Chef der „Elblandrevolte“: Politiker-Prügler wegen weiterer Schlägerei angeklagt

Seit 30. Dezember 2024 sitzt Finley P. (18) in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Der Chef des Neonazi-Trupps „Elblandrevolte“ soll eine Linken-Lokalpolitikerin in Görlitz zusammengeschlagen haben. Doch am heutigen Dienstag landete er wegen einer anderen Gewaltaktion vor Gericht: Er soll vor zwei Jahren in Görlitz mit fünf anderen jungen Männern zwei Passanten verprügelt haben.

Der Görlitzer Marienplatz ist der Polizei bestens bekannt: Hier trifft sich die Trinker-Szene der Stadt, darunter viele Jugendliche. Auch Finley P., damals als 16-Jähriger im betreuten Wohnen in Leipzig sesshaft, war hier oft, wenn er seine Mutter in der Neißestadt besuchte. So auch am 14. Januar 2023.

Gegen 1.15 Uhr kamen hier René B. (44), Dirk W. (39) und Peggy R. vorbei. Sagen die einen Zeugen, die Männer hätten der Jugendgruppe nur ein „He“ zugerufen, sagen andere, sie hätten gar nichts gesagt, wieder andere sie hätten gepöbelt.

Unstrittig: Beide Männer wurden angegriffen, zu Boden gezerrt, getreten und geschlagen.

Wenig später kam es am Demianiplatz zur zweiten Runde: Zu dieser Attacke wurde noch Kevin F. (29) aus einer nahen Shishabar geholt. Offenbar mit einer dreisten Lüge: Einer der mutmaßlichen Schläger soll ihm erzählt haben, Dirk W. habe Kevins Vater beleidigt. Dabei kennen die beiden sich nicht mal.

Hohe Strafe droht Finley P. nicht

Nach dem zweiten Angriff blieb Dirk W. mit einem Unterschenkelkopf-Bruch zurück, auch René B. trug wohl schwere Verletzungen davon, verweigerte aber, sich untersuchen zu lassen.

Alle Angeklagten bis auf Norman R. (28), der krankheitsbedingt fehlte, gaben den Angriff zu. Auch Finley, nachdem er anfangs schwieg: „Wir haben viel getrunken. Ich weiß, dass ich ein- bis zweimal zugeschlagen habe. Das war eine relativ sinnlose Aktion, ich möchte mich dafür auch entschuldigen.“

Eine hohe Strafe droht ihm dafür nicht: Weil er zur Tatzeit 16 war, müsste er dafür erzieherische Maßnahmen wie Arbeitsstunden bekommen. Allerdings kann er in U-Haft nichts davon ableisten.

Die Jugendgerichtshilfe rechnete ihm darüber hinaus positiv an, dass er sich in Dresden einen größeren Freundeskreis aufgebaut habe. Dass dieser auch in den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz auftaucht, spielte dabei wohl keine Rolle. Der Prozess wird fortgesetzt.

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Michael Krell 29.01.2025 ZEIT

Elblandrevolte: Von TikTok in die Untersuchungshaft

Mitglieder der Neonazi-Gruppe Elblandrevolte wurden durch Proteste bekannt. Auf TikTok sind sie bei Jugendlichen beliebt. Nun sitzt ihr Anführer im Gefängnis.

Die Stadt Görlitz im Osten von Sachsen im November 2024: Wie jeden Montag seit der Coronapandemie zieht eine rechtsextreme Montagsdemonstration durch die Innenstadt. Neben den überwiegend älteren Teilnehmern, die der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen nahestehen, marschiert eine martialisch auftretende Gruppe junger rechter Aktivisten.

Sie hebt sich ab mit einem Einheitslook aus schwarzen Regenjacken und hellen Jeans. Als kleiner Block laufen sie mit eigenem Banner und per Megafon angesagten Sprechchören.

Am Ende der Route trifft der rechtsextreme Protest auf eine Gegenkundgebung, organisiert vom örtlichen Klare Kante Bündnis um Samara Schrenk, eine junge Kommunalpolitikerin der Linken. Mehrere Neonazis laufen auf die Demonstranten zu, einer von ihnen tritt aus der Gruppe heraus. Ein Video, das in den sozialen Medien kursiert, zeigt, wie er sich bedrohlich vor ihr aufbaut und sagt: „Du brauchst gar nicht denken, dass ich dir irgendwann mal keine reinschieße, nur weil du eine Fotze bist.“

Bei dem jungen Neonazi, der diese Worte aussprach, handelt es sich um den 18-jährigen Finley P. Er ist Stützpunktleiter der Jungen Nationalisten (JN), der Nachwuchsorganisation der rechtsextremen Partei Die Heimat, in Dresden. Zugleich ist er damit Anführer der Elblandrevolte, die formell als Dresdner Ortsgruppe der JN fungiert. Sie existiert erst seit rund einem Jahr, hat jedoch bereits für Aufsehen gesorgt.

Mutmaßliche Gruppenmitglieder sollen den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke beim Plakatekleben in Dresden zusammengeschlagen haben. Die Gruppe distanzierte sich schnell von den mutmaßlichen Angreifern. Ihrer Anziehungskraft schadete der Fall nicht. Über die sozialen Medien, besonders TikTok, erreichte die Gruppe deutschlandweite Bekanntheit.

Videos ihrer Proteste gegen den Christopher Street Day in Dresden gingen auch dank einer Fernsehdokumentation viral. Auf einmal entstand ein Hype um die Elblandrevolte und ihren Anführer, der sich bei Protesten, Gruppenfotos und Banneraktionen mit Megafon, JN-Aufnäher und White-Power-Zeichen inszeniert.

Aus der sächsischen Provinz in die sozialen Medien

Im August rief die Gruppe zu Protesten gegen den Christopher Street Day in Bautzen auf. Als daraufhin eine rechtsextreme Demonstration mit an die 800 überwiegend sehr jungen Teilnehmern und Finley P. an der Spitze durch die Stadt zog, wurde der junge Neonazi zum TikTok-Star.

Zusammenschnitte mit schneller Musik, die Mitglieder der Elblandrevolte in Bautzen zeigen, werden teilweise hunderttausendfach geklickt. Die Gruppierung versucht, den Hype zu nutzen, ruft zu weiteren Protesten auf. Finley P. sendet regelmäßig Livestreams und versucht, sich als rechtsextreme Internetmarke zu etablieren.

Der Erfolg der TikTok-Neonazis beginnt beängstigend rasant. Immer mehr Jugendliche schließen sich ihren Protesten an, es gibt erste Nachahmer wie die Vogtlandrevolte. Die Elblandrevolte selbst scheint nach dem Hype im Netz bemüht, ihre Strukturen zu festigen. Sie ruft zu gemeinsamen Wanderungen auf, die die Gruppe als Kollektiv stärken sollen. Finley P. reist zu bundesweiten JN-Veranstaltungen, vernetzt sich in der bundesweiten Szene und hält sich sogar ein Wochenende bei griechischen Neonazis in Athen auf.

Doch Ostsachsen, die Heimatregion des aus Görlitz stammenden Finley P., bleibt nach den Protesten gegen den Christopher Street Day im Fokus der Elblandrevolte. Finley P. schickt seine Anhänger zu den Montagsdemonstrationen nach Bautzen und Görlitz. Fotos belegen, dass er bereits im April Teil einer Gruppe junger Neonazis ist, die montagabends von Dresden nach Bautzen fährt.

Auf einer der Heimfahrten im Zug bedrohen die Neonazis zwei Jugendliche, die rechtsextreme Sticker entfernen wollen. Das sächsische Landeskriminalamt ermittelt gegen einige Mitglieder, findet Schreckschusswaffen und Munition. Finley P. gerät jedoch nicht ins Visier der Ermittler.

Im November schlägt eine Gruppe Rechtsextremer nach einer Demonstration in Görlitz Gegendemonstranten zusammen. Vier Opfer, unter ihnen Mitglieder der Linksjugend, müssen von Rettungskräften versorgt werden. Die Polizei stellt einen Großteil der mutmaßlichen Angreifer und nimmt ihre Personalien auf.
Angriff vor dem Parteibüro

Für die Szene sind die Elblandrevolte und ihre eigentümliche Öffentlichkeitsarbeit ein Erfolg. Zuvor waren die Jungen Nationalisten in Dresden und Umgebung für einige Jahre quasi nicht existent. Die rechtsextremen Kleinstparteien III. Weg und Freie Sachsen scheiterten mit Versuchen, eigene Jugendorganisationen einzurichten.

Erst die Elblandrevolte baute eine für die Verhältnisse der rechtsextremen Szene niedrigschwellige Organisation für junge Anhänger im Raum Dresden auf – zunächst in den sozialen Medien, schließlich in der echten Welt. Gerade in Görlitz unterstützt sie immer wieder Jungneonazis, ruft zu Anti-CSD-Demonstrationen auf und fährt zu den Montagsprotesten.

Zivilgesellschaftliche und parteipolitische Akteure, die sich gegen die Neonazis engagieren, geraten dabei immer weiter unter Druck. Sie berichten von andauernden Drohungen und Nazisymbolen an ihren Privatwohnungen. Die Linksjugend Görlitz berichtete im November, dass sich viele von ihnen nachts nicht mehr auf die Straßen trauten und neuralgische Orte wie den Bahnhof meiden würden.

Kurz vor Weihnachten kam es in Görlitz zu einem neuen Höhepunkt der Gewalt. Als eine kleine Gruppe junger Menschen um die Linkenpolitikerin Samara Schrenk auf dem Weg zu ihrem Parteibüro war, wurde die Drohung von Finley P. aus dem November wahr.

Mit Pfefferspray, Schlagschutzhandschuhen und Glasflaschen bewaffnet, griffen mehrere vermummte Neonazis aus mehreren Richtungen an, schlug und trat auf die zahlenmäßig unterlegenen und bereits am Boden liegenden Opfer ein. Schrenk will einen der Angreifer erkannt haben: Finley P. Die Polizei nimmt zwei der Angreifer in der Nähe des Tatorts fest.

Danach geht es sehr schnell: Wenige Tage nach Weihnachten durchsuchen Ermittler die Wohnungen von sieben mutmaßlichen Mitgliedern der Elblandrevolte und Neonazis aus Görlitz. Finley P. sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Von der Elblandrevolte ist seitdem wenig zu hören – abgesehen von einem Aufruf, ihrem Anführer die Treue zu halten und ihm Briefe ins Gefängnis zu schicken. Auch bei der ersten Montagsdemo im neuen Jahr fehlt die Gruppe junger Aktivisten, nur vereinzelt lassen sich junge Neonazis unter den Teilnehmerinnen ausmachen.