Hundeurlaub im Nazi-Feriendorf – Extrem Rechter wirbt auf Hundemesse
„Ein wahres Paradies für jeden Hundebesitzer.“, wird für die die internationale Rassehunde Ausstellung in der Rostocker Messehalle geworben. Das Angebot zur Messe ist vielfältig. Neben den Ausstellenden, die auf eine gute Bewertung ihrer Hunde entsprechend den Rassestandards hoffen, findet man auch Hundeschulen, allerlei Hundezubehör und vieles mehr, was das Hundefreundeherz höher schlagen lässt. Zwischen all diesen Ständen sitzt ein älterer Man und wirbt mit Flyern und Aufstellern auf denen einen fröhliche Hundegesichter entgegen strahlen für einen Urlaub mit Hund in der Idylle. Offenbar ist Helge Redeker, der an diesem Tag den Stand betreut, auf der Suche nach einem neuen Zielpublikum für die Feriendörfer am Quitzendorfer See.(Anmerkung: Liegt in Sachsen)
Was einem die lustigen Hundegesichter auf den Flyern nicht verraten, Redeker ist über 30 Jahre in der rechten Szene aktiv. Er taucht als Funktionär diverser neonazistischer Gruppen auf, wie etwa bei der „Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen mbH“, der „Aktion Deutsches Königsberg“ und dem „Verein Dichterstein Offenhausen“, mittlerweile wegen NS-Wiederbetätigung verboten.
Laut der Zeitung „Die Zeit“ erwarb Redeker mit seiner Frau Änne das „Niederschlesische Feriendorf“ Ende der 90er Jahre. Heute ist sie Geschäftsführerin der „AS Service GmbH“ , welche den Stand der „Feriendörfer am Quitzendorfer See“ in der Rostocker Messehalle betrieb.
Seit 2001 finden auf dem Gelände der Feriendörfer Veranstaltungen aus dem rechten Spektrum statt. Neben Treffen rechter Kameradschaften, Konzerten einschlägiger Bands wie „Sleipnir“, „Sturmwehr“ oder „Brutal Attack“ oder des Nazi-Liedermachers Frank Rennicke, fanden immer wieder Veranstaltungen von NPD (jetzt Heimat), deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) oder der mittlerweile als verfassungsfeindlich verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) auf dem Gelände statt.
Im Jahr 2011 löste die Polizei ein Treffen von JN-Anhängern auf, weil der Verdacht einer HDJ-Nachfolgestruktur vermutet wurde.
Heute geben sich die Feriendörfer in der Öffentlichkeit weitesgehend unauffällig. Das Unternehmen wirbt auf der Messe für einen attraktiven Urlaub mit Hund in einfach möblierten, rustikalen Bungalows zu erschwinglichen Preisen. Darüber hinaus soll ein Hundeübungsplatz, Silvesterfeiern ohne Knaller und hundesichere Terassen neben Familien mit Hund auch Hundevereine für Veranstaltungen in die Nazi-Feriendörfer locken.
Auch wenn die politische Meinung auf derartigen Veranstaltungen keine Rolle spielt und explizit mit dem „Mekka für ALLE Hundefans“ geworben wird, sollten dennoch demokratische Werte und Vorstellungen gewahrt werden und extrem Rechten nicht die Möglichkeit geboten werden, dort auf Kundenfang zu gehen. Es ist schon längst überfällig, dass sich Organisatoren von „unpolitischen“ Veranstaltungen für rechte Ideologie sensibilisieren und eine klare Position für ihre internationale Ausstellung beziehen, in der menschenfeindliches Gedankengut kein Platz haben sollte.
Quelle: https://astwestmecklenburg.noblogs.org/post/2024/10/13/hundeurlaub-im-nazi-feriendorf-extrem-rechter-wirbt-auf-hundemesse/
—————————–
Urlaubsidylle mit Nazis
Als am 05. August 2010 am Quitzdorfer Stausee das Deutsche-Stimme-Pressefest mit ca. 2.000 TeilnehmerInnen stattfand, war dies nur der vorläufige Höhepunkt in einer langjährigen Kontinuität neonazistischer Veranstaltungen am See. Zuvor veranstaltete die NPD ihren „Wahlkampfauftakt 2009“ im Frühjahr 2009 und im Juni 2010 führten die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) den „3. JN-Sachsentag“ auf dem Gelände durch.
Seit Ende der 90er Jahre ist das Gebiet bekannt als Austragungsort einer Vielzahl von Treffen und Aktionen von Neonazis. Zuerst entdeckte das „Jung Nationale Spektrum“ (JNS) das Gelände für sich, später die „Organisation dianoetisch-alternativer Lebensauffassung“ (O.D.A.L.) – beide maßgeblich beeinflusst vom damaligen Neonazi-Kader Udo Hempel.
Auch die regionale Kameradschaft „Schlesische Jungs“ aus Niesky, genauso wie die „Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO, heute: Junge Landsmannschaft Ostdeutschland) oder die JN nutzten das Gelände. Ebenfalls fanden hier eine Reihe neonazistischer Konzerte statt.
Die Kontinuität der Neonazi-Aktivitäten verwundert nicht. Ist doch der Betreiber bzw. Inhaber des Geländes kein Unbekannter. Ende der 90er Jahre kamen der aus Bayern stammende Helge Redeker und seine Frau Änne nach Ostsachsen. Schnell fanden sie nach eigener Aussage Gefallen an einem verfallenen ehemaligen Bungalow-Feriendorf direkt am Quitzdorfer Stausee bei Niesky in Ostsachsen.
Inzwischen betreiben die beiden eine Vielzahl am See gelegener Grundstücke. Dazu gehören unter anderem Gaststätten und Ferienbungalows aus ihrem Besitz oder Pachtverhältnissen.
Der 1960 geborene Zollinspekteur Redeker ist mindestens seit den 80er Jahren in der rechten Szene zu verorten. Ausweislich einer Internet-Quelle unternahm er 1984 gemeinsam mit dem Holocaust-Leugner Germar Rudolf eine Fahrt in die damalige Tschechoslowakische Republik. Mit dem Publizisten Dietmar Munier war er Gründer und Geschäftsführer der „Gesellschaft für Siedlungsförderung Trakehnen“.
Diese verfolgte, ausgestattet mit 500.000,- DM Grundkapital, im ehemaligen ostpreußischen Gebiet um Trakehnen „die Förderung des Baus von Siedlungen (…) für Wohn- und Nebenerwerbs- und Gewerbezwecke, insbesondere durch die Beschaffung von Siedlungsland, die Planung und Finanzierung der Siedlungsvorhaben, die Vergabe von Bauaufträgen, die Verwaltung der geschaffenen Siedlungsobjekte und ggf. deren Veräußerung an die Siedler.“
Ähnliche Zwecke verfolgte der „Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Ostpreußen e.V.“. Dem stand Redeker als 2. Vorsitzender vor. Zudem trat er als Redner bei einigen Jahreshauptversammlungen auf. 1998 referierte er beispielsweise „ Zum aktuellen Stand unserer Arbeit und zur politischen Lage in Nord-Ostpreußen“. Ebenfalls als Redner trat er beim 30. Treffen des „Vereins Dichterstein Offenhausen“ im Frühjahr 1993 auf.
1998 wurde der Verein in Österreich wegen NS-Wiederbetätigung verboten. Und auch bei der 16. Gästewoche der „Deutschen Kulturgemeinschaft“ (DGK) 1992 war er Teilnehmer und Redner. Gemeinsam mit dem Alt-Nazi Sepp Biber berichtete er damals über die Arbeit in Trakehnen. Belohnt für sein völkisches Engagement wurde Helge Redeker auch. 1994 erhielt er den „Tiroler Ehren- und Wanderkrug für Volkstumsarbeit“ des „Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes“.“ (DKEG)
In Ostsachsen verhielt sich Redeker politisch zunächst weitgehend unauffällig. 2008 trat er als Kreistags-Kandidat für das Sammelbecken am Rechten Rand, die „Deutsche Soziale Union“ (DSU) an. Von Anfang an nutzte er aber offenbar die Kontakte zur Neonazi-Szene. Nach Angaben eines damaligen NPD-Funktionärs, der später die Szene verlassen hat, unterstützten ihn Mitglieder verschiedener regionaler Neonazi-Kameradschaften beim Ausbau des Geländes.
Der Kameradschaft „Schlesische Jungs“ stellte er demnach zum Dank einen Bungalow zur Verfügung. Das JNS und die JN nutzten das Gelände in den letzten 10 Jahren mehrfach für „Querfeldein-Spiele“ und Schulungen. Auf dem zum Appellplatz umfunktionierten Platz zwischen den Bungalows wurde immer wieder die Reichskriegsflagge vor den angetretenen „Kameraden“ gehisst.
Dass Redeker seine politischen Überzeugungen mit seinen wirtschaftlichen Zielen zu verbinden weiß, zeigte das „Deutsche Stimme Pressefest“ im August 2010 deutlich. Im Gegenzug für die Bereitstellung des Veranstaltungsgeländes sicherte sich Redeker die Versorgung der TeilnehmerInnen mit Essen und Getränken und nahm so Beobachtern zufolge eine Summe von mehreren 10.000,- Euro ein. Dass beim Geld auch die nationale Kameradschaft aufhört, stellte Redeker ebenfalls unter Beweis.
Angehörige der JN, die als „Ordnungsdienst“ vor Ort fungierten, hatten sich selbst mit einer Gulaschkanone versorgt. Redeker nötigte die JN dazu das einzustellen, indem er mit einer Vertragsstrafe von 10.000,- Euro drohte. Dies und die aus Sicht der JN’ler fehlende Unterstützung der NPD sorgten im Nachgang für erhitzte Debatten in diversen Online-Portalen.
Quelle: https://naziwatchdd.noblogs.org/post/2011/01/30/urlaubsidylle-mit-nazis/
—————————-
17.11.2017 Sächsische Zeitung
Sachsen – Im Nazi-Camp bei Niesky
Heidi Benneckenstein wuchs in einer rechtsextremen Familie auf. Sie schaffte den Ausstieg.
Heidi Benneckenstein rutschte nicht irgendwann in die rechtsextreme Szene ab; sie wurde in eine bayrische Neonazi-Familie hineingeboren und zu einer Rassistin und Antisemitin erzogen. Nun schrieb sie darüber und über ihren Ausstieg das Buch „Ein deutsches Mädchen“.
Wir sprachen mit der 25-Jährigen auch über das „Niederschlesische Feriendorf“ ihres Vaters, auf dessen Gelände seit vielen Jahren rechtsextremistische Veranstaltungen stattfinden.
Frau Benneckenstein, wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Ihre Familie „anders“ ist?
Soweit ich zurückdenken kann, war mir das klar. Weil ich eine Freundin hatte, bei der zu Hause so ziemlich alles anders lief. Aber ich habe das akzeptiert. Das andere war halt meine Normalität. Obwohl ich mir schon gewünscht hätte, dass es bei uns genauso abläuft wie bei meiner Freundin, liebevoller, herzlicher, lockerer. Und dass meine Mutter mal etwas dominanter aufgetreten wäre, statt immer nur unterwürfig. Aber ich wusste, dass so etwas mit meinem Vater nicht möglich war.
Wie war die Beziehung zu Ihrem Vater Helge Redeker?
Es gab kaum normale Vater-Kind-Kontakte. Das Verhältnis war kühl und distanziert. Dass ich mich mal auf seinen Fuß gesetzt und er mich gewippt hat, war schon das Höchste an Vertrautheit. Wenn ich mit ihm an seiner Modelleisenbahn gespielt habe und ganz selbstvergessen war; das hat ihm auch gefallen. Ansonsten war bei uns alles auf Konkurrenz und Wettkampf ausgerichtet. Selbst bei Tisch hat er mich und meine Geschwister ständig aufgezogen und gegeneinander ausgespielt. Ich war froh, wenn er nicht zu Hause war.
Auf Kinderbildern sehen Sie schon, mit Verlaub, etwas seltsam aus: Dirndl, altmodische Blusen, lange Röcke …
Wir durften zu Hause Hosen tragen, aber nichts, das irgendwie modisch war. Mein Vater bestand darauf, dass meine Mutter uns nur Sachen kauft, die nicht teuer sind. Ich hatte fast gar keine neuen Klamotten, musste alles von den Schwestern auftragen. Wir sahen immer ganz anders aus als die anderen Kinder. Wenn ich mir Schulfotos anschaue – schrecklich! Es war auch alles tabu, was aus den USA kam, von McDonald‘s bis Coca Cola. Und ich hatte nur Spielsachen aus den Fünfzigern.
Sie sagen, Ihr Vater hatte das feste Ziel, Sie in der völkischen Ideologie zu erziehen. Wie lief das ab?
Unter Betonung der angeblich typisch deutschen Werte: Disziplin, Ehre, Treue, Stolz, Heimatliebe. Bücher, Gesprächsthemen, Musik, Urlaube – alles war politisiert, ohne dass es uns bewusst war. Mein Vater trat auf wie ein Offizier und behandelte uns wie Soldaten. Alles war Wettkampf. Wir konnten damals natürlich noch nicht verstehen, warum wir keine Kinderbücher von Enid Blyton lesen durften …
Und warum?
Weil die Engländerin ist. Auch über die Internatsgeschichten von „Hanni und Nanni“ hat er sich aufgeregt, weil Internate seiner Meinung nach ein völlig falsches Erziehungsbild wiedergeben. Und als ich anfing, Hip-Hop zu hören, hat er furchtbar über diese „Kaffernmusik“ abgelästert.
Wie hat er Ihnen die Welt erklärt?
Wir wurden streng rassistisch und antisemitisch erzogen. Schwarze waren alle böse, Juden auch, Linke sowieso. Er hat uns die ständige Angst vor einem neuen Krieg gegen Deutschland eingeredet. Wir glaubten, dass alle Menschen um Deutschland herum unsere Feinde sind. Vor allem, wenn sie eine jüdische Hakennase haben.
Sie waren oft in Ferienlagern der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), ein Neonazi-Verband.
Ja, wir mussten viele Ferien in solchen Lagern verbringen, es gab Winter-, Sommer-, Oster- und Pfingstlager. Viele wurden in Ostdeutschland veranstaltet, zum Beispiel bei Görlitz. Ein Lager fand in Ostpreußen statt, fast an der russischen Grenze.
Wie war der Tagesablauf?
Wie beim Militär. Morgens Wecken mit Fanfaren, dann Frühsport, Waschen, Zelt aufräumen, Zelt abnehmen lassen, Frühstück, Morgenappell, Flaggen hissen, Lieder singen – etwa alle drei Strophen des Deutschlandlieds oder „In den Ostwind hebt unsere Fahnen“ oder andere klassische Neonazilieder. Dann wurden Geländespiele mit historischem Hintergrund veranstaltet, es gab Schulungen, Vorträge, Arbeitsgemeinschaften … Das ging abends weiter, wenn die Kleinen im Bett waren. Wir lernten, wie man Feiern vorbereitet mit dem richtigen Pathos, mit Feuersprüchen, alles so richtig im NS-Stil. Wir hörten Vorträge über NS-Helden, sahen Filme über Kriegsverbrechen der Alliierten, hörten Zeitzeugen zu, wie sie weinend ihre Leiden der Gefangenschaft erzählten. Das war für 12- und 13-Jährige natürlich sehr beeindruckend und entsprechend wirksam.
Ihr erster Freund war ein Musiker aus Sachsen und ebenfalls in der Szene. Waren Sie oft bei ihm in Bautzen?
Ja, eine ganze Weile. Was mir auffiel: Unter den Jugendlichen war und ist es wohl auch noch völlig normal und allgemein akzeptiert, rechtsextremistisch zu sein. Man kann in den heftigsten Neonazi-Klamotten überall hingehen, niemand regt sich darüber auf. Weil jeder jeden kennt. Die Kreise, in denen mein Freund und ich unterwegs waren, waren politisch kaum gebildet, aber alle extrem politisiert, nämlich rassistisch, völkisch und antisemitisch. Als Frau war das manchmal ziemlich schwierig: Oft wurde ich auf Veranstaltungen sexistisch angemacht oder angepöbelt, ohne dass jemand eingeschritten wäre.
Warum ist Ihr Vater nach Sachsen an den Quitzdorfer See bei Niesky gezogen?
Er hat das Gebiet 1999 in der festen Absicht gekauft, die Szene dort zu etablieren. Und ein HDJ-Lager zu gründen, damit man einen festen Anlaufpunkt hat, der auch zur Ausbildung dient. Die HDJ hat damals zwei Häuser dort erworben. Beim Aufbau des Lagers hat auch die Neonazi-Kameradschaft „Schlesische Jungs“ aus Niesky geholfen. Von Anfang an fanden dort Nazi-Veranstaltungen statt, wie das Pressefest des NPD-Organs Deutsche Stimme, rechtsextreme Sportfeste, Konzerte von Neonazi-Bands.
Viele Menschen machen dort Urlaub, scheinen aber nichts davon mitzubekommen. Offenbar merkt auch niemand, dass Ihr Vater und dessen zweite Frau Neonazis, Antisemiten und Holocaustleugner sind, wie Sie sagen. Finden Sie das seltsam?
Einerseits nicht. Das Gelände ist sehr abgeschieden, es gibt keine direkten Nachbarn, bis auf die vielen Gäste im Feriendorf. Die bekommen von den rechtsextremen Veranstaltungen aber oft nichts mit, weil die auf der anderen Seite der Halbinsel stattfinden, weitab vom Feriendorf. Aber wenn mal jemand, als ich dort war, doch etwas gemerkt und nachgefragt hat, wurde das nicht abgestritten. Vor allem meine Stiefmutter steht offen dazu.
Was wundert Sie andererseits?
Dass jeder, der auch nur ein bisschen sensibilisiert ist, spätestens beim Betreten der Gaststätte „Seeschänke“ auf dem Gelände etwas mitbekommen muss. Denn in deren „Afrika-Zimmer“ – meine Stiefmutter ist gebürtig aus Namibia – wird die deutsche Kolonialzeit offen verherrlicht. Und dass über das Lager meines Vaters so gut wie nichts in den Medien berichtet wurde und wird, wundert mich außerdem. Ich lebe ja in Süddeutschland, so etwas schlägt da immer Wellen, sobald es bekannt wird. In Sachsen scheint es viel normaler zu sein, dass die Nazis Immobilien haben und ihre Veranstaltungen ungestört durchziehen können. Man hat sich scheinbar längst damit abgefunden beziehungsweise betrachtet das nicht als etwas Besonderes.
Als Sie älter wurden, lernten Sie die NPD von innen kennen. Wie haben Sie die Partei erlebt?
Ich kannte sie schon früh, durch ein Lager der NPD-Jugendorganisation JN in Quitzdorf. Es war extrem primitiv. Sogar der Leiter hat sich beklagt, dass keiner Bock auf Vorträge und Schulungen hatte und alle eigentlich nur saufen wollten. Ich hab’s mir damals schöngeredet. Aber irgendwann fiel mir vor allem auf, was diese rechten Männer für weinerliche und schwache Feiglinge sind. Die meisten haben null Selbstbewusstsein. Sie gehen in die Muckibude, pumpen sich auf, tun nach außen groß und stark und hart, sind im Inneren aber voller Zweifel, Frust und Unsicherheit. Nur können sie das weder zulassen noch offen darüber reden – bloß keine Schwäche zeigen! Also saufen sie sich den Frust weg, und zwar exzessiv. Dazu passt auch das Frauenbild in der Szene: Wir sollen nach außen repräsentativ sein und der NPD ein anderes Gesicht geben, aber ansonsten den Mund halten und unsere Pflicht als Hausfrau und Mutter erfüllen.
Hat sich das typische Neonazi-Feindbild erst jetzt erweitert oder gehörten Muslime immer schon dazu?
Nein, nicht im Westen. „Neger“ und „Juden“ fanden wir schlecht, aber etwa Türken nicht unbedingt. Das hatte wohl damit zu tun, dass in München und Umgebung schon länger mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben, man kennt das nicht anders – im Gegensatz zum Osten. Aber inzwischen ist auch das Feindbild der Muslime fest etabliert. Denn wenn Nazis und sonstige Rechtsextreme punkten können, dann mit dem Schüren von Ängsten vor Überfremdung und Terror.
Wann begann Ihr Umdenken?
Schon vor Jahren, als mir auffiel, dass viele Leute in der Szene zwar so taten als ob, sie aber gar nicht nach ihrer „offiziellen“ Ideologie handelten und lebten. Das hat mich geärgert, mir aber auch gezeigt, wie viel Fassade in der Szene war. Dann habe ich gemerkt, dass ich selber ja auch nicht streng danach lebe, und mir wurde klar: Nicht nur mit uns, mit der ganzen Ideologie stimmt etwas nicht. Das hat sich noch verstärkt, als ich meinen Freund kennengelernt habe …
… der als „Flex“ ein bekannter Neonazi-Liedermacher war.
Ja. Wir haben gemeinsam begonnen, über diese Dinge zu diskutieren und mehr und mehr daran zu zweifeln. Als ich 2009 eine Fehlgeburt hatte, begann mein endgültiger Weg hinaus. Der hat allerdings ziemlich lange gedauert und war voller Rückschläge. Und gefährlich, denn Aussteiger gelten in der Szene als Verräter, werden bedroht, oft auch bestraft. Aber die Ausstiegs-Initiative Exit hat uns extrem geholfen. Wir haben jetzt eine geheime Telefonnummer, auch unsere Wohnadresse ist bis heute geheim. Ich bin sehr misstrauisch und beobachte meine Umgebung immer ziemlich genau. Auch auf der Buchmesse habe ich jede Menge mir noch gut bekannte Rassisten und Nazis gesehen, die dort rumliefen. Zum Beispiel beim Messestand des Antaios-Verlags.
Schüchtert Sie das ein? Und hatten Sie Angst, Ihr Buch zu veröffentlichen?
Sagen wir mal so: Ich kann mich nicht ganz frei davon machen. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Mir ist meine Freiheit sehr wichtig geworden. Die will ich jetzt ausleben. Mein Buch gehört dazu.
Haben Sie Kontakt zu Ihrem Vater?
Nein, schon seit Jahren nicht mehr. Ich habe auch kein Interesse mehr daran. Weil er für mich nie ein richtiger Vater war, fehlt er mir auch nicht.
Das Gespräch führte Oliver Reinhard.
Heidi Benneckenstein: Ein Deutsches Mädchen. Klett-Cotta, 252 S., 16,95 Euro