Nach Razzia in Görlitz: Wie viel Linksextremismus gibt es in der Oberlausitz?

Im Frühjahr 2025 hingen in Görlitz Plakate mit persönlichen Informationen über einen mutmaßlichen Rechtsextremisten, der auch Kontakte nach Bautzen hat. Dieser „Outing“-Fall ging offenbar von der linken Szene aus. Nimmt der Linksextremismus in der Region zu?
Vor knapp drei Wochen ging es hoch her in Görlitz: Erst die Razzia bei dem Unternehmer Stefan Menzel, dann die Durchsuchung bei einem mutmaßlichen Unterstützer der rechtsterroristischen Gruppierung „Vereinte Patrioten“ und zwischendrin, am 17. Juni, rollten Polizeiwagen vor der Hospitalstraße 30 vor. Die Polizei durchsuchte das Gebäude, das von einem linksalternativen Verein genutzt wird.
Zeitgleich wurde ein Objekt in Herrnhut durchsucht. Soweit bislang bekannt führte eine sogenannte „Outing”-Aktion gegen einen mutmaßlichen Rechtsextremisten zu der Razzia.
Die Vorgeschichte: Ende vorigen Jahres wurde in Görlitz eine Gruppe linker Aktivisten angegriffen. Zwei Frauen und ein Mann wurden verletzt, darunter Samara Schrenk, Mitglied des Görlitzer Kreisverbandes der Linken. Zu den Tatverdächtigen zählen mehrere Personen, die die Polizei der rechtsextremen Szene zuordnet, darunter Finley P., ein bekannter Rechtsextremist aus Dresden.
Finley P. kam in U-Haft, die er kürzlich verlassen konnte. Der „Antifa Elbflorenz“, eine Dresdner Gruppierung, war das nicht genug. Weitere Tatbeteiligte, so heißt es auf dem Internetblog der Gruppe, seien zwar auch im Visier der Strafverfolgungsbehörden, aber „gehen ungestört ihrem Alltag nach.“ Weiter heißt es: „Für uns ein Umstand, der geändert werden muss.“
Verdacht gegen fünf Personen aus Görlitz, Herrnhut und Königshain
So veröffentlichte die Gruppierung im Netz detaillierte, persönliche Daten zu einem Görlitzer, dem sie vorwerfen, ebenfalls an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein. Zeitgleich oder kurz darauf tauchten im Mai Plakate in Görlitz auf – mit eben jenen Daten: Foto, Klarnamen, Arbeitgeber, Wohnanschrift bis hin zum Autokennzeichen.
Problematisch ist das nicht nur, weil viele Fragen im Fall des Angriffs auf die linken Aktivisten noch offen sind, unter anderem zum Tatbeitrag des „geouteten“ Mannes. Vor allem können solche „Outings” selbst eine Straftat sein: Soweit bislang bekannt, sind die Plakate der Hintergrund für die Razzia.
Gegen fünf Personen aus Görlitz, Herrnhut und Königshain richtet sich der Verdacht auf gefährdendes Verbreiten personenbezogenen Daten und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen, erklärt Irene Schott, Oberstaatsanwältin und Sprecherin der Staatsanwaltschaft Görlitz. Zum aktuellen Stand, etwa Ergebnissen der Auswertung sichergestellter Computer, Handys und Speichermedien, könne man sich aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht äußern.
Kurz nach der Razzia machten Bewohner der Hospitalstraße 30 ihrerseits Vorwürfe gegen die Polizei auf. In einem Beitrag der Tageszeitung TAZ sagen sie, die Polizei habe die Räume in Görlitz teils rechtswidrig durchsucht. So sei etwa die Tür zur Wohnung einer Frau aufgebrochen worden, die nicht im Fokus der polizeilichen Maßnahmen gestanden habe, teils seien Räume durchsucht worden, ohne einen Durchsuchungsbefehl vorzulegen.
Sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft widersprechen den Vorwürfen deutlich. Es sei keine Tür zu einer Wohnung aufgebrochen worden, für welche es keinen Durchsuchungsbeschluss gab, und es habe für alle Wohnungen, wo sich Beschuldigte aufhielten, Beschlüsse gegeben, teilt die Polizei mit. „Bis zum heutigen Zeitpunkt“, teilt Irene Schott mit, „wurden keine – das Strafverfahren betreffende – Fehler in der Umsetzung der Durchsuchungsbeschlüsse durch die Polizeidirektion Görlitz festgestellt.“
Samara Schrenk von der Görlitzer Linken sieht die Razzia trotzdem als unverhältnismäßig und als „Einschüchterungsversuch gegen alle, die sich in Görlitz gegen Neonazis“ einsetzen, teilt sie mit. Dagegen sieht die Polizei bei dem „Outing“-Fall „den Verdacht der politisch motivierten Kriminalität aus dem linken Spektrum“, erklärt Anja Leuschner, Sprecherin der Polizeidirektion Görlitz.
Mehr linksmotivierte Kriminalität im Jahr 2024
Wie viele Fälle politisch motivierter Kriminalität es dieses Jahr bislang gab in der Oberlausitz, ist noch offen, die Daten seien noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben, aber: „Das Dezernat Staatsschutz beobachtet aktuell eine sinkende Tendenz der Fallzahlen“, sagt Anja Leuschner. Voriges Jahr war in den Kreisen Görlitz und Bautzen ein deutlicher Anstieg politisch motivierter Straftaten registriert worden. Die meisten Fälle, 680 waren es im rechten Spektrum. Aber auch im linken Spektrum gab es mit 204 Fällen eine Steigerung. Bei den linksmotivierten Straftaten dominierten Farbschmierereien mit 97 Fällen – 2023 waren es lediglich 18.
„Outing-Aktionen“ durch linksextremistische Szene
„Outing”-Aktionen, etwa auf Kanälen der „Antifa Elbflorenz“, sind im Vergleich dazu selten. Allerdings werden sie teils nicht nur als politisch motiviert bewertet: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen ordnet Verhaltensmuster wie im Görlitzer „Outing”-Fall der linksextremistischen Szene zu.
„Diese Aktionsform wird vornehmlich von der autonomen ‚Antifa‘ praktiziert“, erklärt David Hagenbäumer, Pressereferent des Landesverfassungsschutzes. „Vor allem die autonome Szene strebt eine flächendeckende Aufklärung der Strukturen des politischen Gegners an.“
Bei solchen „Nazi-Outings“ werden private Informationen der betroffenen Personen veröffentlicht. Damit „sollen die Betroffenen sozial geächtet und in ihrer beruflichen Laufbahn beeinträchtigt werden.“ Nach Auffassung der autonomen Szene, erklärt Hagenbäumer, stelle „Faschismus“ keine Meinung, sondern ein Verbrechen dar.
„Straftaten gegen die ,geouteten‘ Personen – auch Gewalttaten – werden damit billigend in Kauf genommen.“
Kaum linksextremistische Aktionen in Oberlausitz
Generell, erklärt Hagenbäumer, tritt die linksextremistische Szene neben solchen „Outings” in den Aktionsfeldern „Antifaschismus“ auf, also mit Aktionen gegen den vermeintlichen oder tatsächlichen politischen Gegner, sowie im Bereich „Antirassismus“. Auch der Vorwurf der Repression gegenüber Sicherheitsbehörden, um den Rechtsstaat und seine Institutionen zu delegitimieren, sei ein Mittel der Szene.
Insgesamt gibt es laut LfV außerhalb der Städte Dresden und Leipzig aber lediglich „ein geringes linksextremistisches Personenpotenzial.“ Es handele sich um Einzelpersonen, deren Zahl zuletzt auch nicht gestiegen sei. So ist dem Verfassungsschutz dieses Jahr in den Kreisen Görlitz und Bautzen bislang nur ein Fall bekannt, den er dem linksextremistischen Spektrum zuordnet: der „Outing“-Fall in Görlitz.
Eine der offenen Fragen in dem Fall ist übrigens noch, inwieweit es Verbindungen gibt zwischen der Dresdner „Antifa Elbflorenz“, die die Infos über den mutmaßlichen Rechtsextremisten im Netz veröffentlichte, und Akteuren in der Oberlausitz, wo die Plakate auftauchten.
2024 habe es in beiden Landkreisen zusammen eine „öffentlichkeitswirksame Veranstaltung“ gegeben, eine „Antifaschistische Kaffeefahrt” nach Zittau. Dabei, schildert David Hagenbäumer, suchten 50 vermummte Personen unter anderem eine Örtlichkeit auf, die der rechten Szene zugeordnet wird. Im Internet veröffentlichte Bilder zeigen, wie Beteiligte zahlreiche pyrotechnische Erzeugnisse abbrennen und Transparente mit den Aufschriften wie „Kein Vergeben, kein Vergessen – Nazis haben Namen und Adressen!“ präsentieren.