„Viel Wirres, Irres und Gefährliches“ – Schwere Vorwürfe gegen AfD-Kandidaten in Sachsen
Mehrere aussichtsreiche Kandidaten der AfD für die sächsische Landtagswahl im September sind mit schweren Vorwürfen konfrontiert, zeigt eine WELT AM SONNTAG-Recherche. Sie stehen im Verdacht, gegen Gesetze verstoßen zu haben – oder fielen mit Bezügen zum Nationalsozialismus auf.
Die AfD steht in Sachsen momentan auf Platz eins der Umfragen für die Landtagswahl am 1. September – und könnte mit so vielen Abgeordneten in das Parlament ziehen wie nie zuvor. Nun sind mehrere aussichtsreiche Kandidaten mit schweren Vorwürfen konfrontiert.
Eine Recherche von WELT AM SONNTAG deckt etwa auf, dass der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau seit 2020 Eigentümer und seit 2023 Geschäftsleiter eines großen Agrarbetriebs in Belarus ist – und dies nicht dem Landtagspräsidenten mitgeteilt hat, obwohl er dazu gesetzlich verpflichtet ist. Gleichzeitig ergreift er im Landtag Partei für die Diktatur von Alexander Lukaschenko.
Die Recherche legt zudem offen, dass der Landtagsabgeordnete und Polizist Lars Kuppi 2018 wegen Beleidigung verurteilt wurde. Laut Urteil hat Kuppi über einen Kollegen – den neuen Partner seiner vorherigen Lebensgefährtin – gesagt: „Das wird das Schwein nicht überleben.“ Einer der Zeugen berichtete im Prozess auch, dass Kuppi den Nebenbuhler „auf offener Straße niedergeschlagen“ habe.
Es folgten disziplinarische Konsequenzen. Außerdem schloss die Deutsche Polizeigewerkschaft, dessen Vize-Chef im sächsischen Landesverband Kuppi zuvor war, ihn wegen eines öffentlichen Auftritts mit einem bundesweit bekannten Neonazi aus dem Verband aus. Dornau und Kuppi ließen Anfragen unbeantwortet.
Für die AfD antreten wird auch der Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich – obwohl der sächsische Landesverband Ende Januar mitgeteilt hatte, dass Ulbrich „in schwerwiegender Weise gegen die Parteigrundsätze verstoßen“ habe und ein Ausschlussverfahren eingeleitet werde. Ulbrich hatte sich zuvor in einem Urteil des AfD-Bundesschiedsgerichts auf ein nationalsozialistisches Gesetz bezogen.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig prüft derzeit, ob diesbezüglich der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Nach Informationen von WELT AM SONNTAG beschloss der Kreisverband Sachsen am Samstag der vergangenen Woche einstimmig, mit Ulbrich ins Rennen zu ziehen.
Diese Redaktion enthüllt außerdem, dass der Landtagskandidat und frühere Journalist Andreas Harlaß laut drei ehemaligen Kollegen im Jahr 2013 ein Messing-Stück in Form einer Patrone in die Redaktion der Dresdner „Bild“-Zeitung brachte, auf der „Meine Ehre heißt Treue“ eingraviert gewesen sei – also ein verbotener Wahlspruch der nationalsozialistischen SS. Später trennte man sich einvernehmlich. Harlaß behauptet, dass die Gravur „Meine Ehe heißt Reue“ geheißen hätte.
Ein weiterer Landtagskandidat, Lars Franke, spendete nach Informationen von WELT AM SONNTAG Geld für die Beerdigung eines Neonazi-Kampfsportlers – und hat mit einer Schwarzen Sonne ein Symbol auf dem rechten Oberarm tätowiert, das als Erkennungszeichen von Rechtsextremisten gilt. Historisches Vorbild der Schwarzen Sonne ist ein Bodenornament der nationalsozialistischen SS.
Das Tattoo stelle „eine Hunderte Jahre alte alemannische Darstellung der sichtbaren Sonne dar“, behauptet Franke auf Anfrage. Mit dem verstorbenen Neonazi habe er sich „nie über politische Standpunkte ausgetauscht“.
Was Experten dazu sagen
„Die AfD präsentiert als Personal schon immer eine Mischung aus honorigen Berufsträgern und Menschen, die die Gunst des parlamentarischen Mandats nutzen, um ihre zuvor prekäre Existenz in ein festes Kleid zu übertragen“, sagte Wolfgang Schroeder, Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel.
„Bei zahlreichen Kandidaten der sächsischen AfD handelt es sich um überzeugte Rechtsextremisten, die ihre politischen Positionen durch die AfD in einzigartiger Weise mit einer beruflichen Karriere verbinden können.“
Viele AfD-Wähler hätten allerdings eine „distanzierte Position zum politischen System“ und interessierten sich nicht dafür, „was die Kandidaten im Einzelnen treiben“, sagte Schroeder weiter.
Michael Wolffsohn, ehemaliger Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, will durch die Recherche bewiesen sehen, „dass man vielen AfD-Politikern besser nicht das eigene und damit auch das Schicksal des eigenen Bundeslandes oder gar Deutschlands insgesamt überträgt“.
Bezüglich der AfD-Inhalte gäbe es „viel Wirres, Irres und Gefährliches“, sagte der Historiker. „Wer die AfD wählt, muss wissen, dadurch Deutschlands Selbst-Abschaffung zu beschleunigen, nicht zu verhindern.“
Der Kasseler Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano hält die Befunde zur Gewaltandrohung und der Relativierung bis Verherrlichung des Nationalsozialismus für „nicht überraschend“.
„Sie zeigen einmal mehr, welche Gefahr von dieser Partei und speziell auch von führenden Mitgliedern dieses Landesverbandes ausgehen“, sagte er. Es handle sich bei der AfD Sachsen nicht um eine Partei der bürgerlichen Mitte, sondern um eine „rechtsextremistische Bewegung, die grundlegende Prinzipien unseres demokratischen Zusammenlebens infrage stellt“.