10.000 Menschen waren hier inhaftiert – Sachsens einzige KZ-Gedenkstätte in Sachsenburg steht vor dem Aus

Der Freistaat will seine NS- und SED-Erinnerungslandschaft vernachlässigen – und streicht das Geld für den Umbau des einstigen KZ Sachsenburg zu einem Besucherzentrum. Dagegen regt sich bundesweiter Protest.
Sachsen ist reich an historischen Superlativen. An Positiven ebenso wie an Negativen. Zu letzteren zählt der traurige „Ruhm“, dass nach der Machtübernahme Hitlers 1933 in Sachsen so viele frühe Konzentrationslager errichtet wurden wie nirgendwo sonst im damaligen Reich.
An mehr als zwei Dutzend Orten brachten die Nazis vor allem politische Gegner wie Kommunisten und Sozialdemokraten unter. Später kamen Juden und Priester hinzu sowie Zeugen Jehovas. Das größte dieser Lager befand sich in einer ehemaligen Spinnerei im Zschopautal beim Ort Sachsenburg, der zu Frankenberg gehört.
Insgesamt 10.000 Menschen wurden in Sachsenburg inhaftiert und misshandelt, mehrere getötet. Um daran zu erinnern, hat vor wenigen Jahren der Ausbau des Geländes zur einzigen sächsischen KZ-Gedenkstätte begonnen. Doch inzwischen ist das Projekt schon wieder gefährdet. Die neue Landesregierung aus CDU und SPD will die Arbeiten über die begonnenen Bau- und Geländesicherungsmaßnahmen hinaus nicht fortsetzen. Die Mittel im Haushalt 25/26 sind auf null gesetzt.
„Wir würden das Projekt … komplett beenden.“
Frankenbergs CDU-Chef Andreas Schramm hat für den Fall, dass der Freistaat bei seinem Beschluss bleibt, auch für seine Stadt verkündet: „Wir würden das Projekt … komplett beenden.“ Damit könnte die ehemalige KZ-Kommandantur nicht wie geplant zum Besucherzentrum mit Dauerausstellung ausgebaut werden. Und Sachsen bekäme nun doch keine KZ-Gedenkstätte. Dagegen regt sich deutschlandweiter Widerstand.
Das Aus für den Erinnerungsort würde „die landesweite Erinnerungskultur für die Opfer des Nationalsozialismus massiv schwächen und ein wichtiges historisches Erbe aufs Spiel setzen“. Das schreibt etwa die Arbeitsgemeinschaft „Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“, in der 19 Einrichtungen aus zwölf Bundesländern vertreten sind. Der geplante Lern- und Erinnerungsort habe „ein einzigartiges Potenzial, essenzielles Wissen über die Anfangszeit der NS-Diktatur zu vermitteln“, so die AG, und sei „im Landeskontext nicht hoch genug einzuschätzen“.
Für Sachsen unwiederbringlich verloren
Die Relevanz des Projektes lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien den Förderantrag der Stadt Frankenberg im Rahmen des Bundesgedenkstättenkonzepts 2022 bewilligt hatte. Der Bund will die Hälfte der ursprünglich auf fünf Millionen Euro angesetzten Gesamtkosten (inzwischen geht man von sechs Millionen aus) übernehmen, den Rest wollte der Freistaat stemmen. Mit dessen Rückzug stehen nun auch die Bundesmittel infrage.
Das Problem ist umso gravierender, weil schon eine Verzögerung der Ausbaumaßnahmen es zum Scheitern bringen könnte. „Die Sanierung des historischen Kommandanturgebäudes muss sofort in Angriff genommen werden, da es andernfalls infolge des maroden Zustands baulich nicht erhalten werden kann“, erklärt der Wissenschaftliche Beirat der KZ-Gedenkstätte Sachsenburg, in dem Historikerinnen und Historiker aus ganze Deutschland sitzen. Essenzielle bauliche Zeugnisse aus der NS-Zeit wären damit für Sachsen unwiederbringlich verloren, so das Gremium.
Bedeutsam für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Der Beirat unter Vorsitz von Mike Schmeitzner, Vize-Direktor des Hannah Arendt Instituts für Totalitarismusforschung, und Dr. Birgit Sack von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten appelliert nachdrücklich an die Verantwortlichen, „diese Entscheidung zu überdenken“.
Die Zeit drängt nicht nur wegen ihres bauschädigenden Einflusses: Die Ausbreitung rechtsextremer Haltungen und die damit einhergehende Relativierung von NS-Verbrechen schreitet gegenwärtig auch und besonders stark in Sachsen voran. „Gerade heute sind Orte wie die KZ-Gedenkstätte Sachsenburg, die die Bedeutung von Demokratie, Pluralität und Rechtsstaatlichkeit anhand der historischen Entwicklung im Nationalsozialismus aufzeigen, unverzichtbar“, stellt das Gremium vor diesem Hintergrund klar.
Inzwischen hat sich auch der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten eingeschaltet. „Die zugesagte Aufbaufinanzierung der Gedenkstätte KZ Sachsenburg muss im 80. Jahr nach dem Ende der NS-Diktatur erfüllt werden“, fordert Markus Pieper. „Die angestoßene Weiterentwicklung der Gedenkstätten zu zeitgemäßen, offenen und inklusiven Lernorten und die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Projekte in ganz Sachsen dürfen nicht gefährdet werden.“
Sachsens Anschluss an NS- und SED-Aufarbeitung gefährdet
Den Plural setzt Pieper bewusst, denn die „Nullrunde“ der Landesregierung betrifft nicht allein Sachsenburg. Sie würde obendrein die Arbeit der Sächsischen Gedenkstätten samt ihrem Stiftungs-Dach insgesamt schädigen. Denn die Stiftung ist unter anderem zuständig für die Förderung im Aufbau befindlicher Erinnerungsorte.
Doch auch deren Budget für 2026 wurde auf dem Stand von 2024 zurückgesetzt. Was faktisch eine Kürzung bedeutet. „Dies wird nicht nur die Arbeit der acht Stiftungseinrichtungen einschränken, sondern auch der sachsenweit zwölf institutionell geförderten Gedenkstätten in freier Trägerschaft, die bereits jetzt am unteren Limit des Möglichen arbeiten“, sagt der Historiker Markus Pieper. Als Fazit findet der sonst eher zurückhaltende Stiftungschef ungewohnt drastische Worte: „Dem Freistaat Sachsen droht damit erneut der Verlust des Anschlusses an die bundesdeutsche Aufarbeitungslandschaft.“
„Die Landesregierung entledigt sich ihrer Verpflichtung“
Nicht minder schockiert zeigt sich der Historiker Felix Pankonin vom Einfrieren oder Streichen der Fördermittel für Erinnerungskultur: „Das schädigt die Zivilgesellschaft substantiell, die sich mehrheitlich in der Fläche des Landes und zum Teil unter schwierigsten Bedingungen für ein demokratisches Gemeinwesen starkmacht.“
Pankonin ist Historiker am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig und der Sprecher der Sächsischen „Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“, kurz sLAG. Deren Mittel sollen sogar um 30 Prozent gekürzt werden.
Tatsächlich wäre Sachsens Erinnerungslandschaft an die deutschen Diktaturen ohne das bürgerschaftliche Engagement von Vereinen und Initiativen in ihren heutigen Dimensionen so nicht denkbar. Denn am Anfang aller Gedenkstätten wie Bautzen, Pirna-Sonnenstein oder dem ehemaligen Stasi-Gefängnis auf dem Chemnitzer Kaßberg standen und stehen Initiativen von Vereinen. Diese unterstützen die Gedenkorte auch nach deren Fertigstellung anhaltend durch ihr freiwilliges Mitwirken, etwa bei Veranstaltungen und Führungen.
Angesichts der Streichpläne, die die gesamte Erinnerungs- und Gedenkarbeit an die beiden deutschen Diktaturen betreffen, kommt Felix Pankonin zum Schluss: Sollte sie daran festhalten, „entledigt sich die Landesregierung auf diese Weise ihrer Verpflichtungen“.