Terroristen, vor allem der, die nicht in Haft kamen. Überraschend ist es nicht: Es passt zu den Entwicklungen aus dem Sommer, als viele Jugendliche zu den rechtsextremen Protesten gegen die CSDs gekommen waren.

Umsturzübung? Alles ganz normal

Die politisch brisanteste Auffälligkeit bei den „Sächsischen Separatisten“ ist aber sicher, wie eng die Verdächtigen mit der AfD verzahnt waren. Mindestens drei der mutmaßlichen Rechtsterroristen waren in der Partei, sind daraus nach dem Auffliegen der Gruppe ausgeschlossen worden. „Das ist der vorläufige Endpunkt einer Annäherung zwischen Neonazis, Identitären, Reichsbürgern und der AfD“, sagt der Sozialwissenschaftler Kiess. Die Partei sei längst zu einer „vollkommen rechtsextremen“ geworden.

Eine weitere Sache ist bei dieser mutmaßlich neuen rechtsextremen Terrorgruppe aus Sachsen auf beunruhigende Art neu: Wie selbstverständlich der Gedanke verbreitet wird, dass es gut und richtig sei, sich auf einen drohenden Umsturz vorzubereiten. Dass es sozusagen bürgerliche Pflicht sei, sich dann notfalls auch mit Gewalt um einen neuen Staat zu kümmern.

Es gehe hier um einen Terror, von dem keiner etwas gemerkt habe, sagte Martin Kohlmann, Chef der Freien Sachsen und Anwalt des mutmaßlichen Rädelsführers der „Sächsischen Separatisten“ in einem Video. Die Festgenommenen hätten sich nur darauf vorbereitet, „dass sie nach dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung für eine eigene Ordnung sorgen müssen.“ Alles, so der Tenor, völlig vernünftig.