Stören, provozieren, vorführen: Was Martin Kohlmann vorhat

Die „Freien Sachsen“ treten zur Kommunalwahl an. Konstruktiv mitarbeiten wollen die Rechtsextremen in den Parlamenten aber nicht. Auf einer konspirativen Veranstaltung spricht der Parteichef darüber, worum es ihm wirklich geht.

Wie spricht man über jemanden, den man verachtet? Wenn man das unbedingt sagen möchte, ansonsten aber jede Erwähnung vermeiden? Dieses Problem hat Martin Kohlmann, Chef der rechtsextremen „Freien Sachsen“. In einem Gasthof nahe Bautzen redet er an einem Abend Anfang April über Politiker, Bürgermeisterinnen, Amtsleiter. Er sagt das aber fast nie so. Unbestimmt sagt er „die“ und „denen“. Dann findet Kohlmann eine Bezeichnung, die ihm offenbar gefällt. Er sei ja selbst in der Politik, sagt er, um „die“ zu provozieren. Damit „die“ sich so verhalten, wie sie wirklich sind: wie „Lumpen und Gesindel“.

Es ist nicht so, dass Martin Kohlmann besonders freundlich über Politikerinnen und Politiker spricht, wenn er öffentlich auftritt. Aber an diesem Abend bei Bautzen, im Halbverborgenen, da ist er besonders deutlich. Auch, wenn es um die politische Strategie seiner Partei geht.

„Müssen den Landtag einnehmen“

Die „Freien Sachsen“ sind deutschlandweit bekannt für ihre Demonstrationen. Gegen die Corona-Maßnahmen, gegen Flüchtlinge, gegen alles eigentlich, was „die Politik“ macht. Manchmal haben ihre Anhänger Fackeln dabei oder ziehen vor die Wohnhäuser von Politikern. Die Reden der Parteifunktionäre sind voller Drohungen: Flüchtlinge dürften sich nirgendwo wohlfühlen, Sachsens Landtag müsse man „einnehmen“. Bei der Kommunalwahl Anfang Juni will die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei in Sachsens Kreis- und Stadträte einziehen. Dabei lehnt sie das politische System des Freistaats ab, will seinen Austritt aus der Bundesrepublik und Sachsens Königshaus wieder installieren. Was also haben die „Freien Sachsen“ in den Parlamenten vor?

Es ist der Abend in dem Gasthofsaal nahe Bautzen, an dem Kohlmann von „Lumpen und Gesindel“ sprechen wird. Auf Malereien an den Wänden liegen Rehe im Gras, auf der Bühne stehen gestapelte Stühle und vier große Holzbuchstaben: L, O, V, E. Auf der Webseite des Gasthofes steht, man könne die Buchstaben für Hochzeiten mieten, 80 Euro am Tag.

Infos zum Treffen kommen kurzfristig über Telegram

Heute wird nicht gefeiert, jedenfalls keine Hochzeit. Ein deutschlandweit aktiver Reichsbürger hat den Abend organisiert, zusammen mit Menschen aus der Region. Er wurde über Wochen in Reichsbürger-Gruppen bei Telegram beworben. Den genauen Veranstaltungsort erfuhr jedoch nur, wer einer bestimmten Gruppe in dem Netzwerk beitrat.

Jetzt sitzen rund 100 Menschen auf den Gasthof-Stühlen. Ein Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ewiger Bund 1871“. Eine Frau und ein Mann haben die gleichen schwarz-weiß-roten Halstücher um. Reichsbürger-Optik. Man tauscht sich über anstehende Demonstrationen der Szene aus, bestellt Schnitzel mit Pommes und Bier.

Reichsbürger empfiehlt die Wahl der „Freien Sachsen“

Die Presse ist nicht gern gesehen, man bleibt lieber unter sich. Redaktionen werden explizit ausgeladen, wenn sie von solchen Treffen berichten wollen – dabei ist das, was bei solchen Gelegenheiten besprochen wird, von großer öffentlicher Relevanz in diesem sächsischen Wahljahr. Laut Ankündigung soll es heute Abend um eine brisante Frage gehen: „Was folgt nach dem BRD-System?“ Zwei Journalistinnen der LVZ haben sich unter die Zuhörer gemischt, geben sich aber nicht als solche zu erkennen.

Zuerst spricht Hans-Joachim Müller, ein in der Reichsbürger-Szene berühmter Redner. Es geht um die Macht der amerikanischen Notenbank und um die der Brics-Staaten, um den nahen Untergang von Nato und UN, um irgendwie alles. Die AfD, sagt Müller, sorge für Unordnung, das sei schon mal gut. Aber guten Gewissens wählen könne man nur die „Freien Sachsen“.

Kohlmann will Kommunalpolitiker provozieren und beschäftigen

Dann kommt Martin Kohlmann. Brauner Cordanzug, bunte Krawatte, silberner Laptop. Vom Bildschirm liest er Anekdoten aus seiner Tätigkeit als Chemnitzer Stadtrat ab. Die Menschen, sagt Kohlmann dann, wollten von ihm, vom „Freie Sachsen“-Chef wissen: Warum lasst ihr euch denn wählen? Das bringt doch nichts! Das stimme, sagt Kohlmann auf der Wirtshaus-Bühne: So, wie man es in der Schule gelernt habe, bringe es nichts. Also nicht, in dem man in den Parlamenten Anträge schreibe und Mehrheiten suche. Man müsse das anders machen.

Das eine sei es, so Kohlmann, Politikerinnen und Politiker in den Kommunalparlamenten zu provozieren, sie mit Anfragen zu beschäftigen und angeblich verschwiegene Skandale an die Öffentlichkeit zu bringen. Man lasse „die“ nicht in Ruhe weitermauscheln, sagt Kohlmann.

Vorbereitung auf eine „neue Wende“

Dann kommt er zu dem, was aus seiner Sicht das Wichtigste ist bei der politischen Arbeit der „Freien Sachsen“: die Vorbereitung auf „eine neue Wende“. Sitze man in den Kommunalparlamenten, bekomme man dafür Einblicke: Welcher Amtsleiter arbeite gut und könne auch nach der „neuen Wende“ weiter machen? Welcher hetze ideologisch und müsse entfernt werden? Auch „wenn die Zeiten besser sind”, sagt Kohlmann, müssten die Kommunen weiter verwaltet werden. Dafür brauche man eigene Leute, die sich mit Straßenbausatzungen und Haushaltsplänen auskennen.

An dem Gasthof-Abend redet Kohlmann ruhig und offen. Sein Ton ist vergnügt, seine Wortwahl teilweise drastisch. Er gibt einen genauen Einblick in die Strategie der „Freien Sachsen“. Manches davon ist auch öffentlich bekannt. Es ist zum Beispiel Thema an einem anderen Abend, am vergangenen Donnerstag in Bernsdorf zwischen Zwickau und Chemnitz. Dort beginnen die „Freien Sachsen“ offiziell ihren Kommunalwahlkampf.

Konkrete Pläne zum Wahlkampf-Auftakt

Wieder ein Gasthof, wieder rund 100 Menschen im Saal. Dieses Mal ist die Veranstaltung öffentlich, mehrere Journalisten sind da. Als Redner geladen ist auch der ehemalige AfD-Politiker Andreas Kalbitz, gehalten werden klassische Wahlkampfreden. Um Zersetzungsstrategien in den Kommunalparlamenten geht es dieses Mal nicht, sondern um konkrete Vorhaben. Man wolle in den sächsischen Kreistagen zuerst einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen beantragen, sagt „Freie-Sachsen“-Vizechef Stefan Hartung. Parteivorsitzender Kohlmann, begrüßt mit Standing Ovations, spricht auch in Bernsdorf von der aus seiner Sicht notwendigen „Wende“. Fragt man ihn am Rande der Veranstaltung, was er damit meint, sagt er: „Eine Umwälzung des politischen Systems“, die „am liebsten ruhig und friedlich“ herbeigeführt werden solle. Gewalt, die wendete doch nur der Staat gegen seine Bürger an, etwa mit Corona-Maßnahmen und generell viel zu vielen Vorschriften.

Im Chemnitzer Stadtrat ist das, was die „Freien Sachsen“ in den Kommunalparlamenten tun wollen, längst Realität. Kohlmann ist 1999 in den Stadtrat eingezogen, gehörte den Republikanern an, bevor er „Pro Chemnitz“ und später die „Freien Sachsen“ gründete. Kohlmann und die aktuell fünf anderen Abgeordneten setzen im Stadtrat auf Angriff: Seitdem der Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) einen Übergriff durch Rechtsextreme verurteilte, referiert Kohlmann regelmäßig Straftaten, die angeblich oder tatsächlich Migranten begangen haben. Schulze wirft er vor, sich dafür nicht zu interessieren.

Kohlmann wegen Stadtrats-Rede vom Amtsgericht verurteilt

In einer der letzten Stadtrats-Sitzungen stellte Pro Chemnitz einen Antrag, das mit der Kulturhauptstadt 2025 sein zu lassen: „Man verschwendet Geld, das anderswo gebraucht wird“, sagte Kohlmann in seiner Rede. Das Vorhaben diene nur dazu, den „Minderwertigkeitskomplex einiger Stadtoberen zu befriedigen.“ Die Strategie hinter solchen Sticheleien, beschreibt ein langjähriger Stadtrat so: „Es geht darum, uns immer wieder als Heuchler hinzustellen, die falsche Entscheidungen treffen.“

In Chemnitz lassen sie Redebeiträge von Kohlmann und „Pro Chemnitz“ selten unwidersprochen. Es gibt immer wieder Ordnungsrufe, ein Abgeordneter von „Pro Chemnitz“ wurde von der Polizei aus dem Rathaus geführt: Er hatte sich mitten in der Corona-Pandemie geweigert, eine Maske zu tragen und wollte nicht freiwillig gehen. Im Herbst 2022 verurteilte das Amtsgericht Chemnitz Martin Kohlmann wegen Volksverhetzung. Er hatte in einer Rede im Stadtrat bestritten, dass es auf dem Gebiet des Deutschen Reichs Gaskammern gab.

Wahlerfolge für „Freie Sachsen“ in Hochburgen möglich

Nun also soll dieser Ton nach dem Willen Kohlmanns in möglichst viele sächsische Kommunalparlamente einziehen. Um überhaupt zur Wahl im Juni antreten zu können, mussten die „Freien Sachsen“ im ganzen Bundesland um Unterstützungsunterschriften werben. Die kamen nach Angaben der Partei flächendeckend zusammen. Noch ist es nicht überall amtlich, aber die Tendenz ist klar: Die „Freien Sachsen“ werden wohl in allen Landkreisen, in Chemnitz, Dresden, Leipzig und einigen kleineren Städten antreten dürfen. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass die Partei nach der Wahl tatsächlich in nennenswerter Größe in die Kommunalparlamente einzieht?

Johannes Kiess ist Soziologe, forscht am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig und hat kürzlich ein Buch über die „Freien Sachsen“ veröffentlicht. „Die Partei ist in bestimmten Regionen stark, das haben frühere Wahlen gezeigt“, sagt er. Kandidaten der „Freien Sachsen“ haben sich schon in Nordsachsen, der Sächsischen Schweiz und dem Erzgebirge aufstellen lassen, zu Landrats- oder Bürgermeisterwahlen. Mancherorts erzielten sie hohe zweistellige Ergebnisse, in der Stadt Dohna bekam die Bürgermeisterkandidatin sogar 30 Prozent. Johannes Kiess glaubt, dass die Partei bei den Kommunalwahlen in solchen Hochburgen Ergebnisse zwischen 10 bis 15 Prozent bekommen könnte. „Allerdings stehen die ’Freien Sachsen’ in Konkurrenz mit der AfD – es ist also möglich, dass sich die Parteien gegenseitig Stimmen abgreifen.“

Was Bürgermeister von den „Freien Sachsen“ erwarten

„Freie Sachsen“ werden künftig also, nach aktueller Lage der Dinge, in vielen Kommunalparlamenten sitzen, gemeinsam mit Menschen, die Kohlmann als „Lumpen und Gesindel“ bezeichnet: Sie wollen stören provozieren, Grenzen überschreiten – sich dagegen zu wehren, das kostet Zeit und Energie. Wie gut sind sie darauf vorbereitet in den Kreistagen, in den kleineren Städten?

Die LVZ hat mit Bürgermeistern gesprochen, in deren Städten die „Freien Sachsen“ antreten. Namentlich wollen sie nicht genannt werden, um keine Angriffsfläche zu bieten. „Darauf warten die doch nur.“ Viele Bürgermeister kennen die „Freien Sachsen“ schon: Sie sehen die Demonstrationen, lesen mit im Telegram-Kanal. In den vergangenen Wochen tauchten Unterstützer der Partei auch vor den Rathäusern auf, sprachen Menschen gezielt an, damit sie auf den Wahl-Listen unterschreiben – auch jene, die die Situation etwa wegen ihres Alters nicht erfassen konnten. Der LVZ sind solche Fälle bekannt.

„Die NPD hat auch nichts gerissen“

Es sei ein aggressives Auftreten gewesen, so wird es aus mehreren Rathäusern berichtet – auch gegenüber Mitarbeitern. Die „Freien Sachsen“ selbst sprechen davon, in zwei Kommunen um ihre Unterschriften „betrogen“ worden zu sein. Dass eine Partei, die so auftritt, demnächst auch in seinem Stadtrat sitzen könnte, findet ein Bürgermeister „schwierig“. Es sei völlig klar, dass diese Partei demokratische Prozesse ablehne. Meinungsverschiedenheiten seien normal. „Was aber, wenn jede Abstimmung im Stadtrat infrage gestellt wird?“

Er erwarte nicht viel von den „Freien Sachsen“, so erzählt es ein anderer Rathaus-Chef. Umsturzfantasien? Das kenne er schon von der NPD. Deren Leute hätten aber auch nichts gerissen. Und selbst wenn die „Freien Sachsen“ selbstbewusster auftreten sollten: „Ich habe keine Angst vor denen“.