Auslieferung von Maja T.: Warum Sachsen enschieden hat, nicht auf das Bundesverfassungsgericht zu warten
Das Bundesverfassungsgericht wollte die Überstellung von Maja T. nach Ungarn stoppen. Doch da hatten die Behörden längst Tatsachen geschaffen. Nun scheint klar: Der Entschluss, die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts nicht abzuwarten, wurde in Sachsen getroffen.
Die Entscheidung, die Überstellung der 23-jährigen Maja T. nach Ungarn sofort durchzuführen, wurde in Sachsen getroffen. Das erklärte die Berliner Leitende Oberstaatsanwältin Simone Herbeth in einer Sitzung des Rechtsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus: „Die Frage, wie, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Verkehrsmittel die Vollstreckung vollzogen wird, liegt nicht bei uns, sondern ist eine Ermessensentscheidung der mit der Vollstreckung beauftragten Polizei. Also in dem Fall: Des sächsischen Landeskriminalamts“, sagte Herbeth am Mittwoch.
Maja T. soll Sympathisanten der rechtsextremen Szene angegriffen haben
Der non-binären Maja T. werden mehrere Angriffe auf Sympathisanten der rechtsextremen Szene und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Sie war in der Nacht zum Freitag von LKA-Beamten aus einer Haftanstalt in Dresden abgeholt und nach Österreich gebracht worden. Unmittelbar im Anschluss war sie an die Grenze zu Ungarn gebracht worden, wo ungarische Behörden Maja T. in Haft nahmen.
Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht noch am Freitagmorgen die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn beraten und wenig später per Eilantrag untersagt. Da waren jedoch bereits Fakten geschaffen: Maja war gegen 6:50 Uhr österreichischen Beamten übergeben und von dort gegen 10 Uhr ungarischen Polizisten übergeben worden.
Seitdem hagelt es Kritik: Von einer “Schande für Deutschland” sprach Linken-Chef Martin Schirdewan. Der „Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein“ sprach von einer „Nacht- und Nebelaktion“, die einen effektiven Rechtsschutz verhindere. Die Berliner Grünen verwiesen angesichts dessen, dass Ungarn „ein offen queerfeindlicher Staat“ sei, auf Gefahren für „Maja“ in ungarischer Haft.
Mussten die sächsischen Behörden mit einem Beschluss aus Karlsruhe rechnen?
Fraglich ist nun, ob die sächsischen Behörden mit einem Beschluss aus Karlsruhe rechnen mussten oder konnten. „Es ist natürlich so, dass, wenn wir Anhaltspunkte, wenn wir die Nachricht aus Karlsruhe bekommen, dann (…) wird gestoppt.“, so Staatsanwältin Simone Herbert im Berliner Abgeordnetenhaus. Etwas anderes sei es, wenn ein Eilantrag lediglich angekündigt, aber noch nicht eingereicht worden sei:
„Auch dann ist es noch eine Einzelfallentscheidung. Weil es kann auch angekündigt werden und es kommt nichts. Dann ist die Frage: Wie lange dürfen wir eigentlich warten? Das wäre also abhängig davon, ob wir wirklich konkrete Anhaltspunkte haben.“ Diese konkreten Hinweise habe es im Fall von Maja T. allerdings nicht gegeben.
Anwälte von Maja T. widersprechen
Dem widersprechen Majas Anwälte vehement. Gerade weil es in Auslieferungssachen nach einer Entscheidung des zuständigen Gerichts keine ordentlichen Rechtsmittel mehr gäbe, seien außerordentliche Rechtsmittel – also ein Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht – inzwischen zum Standard geworden.
Zudem habe es noch in der Nacht – als sächsische Polizeibeamte damit begannen, Maja aus der Haft zu holen – ein Telefonat gegeben, in dem wörtlich von „Bundesverfassungsgericht“, „Verfassungsbeschwerde“ und „verfassungsrechtlicher Prüfung“ die Rede gewesen sei. Das sächsische LKA habe dann Rücksprache mit der Berliner Generalstaatsanwaltschaft gehalten – mit welchen Worten genau könne man nicht nachvollziehen. Nach dieser Rücksprache habe es durch das LKA einen Rückruf gegeben. Darin habe es geheißen, der Antrag habe keine aufschiebende Wirkung und die Auslieferung werde fortgesetzt.
Wäre zuvor kein Antrag angekündigt worden und hätte kein Rechtsmittel im Raum gestanden hätte ebenjener Rückruf gar kein Sinn gemacht, so Rechtsanwalt Sven Richwin auf MDR-Anfrage.
Die Generalstaatsanwaltschaft hatte dem MDR und der ARD-Rechtsredaktion das Telefonat zuvor bestätigt: „Hier wurde lediglich mitgeteilt, dass der Rechtsbeistand der betroffenen Person sich ‚bei der Justiz‘ beschweren wolle, hieß es. Eine Ankündigung, dass ein Antrag auf Einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden solle, wurde nicht übermittelt“, so ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft.
Auslieferung: Hinweise auf Störaktionen auf linken Internetseiten
Zuvor hatte bereits die Berliner Senatsverwaltung für Justiz auf MDR-Anfrage erklärt, im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Überstellung von Maja T. habe es von dort keine Weisung an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegeben.
Staatsanwältin Simone Herbert hatte im Berliner Rechtsausschuss zudem erklärt, ein Hubschrauber, der in Sachsen für die Überstellung nach Passau genutzt wurde, habe ab vier Uhr fliegen dürfen. Die Entscheidung, noch in der Nacht mit dem Vollzug zu beginnen, könne auch mit möglichen Hinweisen auf Störaktionen zusammenhängen.
Das sächsische Landeskriminalamt erklärte auf MDR-Anfrage, man sei aufgrund der „seit mehreren Monaten betriebenen Kampagne ‚FreeMaja'“ und dem „grundsätzlichen Vorgehen der linksextremistischen Szene“ zu dieser Einschätzung gelangt.
Auf einem einschlägigen Internetportal waren und auf der Plattform X waren am Freitag morgen erste Hinweise auf eine bevorstehende Auslieferung von Maja T. erschienen – damit allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem in Sachsen die Entscheidung über das geplante Vorgehen längst gefallen war.
Parallele Ermittlungen in Deutschland und Ungarn
Maja T. werden gefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Sie soll zu einer Gruppe gehören, die seit Jahren mutmaßliche Rechtsextremisten und Sympathisanten angegriffen und verletzt haben soll – so auch in Budapest 2023.
Ungarn hatte einen europäischen Haftbefehl gegen Maja T. ausgestellt. In Deutschland ermittelt parallel auch der Generalbundesanwalt gegen Maja T. und weitere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe.
Verteidigung argumentierte mit menschenrechtswidrigen Haftbedingungen
Im Verfahren über die Frage, ob Maja T. nach Ungarn überstellt werden kann, hatte Majas Verteidigung und ihre Familie zuvor argumentiert, der non-binären Person würden in Ungarn menschenrechtswidrige Haftbedingungen in der Untersuchungshaft drohen. Sie bezweifelten zudem, dass – nach den Einflussnahmen aus der Regierung Orban auf Richter und Justiz in Ungarn in den vergangenen Jahren – ein fairer Prozess sichergestellt sei.
Das Kammergericht hatte zudem festgestellt, dass „die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden muss und früher in Ungarn erreichte Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen in diskriminierender Weise wieder abgebaut wurden.“ Jedoch habe Ungarn glaubwürdig vorgetragen, Sicherheitsvorkehrungen in den Gefängnissen zum Schutz vor Übergriffen getroffen zu haben und auch im Fall von Maja T. wirksame Schutzmechanismen bereitzustellen.
Bislang keine Besuchserlaubnis für Familie
Ungarn hatte zudem Garantieerklärungen abgegeben, in denen zugesichert wurde, Maja im Falle einer Verurteilung auf ein entsprechendes Ersuchen hin zur Verbüßung der Haftstrafe nach Deutschland zurück zu überstellen. In der Folge dieser Zusicherung hatte das Kammergericht dann einer Überstellung zugestimmt.
Majas Familie ist inzwischen nach Budapest gereist. Sie kritisierte, es sei ihr bislang nicht möglich gewesen, einen direkten Kontakt zu Maja oder eine Besuchserlaubnis zu bekommen. Dem ungarischen Rechtsanwalt von Maja zufolge sei es in Ungarn häufig so, dass Gefangene nur einmal im Monat besucht werden dürften.