Eine Woche im August in Frankfurt am Main: Zum System Change Camp, dem IZ und der Debatte um diese

Das System Change Camp wurde schon vor seinem Beginn medial und politisch auf unterschiedlichsten Ebenen angegriffen – was für ein linksradikales Camp zunächst einmal nicht überraschend ist. Zur Eskalation kam es schlussendlich mit mehreren antisemitischen Vorfällen. Dass es zu solchen kommt, war in der jüdischen Community teils schon zuvor befürchtet worden.
Was klar ist: Der Kampf rechter Parteien wie der CDU oder rechter Medien wie der Springerpresse gegen Antisemitismus ist oft vor allem ein rassistisch-instrumenteller bzw. repressiver. Anstatt jedoch reaktionäre Männer ins Leere laufen zu lassen und bspw. Poster von palästinensischen Gefangenen oder Opfern neben die Poster der Hamas-Geiseln zu hängen, riss man sie lieber vor laufenden Kameras ab.
Eigentlich selbstverständlich, scheinbar trotzdem notwendig zu sagen: Die Geiseln haben genau nichts mit den aktuellen israelischen Kriegsverbrechen zu tun, auch wenn sie teils in instrumenteller Absicht aufgehängt wurden. Wer sich von Bildern verschleppter Zivilist*innen provoziert fühlt und Gedenkplakate an (in Teilen tote) Menschen abreißt und in den Müll wirft, zeigt eine antisemitische Verrohung, die uns schockiert. Bei aller Berufung auf „Rote Linien“ des Camps Nationalfahnen abzulehnen – was wir auch erstmal unterstützen würden –, könnte man die Deutschlandfahnen einfach überkleben und die Fotos hängen lassen (mal abgesehen davon, dass gar nicht auf allen Postern Nationalfahnen waren).
Was uns auch gruselt: Dass vermeintlich Verantwortliche auf Social Media sofort mit vollem Namen und Arbeitsstelle gedoxxt und damit reaktionären Politiker*innen, den Bullen und Faschos zum Fraß vorgeworfen werden. Die AfD-Fraktion im hessischen Landtag nutzte die veröffentlichten Informationen dann auch direkt für eine ‚Kleine Anfrage‘. Dazu lässt sich nichts mehr anderes sagen als: Jutta, what the fuck?!
Auch der Brandanschlag auf das – inzwischen geräumte – Internationalistische Zentrum (IZ) ist durch nichts zu rechtfertigen und wir drücken allen Betroffenen unsere Solidarität aus. Er weckt böse Erinnerungen an die Jahre 2018 und 2019, als mehrfach linke Projekte von einem rechten Brandstifter angezündet wurden und dabei der Verlust von Menschenleben, genau wie jetzt beim Gebäude des IZs, mindestens billigend in Kauf genommen wurden. Der Anschlag fügt sich, welche menschenfeindliche Motivation auch immer dahintersteckt, in die zunehmend illiberale Gesellschaft ein, welche Gewalt aus rassistischen, sexistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Motiven befeuert.
Und in diesem Kontext ist auch die Räumung des IZs zu verstehen und es schockiert uns, dass so manche Linke ihre Freude über die Räumung öffentlich zur Schau stellen.
Leider können wir aber auch nicht einfach hierbei bleiben, da uns die Gesamtsituation in der Frankfurter Stadtgesellschaft und insbesondere der radikalen Linken extrem besorgt. Veröffentlichungen des IZs in der letzten Woche endeten mit Parolen wie „Alle gegen Zionisten“ und „Von Frankfurt bis nach Gaza, Yallah Intifada“. Auch auf dem System Change Camp gab es immer wieder Äußerungen in diese Richtung.
Kurzer Reminder: Die militärische Strategie der zweiten Intifada – initiiert von Hamas und anderen islamistischen Gruppen – war geleitet von Terroranschlägen, größtenteils auf zivile Ziele wie Busse oder Restaurants. Wer sich hierauf positiv bezieht, heroisiert neben „Widerstand“ vor allem militärische Gewalt, Selbstmordattentate, zivile Opfer und Märtyrertum. Ebenso ist offensichtlich, dass bei einer erfolgreichen Intifada bei den aktuellen Kräfteverhältnissen kein sozialistisches Palästina, sondern eine islamistische Gewaltherrschaft entstehen würde.
Gleichzeitig werden – u.a. in den jüngeren Aussagen des IZs – der Zionismus mit Faschismus gleichgesetzt und Zionist*innen als Feinde markiert.
Als nationale Befreiungsbewegung des Judentums entstand der Zionismus maßgeblich aus der Erfahrung jahrhundertelanger antisemitischer Verfolgung und Ermordung, die in der Shoah gipfelte. Er verspricht deshalb vor allem: Einen bitter nötigen Ort zum Überleben von Jüd*innen. Dies ist ein zentraler Unterschied zu faschistischen Bewegungen – unabhängig davon, wie dieser umgesetzt wurde und wird.
Die pauschale Verurteilung „der Zionisten“ verwischt außerdem jeglichen Unterschied zwischen den vielen zionistischen Strömungen von links bis rechtsautoritär. „Der Zionismus“ ist nicht deckungsgleich mit bspw. den aktuellen Annexionsplänen von Gaza und dem Westjordanland, wenngleich er durchaus als Begründung für diese herangezogen wird. Das heißt nicht, dass man zionistische Positionen grundsätzlich nicht kritisieren darf, die stattfindende Gleichsetzung mit Faschismus verkennt jedoch völlig die Diversität des Zionismus und vor allem den Entstehungskontext durch die Betroffenheit von Jüd*innen durch faschistische Gewalt.
Wenn Internationalist*innen, die häufig sehr großzügig über den reaktionären Charakter und die Gewalt nationaler Befreiungsbewegungen hinwegsehen, Zionismus aber pauschal mit Faschismus gleichsetzen, bleibt als Schluss eigentlich nur, dass sie die nationale Befreiung aller wollen – außer von Jüd*innen; welche Konsequenz das hätte, hat die Geschichte eindrücklich gezeigt. Um das zu erkennen, muss man sich, das sei an dieser Stelle betont, ausdrücklich weder mit dem Handeln noch mit der Ideologie des Netanyahu-Regimes oder der rechtsradikalen Siedlerbewegung gemeinmachen.
Die ständige Anschuldigung und das Verantwortlichmachen von „den Zionisten“ für alle Angriffe aufs IZ deckt sich zudem mit dem antisemitischen Verschwörungsmythos des allmächtigen, im Hintergrund Strippen ziehenden und bösen Juden.
Aber zurück zur Frankfurter Stadtpolitik, die diese Aussagen und Aktionen für eine allgemeine repressive Welle gegen jegliche Form von linker Politik nutzen: Leute wie der CDU Mann Albrecht „Man hat den Eindruck, in dieser Stadt regiert die Straße“ Kochsiek bspw. haben sich auch vehement für die Räumung der Druckerei ausgesprochen. Generell hetzen CDU, FDP, FAZ & Co. seit jeher – mal mit diesem, mal mit jenem vorgeschobenen Grund – konsequent gegen jede Besetzung und damit für Law & Order, rechten Kulturkampf und die Verteidigung von Eigentum & Kapitalinteressen.
Auf das Ende der 2022 begonnenen Ära größtenteils erfolgreicher Besetzungen in Frankfurt arbeiten rechte Kräfte der Stadtgesellschaft schon seit längerem hin – die autoritäre Formierung des Staates und der Rechtsruck in der Gesellschaft spielen ihnen dabei in die Karten. Darüber hinaus dürften auch der Bruch der Frankfurter Regierungskoalition und der damit einhergehende hohe Druck auf die Stadtregierung, der beginnende Kommunalwahlkampf sowie der aus unterschiedlichen Gründen hohe Druck auf die für das besetzte Gebäude zuständige Dezernentin Sylvia Weber eine Rolle spielen. An dieser Ausgangslage ändern auch Angriffe aufs IZ, die von offensichtlichen Fans der israelischen Regierung ausgingen (wie diverse Sticker oder die pöbelnden Männer in IDF-Merch), nichts.
Trotzdem muss ebenso festgehalten werden: Die Ausgangslage wird deutlich dadurch verschärft, dass es sich beim IZ um ein migrantisch geprägtes und palästinasolidarisches Projekt handelt. Der staatliche Verfolgungswille gegen diese Bewegung zeigt sich beispielhaft am vom Oberbürgermeister durchgesetzten Verbot der Solidaritätsdemo anlässlich des Brandanschlags sowie der Räumung.
Ein autoritäres Instrument, das die Stadt – regiert von einer vermeintlich „progressiven“ Koalition – zunehmend gegen palästinasolidarische Veranstaltungen verwendet, und damit vor Gericht (nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechtsstaats: zurecht) meistens krachend scheitert: Beispielhaft für dieses repressive Vorgehen ist das versuchte Verbot der United4Gaza-Demo vom letzten Wochenende, die sich erstmal völlig zu Recht für einen Frieden in Gaza einsetzte, bei der es aber auch zu einigen antisemitischen Vorfällen kam.
Es ist der Stadt und den Repressionsbehörden bei ihren Angriffen auf das Demonstrationsrecht offensichtlich herzlich egal, ob Demos mit einem linken, friedenspolitischen oder einem islamistischen Anspruch organisiert werden, ob dort mit antisemitischen Vorfällen zu rechnen ist oder nicht. Solche pauschalen, repressiven Bemühungen finden wir natürlich scheiße! Verschärfungen des Versammlungsrechts treffen schlussendlich, wenn auch nicht zeitgleich, alle. Sie sind, wie aktuell vielfältig zu beobachten, ein erprobtes Instrument für den autoritären Umbau, rassistische Praxis von Staat und Gesellschaft. Selbstkritisch müssen wir uns eingestehen, dass wir aufgrund unserer politischen Differenzen hierzu in der Vergangenheit zu wenig Stellung bezogen haben.
Wir wissen, dass nicht alle im IZ hinter den öffentlich getroffenen antisemitischen Äußerungen stehen. Doch es sind für uns weder Widerspruch noch Differenzierung, Ambivalenzen oder Kritik vernehmbar. Beim System Change Camp gehen wir ebenso davon aus, dass die Aktionen nicht von allen Teilnehmer*innen oder der gesamten Camporga mitgetragen wurden, aber auch hier war kaum Widerspruch hörbar.
Damit wollen wir explizit nicht dazu aufrufen, sich als Linke jetzt öffentlich gegenseitig zu canceln und/oder nachträglich zu behaupten, das Camp hätte boykottiert werden sollen (auch wir haben an dem Camp teilgenommen und Workshops (mit-)veranstaltet und besucht). Wir wünschen uns aber eine Linke, die auch Antisemitismus ernst nimmt und Betroffenen von Antisemitismus zumindest so viel Empathie entgegenbringen kann, dass die Fotos der Geiseln nicht im Müll landen. Wir wünschen uns, dass es etwas bedeutet, wenn die jüdische Studierendenunion davon spricht, dass das SSC kein sicherer Raum ist.
Stattdessen haben wir den Eindruck, dass kein Platz mehr für die tatsächliche Auseinandersetzung übrig bleibt zwischen der Abwehr jeglicher Antisemitismusvorwürfe und repressiver Vulgär-Antisemitismuskritik. Ein Beispiel für Letztere ist die Reaktion auf das auf Social Media viel geteilte Foto eines Banners auf dem SCC mit der Aufschrift „Wir müssen leider draußen bleiben“ und die Bilder zweier Schweine. Es ist offensichtlich, dass sich dieses Transparent gegen die staatlichen Repressionsbehörden richtete. Das Bullen Schweine sind, ist zumindest in der Linken quasi Allgemeinwissen. Aufgrund der Schweine-Ikonografie wurde es aber als bewusste antisemitische Zweideutigkeit interpretiert. Das finden wir völlig absurd.
Es zeigt aber auf, was passiert, wenn die lautesten Stimmen gegen Antisemitismus die von FDP, CDU und Co. sind: Antisemitismuskritik verkommt zum billigen Vorwand, um Repressionen und Hetze gegen linke Bewegungen zu rechtfertigen. Statt eines linken Universalismus, dient sie dann dem reaktionären Kampf „gegen jeden Extremismus“. Na herzlichen Dank.
Was bleibt:
Dass in der vormaligen „Antifahochburg“ ein linkes Camp und seine Infrastruktur sowie ein besetztes Haus angegriffen werden können, macht deutlich, 1. wie schnell die Situation sich auch in vermeintlich liberalen, westdeutschen Großstädten verschlimmern kann und 2. wie wehrlos wir aktuell neben politischen Angriffen auch den physischen Angriffen unserer Gegner gegenüberstehen. Die Zeiten werden schnell rauer und autoritärer, und wir scheinen kaum vorbereitet zu sein.
Das ist wenig verwunderlich. Als radikale Linke sind wir seit den letzten zwei Jahren stark gespalten. Zwischen den unterschiedlichen Strömungen gibt es kaum Kommunikation oder gar Zusammenarbeit, was auch, aber nicht ausschließlich in den mannigfaltigen menschenfeindlichen Positionen begründet liegt. Es gibt wenig Interesse an kontroversen Auseinandersetzungen und kritischer Solidarität, dafür umso mehr an gegenseitiger, auch öffentlicher Feindmarkierung. Die von Rechten vorangetriebene Verrohung und Polarisierung der bürgerlichen Gesellschaft zeigen auch in der linken Szene Frankfurts ihre Früchte.
Viele haben sich gleich aus jeglicher Praxis verabschiedet und begnügen sich mit selbstgerecht-zynischen Kommentaren im Internet. Andere (ausdrücklich: leider auf allen „Seiten“) stecken ihre Energie gleich ins Recherchieren, Bedrohen, Einschüchtern und Doxxen anderer Linker. Von so veröffentlichten Namen und Adressen profitieren ausschließlich Repressionsbehörden und andere rechte Schweine. Letztere gleich doppelt: Deren Namen und Adressen werden in letzter Zeit eher seltener recherchiert und veröffentlicht.
Abschließend bleibt uns nur zu sagen, dass wir hoffen, dass in Zukunft mehr Raum für tatsächliche Diskussionen ist. Auch wir haben diesen Text für unsere Verhältnisse ziemlich schnell zusammengeschrieben und haben deshalb sicherlich einige offene Punkte und blinde Stellen. Wir freuen uns daher über (ernsthafte) Antworten und Reaktionen. Schreibt uns gerne eine Mail, reagiert in den üblichen Szenemedien oder sprecht uns an.
kritik & praxis – radikale linke [f]rankfurt