„Sturm auf Sachsens Rathäuser“: Wie die „Freien Sachsen“ Neonazis aus dem Westen in die Stadt- und Kreisräte bringen wollen

Auf den Wahllisten der „Freien Sachsen“ in Mittelsachsen finden sich Hardliner-Neonazis aus dem Westen. Mit dabei: ein Ex-NPD-Kader aus Nordrhein-Westfalen und eine Frau, die den Schlüssel zum NSU-Mord in Hessen liefern könnte.

Rechenberg-Bienenmühle.Auf Unterarme und Ellbogen gestützt hebt die Frau im bauchfreien Hemdchen ihr Becken vom Boden und reckt leggins-betonte Po-Kurven gen Kamera. Die Haltung soll wohl eher aufreizend als bequem sein. Auch sonst setzt Corryna Görtz auf ihrer Facebookseite auf Schlüsselreize mancher Männer. Mit gekonntem Ruck am Reißverschluss pellt sie sich lasziv aus einem schwarzen Latex-Overall. Eine Nahaufnahme ihrer Brüste im Jacuzzi-Bubble-Bad.

Der Chihuahua, mit dem sie auf manchen Bildern kuschelt, wirkt selbst mit schwarzer Sturmhaube wie ein Bankräuber in Szene gesetzt, eher niedlich als bedrohlich. Politisch wird es kaum auf der Website der laut Facebook-Profil gleich hinter der tschechischen Grenze in Cesky Jiretin lebenden Frau. Nur mit der Lebensrune Elhaz (ein Y mit verlängertem Mittelstrich) deutet die 55-Jährige Nähe zu nordischer Tradition an.

In Sachsen drängt die gebürtige Thüringerin, die zuletzt in Hessen lebte, jetzt in die Politik. Für die rechtsextremen „Freien Sachsen“ tritt sie bei den Kommunalwahlen in Mittelsachsen an. In Rechenberg-Bienenmühle – laut Melderegister wohnt sie dort auf sächsischer Seite der Grenze – steht sie auf der Kandidatenliste für den Gemeinderat. Auch für den Kreistag ist sie als Kandidatin vorgeschlagen.

Mitläuferin oder gut vernetzte Frau mit Hang zum Bombenbau?

Die Spur von Corryna Görtz reicht tief in die Neonaziszene Deutschlands zurück. Zwar betonte Görtz in Vernehmungen stets, nur wegen ihrer Lebenspartner in diese Szene gerutscht zu sein. Doch das widerspricht Erkenntnissen von Ermittlern, von Geheimdiensten und NSU-Aufklärern. 1997, kurz vor Abtauchen der Jenaer Bombenbauer und späteren Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) tauchte Corryna Görtz auf einer Liste des Thüringer Landeskriminalamts (LKA) auf:

als gewaltbereite Rechtsextremistin. Neben Beate Zschäpe die einzige gelistete Frau. Unter 51 gewaltbereiten Männern auf der Liste befinden sich neben Böhnhardt viele spätere NSU-Helfer und -Kontaktleute sowie weitere Mitglieder des „Thüringer Heimatschutzes“. Der war in den 90er-Jahren das größte Neonazi-Sammelbecken Thüringens.

Nach Aussage von Szene-Zeugen und nach Ermittlungsakten, die NSU-Aufklärer in Untersuchungsausschüssen auswerteten, war Görtz keineswegs die rein von Männern gesteuerte Mitläuferin. In den 90er-Jahren war sie im Schulungszentrum des Neonazi-Agitators Meinolf Schönborn aktiv, der in Detmold paramilitärische „Nationale Einsatzkommandos“ aufzubauen suchte.

Laut Schlussbericht des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses war Corryna Görtz sogar selbst mit Bombenbau befasst: Nach einem Vermerk des LfV Hessen von 2013 sei „Görtz Herausgeberin vom ‚Giftpilz‘ gewesen“, ein „Heft mit Anleitungen zum Bombenbau“, heißt es im Schlussbericht. Zwar habe Görtz selbst bestritten, am Heft beteiligt gewesen zu sein. Doch wurden vom Ausschuss Szene-Zeuge vernommen, die sowohl das Händeheben beim Vorwurf der Sprengstoffexperimente in Frage stellten, als auch Görtz‘ Mitläufer-Behauptung.

Ein Neonazi-Zeuge entsann sich, dass Görtz seine Gruppe einmal verwundert gefragt habe: „Wie ihr kocht nicht?“ Kochen – das ist Szenejargon für Experimente mit Chemikalien. Damit konfrontiert, betonte Görtz nicht etwa eine an sich harmlose Bedeutung des Wortes gemeint zu haben. Im Verhör bestritt sie vielmehr, dass die Unterhaltung mit dem Zeugen Oliver P. überhaupt je stattgefunden habe.

Auch der frühere Thüringer Szene-Kopf und zeitweise Verfassungsschutz-V-Mann Michael See gab über Görtz Auskunft. Der heute unter anderem Namen in Schweden lebende Zeuge sprach über deren besondere Vernetzung: „Corryna Görtz war im Prinzip wie ich überall mit drin. Es würde mich auch nicht wundern, wenn irgendwann mal rauskommen würde, dass Corryna Görtz auch für irgendeinen Geheimdienst gearbeitet hat“, räumte der Mann in einer Vernehmung ein.

Er führte aus: „Corryna Görtz war bei der Nationalistischen Front, bei Meinolf Schönborn. Sie war bei der FAP. Sie hatte im Prinzip genau wie ich auch Kontakte zu allen möglichen Führungspersonen in der Neonaziszene – zu Siegfried Borchardt von der FAP in Dortmund, also dieser ganzen Hooliganszene, Borussenfront und wie sie nicht alle heißen. Sie hatte Kontakt zu mir. Sie hatte Kontakt zu Heise.“ (Thorsten Heise ist ein aus der Kameradschaftsszene stammender Neonazi, der zeitweise im Bundesvorstand der NPD saß und das „Schild-und Schwert“-Festival im sächsischen Ostritz mit organisierte – d. Red.)

„Sie hatte Kontakt zu den Thüringern. Ich bin mir auch sicher, dass sie Kontakt zu Böhnhardt und Mundlos hatte.“ Letzteres konnte der Zeuge Michael See zwar nicht belegen, doch entsann er sich, dass Görtz ihm von einer Provokation im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald erzählt habe. 1996 hatten die späteren Terroristen Mundlos und Böhnhardt in der Gedenkstätte mit einem Auftritt in SA-ähnlicher Uniformierung ein Hausverbot erwirkt. Bisher bestritt Görtz indes, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gekannt zu haben.

Zu ihren Männern zählte Corryna Görtz zeitweise einen Kopf der verbotenen Vereinigung „Combat 18“ (Szene-Formel für „Kampfeinsatz Adolf Hitler“). Combat 18 ist der militärische Arm der in Deutschland ebenfalls verbotenen Neonazi-Bewegung „Blood and Honour“. Auch der 2021 gestorbene Dortmunder Rechtsextremist Siegfried Borchardt gehörte laut Görtz zeitweise zu ihren Lebensgefährten. Über ihr Engagement in der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG), die bis zu ihrem Verbot 2011 die größte Neonazi-Organisation Deutschlands war, hatte Görtz Kontakt zu Martin Wiese.

Die nach diesem benannte Wiese-Gruppe hatte im Jahr 2003 einen Bombenanschlag zur Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums in München geplant, der vereitelt werden konnte. In diesem Zusammenhang kam erstmals der Begriff „Braune Armee Fraktion“ auf, geprägt vom damaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU).

Wieso wählte Görtz den späteren Tatort für ihre Besuche, obwohl es viel näher gelegene Internetcafés gab?

„Wir sehen in Frau Görtz eine Zentralfigur der neonazistischen Szene“, urteilte Nancy Faeser. Vor ihrem Amtsantritt als Bundesinnenministerin war das, als Faeser noch Ob-Frau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags war. Besonders bedenklich sei im Ausschuss Görtz‘ Aussage gewesen, so Faeser, dass sie im Jahr 2005, kurz vor dem in Kassel stattgefundenen letzten NSU-Mord, dreimal den Tatort aufgesucht hatte.

In seinem Internetcafé an der Holländischen Straße in Kassel war der 21-jährige Betreiber Halit Yozgat am 6. April 2006 mutmaßlich von Mundlos und Böhnhardt erschossen worden. Während die mögliche NSU-Kontaktfrau Görtz ihre Besuche im Internetcafé bei Freigängen aus einer zu verbüßenden Haft im Gefängnis Baunatal vornahm, befand sie sich zur Zeit des Mordes seit einer Woche wieder auf freiem Fuß.

Außer Thüringen und Hessen lebte Görtz auch in Österreich, wo sie ebenfalls Kontakte zur rechtsextremen Szene aufbaute. Ob ihr jetziger Umzug nach Sachsen mit der von Rechtsextremisten bundesweit beworbenen Umsiedlungsinitiative „Zusammenrücken“ zu tun hat – eine Antwort auf diese Frage steht aus. Immerhin kam der Dortmunder Neonazi Michael Brück im Zuge genau dieser Aktion vor zweieinhalb Jahren nach Chemnitz.

Der frühere Dortmunder Szene-Kader hatte natürlich Überschneidungen mit „SS-Siggi“, jenem Siegfried Borchardt, den Corryna Görtz als zeitweisen Lebensgefährten nennt. Michael Brück kam nach Chemnitz, um für die Kanzlei des rechtsextremen Anwalts Martin Kohlmann zu arbeiten. Inzwischen koordiniert Brück viele Aktionen der „Freien Sachsen“, jener rechtsextremen Kleinpartei, in der Kohlmann Vorsitzender ist.

Wie es zu ihrem Umzug nach Sachsen und zu ihrer Kandidatur für die „Freien Sachsen“ kam, dazu richtete „Freie Presse“ an Görtz eine schriftliche Anfrage über deren Facebook-Account. Die Antwort steht aus. Einen Teil der Antwort mag die jüngst erschienene Wahlbroschüre der rechtsextremen Kleinpartei liefern.

Sie steht unter dem Titel „Sturm auf Sachsens Rathäuser“. Dort lässt sich Stratege Michael Brück über das „Primat des Straße“ aus und darüber, dass „Wahlen allein“ sicherlich „nichts ändern“. Immerhin betonte er, Wahlen seien „aber eine gute Möglichkeit, politischen Einfluss auszubauen und die bisher manifestierten Machtverhältnisse schrittweise in Frage zu stellen“.

Und was kommt danach? Dazu fand Brück schon bei seinem eigenen Umzug nach Sachsen vor zweieinhalb Jahren klare Worte: Das Gute hier sei, „dass die Menschen eigentlich offen für rechte Positionen sind. Da ist es viel besser, in der Fläche anzugreifen“. Angriff in der Fläche also. Dafür mag es Unterstützung rechtsextremer Importe aus dem Westen brauchen.

Neben Görtz tritt in Mittelsachsen auch Thorsten Crämer für die „Freien Sachsen“ als Kreistagskandidat an. Crämer ist ehemaliger Vorsitzender der NPD-Jugend in Nordrhein-Westfalen und wegen eines Überfalls auf eine KZ-Gedenkstätte als Gewalttäter verurteilt.