Gestörter Empfang: Warum eine Dresdnerin gegen den Rundfunkbeitrag klagt

Weil sie das Programm für unausgewogen hält, will die Dresdnerin Angela Grummt-Kontek keinen Rundfunkbeitrag zahlen. Jetzt wurde ihre Klage vor Gericht verhandelt.

„Ich konnte nicht mehr zurück“: Angela Grummt-Kontek hat die Klage gegen den Rundfunkbeitrag durchgezogen, will jetzt aber in Dresden ihren Ruhestand genießen.

Der Richter ist irritiert. „Darf ich das so verstehen, dass Sie Ihre Klage zurückziehen wollen?“, fragt er ernst und zieht die Augenbrauen hoch. „Nein, das will ich nicht“, stellt die Klägerin, ohne zu zögern, klar. Ja, sie möchte das hier alles nur noch hinter sich bringen. Ja, an dieser Stelle soll für sie Schluss sein, wie auch immer das Gericht entscheiden mag. Aber: Sie will das jetzt durchziehen.

Mehrfach dankt Angela Grummt-Kontek dem Richter beinahe überschwänglich dafür, dass er ihr zugehört habe. Und das hat er tatsächlich. Eine gute Viertelstunde lang durfte sie ihm ihr Herz ausschütten. Sie durfte von Demos erzählen, auf denen sie als „Nazi“ beschimpft werde, von krank machenden Nachrichten und von den jungen Leuten, die heute schon gar kein Fernsehen mehr schauen.

Gebührengedicht mit 16 Strophen

Am Ende durfte sie sogar ihr eigenes „Gebührenpflichtgedicht“ mit 16 Strophen in voller Länge vortragen: „Einseitigste Berichte – gewaschen das Gehirn, nein danke, ich verzichte, und biete hier die Stirn.“Dass der Richter an diesem Dienstagmorgen im Saal 6 des Dresdner Verwaltungsgerichtes noch kein Urteil fällt und ihr sogar zu verstehen gibt, dass die Rechtsprechung in ihrer Angelegenheit zuletzt „in Fahrt“ gekommen sei, stimmt Angela Grummt-Kontek zuversichtlich. Nicht, weil sie glaubt, dass ihre konkrete Klage Erfolg haben wird, sondern weil sie aus ihrer Sicht ihren Punkt rübergebracht hat.

Angela Grummt-Kontek, 64, blonder Pferdeschwanz, ist im vergangenen November in den Ruhestand gegangen. Den größten Teil ihres Berufslebens hat sie im öffentlichen Dienst verbracht. Zuletzt war sie im Hochbauamt der Stadt Dresden beschäftigt. Nun würde sie sich am liebsten entspannt ihrer neu gewonnenen Freiheit widmen, wäre da nicht noch diese Suppe, die sie sich selbst eingebrockt hat.

Schon vor längerer Zeit hat sie beschlossen, bis auf Weiteres keinen Rundfunkbeitrag mehr zu zahlen. In ihrem Vokabular ist das immer noch die GEZ-Gebühr, wobei diese bereits vor elf Jahren durch das schönere Wort Beitragsservice ersetzt wurde. Den Beitrag muss seitdem jeder zahlen, unabhängig davon, wie viele Fernseher, Handys oder Tablets er besitzt. Momentan sind monatlich 18,36 Euro fällig.

Angela Grummt-Kontek stellte ihre Zahlungen 2021 ein. Sie fühlte sich nicht ausreichend informiert, ja gar manipuliert durch eine aus ihrer Sicht zunehmend einseitige Berichterstattung und hatte erst recht kein Verständnis dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland trotz der „Zwangsgebühr“ noch Werbung senden dürften. Grundsätzlich befürworte sie die Gebührenfinanzierung, sagt die Dresdnerin, „aber nicht unter diesen Voraussetzungen“.

Der MDR betont dagegen, möglichst jeder Bevölkerungsgruppe Angebote machen zu wollen. „MDR für alle“ laute die Strategie. „Und gemäß unserer repräsentativen Umfrage MDR-Check vertrauen derzeit 74 Prozent der Menschen den Angeboten des MDR“, erklärt ein Sprecher des Senders. Das sei der zweithöchste Vertrauenswert hinter der Polizei. „Wir sind uns unserer publizistischen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst.“

Nach Einstellung der Zahlungen meldete sich der MDR mit seiner Forderung bei Angela Grummt-Kontek, die sie mit einem Widerspruch beantwortete. Vor rund anderthalb Jahren, im November 2022, reichte sie schließlich Klage gegen den Sender ein – unterstützt durch die bundesweite Initiative „Leuchtturm ARD“, die eine grundlegende Reform der Öffentlich-Rechtlichen erzwingen will. Der Streitwert wurde damals vom Gericht auf 165,24 Euro festgelegt. Damit hielten sich für Angela Grummt-Kontek mit rund 114 Euro auch die Gerichtskosten im Rahmen.

Was ist ein sozialer Härtefall?

In ihrer Klage beruft sie sich auf Paragraf 4 des Rundfunkstaatsvertrages und sieht sich selbst als „sozialen Härtefall“ an. Befreit werden in diesem Zusammenhang in der Regel Personen, die Sozialleistungen wie zum Beispiel Grundsicherung oder Bürgergeld erhalten oder gleichzeitig blind und taub sind. Für Angela Grummt-Kontek besteht die besondere Härte dagegen darin, für eine aus ihrer Sicht nicht erbrachte Leistung einen Beitrag zahlen zu müssen.

„Ich gehe davon aus, dass der ARD ZDF Deutschland Rundfunk seinen verfassungsrechtlichen Auftrag nach Artikel 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz nicht erfüllt, da er weder frei noch umfassend noch wahrheitsgemäß informiert“, heißt es in der Klageschrift, die nicht so klingt, als habe hier mal jemand nebenbei seinen Frust abgelassen. Die Vorlage stammt von der Leuchtturm-Initiative, die vor drei Jahren vom Filmproduzenten Jimmy C. Gerum gegründet wurde.

Gerum hat sich in den 90ern und Anfang der 2000er mit Filmen wie „So weit die Füße tragen“ und „Der Totmacher“ einen Namen gemacht. Inzwischen ist er Mitglied der Kleinpartei Die Basis, die eng mit der „Querdenken“-Bewegung verbunden ist. Er schwärmt vom Schweizer Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser.

Zittauer Anwalt hilft bei Klageschrift

Mit seinem Leuchtturm-Projekt will Gerum nach eigenen Angaben helfen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk „von äußeren Einflüssen zu befreien“. Ein Baustein dabei: die Gerichte nerven, bis sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Kernfrage auseinandersetzt, unter welchen Bedingungen ein Rundfunkbeitrag für alle infrage gestellt werden kann. Bei der Ausarbeitung der Klageschrift half der Zittauer Rechtsanwalt Friedemann Willemer – pro bono, wie Gerum betont. Willemer ist unter anderem Autor des Buches „Vom Scheitern der repräsentativen Demokratie“.

Von bundesweit derzeit rund 200 laufenden Klagen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk konkret mit dieser Argumentation spricht Gerum. Und das seien nur die, bei denen es einen direkten Kontakt zu seiner Initiative gibt. Eine dieser Klagen habe man inzwischen beispielhaft bis in die dritte Instanz vorangetrieben und zuletzt einen wichtigen Durchbruch erzielt. Das Bundesverwaltungsgericht entschied Ende Mai, dass die Revision gegen ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugelassen werden müsse. In der Begründung hieß es, das Revisionsverfahren könne Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten möglicherweise ihren Auftrag „strukturell verfehlen“, ein der „Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten“.

Die Initiative „Leuchtturm ARD“ will nun in den kommenden Wochen ein Gutachten erarbeiten, um womöglich eines Tages auch das Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, dass der Beitragszahler an der Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beteiligt werden müsse. „Der Anfang ist gemacht, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns“, sagt Gerum.

Zwei der in diesem Zusammenhang häufig genannten Themen beschäftigen auch Angela Grummt-Kontek besonders: die Einschränkungen während der Corona-Pandemie und zurzeit vor allem der Krieg in der Ukraine. Die Hintergründe des Konflikts würden nicht beleuchtet, kritisiert sie, Stimmen, die sich für einen schnellen Frieden einsetzten, blieben unbeachtet. „Die Medien schüren nur noch Angst. Viren, Hochwasser, Klimawandel, Waffenlieferungen – diese Gehirnwäsche macht auf Dauer krank.“

Während sich die Dresdnerin deswegen am liebsten ganz von Nachrichten fernhält, ist ihr Mann der Ansicht, man müsse sie schauen, um zu wissen, worüber man sich aufregen kann. „Aber sich immer nur zu beschweren, hilft eben nicht weiter“, sagt seine Frau. „Ich will später mal meinen Kindern sagen, dass ich etwas getan habe.“ Ihr Mann könne wiederum nicht verstehen, warum sie sich den ganzen Stress mit der Klage antut.

Zum Gerichtssaal begleitet er sie nicht. Überhaupt bleibt Saal 6 an diesem Morgen fast leer. In den vergangenen Wochen hat Angela Grummt-Kontek bei den „Montagsspaziergängen“ in Dresden noch Werbung für den Termin gemacht, aber niemand ist gekommen. Die wöchentlichen Demos werden von den rechtsextremen Freien Sachsen mitorganisiert.

Auch juristischen Beistand hat sie keinen dabei, wobei sie zeitweise in Kontakt mit dem Anwalt Jens Lorek gewesen sei, der gerade für eben jene Freien Sachsen in den Dresdner Stadtrat gewählt wurde. Für diese Partei habe sie allerdings nicht besonders viel übrig, sagt sie.

Immerhin eine Freundin begleitet die Klägerin als moralischer Beistand. Der verklagte MDR wiederum hatte bereits im Vorfeld mitgeteilt, keinen Vertreter zum Verhandlungstermin zu schicken. Auf Nachfrage teilt ein Sprecher des Senders mit, dass Klagen vergleichbaren Inhalts gegen den Sender in der Vergangenheit keinen Erfolg gehabt hätten. „Über die Anzahl führt der MDR keine Statistik. Es sind allerdings nur sehr wenige Einzelfälle.“

Was wenig bedeutet, ist wohl eine Frage der Perspektive. Jimmy C. Gerum sind rund 20 Klagen konkret gegen den MDR bekannt, in denen die Meinungsvielfalt im Fokus steht. Allein an diesem Dienstag stehen nach dem Fall Grummt-Kontek im selben Sitzungssaal drei weitere Fälle mit dem Thema „Rundfunkbeitrag“ auf der Tagesordnung, wobei es auf diesem Gebiet auch reichlich andere Klagegründe gibt.

Als die Verhandlung mit ein paar Minuten Verspätung beginnt, fasst der Richter zunächst die Sachlage zusammen: Zahlungen eingestellt, Bescheide, Widersprüche, Härtefall. Der MDR habe beantragt, die Klage abzuweisen. Allein schon aus formalen Gründen, denn weder beim Beitragsservice noch beim Sender selbst sei vor der Klage ein Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht eingegangen.

Als der Richter der Klägerin das Wort erteilt und sie gerade ansetzt, das vorbereitete Plädoyer vorzulesen, wird sie sogleich unterbrochen. „Bitte frei reden“, fordert der Richter. Sie liest trotzdem weiter.

Im Verlauf der Verhandlung macht der Richter deutlich, dass er ihre Argumentation mit der Härtefallregelung für Quatsch hält. Härtefälle könnten grundsätzlich nur individuelle Einzelentscheidungen sein und nicht aus einem möglichen strukturellen Versagen des Leistungserbringers resultieren. Weiterhin betont der Richter, dass die Beitragsleistung zunächst einmal vom Programminhalt unabhängig sei. Er vergleicht das mit der Zahlung von Steuern für eine Politik, die auch nicht jeder gleichermaßen toll fände.

Dann aber horcht Angela Grummt-Kontek auf: Potenzial für juristische Auseinandersetzungen hätten die von ihr vorgebrachten Vorwürfe durchaus, gibt der Richter ihr zu verstehen. Seit Ende 2023 sei da eine „rechtliche Entwicklung in der Pipeline“. Anknüpfen müsse die Kritik aus seiner Sicht allerdings eher an Paragraf 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages, der die Finanzierung der Aufgaben im Sinne des Medienstaatsvertrages sicherstellt.

„Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind bei der Erfüllung ihres Auftrags der verfassungsmäßigen Ordnung und in besonderem Maße der Einhaltung journalistischer Standards, insbesondere zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung wie auch zur Achtung von Persönlichkeitsrechten verpflichtet“, heißt es dort.

Wenn diese Leistung strukturell bedingt nicht ausreichend erbracht würde, dann könne auch der Beitrag als Gegenleistung infrage gestellt werden, lässt der Richter durchblicken. Kurz darauf beendet er die Verhandlung.

Vier Verhandlungen zum Thema Rundfunkbeitrag an einem Tag gab es kürzlich am Dresdner Verwaltungsgericht.

Angela Grummt-Kontek schnappt sich ihren Ordner und läuft die Treppe hinunter. Draußen muss sie sich erst einmal eine Zigarette anzünden. Wenn sie in einigen Tagen, Wochen oder Monaten das Urteil in ihrem Briefkasten findet, dann sei die Sache für sie abgeschlossen, sagt sie. Dann würde sie, wenn es denn sein muss, auch die rund 600 Euro nachzahlen, die bis jetzt an Rundfunkbeiträgen offen sind. „Mir ist das alles über den Kopf gewachsen, aber ich konnte auch nicht mehr zurück.“

Jetzt wolle sie sich in Ruhe um ihre Enkel kümmern, im Garten Johannisbeeren pflücken, Kuchen backen und Volleyball spielen. Und ja, vielleicht wird Angela Grummt-Kontek auch mal wieder den Fernseher einschalten. Das satirische „Gipfeltreffen“ im MDR mit Olaf Schubert findet sie großartig.