CDU-Diskussion über Öffnung zur AfD – Es brennt auf beiden Seiten
Angesichts der Stärke der AfD mehren sich in der CDU die Stimmen, die eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen fordern. Die CDU sucht dabei vor allem die richtige Strategie für den eigenen Machterhalt, die inhaltliche Gegnerschaft zu zahlreichen Positionen der AfD gibt sie immer mehr auf.
»Rechts neben uns ist nur die Wand«, sagte bekanntlich 1987 der damalige CSU-Vorsitzende Franz Joseph Strauß, der damit meinte, rechts von CDU und CSU dürfe es »keine demokratisch legitimierte Partei geben«. Was als demokratisch legitimiert gilt, ist allerdings wandelbar und hängt von der gesellschaftlichen Stimmung ab, wie man derzeit gut beobachten kann.
Und so gibt es mittlerweile doch eine Konkurrenz rechts von der Union, die noch dazu aus deren Umfeld hervorgegangen ist und diese einigen Umfragen zufolge in der Wählergunst sogar überholt hat, in ostdeutschen Bundesländern mit deutlichem Abstand.
Da man es in den vergangenen Jahren nicht geschafft hat, das stetig anwachsende rechtsextreme Milieu in Deutschland wieder in die CDU zu integrieren, auch nicht dadurch, dass man in wichtigen Fragen die Forderungen der AfD übernimmt, wird aus Angst davor, künftig nicht mehr regieren zu können, nun die Hand nach rechtsaußen ausgestreckt.
Die Brandmauer habe die AFD erst stark gemacht, lautete der Tenor
Mitte Oktober haben gleich mehrere einflussreiche Politiker der CDU eine Normalisierung im Umgang mit der AfD gefordert und damit die Debatte neu entfacht. Unter anderem hatten sich der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sowie der ehemalige Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder, öffentlich für eine Abkehr von der Strategie der sogenannten Brandmauer eingesetzt.
Diese habe die AfD erst so stark gemacht, lautete der Tenor. Tauber forderte zwar nicht, Koalitionen mit der AfD einzugehen, aber in Parlamenten Mehrheiten für eigene Beschlüsse auch mit Stimmen der AfD zu suchen. Es gehe darum, dass nicht bei jeder Abstimmung »die Nazi-Keule geschwungen wird«.
Noch spricht sich die Parteiführung der Christdemokraten dagegen aus. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz betonte, die AfD sei der »Hauptgegner«, und lehnte erneut jede Zusammenarbeit ab. Vergangene Woche meldeten sich die verbliebenen liberalen Stimmen in der Union zu Wort.
Die neu gegründete innerparteiliche Gruppe Compass Mitte stellte in einer Erklärung fest, »dass Faschismus immer nur mit Hilfe von Konservativen an die Macht gekommen ist«, und sieht daher bei der CDU eine historische Verantwortung, sich klar von der AfD abzugrenzen. Doch in Anbetracht ihrer Umfragewerte und der Annäherungsversuche aus den Reihen der CDU, die zudem in der konservativen Presse von Cicero über Focus und FAZ bis Welt auch wohlwollend kommentiert wurden, wird eine schwarz-blaue Koalition wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Das liegt nicht zuletzt an den Wähler:innen, die die AfD in immer größerer Zahl unterstützen. Vor allem in ostdeutschen Bundesländern, beispielsweise in Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Jahr gewählt wird und die AfD in Umfragen derzeit um die 40 Prozent liegt, könnte es in Zukunft wegen der Stärke der AfD unmöglich sein, eine Regierungskoalition zu bilden, solange die CDU bei ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss mit Linkspartei und AfD bleibt. Eine Koalition mit einem der rechtsextremen ostdeutschen AfD-Landesverbände hätte jedoch, auch aufgrund außenpolitischer Differenzen in Hinblick auf Russland und Israel, das Potential, die CDU zu spalten.
Die Lösung wäre eine Minderheitsregierung ohne die AfD, wie es sie bereits in Sachsen gibt – wobei sich dann die Frage stellt, ob sich diese auch Mehrheiten mit Stimmen der AfD beschaffen sollte. Auf kommunaler Ebene ist die AfD vielerorts ohnehin bereits so stark, dass sie in kommunalen Parlamenten mitregiert.
Dass die Brandmauer sowieso sehr löchrig ist, zeigen zwei Studien aus dem Jahr 2024. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung konnten 121 Kooperationen auf kommunaler Ebene in den Jahren 2019 bis 2023 feststellen; hauptsächlich handelt es sich um Fälle, in denen demokratische Parteien gemeinsam mit den Rechtsextremen abstimmten. Die CDU tat sich hierbei am häufigsten hervor, doch auch alle anderen Parteien, bis hin zur Linkspartei und den Grünen, tauchen in der Studie als Mehrheitsbeschaffer der extremen Rechten auf.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie stellte fest, dass von 2019 bis 2024 bei 11.000 untersuchten Sitzungen auf Kreis- und Kommunalebene fast ein Fünftel der AfD-Anträge Zustimmung auch bei Abgeordneten anderer Parteien fand.
Die Ablehnung der Zusammenarbeit mit der AFD war machtpolitisch und nicht inhaltlich motiviert
Die Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD war in der CDU schon von Beginn an machtpolitisch und nicht primär inhaltlich motiviert. Friedrich Merz verfolgte hierbei die Strategie, sich sowohl dafür als auch dagegen auszusprechen; so kann ihm später niemand vorwerfen, er würde sein Wort brechen.
Im Dezember 2021 hatte er dem Spiegel noch gesagt: »Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben«, und gleich die Drohung hinterhergeschoben: »Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.« Drei Jahre später, im September 2024, widerrief er seine Aussage und äußerte: »Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden.« So war der Weg geebnet, an dessen vorläufigem Ende Merz dann im Januar dieses Jahres selbst die Hand hob, um im Bundestag einen Antrag, der den migrationsfeindlichen sogenannten Fünfpunkteplan beinhaltete (offiziell: »Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration«), mit den Stimmen der AfD durch die Abstimmung zu bringen.
Dies war der zweite große Tabubruch in Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit der extrem rechten Partei; den ersten hatte es gegeben, als sich der damalige Thüringer FDP-Vorsitzende Thomas Kemmerich 2020 mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen (und aufgrund der großen Proteste nur einen Tag später wieder zurücktrat). Auch nach dem Tabubruch im Bundestag war die Empörung groß. Unter dem Titel »Brandmauer, Ruhe in Frieden, 1945–2025« veröffentlichte zum Beispiel die Autorin Samira El Ouassil im Spiegel eine Trauerrede.
Nun hat im postnazistischen Deutschland, bezogen auf die gesellschaftlichen Institutionen und politischen Vorstellungen, sicherlich nie eine Brandmauer zur extremen Rechten existiert, wie es die Überschrift suggeriert. Schließlich wurde der Großteil der Täter:innen des Holocaust nie zur Rechenschaft gezogen und Zehntausende Nazis konnten in Behörden, Wirtschaft und Politik (oft bei der CDU) Karriere machen.
Tatsächlich gab es aber parteipolitisch auf Bundes- oder Landesebene bis dato keine Zusammenarbeit mit offen rechtsextremen Kräften, sei es auch nur, weil seit dem Ende des Nationalsozialismus nie eine rechtsextreme Partei so stark war, dass dies nötig gewesen wäre. Vielleicht war es die Hoffnung der CDU, dass dies auch so bleiben würde, als sie 2018 auf dem Hamburger Parteitag den Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedete, in dem jeder Zusammenarbeit mit der Linkspartei (die konsequent an erster Stelle genannt wird) und der AfD eine Absage erteilt wird.
Nach der Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke durch einen Rechtsextremen im Jahr 2019 betonte der Bundesvorstand in einem Beschluss über die »Haltung zur Linkspartei und AfD« erneut: »Jeder, der in der CDU für eine Annäherung oder gar Zusammenarbeit mit der AfD plädiert, muss wissen, dass er sich einer Partei annähert, die rechtsextremes Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus in ihren Reihen bewusst duldet.«
Dass sich nun ehemalige Granden in der Union für eben diese Annäherung stark machen, war angesichts der hohen Umfragewerte der AfD und der autoritären Entwicklung der CDU abzusehen und ist angesichts der Normalisierung extrem rechter und antidemokratischer Positionen, die von der bürgerlichen Mitte seit Jahren betrieben wird, auch nur der nächste logische Schritt.
Was bringt eine Brandmauer, wenn es auf beiden Seiten brennt?
Was eher verwundert, ist die Debatte über die »Brandmauer« selbst, in der sich die Beteiligten mehr Sorgen darum zu machen scheinen, ob etwas der AfD nützt oder schadet, als um diejenigen, die von ihrer Politik, ebenso wie von dem rechtsautoritären Kurs der Bundesregierung, konkret bedroht werden. Das Problem an der Diskussion ist, ähnlich wie bei der über ein AfD-Verbot, dass es kaum um Inhalte geht.
Als der damalige Oppositionsführer Merz seinem Fünfpunkteplan mit den Stimmen der AfD die nötige Mehrheit verschaffte, gingen Zehntausende auf die Straßen, um dagegen zu protestieren. Als dieselben repressiven Maßnahmen kurz darauf in den Koalitionsvertrag von Union und SPD Eingang fanden und nun in die Tat umgesetzt werden, hat es kaum jemanden interessiert (siehe Seite 9).
Nicht autoritäre und rassistische Politik an sich gilt als Tabubruch und Angriff auf die Demokratie, sondern nur die Beteiligung von Rechtsextremen an entsprechenden Beschlüssen. Dies wiederum scheint Teile der CDU zu animieren, die letzten Hemmungen fallen zu lassen. Indem Bundeskanzler Merz mit seiner »Stadtbild«-Aussage mal salopp nicht nur Asylsuchende, sondern implizit alle, die ihnen äußerlich vermeintlich gleichen, zum »Problem« erklärt hat, dockt er an die völkische Rhetorik von »Remigration« an und überführt sich selbst der Unwahrheit, wenn er bezüglich der AfD behauptet: »Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen dieser Partei und uns.«
Von ihm und seiner CDU die »Aufrechterhaltung« einer Brandmauer gegen rechts zu fordern, hat mit der Realität offensichtlich nicht viel zu tun. Oder anders gefragt: Was bringt eine Brandmauer, wenn es auf beiden Seiten brennt?