Ermittlungen gegen mutmaßliche Rechtsterroristen: Auf der anderen Seite des Gesetzes

Ein Justizbeamter, der in seiner Freizeit gegen Linke und queere Menschen hetzte. Und zwei Soldaten, die bei der Bundeswehr längst mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen waren. Einblicke in die mutmaßliche Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“.

Offiziell stand Tim G., 24, auf der Seite des Gesetzes. Er hatte seine Ausbildung zum Justizfachwirt in Sachsen mit guten Noten abgeschlossen und danach Arbeit gefunden, bis zuletzt war er am Amtsgericht in Grimma beschäftigt.

Währenddessen wurden Geheimdienste auf eine rechtsextreme Gruppe aufmerksam, die sich „Sächsische Separatisten“ nannte: Männer, die Schießübungen machten und den Häuserkampf übten und die sich auf einem stillgelegten Flugplatz in der Nähe von Leipzig auf den sogenannten „Tag X“ vorbereitet haben. Einer, der nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung die Ideen der Separatisten geteilt haben soll, war Tim G., der Justizbeamte.

Am Morgen des 5. November schlugen die Ermittler zu: Sie durchsuchten Wohnungen in Sachsen, Polen und Österreich und nahmen insgesamt acht Männer als mutmaßliche Mitglieder einer terroristischen Vereinigung fest, darunter die beiden Brüder Jörg und Jörn S. Der ältere, Jörg S., soll laut Bundesanwaltschaft der Rädelsführer der nach ihrer Ansicht militanten Gruppe sein.

Sieben weitere Personen werden beschuldigt, Mitglieder der „Sächsischen Separatisten“ zu sein oder diese unterstützt zu haben. Die Gruppe machte sich angeblich bereit für einen bewaffneten Kampf samt ethnischer Säuberungen unter Migranten und Mitgliedern der staatlichen Ordnung. Die Rede soll dabei auch von einem „Holocaust“ gewesen sein.

Auch die Wohnung von Tim G. wurde im Rahmen der Ermittlungen durchsucht, in Haft kam der Mann allerdings nicht. Der Generalbundesanwalt wirft ihm vor, Mitglied bei den „Sächsischen Separatisten“ zu sein.

Auf Anfrage der SZ wollte er sich nicht zu den Vorwürfen äußern, auch ein kurzes Gespräch an der Gegensprechanlage seines Wohnhauses lehnte er ab, „das hat mir mein Anwalt geraten“. Eine Sprecherin des Amtsgerichts Grimma bestätigt, dass er bis zur Razzia Anfang November dort arbeitete.

Durch Bürgerkrieg das System stürzen: Tim G. fand das wohl gut

Während seiner Ausbildung zum Justizfachwirt wurde G. von einer Praxisstation bescheinigt, er sei für den Dienst in der Justiz „absolut geeignet“. Damals chattete G. in seiner Freizeit nach Erkenntnis der Ermittler indes bereits mit seinen Freunden in einer Telegramgruppe namens „RS GN OR 4“. Dort tauschten sich die mutmaßlichen Mitglieder der „Sächsischen Separatisten“ aus: In Mitteilungen über ihren Alltag mischten sich Tipps über Waffen und rassistische, gewaltverherrlichende Memes.

Die Ermittler werten die Inhalte als Ausdruck der sogenannten Siege-Ideologie (Belagerung), einer US-amerikanischen rechtsextremen Strömung. Deren Anhänger gehen von der grundsätzlichen Überlegenheit der „weißen Rasse“ aus, die aber – etwa durch Migranten oder zeitgenössischen Individualismus – unter Druck gerät.

Ein durch gezielte Anschläge herbeigeführter Bürgerkrieg soll den Zusammenbruch demokratischer Systeme, oft als „Tag X“ chiffriert, beschleunigen und schließlich zu einer neuen Ordnung führen. Laut Ermittlern soll G. solche Anschläge befürwortet haben, seine Äußerungen in den Chats zeigten demnach einen „tiefen Hass“ besonders auf queere Menschen. Einmal soll er vorgeschlagen haben, die Gruppe solle in Leipzig Linke „zerlegen“.

Auch sein Beruf in der Justiz war wiederholt Thema in den Chats: Warum er noch in dem Job sei, soll G. sich Anfang 2023 selbst gefragt haben. Gleichzeitig nutzte er seine Stellung offenbar aus: Chatprotokolle legen nahe, dass G. einem aus der Gruppe behilflich war, als diesem ein Verfahren am Amtsgericht Grimma drohte. G. verschaffte sich offenbar Zugang zur dortigen Akte.

Andere Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe aus Sachsen, die seit mindestens November 2020 existieren soll, verhielten sich in ihren Jobs nicht so unauffällig wie der junge Justizfachwirt – und flogen schon raus, bevor sie bei den „Sächsischen Separatisten“ aufflogen. So mussten zwei der Beschuldigten vor Bekanntwerden der Terrorermittlungen ihren Dienst bei der Bundeswehr wegen rechtsextremer Vorfälle beenden.

Die Polizei empfing der Ex-Soldat mit einer Waffe in der Hand

Karl Jonas K. wurde demnach nach SZ-Informationen 2022 schon dreieinhalb Monate nach Eintritt in die Bundeswehr wieder entlassen, weil er sich offenbar rechtsextrem geäußert und entsprechende Gegenstände an Kameraden verkauft hatte, darunter Abzeichen mit einer „Schwarzen Sonne“ – einem runenartigen Erkennungssymbol der rechtsextremen Szene – sowie solche mit Bezug zur NSDAP.

Kurt Hättasch, bis zur Razzia im November Kommunalpolitiker der AfD und Funktionär ihrer Jugendorganisation Junge Alternative in Sachsen, hatte sich sogar als Zeitsoldat verpflichtet. Seine fristlose Entlassung erfolgte bereits Anfang 2021, weil er die Existenzberechtigung der Bundesrepublik Deutschland geleugnet und die Position vertreten haben soll, das Deutsche Reich bestehe fort.

Als Polizisten Hättasch am 5. November in seinem Wohnhaus festnahmen, empfing er die Beamten mit einem Gewehr in der Hand und wurde durch eine Polizeikugel am Kiefer verletzt. Als Jäger besaß er legal Waffen, auf ihn waren Repetierbüchsen und eine halbautomatische Flinte registriert. Zwar eröffnete die zuständige Waffenbehörde nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr ein Verfahren gegen ihn, dieses wurde aber Anfang 2022 eingestellt, wie eine Sprecherin mitteilte. K. und Hättasch sitzen in Untersuchungshaft, ihre Anwälte waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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Sebastian Erb, Lena Kampf 7. November 2024

Häuserkampf, Waffentraining und der Fiebertraum vom nächsten „Holocaust“

Die „Sächsischen Separatisten“ plauderten in ihren Chats darüber, wie sie sich auf den Tag X vorbereiteten, an dem die staatliche Ordnung zusammenbrechen soll. Was die mutmaßlichen Rechtsterroristen offenbar nicht ahnten: Fahnder lasen mit.

Er prahlte mit Fotos aus dem Wald, sie zeigten Männer in Tarnkleidung, augenscheinlich bewaffnet: Jörg S. präsentierte von November 2020 an in einer englischsprachigen Chatgruppe gern, was er und seine Kameraden aus Nordsachsen so unternehmen – und er traf dabei auf Gleichgesinnte. Mit einem von ihnen kommunizierte er dann offenbar privat weiter, über die Vorbereitungen auf den „Tag X“, für den sie Vorräte horteten, Waffen und Sprengstoff beschafften und Militärtaktik übten. Was er damals offensichtlich nicht ahnte: dass der Chatpartner für das US-amerikanische FBI arbeiten könnte. Das zeigen Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR.

Jörg S. soll der Rädelsführer jener Rechtsterrorgruppe sein, von der am Dienstag acht mutmaßliche Mitglieder festgenommen wurden. Sie sitzen seitdem in Haft. Insgesamt sollen sich 15 bis 20 junge Männer den „Sächsischen Separatisten“ angeschlossen haben, wobei ihnen die Analogie der Abkürzung „SS“ zur historischen SS – Hitlers mörderischer „Schutzstaffel“ im Nationalsozialismus – dabei durchaus willkommen gewesen sein soll.

Verfassungsschutz und Kriminalermittler haben wohl auch deshalb so viele Erkenntnisse über Ideologie, Ziele und Vorbereitungen der Gruppe, weil Jörg S. nicht nur schon von Ende 2021 an in besagtem Chat eine Menge preisgegeben haben soll. Später, im Frühjahr 2024, traf er sich den Informationen von SZ, NDR und WDR zufolge auch noch persönlich mit einer Person, die die Ermittler auf ihn angesetzt hatten. Dieser soll S. ebenfalls von Plänen seiner Gruppe berichtet haben – offenbar ohne zu ahnen, dass er damit den Behörden alles auf den Tisch legt. Die Gruppe wurde auch technisch überwacht, so wurden etwa Telefone abgehört und das Auto von Jörg S. verwanzt.

„Arische Schocktruppen“ auf den Straßen, ein Deutschland nur für weiße Deutsche

Nach bisherigen Ermittlungen des Generalbundesanwalts hatten Jörg S. und seine Kameraden aus Nordsachsen offenbar eine ziemlich klare Vorstellung vom „Tag X“, dem in rechtsextremen Kreisen üblichen Code für jenen von Ihresgleichen ersehnten Moment, in dem die staatliche Ordnung der Bundesrepublik zusammenbricht: Als „arische Schocktruppen“, bewaffnete Milizen, übernähmen sie das Kommando auf den Straßen, Teile von Sachsen oder gar ganz Ostdeutschland würden sich vom Westen abspalten, an dem wegen seiner hohen Zahl an Migranten kein Interesse bestünde.

Wer nicht als deutsch angesehen würde oder den verhassten demokratischen Staat verträte, würde getötet. Für ihre Fantasie von solch einer ethnischen Säuberung soll die Sachsen-„SS“ laut Ermittlern sogar ausdrücklich den Begriff „Holocaust“ gebraucht haben. Das erklärte Ziel demnach: ein nationalsozialistisches und rassistisches Regime, die Herrschaft der „weißen Rasse“.

Die Ermittler gehen nach Informationen von SZ, NDR und WDR davon aus, dass die mutmaßliche Sachsen-Miliz „Tag X“ nicht aktiv herbeiführen wollte. Intern sollen die Mitglieder von einem SHTF-Szenario gesprochen haben, nach dem englischsprachigen Sprichwort „Shit hits the fan“: Wenn die Kacke am Dampfen ist, so könnte man das volkstümlich übersetzen, wollten sie die Lage ausnutzen.

Wissenschaftlicher ausgedrückt: Die Gruppe folgte offenbar der Ideologie des sogenannten militanten Akzelerationismus, wonach sich die demokratischen und kapitalistischen Staaten ohnehin in einem unaufhaltsamen Niedergang befinden. Dieser soll lediglich beschleunigt werden.

Wenn Waffen im Spiel sind, wird es für die Behörden ernst

Immer wieder stehen die Sicherheitsbehörden in Deutschland vor der Frage: Wo führen Rechtsextreme nur große Worte – und wo entsteht aus den nationalistischen Fieberträumen eine reale Gefahr? Eine rote Linie für die Ermittler sind dabei Waffen, kommen sie ins Spiel, wird die Lage ernst. Vor diesem Hintergrund war es womöglich kein Zufall, dass die Ermittler am Tag der US-Wahl zuschlugen, da Ereignisse im fernen Amerika auch hierzulande als Startsignal für einen gewaltsamen Umsturz gedeutet werden könnten. So soll der mutmaßliche Rädelsführer Jörg S. den Ausbruch eines Bürgerkrieges in Deutschland von Umwälzungen in den USA abhängig gemacht haben: War eine Wahlniederlage Donald Trumps das erwartete „Shit hits the fan“-Szenario?

Der Generalbundesanwalt äußert sich dazu und zu weiteren Fragen nicht. Juristisch kommt es für den Terrorverdacht nicht darauf an, ob es schon einen genauen Zeitpunkt für eine mögliche Tat gibt. Es reichen entschlossene staatsgefährdende Umsturzziele, Strukturen und Waffen. Und wohl keine andere Gruppe, die in den vergangenen Jahren aufgeflogen ist, trug die NS-Ideologie so offen vor sich her wie die Sachsen-Separatisten.

Die Kerngruppe um Jörg S. und seinen jüngeren Bruder Jörn soll sich schon lange kennen, aus Brandis, einer Kleinstadt östlich von Leipzig, wo sie aufwuchsen. Sie verstand sich offenbar als bewaffneter Arm einer politischen Bewegung. Jörg S. wollte nach eigener Aussage ursprünglich zur Bundeswehr, ging dann aber als Obstbauer in die Lehre.

Zum Kern der Gruppe soll auch Karl K. gehört haben, der 2020 – noch als Jugendlicher – an einer Neonazi-Demonstration in Dresden zum 75. Jahrestag der Bombardierung durch die Alliierten teilgenommen hat. Drei weitere Mitglieder der Gruppe waren in der AfD aktiv, als Funktionär der Nachwuchsorganisation Junge Alternative und in der Kommunalpolitik. Sie sollen nach AfD-Angaben aus der Partei ausgeschlossen werden.

Die Separatisten aus Sachsen waren allerdings wohl weit davon entfernt, mit Waffengewalt tatsächlich Gebiete kontrollieren zu können. Aber sie haben es offenbar ernst gemeint: Den Ermittlungen zufolge haben sie sich in Vorbereitung auf den Tag X militärische Ausrüstung beschafft, Flecktarnanzüge, schusssichere Westen, Helme, Gasmasken, Macheten. Der Kauf von 100 Magazinen für Kalaschnikow-Gewehre soll nur am Geld gescheitert sein. In einer von Jörg S. administrierten Telegram-Chatgruppe planten sie ihre Treffen.

Der Vater des mutmaßlichen Rädelsführers: ein verurteilter Neonazi

Ausgerüstet, als zögen sie in den Krieg, soll die Gruppe unter der Anleitung von Jörg S. paramilitärische Trainings veranstaltet haben, wobei sie im Wald und auf einem stillgelegten Fliegerhorst sogar den Häuserkampf trainiert haben sollen. Dabei hätten sie Airsoft-Waffen benutzt, die aussehen und sich anfühlen wie Sturmgewehre, aber nur Plastikkügelchen verschießen. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen sollen aber auch mit scharfen Waffen trainiert haben, unter anderem mit einem Sturmgewehr AR-15.

Gruppenmitglieder sollen dafür mehrmals nach Polen und Tschechien gefahren sein, wo es auf Schießständen weniger strenge Regeln gibt. Manche Beschuldigte sollen legal Waffen besessen haben. Bei den Durchsuchungen am Dienstag sollen nach Medienangaben allerdings auch nicht registrierte scharfe Schusswaffen gefunden worden sein, samt dazugehöriger Munition.

In der Familie von Jörg und Jörn S. haben Wehrsportübungen eine gewisse Tradition. Der Vater der verdächtigten Brüder war vor Jahrzehnten einer der bekanntesten Neonazis Österreichs, er wurde 1995 wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt und saß mehrere Jahre im Gefängnis. Damals machte ein Video von seiner eigenen Wehrsportübung Schlagzeilen, bei der er den jungen Teilnehmern unter anderem beibrachte, wie man im Kampf einen Gegner erdrosselt.

Die Verteidiger der Beschuldigten wollten auf Anfrage von SZ, NDR und WDR keine Stellungnahme abgeben. Martin Kohlmann, der Anwalt von Jörg S., meldete sich aber in einem Video auf der Plattform X zu Wort. Kohlmann, der Gründungsvorsitzender der rechtsextremen Partei Freie Sachsen ist, macht sich darin über die Vorwürfe des Generalbundesanwalts lustig. Eine „harmlose Wandergruppe“, sagt er, solle wohl zur nächsten Terrororganisation hochgepusht werden.