Warum Israel? Das Gedenken an den Hamas-Terror nutzen propalästinensische Gruppen auf ihre Weise
Kommenden Montag jährt sich der Terrorangriff der Hamas auf Israel. Auch in Leipzig werden Menschen den 1.139 Ermordeten gedenken. Eine Aktionswoche gegen Antisemitismus schließt sich an. Gleichzeitig nutzen propalästinensische Gruppen, darunter auch antiisraelische Akteure, das Datum für ihre Demonstrationen. Nicht, um Einzelkritik an den israelischen Militäraktionen zu üben – nach UN-Angaben seien über 40.000 Palästinenserinnen und Palästinenser seit Beginn des Krieges getötet worden -, sondern den Staat als »siedlerkolonialistisches« Projekt insgesamt abzulehnen. Warum haben Gruppen, die ihrem Selbstverständnis nach Linke sind, kein Problem mit antisemitischen Positionen?
Gruppen wie Young Struggle, die den Überfall vom 7. Oktober als »Befreiungsschlag« feierte, rufen unter anderem am Jahrestag zur Demonstration unter dem Motto »76 Jahre Besatzung. 76 Jahre Widerstand. Freiheit für Palästina!« auf. Die einschlägig bekannten Handala beteiligen sich, die Kommunistische Organisation und Zora, aber auch der Sozialistisch-demokratische Studierendenverband der Linkspartei.
Im Nachgang einer Demonstration im Januar, zu der Handala aufgerufen hatte, wurde ein Journalist von Teilnehmern verletzt. Es erfolgte der Störversuch einer Veranstaltung gegen Antisemitismus im Atari und Boykottaufrufe gegen das Conne Island: Gezielt wurden Bands mit der Bitte oder Drohung angeschrieben, dort nicht aufzutreten.
So jung diese Aktivistinnen und Aktivisten meist sind, der Antisemitismus, den Teile von ihnen formulieren, hat Tradition. Denn die an Stalin oder Mao orientierten Gruppen wie Young Struggle folgen den alten Pfaden des Antiimperialismus. Der wurde in den 1960er und 1970er Jahren zu einem wichtigen Bezugspunkt linker Bewegungen. Seine Stärke ist der integrale Dogmatismus: Man muss nichts hinterfragen.
Das antiimperialistische Denken teilt die Welt in Völker ein, die von imperialistischen Mächten ausgebeutet werden. Alle dagegen gerichteten Kämpfe sind automatisch antiimperialistisch, also gut. Der Antiimperialismus speist sich aus mehreren Quellen. Basis ist Lenin: Für ihn bildete der Imperialismus die Zuspitzung zur Monopolbildung auf globaler Ebene, die letzte Phase des Kapitalismus.
Hinzu kommt Stalins Verständnis der Nation als total, als Territorial-, Sprach-, Kultur-, ja als eine Wesensgemeinschaft, die als großes ganzes unantastbar ist. Maos Kriegstheorie, die Vorstellung der permanenten Revolution und des Partisanenkampfes, ergänzt die Ideologie. Krieg wird hier zur Fackel der Revolution, bricht nicht nur den äußeren Feind, sondern eint nach innen.
Mit der Hinwendung zu den antikolonialen Befreiungsbewegungen in verschiedenen Teilen der Welt ab Mitte des 20. Jahrhunderts geht eine Ethnisierung des Antiimperialismus einher: Es geht um als homogene Kollektive gedachte Völker, die es zu befreien gilt. Zum Hauptfeind antiimperialistischer Gruppen wurden die USA sowie spätestens nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 Israel, welches zuvor von der Sowjetunion unterstützt wurde.
In der antiimperialistischen Parteinahme für globale Befreiungsbewegungen werden Binnenwidersprüche oder antiemanzipatorischer Gehalt in diesen Bewegungen mit Verweis aufs höhere Ziel gerechtfertigt: Wer gegen Unterdrückung kämpft, ist kategorisch und ohne Abstriche auf der Seite des Guten zu verorten.
Dieses Gefühl haben auch jene, die heute über die Queer-Theorie zum Pro-Pälestina-Lager fanden oder besser: Palästina zur queeren Sache erklären. Laut diesem postmodern gefärbten Antiimperialismus – Stichwort: Politik der Allianzen – hängen die Kämpfe gegen Unterdrückung weltweit miteinander zusammen. Erst wenn alle frei sind, herrsche wirkliche Freiheit. Israel wird in dieser simplen Sicht zum weißen Kolonialstaat. Selbstverteidigungsrecht und der in der Hamas-Charta verankerte Vernichtungsantisemitismus sind kein Thema bei der Parteinahme für das, was man als palästinensisches Anliegen ansieht.
Auch das wird auf der Kundgebung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am Montag Thema sein. Darüber hinaus findet eine Woche gegen Antisemitismus statt. Das Bündnis Israelsolidarischer Gruppen Leipzig hat unter anderem den Publizisten Thomas Ebermann eingeladen, die Filme »Screams Before Silence« und »Warum Israel« werden gezeigt und zur Demonstration »Erinnern heißt handeln« aufgerufen.
> »365 Tage 7. Oktober. Solidarität mit Israel. Gegen jeden Antisemitismus«, 7.10., 18 Uhr, Alte Synagoge, Gottschedstr., https://dig-leipzig.de
> Aktionswochen gegen Antisemitismus, 7.10.–19.10., https://bigleipzig.wordpress.com