Auslieferung nach Ungarn „Meine Befürchtungen haben sich bestätigt“
Im Juli wurde die mutmaßlich linksextreme, non-binäre Person Maja von deutschen Behörden nach Ungarn ausgeliefert. Ihre Anwälte und das Bundesverfassungsgericht wurden überrumpelt. Nun sprach Maja mit dem MDR erstmals über diese Nacht.
JVA Dresden in den frühen Morgenstunden des 28. Juni: Die Tür zu Majas Zelle wird aufgeschlossen. Grelles Licht weckt sie. Beamte des LKA Sachsen holen sie aus dem Raum. Erst vor wenigen Stunden hat das Kammergericht Berlin entschieden, dass Maja ausgeliefert werden darf.
Maja werden gewalttätige Überfälle auf Rechtsextremisten vorgeworfen, die sie im Rahmen des „Tags der Ehre“ im Februar 2023 in Budapest begangen haben soll. Die ungarische Justiz hat dafür ihre Auslieferung beantragt. Das monatelange juristische Tauziehen zwischen den deutschen Behörden und Majas Anwälten kulminiert in diesen Stunden.
Abgesperrte Straßen bei der Überstellung
Per Telefon hat Maja nun mit dem MDR gesprochen. Sie habe damit gerechnet, dass das Kammergericht für die Auslieferung entscheidet. Was sie jedoch überrascht habe, sei „die Art und Weise“ der Auslieferung gewesen. Noch am Abend davor sei sie so naiv gewesen zu glauben, dass die sächsischen Behörden eine Prüfung seitens des Bundesverfassungsgerichts abwarten würden.
In Dresden sei sie jedoch in den Morgenstunden von acht schwerbewaffneten Beamten in einem Polizeiwagen zum Flughafen gebracht worden, wo ein Helikopter bereitgestanden habe. Begleitet worden sei der Wagen von einer Eskorte von „mindestens zehn“ Mannschaftswagen der Polizei. Straßen auf dem Weg seien abgesperrt gewesen. In den Hubschrauber hätten sie Beamte des LKA begleitet.
„Das war wirklich ein Horrortrip“
Auch der Landeplatz in Passau sei schwer bewacht gewesen: „Der Flughafen war umstellt von vermummten Polizisten, die Maschinenpistolen im Anschlag hatten, um das abzusichern“, erinnert sich Maja. Auf MDR-Nachfrage erklärt das LKA Sachsen, dass es „zu einsatztaktisch- und technischen Maßnahmen, sowie zu taktischen Verhalten der Einsatzkräfte leider“ keine Auskunft erteilen dürfe.
Mit der Überstellung an die österreichischen Behörden seien die Sicherungsmaßnahmen noch einmal verschärft worden: „Da habe ich die kalte Brutalität der Polizei kennengelernt. Ich wurde behandelt wie ein verschnürtes Paket. […] Das war wirklich ein Horrortrip“, erzählt Maja. Ihr seien Hand- und Fußfesseln und eine Haube, wie man sie aus dem Boxsport kennt, angelegt sowie ein Sack über den Kopf gezogen worden. In einer winzigen Zelle im Gefangenentransport sei sie dann mehrere Stunden, ohne Pause und die Möglichkeit zu trinken, an die ungarische Grenze gebracht und an die dortigen Beamten übergeben worden.
Das österreichische Innenministerium verweist nach Fragen zur Überlieferung von Maja T. zunächst an das Justizministerium in Wien. Das wiederum antwortet dem MDR, dass „die praktische Durchführung der Durchlieferung den Sicherheitsbehörden obliegt“. Erneute Nachfragen im Innenministerium zum Transport an die ungarische Grenze werden mit dem Hinweis beantwortet, „dass zu polizeilichen Amtshandlungen betreffend Einzelpersonen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft gegeben werden kann.“
Wenige Beamte in Ungarn
Kurz vor 10 Uhr ist die Überstellung vollzogen und Maja in der Obhut der ungarischen Behörden. Beim Transport in Ungarn erlebt sie einen großen Unterschied: „Im Kontrast zu der deutschen und österreichischen Auslieferung war das ganz anders. […] Da bin ich mit wenigen Beamten nach Budapest gebracht worden, auch in keinster Weise mehr so martialisch.“
Majas Anwälte legten während des laufenden Vorgangs noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Überlieferung ein. Das BVerfG untersagte dann auch im Eilverfahren um 10:50 Uhr die Überstellung nach Ungarn: „Die Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden wird bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, einstweilen untersagt.“ Das war aber knapp eine Stunde, nachdem die Auslieferung nach Ungarn bereits abgeschlossen war.
Seitdem ist Maja in einem Budapester Gefängnis inhaftiert. Zu den juristischen Vorwürfen selbst will Maja nichts sagen, hofft aber nach wie vor auf ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland.
Schikane im Gefängnis
Auch über die Haftbedingungen vor Ort erzählt Maja. Angesichts von Medienberichten über die Haftbedingungen für die ebenfalls Beschuldigte Ilaria Salis sah Maja ihre Befürchtungen bestätigt: „Es gibt in meinen Augen eine mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln. Hygienische Produkte wurden mir vorenthalten. Es ist teilweise dreckig, es gibt unzählige Bettwanzen und Kakerlaken.“
Maja hebt ihre konstante Überwachung und besondere Sicherungsmaßnahmen hervor: „In meiner Zelle ist eine Videokamera, die ununterbrochen angeschaltet ist.“ Dazu weitere Kontrollen, welche sie als Schikane empfindet: „Ich musste mich eigentlich jeden Tag komplett vor Beamten entkleiden, also Intimdurchsuchung. Obwohl ich nur physischen Kontakt zu Beamten habe.“
Den Rest des Haftalltags beschreibt Maja als eintönig und isoliert: „Ich bin 23 Stunden in der Zelle, eine Stunde auf dem Hof und immer alleine. Ich habe kurz am Tag Kontakt zu den Beamten und einen sehr begrenzten Kontakt zu meiner Familie telefonisch.“
Vater erhebt schwere Vorwürfe
Maja wartet derzeit darauf, dass Bewegung in das Verfahren gegen sie kommt. Bislang ist die Untersuchungshaft bis Oktober festgesetzt. Sie wünsche sich, dass sich die Haftbedingungen nach den Europäischen Gefängnisregeln richten und die Haft bis zum Verfahren entweder zurück nach Deutschland oder in den Hausarrest gelegt wird, so Maja. Besonders aber, dass die Isolationshaft endlich aufhört.
Wolfram Jarosch, Majas Vater, erhebt wegen der Haftbedingungen schwere Vorwürfe gegen die ungarischen Behörden: „Maja ist seit zweieinhalb Monaten in Einzelhaft. Das ist Isolationshaft. Und das wird zu Recht auch als psychische Folter, als sogenannte weiße Folter bezeichnet. Dazu kommen verschiedene andere Erniedrigungen. Für mich stellt sich das dar, als ob Maja dort offensichtlich systematisch gefoltert und erniedrigt wird, um dort Aussagen zu erpressen.“
Petition an die Bundesregierung
Auch das Urteil des Kammergerichts Berlin kritisiert Jarosch: „Vor der Auslieferung war ja dem Kammergericht Berlin vom Justizministerium der Republik Ungarn mit einer Verbalnote am 29. April zugesichert worden, dass die europäische Menschenrechtskonvention, dass die europäischen Strafvollzugsregeln, dass die sogenannten Nelson-Mandela-Regeln der Vereinten Nationen eingehalten werden, dass also menschenwürdige Haftbedingungen dort herrschen. Und das ist leider von vorne bis hinten überhaupt nicht der Fall.“
Eine Sprecherin des Berliner Kammergerichts erklärte dem MDR auf Nachfrage, dass man sich zu dem Fall nicht mehr äußern könne, da das Auslieferungsverfahren abgeschlossen sei. Sie betont aber, dass dieses in einem rechtsstaatlichen Rahmen abgelaufen sei.
Majas Vater hat mittlerweile eine weitere Petition initiiert, die sich an Justizminister Marco Buschmann und Außenministerin Annalena Baerbock richtet. Sein Ziel ist, dass sein Kind aus Ungarn zurückgeholt wird oder zumindest dort angemessene Haft Bedingungen hat.