Kommissare im Herbst, rechte Presse und Neuigkeiten zum Budapest-Komplex

Wie kriminalistische Déjà-vu Antifaschist_innen zu Terrorist_innen machen und rechte Medien sich bedanken.

Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) kann einem am Ende fast schon leidtun. Er ist nicht in der Lage, Vergangenes abzustreifen und sich für Neues freizumachen – für andere Erfahrungen, für ein Denken, das nicht geprägt ist von dem Erlebnis, als junger Mann mit MP bewaffnet in kalten Herbstnächten auf der Jagd nach Terrorist_innen gewesen zu sein.

Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man seinen Aussagen in einem kürzlich veröffentlichten Podcast des MDR lauscht. Mit spannungsgeladener Musik im Hintergrund, einzig unterbrochen vom Klirren der Kaffeetassen, schwadroniert er über Ufer, die noch nicht erreicht seien und eben jenes, an dem die jungen Menschen, die von ihm gejagt werden, bereits stehen. Dieses Ufer nämlich, so Schuster, ist die kriminelle Vereinigung. Das andere, noch nicht erreichte, bleibt unbenannt und man bekommt den Eindruck er würde mit Rainer Wendt und Manuel Ostermann auf der DpolG Weihnachtsfeier Tabu spielen.1

Beim Versuch Schusters kriminalistische Déjà-vus (sic!) objektiv zu betrachten, stößt man wohl am ehesten Ende September 2023 auf tatsächliche Gemeinsamkeiten. Dort kam es, durch Zusammenarbeit von Bundeskriminalamt (BKA) und sächsischem LKA, zu einer Öffentlichkeitsfahndung, die ihresgleichen tatsächlich in den Siebzigern und Achtzigern findet. Im gesamten Bundesgebiet an Bahnhöfen, auf Werbetafeln, in diversen Zeitungen und nicht zuletzt via Push-Benachrichtigungen wurden die Bürger_innen darüber informiert, dass ein gefährlicher „Linksextremist“ auf der Flucht sei und unbedingt gefasst werden müsse.

Die Bevölkerung wurde zur Unterstützung aufgerufen und mit 10.000 Euro zu Denunziation motiviert. Mittlerweile folgte auch noch ein Beitrag in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“. Der Fahndungsaufruf war mit verschiedenen Bildern des Gesuchten sowie seinem Klarnamen versehen. In der Online-Version wird bis heute nicht nur von der Bildung einer kriminellen Vereinigung, sondern – Armin bitte Ohren zu halten – auch von der Bildung einer terroristischen Vereinigung geschrieben und zur Unterstützung der Behörden bei der Suche aufgerufen.

Noch aktueller kann man sich die ewig wiederholende Ereigniskette der tendenziösen medialen Berichterstattung zum Budapest-Komplex am Beispiel des 31. Oktober 2023 ansehen. Die ungarische Staatsanwaltschaft präsentierte die Anklageschrift gegen drei Beschuldigte und stellt unisono internationale Haftbefehle gegen 14 weitere Personen aus.

Es dauerte nicht lang, bis (extrem) rechte Blogs, Social-Media-Accounts und Politiker_innen die Bilder der Gesuchten auf ihren Plattformen verbreiteten, bevor einen Tag später die BILD und andere Zeitungen, ebenfalls mit der Seriosität eines Propellerhuts, sich darauf berufen und sowohl in ihren Online-, als auch Print-Ausgaben die Bilder der jungen Menschen abdrucken und sie somit gänzlich zu Ausgestoßenen erklären.

Der Output rechter Blogs und Onlinemedien sowie verschiedener YouTube-­Kanäle präsentiert sich besonders perfide. Dort finden sich reißerisch produzierte Dokumentationen, Reportagen und „investigative“ Recherchen, die angeblich neue Details und Enthüllungen über die Zusammenarbeit zwischen Staat und den von ihnen markierten „Linksextremist_innen“ zu berichten wissen. Kein Stock liegt zu niedrig, als dass man nicht so hoch wie möglich darüber springt, um Aufmerksamkeit für die eigene Sache und vor allem den Kampf gegen linke Personen zu generieren.

Komplette Dossiers werden erdacht, die beweisen sollen, wie Antifaschist_innen angeblich vorgegangen sind, wie sie wohl zusammengearbeitet haben und welche Kontakte sie zum politischen Establishment besitzen sollen. Dafür reicht dann auch ein in die Jahre gekommenes Foto neben einem/einer Berufspolitiker_in und der „Skandal“ ist perfekt. Die Schlagzeile generiert sich von selbst.

Das Vorgehen folgt dabei einem sich wiederholenden Muster. Informationen ungarischer Artikel, die sich irgendwo zwischen konservativ, rechts und extrem rechts bewegen, werden nicht nur bedenkenlos übernommen, sondern zumeist auch mit uralten Privataufnahmen der Beschuldigten versehen und unter mäßig kreative, aber immerzu hetzerische Überschriften gesetzt. Dabei wird Vermutung an Falschbehauptung gereiht und durch Passagen aus ungarischen Polizeiakten oder Gerichtsdokumenten ergänzt.

Dass mitunter auch aus deutschen Polizeidienststellen Informationen an NeofaschistInnen durchgestochen werden, ist weder neu noch überraschend. Wissen wir2 doch nicht erst seit dem „Antifa Ost-Verfahren“, dass die Ermittler_innen wenig Scheu haben, für den Ermittlungserfolg immer auf der Überholspur unterwegs zu sein.

Während sich die selbsternannten JournalistInnen genauso verhalten, wie es zu erwarten ist, gilt die Kritik den bürgerlichen Medien, die sich meist auch nicht zu fein sind, auf den Zug der reißerischen Berichterstattung aufzuspringen. So wird dann zwar manchmal noch versucht, kritische Fragen zu stellen oder den Kontext zu betrachten – die Aufmacher sind allerdings selten zu unterscheiden.

Polizeiberichte und Interviews mit Behördenmitarbeiter_innen werden wenig bis gar nicht hinterfragt und so gewinnt die Mär der neuen RAF-Generation an Gewicht und die Onlineportale großer Medienhäuser Klicks. Beweise für eine neue bewaffnete Guerilla gibt es keine. Die Behauptungen, diese Menschen würden sich im Untergrund radikalisieren, fußen doch ausschließlich auf der Gefühlslage von Männern wie Haldenwang, Münster oder eben Armin Schuster, die davon profitieren, je gefährlicher die Situation dargestellt wird. Selbstgefälligkeit trifft Selbstlegitimation.

Antifaschismus, der über Menschen- und Lichterketten hinausgeht, soll hingegen delegitimiert und solidarische Menschen von einer aktiven Szene abgespalten werden. Das zumindest wird durch jene Äußerungen bezweckt, welche Antifaschist_innen, die sich nicht dem geduldeten Normalzustand hingeben können und wollen, in die Nähe von mit Sturmgewehren kämpfenden Stadtguerillas rücken.

Dies entspringt allein der Fantasie von Sicherheitsbehörden, denn wir reden noch immer von mutmaßlichen Körperverletzungen gegenüber organisierten Neonazis. Wo eine Gesellschaft dabei in ihren Grundfesten erschüttert oder gar gefährdet sein soll, wissen wohl nur eben jene übereifrigen Ermittler_innen.

Für eine solidarische Linke muss es an dieser Stelle darum gehen, diesem politisch gewollten Narrativ nicht zu verfallen und mit den Genoss_innen zusammenzustehen. Antifaschismus war immer vielfältig und er wird es auch immer bleiben müssen. Es scheut sich auch niemand vor einer Debatte über die Mittel und Wege, doch muss diese eben geführt werden, anstatt der Dämonisierung direkter Aktion unhinterfragt Raum zu geben, während Gefährt_innen im Knast sitzen oder andere Wege bestreiten.

Für die in Budapest Inhaftierten und eine unter Auflagen freigekommene Person wird der Prozess im Januar 2024 starten. Die hohe Geschwindigkeit mit der die ungarische Staatsanwaltschaft am Verfahren arbeitet, zeigt, welche Priorität sie eben jenem einräumt. Zwischen drei und fünf Jahren Haft werden für die Unterstützung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung für die beiden aus Deutschland stammenden Beschuldigten gefordert. Da der italienischen Genossin zusätzlich auch eine Teilnahme an mindestens einer Körperverletzung vorgeworfen wird, fordert die Staatsanwaltschaft in ihrem Fall eine Strafe von elf Jahren.

Die Anklageschrift gibt einen Einblick in den Kurs der ungarischen Staatsanwaltschaft. Für diese ist klar, dass die Angeklagten Teil der in Dresden verurteilten kriminellen Vereinigung sind, auch wenn der Prozess eigentlich gezeigt haben sollte, dass diese Vereinigung lediglich für die Bundesanwaltschaft und den Senat existiert.

Wirkliche Beweise konnten bereits dort nicht vorgebracht werden. Für die ungarische Justiz reicht dies allemal und so stellte sie im Budapest-Komplex noch 14 weitere Haftbefehle gegen zumeist sehr junge Menschen aus. Diese sollen laut Anwaltschaft gezielt nach Budapest gereist sein, um NeofaschistInnen anzugreifen und ein Zeichen an die rechte Szene zu senden.

Ende November 2023 wurde ein weiterer italienischer Antifaschist festgenommen und bis zu der Entscheidung über seine Auslieferung nach Ungarn unter Hausarrest gestellt. Die ihn erwartenden Bedingungen der ungarischen Untersuchungshaft sind geprägt von Kälte, Isolation, Bettwanzen und Willkür des Dienstpersonals. Zustände, die die inhaftierten Antifaschist_innen Tobias und Illaria bereits seit Februar 2023 über sich ergehen lassen müssen.

Nachtrag:

In Berlin wurde am 11. Dezember 2023 eine weitere Person im Zusammenhang mit dem Budapest-Komplex verhaftet und in Untersuchungshaft genommen.

Darum möchten wir auch an dieser Stelle noch einmal dazu aufrufen, sich mit den Inhaftierten und Gesuchten zu solidarisieren! Antifaschismus ist und bleibt notwendig. Die Mittel vielfältig.


1 In der dritten Folge des MDR-Podcasts „Die Fascho-Jägerin?!“ berichtet Armin Schuster über seine Zeit als Polizeibeamter während der Suche nach Mitgliedern der RAF/Bewegung 2. Juni!?. Schuster erzählt äußerst emotional wie prägend diese Erfahrung für ihn war und dass diese nie wieder seinen Körper verlassen würde. Er spricht in diesem Interview von kriminalistischen Déjà-vus, die durch die aktuelle Situation bei ihm ausgelöst werden.

2 „wir“ bezeichnet hier die Autor*innen vom „Budapest Antifascist Solidarity Committee“.


https://antifainfoblatt.de/aib141/wegen-papstbesuch-ungarns-praesidentin-begnadigt-rechtsterroristen

Wegen Papstbesuch – Ungarns Präsidentin begnadigt Rechtsterroristen

Die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák (Fidesz) hat aus Anlass der Reise von Papst Franziskus nach Budapest mehrere extreme rechte Gewalttäter amnestiert.

Von der Amnestie betroffen war auch der Rechtsterrorist György Budaházy, den ein Berufungsgericht in Budapest im März 2023 zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt hatte, sowie neun weitere Mitglieder seiner Hunnia-Gruppe.

Diese hatte zwischen 2007 und 2009 Brand- und Sprengstoffanschläge auf die Häuser linker und liberaler Politiker verübt, einen Mordanschlag geplant und einen Fernsehmacher schwer verletzt.

György Budaházy genießt Kultstatus in der Neonazi-Szene und hat Sympathien unter Anhängern der Regierungspartei Fidesz. Nach dem Amnestiedekret konnte er noch in der Nacht die Haftanstalt verlassen. Er ließ sich ein Pferd bringen, um „Freiheit!“ rufend davonzureiten.

Die Begnadigung braucht die Gegenzeichnung des Justizministers. Mihály Tóth (Professor für Rechtswissenschaften) berichtet in einem Beitrag des Nachrichtenportals „telex.hu“, es seien im Fall Budaházy keine gesundheitlichen oder familiären Gründe bekannt, eine politische Entscheidung sei daher anzunehmen.

Die Vorgänge vor der Begnadigungsentscheidung – ein gut begründetes erstinstanzliches Urteil in der zweiten Instanz auf nur sechs Jahre zu verkürzen, dann eine sechsjährige Haftstrafe für fünf Jahre zur Bewährung auszusetzen und ein Verbot eines öffentlichen Amtes in der Bewährung zu verhängen – sei eine juristische Absurdität im Sinne des Strafgesetzbuches.

Dr. Krisztián Ungváry (Historiker) erinnert daran, dass mit den Pogromen von 1919 (Izsák, Orgovány) in Ungarn ein Sondergesetz erlassen wurde, welches die Begnadigung von Personen ermöglichte, die Verbrechen (Morde) begangen hatten, die aus „gerechter Empörung“ und „verletzten nationalen Gefühlen“ wegen des kommunistischen Regimes und nicht mit persönlicher Bereicherung verbunden waren. Davon profitierten antisemitische Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg.

Wie die ungarische Justiz aktuell im Gegensatz dazu mit Antifaschist_innen umgeht, wird in dieser Ausgabe im Ressort Repression beschrieben.