Neue Gedenkstätte in der Leipziger Riebeckstraße: 133 Jahre Gewalt und Ausgrenzung
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In der Riebeckstraße 63 hat am Mittwoch eine neue Gedenkstätte eröffnet. Sie zeigt die Untaten, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in fünf politischen Systemen auf dem Gelände stattfanden.
Leipzig hat eine neue Gedenkstätte. Nur: Wie lange und in welcher Form sie tatsächlich betrieben werden kann, das steht in den Sternen. Insofern liegen Freude und Ungewissheit in dem kleinen Pförtnerhäuschen in der Riebeckstraße 63, nahe dem Technischen Rathaus, eng beieinander. Einerseits wurde dort am Mittwoch nach jahrelanger Arbeit die Ausstellung „Ausgrenzung, Arbeitszwang & Abweichung“ eröffnet. Andererseits bangt der dahinterstehende Verein um die weitere Finanzierung.
Dabei leisteten und leisten Menschen wie Annkathrin R., Mitarbeiterin der Gedenkstätte, hier wichtige Arbeit. Denn die Gräuel und Ungerechtigkeiten, die auf dem Gelände der Riebeckstraße 63 stattfanden, überspannen mehr als 100 Jahre deutscher Geschichte und fünf politische Systeme.
Verschiedene Institutionen, immer Zwang
1892 wurde hier die städtische Zwangsarbeitsanstalt errichtet, die in der Weimarer Republik zum Obdachlosenasyl umfunktioniert wurde, wobei die Unterbringung nicht immer freiwillig war. Im Nationalsozialismus lebten hier Sinti, Roma, Juden und als „Asoziale“ verfolgte Menschen. Und in der DDR: unter anderem eine geschlossene venerologische Station zur Behandlung von Geschlechtskrankheiten.
Doch wie Annkathrin R. erklärt, hätten viele der hier festgehaltenen Frauen gar keine Krankheiten gehabt, seien eingeliefert worden etwa wegen des Verdachts regelmäßig wechselnder Sexualpartner. Sie mussten unter anderem Zwangsuntersuchungen über sich ergehen lassen und stellten Hosenträger und Schutzbrillen her – die aufgrund der Angst vor Ansteckung allerdings keine Abnehmer fanden.
„Bundesweit einzigartig“
Jahrzehntelang sei es an diesem Ort um Umerziehung und Ausgrenzung gegangen, zum Teil unter dem Deckmantel der Fürsorge. Und gegenwärtig? Steht hier eine Jugendwohngruppe, eine integrative Kita, eine Unterkunft für Geflüchtete. Gerade Letztere, so R., zeige, dass die Geschichte der Ausgrenzung bestimmter Gruppen an diesem Ort noch nicht zu Ende sei.
„Dass so viele ähnliche Institutionen so lange an einem Ort versammelt waren, das ist, denke ich, ein bundesweit einzigartiger Fall“, ergänzt sie. Die modulare Ausstellung besteht aus Schränken mit Archivmaterial, einer Videoinstallation sowie einem interaktiven Teil, in dem die Besucher ihre eigenen Vorurteile hinterfragen sollen. „Verwende ich das Wort ‚asozial‘?“ oder „Sollten an der Schule kurze Röcke verboten werden?“ lauten die Fragen, denen man sich hier stellen kann.
Unterstützt wurde das Projekt durch das Leipziger Kulturamt und PMO-Mittel. Unklar ist jedoch, wie es ab März weitergeht. Ohne beschlossenen sächsischen Haushalt fehlt die Sicherheit der Weiterfinanzierung vor allem der beiden Vollzeitstellen im Verein.
„Gedenkstättenarbeit ist in den vergangenen Jahren generell zur Herausforderung geworden“, beklagt R.: Nicht allen Parteien sei diese Art von Geschichtsaufarbeitung recht. Was sie womöglich umso wichtiger macht.
Info: Besuchbar ist die Ausstellung in der Riebeckstraße 63 (Pförtnerhäuschen) am Donnerstag von 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Weitere Infos unter www.riebeckstrasse63.de.