Anna und Arthur Haltens Maul

Kritik am „Dialog“ des Gorleben Archivs – Wenn Gesprächsformate zur Beruhigung statt zur Begegnung werden

Kritik am „Dialog“ – Wenn Gesprächsformate zur Beruhigung statt zur Begegnung werden

Unter dem freundlich klingenden Titel „MITEINANDER REDEN: Respekt statt Konfrontation“ soll vstl. in Lüchoweinmal mehr der Dialog zwischen Polizei, Aktivisten und Juristen geübt werden. Es klingt nach Demokratie, nach Austausch, nach einem respektvollen Miteinander. Doch bei genauerem Hinsehen drängt sich der Eindruck auf: Hier wird vor allem ein schwieriges Konfliktfeld in ein kontrollierbares Veranstaltungsformat gezwängt, bei dem die politische Schärfe des Themas verloren geht.

Natürlich ist nichts gegen Gespräche einzuwenden – im Gegenteil. Protest lebt auch vom Dialog. Aber ein Gespräch, das in den Räumen des Gorleben Archivs stattfindet, von einem Programmbüro moderiert wird und den Charakter eines pädagogischen Projekts trägt, hat wenig mit dem zu tun, was tatsächlich auf der Straße, auf Demos oder in Polizeiketten passiert. Es ist ein Versuch, den gesellschaftlichen Konflikt zu entpolitisieren – ihn zu einem Gespräch über Missverständnisse zu machen, statt über Macht, Repression und Verantwortung zu reden.

Die Einladung spricht davon, dass Protest „notwendig für die Demokratie“ sei. Doch gleichzeitig wird die eigentliche Protestpraxis – laut, unbequem, widersprüchlich – durch ein Format ersetzt, das mehr an ein Seminar über Streitkultur erinnert als an echte politische Auseinandersetzung. Ein Polizist, ein Jurist, ein Demonstrant – und ein freier Stuhl: das klingt nach Ausgewogenheit, ist aber in Wahrheit ein symbolisches Arrangement, das die strukturelle Ungleichheit der Rollen verschleiert. Wer trägt in der Realität die Macht, wer trägt die Konsequenzen?

Während also drinnen im Archiv höflich über „Respekt statt Konfrontation“ diskutiert wird, wird draußen in Lüchow zur selben Zeit eine öffentliche Versammlung angemeldet – unter dem Titel

„Anna und Arthur halten das Maul“

am 23. Oktober 2025, ab 18:30 Uhr in der Rosenstraße 17.

Sie erinnert an jene widerständige Haltung, die den Protest in Gorleben über Jahrzehnte geprägt hat: das kollektive Schweigen als Symbol gegen staatliche Überwachung, die Weigerung, in vorgegebene Rollen zu schlüpfen oder sich in zahme Gesprächsrunden einfügen zu lassen.

Vielleicht ist genau diese Versammlung die ehrlichere Form des Dialogs – ein stiller, aber deutlicher Ausdruck, dass echte Auseinandersetzung nicht im geschützten Raum, sondern im öffentlichen Raum stattfinden muss.

Denn Demokratie braucht nicht nur Gespräche – sie braucht Konflikte, Widerspruch und Haltung.
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„Ein Dialog, der an einem Polizisten scheitert, war nie einer“ – Erwiderung zur Absage des Gorleben-Archivs

Lüchow-Dannenberg, 22. Oktober 2025

Die kurzfristige Absage der Veranstaltung „Im Dialog: Protest trifft Polizei“ durch das Gorleben-Archiv bestätigt, was viele von uns bereits im Vorfeld kritisiert haben: Der angekündigte Dialog zwischen Polizei und Protest war kein offenes Gesprächsangebot, sondern ein kontrolliertes Format, das schon an der kleinsten Irritation zerbricht.

Offiziell heißt es, ein Vertreter der Polizei habe aus privaten Gründen kurzfristig absagen müssen. Das ist menschlich nachvollziehbar – aber politisch bezeichnend. Denn wenn schon der Ausfall eines einzigen Beamten genügt, um eine angeblich so bedeutsame Dialogveranstaltung abzusagen, stellt sich die Frage, wie ernst die Polizei diesen Austausch tatsächlich nimmt. Offenbar gibt es in ganz Niedersachsen – ja, bundesweit – niemanden, der kurzfristig bereit oder in der Lage ist, über das Verhältnis zwischen Polizei und Protest zu sprechen.

So viel also zur oft betonten Dialogbereitschaft: Sobald die Kontrolle über das Setting verloren geht, fällt das Gespräch aus. Das ist keine organisatorische Panne, sondern ein politisches Signal. Was als Brücke verkauft wurde, war in Wahrheit eine Bühne – und ohne Uniform fehlt die Kulisse.

Auch die angeblich ausgewogene Zusammensetzung des Podiums wirft Fragen auf.

Neben einem Polizisten und einem Vertreter der Protestbewegung sollte laut Ankündigung auch ein Jurist teilnehmen – doch niemand aus dem bekannten Bewegungsumfeld, der den Initiator*innen vertraut ist, hatte eine entsprechende Einladung erhalten oder zugesagt.

Wir fragen uns daher: Welcher Anwalt sollte eigentlich dort sitzen – und wessen Interessen hätte er vertreten?

Die Rede von „Dialog“ wirkt umso leerer, wenn selbst die beteiligten Gruppen nicht wissen, wer angeblich „für sie“ sprechen sollte.

Ein echter Austausch hätte auch ohne Polizeivertretung stattfinden können. Gerade die Abwesenheit wäre Anlass genug gewesen, über das Ungleichgewicht zu sprechen, das zwischen staatlicher Macht und zivilem Protest besteht. Doch stattdessen wird die Veranstaltung abgeblasen – ein deutliches Zeichen, dass es nie um Konfrontation, sondern um Befriedung ging.

Man wollte keinen Konflikt, man wollte eine kontrollierte Form des Einvernehmens.

Doch Widerstand lässt sich nicht befrieden.

Protest lebt von Haltung, Widerspruch und der Weigerung, sich in pädagogische Formate pressen zu lassen, die Konflikte zu Missverständnissen erklären.

Der Konflikt zwischen Polizei und Protestbewegung ist kein Kommunikationsproblem – er ist Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Wenn also nun angekündigt wird, man wolle den Dialog „zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen“, bleibt die Frage: Mit wem – und zu welchem Zweck?

Ein Gespräch, das am Fehlen einer Uniform scheitert, war nie ein Gespräch. Es war eine Inszenierung.

Darum sagen wir:

Es wird niemals eine Form geben, in der dieser Konflikt „zivil“ oder „ausgeglichen“ ausgetragen werden kann.

Denn Demokratie lebt nicht von Harmonie, sondern von Auseinandersetzung – von lautem, unbequemem, solidarischem Widerspruch.

Zitat eines Mitglieds der Initiative „Anna und Arthur halten das Maul“:

„Die Absage zeigt deutlicher als jede Diskussion, dass es der Polizei nicht um echten Dialog geht, sondern um Kontrolle über das Gespräch selbst. Wenn ein einziger Polizist fehlt und damit das ganze Format zusammenbricht, dann war dieser Dialog nie ernst gemeint – sondern nur Kulisse. Und wenn noch nicht einmal klar ist, welcher Anwalt dort eigentlich sprechen sollte, dann entlarvt sich das ganze Projekt als Symbolpolitik. Unser Protest braucht keine Bühne, sondern Haltung.“