Gespräch über KI, Taser und Videoüberwachung Streit um das neue Polizeigesetz: „Es gibt keinen Grund, Misstrauen gegen uns zu säen“

Gewerkschaftschef Jan Krumlovsky verteidigt das geplante Polizeigesetz – und erklärt, warum Künstliche Intelligenz für eine effektive Gefahrenabwehr unverzichtbar geworden ist.

Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. So lautet der erste Satz des sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes. Es ist inzwischen in die Jahre gekommen. Die CDU-SPD-Minderheitsregierung hat sich deshalb vorgenommen, es gründlich zu überarbeiten.

Im Landtag ist die Verabschiedung des gesamten Entwurfs wegen Kritik an zu weitgehenden Befugnissen für die Polizei noch offen. Die Polizeigewerkschaften stehen hinter dem Projekt. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jan Krumlovsky, erklärt seine Haltung.

Herr Krumlovsky, die Grünen haben das geplante neue Polizeigesetz mit der Lage in China verglichen, wo Bürgerrechte systematisch verletzt werden. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Die Polizei soll einige neue Befugnisse erhalten. Aber wir müssen uns mit der aktuellen Gefährdungslage vernünftig auseinandersetzen. Ohne den Einsatz moderner Technik und die entsprechenden rechtlichen Befugnisse können wir unsere Aufgaben nicht effektiv erfüllen. Gerade in Ostdeutschland sind in der Vergangenheit größere Vorfälle nur durch Hinweise anderer Sicherheitsbehörden verhindert worden, weil der sächsischen Polizei bisher die Rahmenbedingungen dafür gefehlt haben. Wir begeben uns mit den Neuerungen lediglich auf Augenhöhe im Bundesvergleich. Wir sollten aber die Bedenken der Menschen ernst nehmen und erklären, worum es in dem Gesetz geht und was es bedeutet.

Muss der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben alles erlaubt sein, was technisch möglich ist?

Mit dem Entwurf für das neue Polizeigesetz können wir endlich moderner arbeiten, sind aber meiner Ansicht immer noch nicht dort, wo wir sein könnten oder bei dem, was technisch möglich ist. Das Vorhaben geht bei Weitem nicht über die Regelungen in anderen Bundesländern hinaus. SPD-regierte Bundesländer wie Niedersachsen überarbeiten derzeit auch ihre Polizeigesetze. Meiner Ansicht nach ist die Gratwanderung zwischen Grundrechten und Sicherheitsbedürfnis der Bürger durch hohe rechtliche Hürden gelungen.

Der Gesetzentwurf erlaubt es der Polizei, Bilder und Stimmen beispielsweise bei YouTube mit biometrischen Daten aus den eigenen Datenbanken abzugleichen. Was versprechen Sie sich davon?

Nehmen Sie folgendes Beispiel: Wir suchen einen Gefährder, von dem wir biometrische Informationen haben, also beispielsweise Gesichtsbilder oder bestimmte andere Merkmale. Wir müssten doch in solchen Fällen die Möglichkeit bekommen, ein Drohvideo mit oder von dieser Person, dass wir im Internet gefunden haben, zu sichern und zeitversetzt über eine Software mit den bei uns verfügbaren Angaben abzugleichen, um so den Namen und mögliche Anschrift des Gefährders herauszufinden. Ein Live-Abgleich ist nicht vorgesehen.

Das ist bisher nicht erlaubt?

Das dürfen wir bisher nur händisch, das heißt, der Beamte muss ein solches Video vollständig ansehen und den Abgleich selbst vornehmen. Die Technik dient also der Arbeitserleichterung.

Erlaubt das Gesetz auch den Zugriff auf private Whatsapp-Kanäle?

Der Begriff dafür lautet Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Wenn die Polizei ins Handy eines Verdächtigen gehen muss, muss sie die automatische Verschlüsselung der Kommunikation durch den Provider überwinden. In Fällen schwerer Gefährdungslagen für Leib und Leben von Menschen und mit Genehmigung eines Richters dürfte die Polizei über die Quellen-TKÜ auch Gespräche über Messengerdienste wie Whatsapp oder Telegram überwachen.

Die Verhaftung der lange gesuchten RAF-Terroristin Daniela Klette ist möglich geworden, nachdem Journalisten sie auf Tanz-Videos auf Facebook identifiziert haben. Was folgt daraus für die Polizei?

Der Fall Klette hat gelehrt, dass auch die Polizei zum Schutz erheblicher Rechtsgüter die Möglichkeit erhalten muss, Internet-Daten mit Fahndungsdaten abzugleichen. Er zeigt noch eine andere Dimension: Die Fahndungsfotos waren viele Jahre alt. Künstliche Intelligenz macht es möglich, auf Bildern eine junge Person altern zu lassen, um einen realistischen Datenabgleich zu ermöglichen. Der Journalist darf dies mit öffentlich zugänglicher Software tun. Wir als Gewerkschaft wünschen uns für die Polizei ebenfalls das Recht, biometrische Daten entsprechend zu verändern, halten die Nutzung öffentlich zugänglicher Software dafür aber für undenkbar. Die Polizei muss dafür ihre eigenen Datenstrukturen nutzen. Der Gesetzentwurf erlaubt es nicht, dass wir mit Daten und Such-Algorithmen außerhalb des Polizeinetzes arbeiten. Eine polizeiliche, selbstständig agierende Suchmaschine im Internet wird es zu Recht nicht geben.

Die Polizei soll künftig mithilfe Künstlicher Intelligenz Informationen aus ihren unterschiedlichen Datenbanken zusammenführen und analysieren dürfen. Welche Anwendungsfälle sind hier denkbar?

Vor 20 Jahren galt schon eine gut programmierte Excel-Tabelle bei manchen als Teufelszeug. Nichts anderes, nur fortschrittlicher, ist diese neue Software. Ein Beispiel: Die Polizei muss in einer konkreten Lage eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen abwehren. Ihr liegen zahlreiche Informationen vor, wie Fall- und Vorgangsdaten, Informationen aus polizeilichen Auskunftssystemen, Asservate oder Verkehrsdaten, welche die Ermittlungen unterstützen könnten. Die Künstliche Intelligenz kann innerhalb dieser großen Datenmengen Verknüpfungen herstellen zwischen Personen, deren Aufenthaltsorten und Kommunikationsdaten. Das kann ein Beamter mit großem Aufwand händisch erledigen, aber die KI arbeitet sehr viel schneller und effektiver, wenn sie diese Datenmengen übereinanderlegt und nach Verbindungen sucht. Die KI nennt ihr Ergebnis mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, Ermittler müssen es überprüfen.

Mit welchen KI-Anbietern wird die Polizei zusammenarbeiten?

Es gibt viele Firmen, die auf diesem Markt unterwegs sind. Die Produkte sind allerdings sehr kostspielig. Es wäre schön, wenn es eine bundeseinheitliche Lösung gäbe, die auch innerhalb der EU zu finden ist. Entsprechende Planungen für ein einheitliches Datenhaus der Polizei sind bereits im Gange. Sofern wir mit dem geplanten neuen sächsischen Polizeigesetz die Erlaubnis erhalten, können wir uns an den gemeinsamen IT-Lösungen von Bund und Ländern bedienen.

Wie steht die Gewerkschaft zu dem Vorhaben, Kriminalitätsschwerpunkte und große Menschenansammlungen mit moderner Technik zu überwachen?

Wir begrüßen das Vorhaben, Technik in Gefahrenschwerpunkten einzusetzen. Stellen Sie sich vor, die Polizei hat Hinweise, dass Gefährder einen Angriff auf einen Weihnachtsmarkt vorbereiten. Die Software erhält die biometrischen Daten der Gefährder und könnte dann mithilfe der Bilder von Überwachungskameras anzeigen, ob und wo sich die gesuchte Person in der Menschenmenge befindet – bis zum Zugriff durch die Polizei. Die Technik könnte sogar erkennen, ob ein Messer im Spiel ist oder ähnliches. Das Recht, eine solche Menschenansammlung mit einer Hundertschaft zu umstellen und zu kontrollieren, haben wir schon jetzt. Das Vorgehen wäre aber nicht verhältnismäßig oder unter Umständen nicht leistbar.

Bei dem geplanten Einsatz von Tasern sind Sie eher skeptisch?

Wir haben es uns in unserer Stellungnahme bei diesem Thema nicht leicht gemacht. Überwiegend sind wir aber zu der Auffassung gelangt, dass es ein sinnvolles Einsatzmittel für die sächsische Polizei ist. Die Kräfte, die damit umgehen müssen, müssen aber unbedingt vorher eine Schulung und regelmäßig Trainings erhalten.

Warum gab es Bedenken gegen die Taser?

Wie bei allen Einsatzmitteln, seien es Schusswaffen, Schlagstöcke oder Reizgas, bestehen immer Risiken für bestimmte Gruppen. Logischerweise setzt man den Taser nicht gegen offenkundig Schwangere ein. Wir halten die Geräte für sinnvoll, weil die Erfahrungen gezeigt haben, dass schon die Androhung des schmerzhaften Einsatzes den Widerstand gebrochen hat. Zudem hat die sehr kurze Stromzufuhr im Falle eines bewaffneten Angriffs auf Beamte eine sofortige Stoppwirkung. Bei Reizgas oder Schusswaffengebrauch reagiert der Körper häufig zeitverzögert, der Angreifer geht nicht unbedingt sofort zu Boden.

Sie sagten, das Gesetz erfülle nicht alle Wünsche: Was fehlt Ihrer Gewerkschaft an dem Entwurf?

Das alte Gesetz kann nicht mehr Schritt halten mit den Herausforderungen, auf welche wir reagieren müssen. An der einen oder anderen Stellen hätten wir uns aber mehr gewünscht. Es fehlt beispielsweise die Online-Durchsuchung. Damit könnte die Polizei im Fall einer schwerwiegenden Bedrohung aus der Ferne unter anderem auf einen Onlinespeicher, wie einer Dropbox zugreifen, um Hinweisen auf einen Anschlag oder ähnliches nachzugehen. Zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist dies auch künftig nicht erlaubt.

Die Regierungskoalition von CDU und SPD hat keine eigene Mehrheit. Rechnen Sie mit dennoch mit der Zustimmung des Landtags?

Die Polizei hat immer mehr Aufgaben zu bewältigen, aber nicht für jede Lage ausreichend Personal. Wenn wir Gefahrenabwehr gewährleisten wollen, sind wir auf moderne Mittel und Technik angewiesen. Ich hoffe sehr, dass der Landtag den Weg für das Gesetz frei macht, ohne noch in großem Stil Ecken und Kanten abzuschleifen. Die Bevölkerung vertraut der Polizei. Es gibt keinen Grund, Misstrauen gegen uns zu säen.

Zur Person
Jan Krumlovsky (44) ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Es ist mit über 8000 Mitgliedern die größere der beiden Polizeigewerkschaften in Sachsen. Der Polizeihauptkommissar arbeitet seit 2002 bei der sächsischen Polizei, er ist Personalratsvorsitzender in der Polizeidirektion Dresden.

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Karin Schlottmann
19.11.2025

Wie Sachsen gegen die verbotene Handynutzung im Auto vorgehen will

Das Polizeigesetz soll bis zum Sommer auf den neuesten Stand gebracht werden. Das könnte auch Folgen haben für Autofahrer, die sich nicht an die Regeln halten. Kommt jetzt die Verkehrsüberwachung aus der Luft?

Jeder weiß, dass es gefährlich ist, aber viele tun es trotzdem: Auf dem Nachhauseweg im Auto schnell noch einen Blick aufs Handy werfen oder unterwegs eine kurze Whatsapp schreiben. Schon wenige Sekunden der Ablenkung können ausreichen, um sich und andere in Gefahr zu bringen. Wer am Steuer eine Nachricht tippt, fährt ungefähr so, als hätte er 1,1 Promille, sagen Verkehrswissenschaftler.

Die Nutzung des Handys oder Tablets – ohne Freisprechanlage – ist für Autofahrerinnen und Autofahrer verboten. Wer mit dem Mobiltelefon am Steuer erwischt wird, muss mit einem ein Bußgeld von 100 Euro und einem Punkt in Flensburg rechnen. In der Praxis ist es für die Polizei allerdings schwierig, Handynutzer zu erwischen.

Offener Einsatz technischer Mittel

Moderne Technik könnte ihr diese Arbeit bald erleichtern. Das geplante neue sächsische Polizeigesetz erlaubt der Polizei den offenen Einsatz „technischer Mittel“ zur Überwachung von Autofahrern. Der Entwurf sieht vor, dass an bestimmten Streckenabschnitten, Verkehrsknotenpunkten oder Unfallschwerpunkten Bildaufnahmen und -übertragungen von Fahrzeugen und Fahrern erlaubt sind, noch bevor ein Regelverstoß begangen wurde.

Aufgezeichnet werden dürfen Fahrzeug, Kennzeichen, Fahrtrichtung, Zeit und Ort sowie der Fahrer. Ergibt sich bei der Auswertung der Bilder kein Hinweis auf einen Verstoß, sind die Bilddaten unverzüglich zu löschen, heißt es im Entwurf. Andernfalls dürfen die Aufnahmen für ein Bußgeldverfahren verwendet werden, wenn sich damit die Nutzung eines Handys nachweisen lässt.

Das Innenministerium lässt es in seinen Plänen offen, welche technischen Mittel für die Bildaufzeichnung eingesetzt werden sollen. Rheinland-Pfalz setzt schon länger auf Monocams, spezielle Kameras, die meist von Brücken aus vorbeifahrende Autofahrer durch die Frontscheibe erfasst. Schilder weisen auf die Kamera hin. Eine Software analysiert die Bilder. Bei einem Verstoß werden die Bilder gespeichert und von einem Beamten ausgewertet. Bisher ist die Landespolizei in Sachsen bezüglich bestimmter Monocams eher skeptisch. Die Technik könne „nicht ohne weiteres effektiv eingesetzt werden“, hieß es im Sommer.

Brandenburg setzt Drohnen ein

Eine Alternative wären Drohnen, wie sie beispielsweise in Brandenburg seit 2021 verwendet werden. Der sächsische Entwurf erlaubt ausdrücklich den Einsatz unbemannter Luftfahrtsysteme für diesen Zweck. Das Innenministerium in Potsdam weist darauf hin, dass die Flugkörper den Autofahrern nicht etwa hinterherjagen, sondern aus einer fixen Position entlang von Autobahnabschnitten Lkw-Fahrer aufspüren, die zu dicht auffahren. Wird ein Drängler erwischt, muss eine in der Nähe wartende Streife das Fahrzeug stoppen. Die Beschaffungskosten für die drei Geräte gibt sie mit 135.000 Euro an.

Sachsens Minderheitskoalition von CDU und SPD, die den Gesetzentwurf im Oktober im Kabinett beschlossen hat, setzt offenbar auf einen erzieherischen Effekt der Geräte. Mit Drohnen- oder Kameratechnik soll die bewährte Kontrollpraxis mit den Möglichkeiten der Technik von heute und morgen ressourcenschonend fortgesetzt werden.

In der Begründung des Entwurfs heißt es, die üblichen Überwachungsmethoden der Verkehrspolizei seien mit einem hohen personellen und sachlichen Aufwand verbunden. Der offene Einsatz technischer Mittel habe eine höhere abschreckende Wirkung, soweit es um die verbotene Nutzung elektronischer Geräte wie Handys oder Tablets geht. Die modernen Geräte wie beispielsweise unbemannte Flugkörper schärften das Bewusstsein von Autofahrern für die Einhaltung von Regeln, schreiben die Verfasser.

Wenige Unfälle wegen Handynutzung

In der Verkehrsunfallstatistik spielt die Spielerei mit dem Handy im Fahrzeug keine große Rolle. Im vorigen Jahr waren insgesamt 36 Unfälle darauf zurückzuführen. 2023 waren es 25, 2022 registrierte die Polizei 36 Unfälle. Zum Vergleich: Zu schnelles Fahren war in über 1.800, zu geringer Sicherheitsabstand war in über 1600 Fällen ursächlich für einen Unfall. Auch Alkohol und Drogen sowie Vorfahrtfehler tauchen in der Statistik für das vorige Jahr deutlich öfter auf als die Handynutzung.

Die Gewerkschaft der Polizei hat bereits im Sommer die Anschaffung von Monocams gefordert. Nach Unfällen seien Handy-Verstöße mit herkömmlichen Mitteln nur schwer nachweisbar, wenn die möglichen Verursacher keine korrekten Angaben zum Unfallhergang machten, sagte Landesvorsitzender Jan Krumlovsky im Mai. Daher müsse bereits im Vorfeld der Kontrolldruck auf Handy-Sünder deutlich erhöht werden, fordert er.

Die Gewerkschaft bedauert es, dass die mit der Gesetzesnovelle geplanten Bildaufzeichnungen per Drohne oder Kamera auf die verbotene Handynutzung am Lenkrad beschränkt werden sollen. Ihrer Ansicht nach muss die Technik auch eingesetzt werden, um noch mehr Verkehrsverstöße zu ahnden, zum Beispiel den Sicherheitsabstand zwischen Lkw, Missachtung der Vorfahrtsregeln, Abbiegefehler und Rotlichtverstöße.

Der Entwurf für das neue Polizeigesetz geht voraussichtlich im Januar in die Sachverständigen-Anhörung. Für eine Verabschiedung sind CDU und SPD auf die Stimmen von BSW, Grünen oder Linken im Landtag angewiesen.