Ein Mitglied vom Anarchist Black Cross Belarus über die Ausladung von einer anarchistischen Buchmesse »Man will uns nicht hören, weil unsere Position im Westen nicht populär ist«

Am 7. November findet im Berliner Mehringhof die anarchistische Buchmesse statt. Die Gruppe Anarchist Black Cross Belarus darf nach eigener Aussage an dieser nicht teilnehmen. Die Jungle World sprach mit ­einem Mitglied der Gruppe über die Gründe und über anarchistische Solidarität in Kriegszeiten.

Warum sollt ihr nicht an der Buchmesse teil­nehmen?

Erst kam eine Absage mit falschen Behauptungen über unsere Veranstaltungen und unser Material. Nachdem wir das richtiggestellt hatten, hieß es, wir dürften nicht teilnehmen, weil unsere Position zum Krieg in der Ukraine nicht mit der der Organisator:innen übereinstimme. Eine Erklärung ihrer Haltung bekamen wir nicht. Leider kennen wir das bereits aus eigener Erfahrung, auch anderen Gruppen aus Belarus, der Ukraine und in einem gewissen Maß auch Russland ist so etwas schon passiert. Man will uns nicht hören, weil unsere Position im Westen nicht populär ist.

Weil ihr für eine militärische Unterstützung der Ukraine seid und das anarchistische Prinzipien widerspreche?

Das ist der Vorwurf, aber das Gegenteil ist richtig. Solidarität, gegenseitige Hilfe und Internationalismus sind Grundprinzipien des Anarchismus. Wer das ernst nimmt, kann Menschen in Kriegs- und Frontzonen nicht sich selbst überlassen. Unterstützung für Basisinitiativen oder humanitäre Hilfe ist keine Abkehr vom Anarchismus, sondern seine logische Konsequenz. Unsere Unterstützung erfolgt individuell, nicht über die ukrainische Armee. Wir sammeln Geld für elementare Dinge wie Schutzwesten und medizinisches Material. Manche westliche Anti­militarist:in­nen raten den Ge­noss:innen zu desertieren. Sie übersehen dabei, dass viele dieser Anarchist:innen schon 2014 vor der russischen Besatzung aus dem Donbass oder der Krim geflohen sind.

An der Front zu kämpfen, ist also eine Option?

Ja. Es geht um das Überleben anarchistischer Strukturen in der Ukraine. Eine anarchistische Alternative zu zentralisierten Armeen gibt es derzeit nicht. Der Kampf ­bedeutet nicht, den Staat zu legitimieren, sondern sich gegen eine imperialistische Macht zu wehren. Wenn Anarchist:innen und Antifaschist:in­nen in dieser Widerstandsbewegung fehlen, überlassen wir das Feld den Nationalist:innen, das wäre das eigentliche Desaster.

Hat sich die Haltung der westlichen Linken seit dem russischen Angriff verändert?

Anfangs wollten viele verstehen, was in der Ukraine passiert. Jetzt herrscht Müdigkeit. Diskussionen sind dogmatisch geworden, teils aggressiv. Es gibt nach wie vor einen gewissen arroganten Glauben, man verstehe alles, ohne sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass es unter den Bedingungen moderner Kriegführung keine autonomen Gruppen an der Front, keinen Guerillakrieg geben kann. Im Europa des 21. Jahrhunderts tobt ein Krieg, und wir müssen uns in erster Linie auf die Erfahrungen von Menschen stützen, die von diesem Krieg betroffen sind. ­Diese ukrainischen Ge­noss:innen, Menschen, die in russischen Gefängnissen verrotten, Folter erleiden, jahrelang nicht richtig schlafen können, durch Bomben sterben und in einer brutalen Krise leben, werden von westlichen Linken dazu aufgerufen, Neonazis im ­eigenen Land zu bekämpfen und ihre Gewehre umzudrehen. Und das tun Menschen, die selbst unter Bedingungen weit größerer Freiheit und mit weitaus größeren Ressourcen nicht in der Lage sind, die Bajonette gegen ihre eigenen Regierungen zu richten oder sich gegen die Rechte zu verteidigen. Das ist pure Heuchelei.

Was wäre also die wichtigste Form der Solidarität?

Ganz praktisch: Geldspenden, Unterkünfte, Rückzugsorte für erschöpfte Aktivist:innen. Ebenso wichtig ist es, gegen Desinformation in linken Strukturen zu arbeiten und zu verhindern, dass unsere Stimmen aus Veranstaltungen ausgeschlossen werden. Wer mehr tun will: Schreibt uns, es gibt genug zu tun.