Landgericht Leipzig: Durchsuchung bei Fotograf wegen „Tag X“ rechtswidrig

In den Ermittlungen zu Ausschreitungen bei Protesten wie „Tag X“ in Leipzig gelten Fotoaufnahmen als Beweismittel. Deshalb hat die Polizei bei einem Fotografen in Halle mehrere Datenträger beschlagnahmt. Offenbar zu Unrecht.

Ob Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen rund um den „Tag X“ in Leipzig zuweilen übers Ziel hinausschießen? Diese Frage stellt sich immer wieder. Auch bei der Durchsuchung eines jungen Fotografen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), eine Fachgewerkschaft, rügte den Einsatz. Jetzt hat das Landgericht Leipzig zu dem Fall eine Antwort gegeben.

In seiner Entscheidung hat es den entsprechenden Durchsuchungsbeschluss aufgehoben und das Vorgehen für rechtswidrig erklärt. Die Entscheidung „stärkt die Pressefreiheit“, so heißt es in einer Pressemitteilung der Anwälte, die den 19-Jährigen vertreten.

Mitte Dezember 2023 durchsuchten Polizeibeamte dessen Wohnung in Halle. Sie beschlagnahmten mehrere Handys, Datenträger und auch Teile der Kameraausrüstung. Der Einsatz stand im Zusammenhang mit den Ermittlungen rund um das Protest-Geschehen nach dem Urteil gegen Lina E. und andere Linksextremisten. Am 3. Juni war eine Demonstration auf dem Alexis-Schumann-Platz in Leipzig eskaliert.

Die Polizei hatte 1324 Menschen eingekesselt. Es laufen Hunderte Ermittlungsverfahren – unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs. Außerdem läuft ein Verfahren wegen versuchten Mordes. Als mögliche Beweismittel gelten auch vor Ort entstandene Foto- und Videoaufnahmen. Die Behörden hatte Anfragen an große Medienhäuser gestellt, ihr Material zu teilen.

Hat Staatsanwaltschaft journalistische Tätigkeit verschwiegen?

Der betroffene Fotograf gehört zu dem eher aktivistisch agierenden Leipziger Medienkollektiv LZO Media. Er hatte Fotos von den Protesten auch auf Twitter geteilt. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung besaß er einen Jugend-Presseausweis. Die anwesende Staatsanwältin soll das Dokument ignoriert haben, mit den Worten: „Das kennen wir nicht.“

Der Jugend-Presseausweis soll vor allem Nachwuchsjournalisten bei Recherchen helfen. Er ist nicht gleichzusetzen mit dem Presseausweis, den der DJV ausstellt. Der Verband nannte das Vorgehen vom Dezember trotzdem „unrechtmäßig“. Denn dort habe der Fotograf glaubhaft nachweisen können, dass er, zumindest unregelmäßig, für eine Tochtergesellschaft der Nachrichtenagentur DPA arbeitet.

In ihrer Pressemitteilung erklären die Anwälte des Mannes nun: Die Staatsanwaltschaft Leipzig habe durchaus von dessen journalistischer Arbeit gewusst, sie bei der Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses beim Amtsgericht aber verschwiegen. Bei beide Behörden ist niemand für eine Stellungnahme zu erreichen gewesen.


Antonie Rietzschel 15.12.2023

Journalisten-Verband kritisiert Durchsuchung bei jungem Fotografen in Halle

Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Wohnung eines jungen Fotografen in Halle wegen des „Tag X“ in Leipzig durchsucht. Ein Vorgehen, das der Deutsche Journalisten-Verband als „unrechtmäßig“ kritisiert.

Es ist ein Einsatz, der Fragen aufwirft: Am Dienstag haben Polizeibeamte in Halle die Wohnung eines 19-Jährigen durchsucht, offenbar mehrere Handys, Datenträger und auch Teile seiner Kameraausrüstung beschlagnahmt. Und das, obwohl der junge Mann sich als Journalist zu erkennen gab und auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verwies. Ein Vorgehen, das der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), eine Fachgewerkschaft, als „unrechtmäßig“ kritisiert.

Die Staatsanwaltschaft Leipzig will sich auf Nachfrage nicht zu dem konkreten Fall äußern. Sie bestätigt lediglich, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Zeugen handelt. Die Durchsuchung steht im Zusammenhang mit den Ermittlungen rund um den „Tag X“.

Nach dem Urteil gegen Lina E. und andere Linksextremisten war es in Leipzig zu Protesten gekommen. Am 3. Juni war eine Demonstration auf dem Alexis-Schumann-Platz eskaliert. Die Polizei hatte Hunderte Menschen eingekesselt.

Derzeit wird gegen 1321 Personen ermittelt – unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs. Außerdem läuft ein Verfahren wegen versuchten Mordes.

LZO-Media: Der Ton ist nicht immer frei von Aktivismus

Als mögliche Beweismittel gelten vor Ort entstandene Aufnahmen. An jenem „Tag X“ hatten mehrere Fotografen und Fernsehleute die Szenerie in Bild und Video festgehalten. Sie hatten Steinwürfe und Auseinandersetzungen mit der Polizei dokumentiert.

Die Bilder von Journalisten einzufordern, ist rechtlich heikel. Denn wie Ärzte und Rechtsanwälte sind sie als Berufsgeheimnisträger nicht verpflichtet, Angaben zu machen. Auch darf ihr Material nicht einfach beschlagnahmt werden.

Sind Staatsanwaltschaft und Polizei bei ihren Ermittlungen in Halle übers Ziel hinaus geschossen?

Die LVZ hat vergeblich versucht, Kontakt zu dem 19-jährigen Fotografen aufzunehmen. Bekannt ist, dass er zum Leipziger Medienkollektiv LZO Media gehört. Auf der Webseite der jungen Journalisten finden sich vor allem Fotos von Protesten Rechtsextremer, Aktionen von Klimaschützern und Demonstrationen in Connewitz, etwa nach Hausdurchsuchungen.

Nicht alle Namen der Autoren sind echt. Und wer sie im Internet sucht, findet Beiträge auf verschiedenen linken Blogs. Der Ton ist nicht immer frei von Aktivismus, und damit ist die Arbeit nicht unbedingt vergleichbar mit der von klassischen Medien, Tageszeitungen und Fernsehsendern.

DJV: Fotograf ist „seriös journalistisch tätig“

Bei der Hausdurchsuchung konnte der LZO-Fotograf nur einen Ausweis der Jugendpresse Sachsen-Anhalt vorzeigen. Dem MDR zufolge ignorierte die anwesende Staatsanwältin das Dokument mit den Worten: „ Das kennen wir nicht.“ Die Jugendpresse ist vor allem eine Anlaufstelle für Schülerzeitungs-Redakteure. Ihr Ausweis soll Nachwuchsjournalisten bei der Recherche helfen. Gleichzusetzen mit dem Presseausweis, den der DJV ausstellt, ist er jedoch nicht.

Aber es zählen nicht nur Dokumente, sondern auch die konkrete Arbeit, heißt es vom DJV. Lars Radau, Geschäftsführer im Landesverband Sachsen, hat mit dem Fotografen gesprochen: „Meiner Einschätzung nach war er während der Demonstrationen rund um den ,Tag X‘ seriös journalistisch tätig.“

Radau liegt ein Nachweis vor, wonach der junge Mann eben nicht nur für LZO Media arbeitet, sondern auch – unregelmäßig – für eine Tochtergesellschaft der Nachrichten-Agentur DPA. Dessen Aufnahmen seien auch in der ARD-Nachrichtensendung „Tagesschau“ gelaufen.

Offenbar bemühe er sich um einen Ausweis des DJV. So lange ist jedoch die Jugendpresse Sachsen-Anhalt für ihn zuständig. Und die ist gerade dabei einen Rechtsbeistand zu organisieren.


MDR 13. Dezember 2023

Ermittlungen zu „Tag X“: Polizei durchsucht Wohnung eines Fotografen – DJV reagiert scharf

Im Zusammenhang mit dem „Tag X“ und den Ermittlungen wegen versuchten Totschlags hat die Staatsanwaltschaft Leipzig am Dienstag die Wohnung eines jungen Mannes in Halle (Sachsen-Anhalt) durchsuchen lassen. Er soll am 3. Juni 2023 als Pressefotograf Fotos bei den Ausschreitungen nach dem Urteil gegen die Linksextremistin Lina E. gemacht haben. Nach MDR-Informationen ermittelt die Staatsanwaltschaft inzwischen auch wegen eines zweiten Brandsatzwurfes.

Seit Ende Oktober sucht die Staatsanwaltschaft Leipzig den Mann, der am 3. Juni während einer Kundgebung einen Brandsatz in Richtung von Polizeieinsatzkräften geworfen haben soll. Um ihn zu überführen benötigt die Anklagebehörde aussagekräftige Beweise.

In diesem Zusammenhang wurde am Dienstag die elterliche Wohnung eines 19-Jährigen in Halle/Saale durchsucht. Er ist Mitglied der Jugendpresse in Sachsen-Anhalt und des Leipziger Autorenkollektivs LZO. Am „Tag X“ arbeitete er freiberuflich als Pressefotograf, unter anderen auch für die Deutsche Presseagentur (dpa).

Bei dem Betroffenen handele es sich nicht um einen Beschuldigten, sondern um einen Zeugen in dem Fall, teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig am Mittwoch mit.
Polizei beschlagnahmt Datenträger

Nach seinen Angaben ist er aber bislang nicht als Zeuge geladen oder in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einbezogen worden. Die Staatsanwaltschaft habe offenbar nicht gewusst, dass er am „Tag X“ als Journalist gearbeitet hat.

„Ihnen ist schon bewusst, dass ich ein Pressevertreter bin?“, soll der Fotograf bei der Durchsuchung der Wohnung gefragt und seinen Jugendpresseausweis gezeigt haben. Die ermittelnde Staatsanwältin soll daraufhin geantwortet haben: „Was ist das, ein Jugendpresseausweis? Das kennen wir nicht.“

Die Polizei habe mehrere Datenträger beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft bestätigte MDR Investigativ die Durchsuchung, ohne allerdings auf weitere Nachfragen einzugehen.
DJV Sachsen-Anhalt kritisiert Agieren der Ermittler

Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands Sachsen-Anhalt, Uwe Gajowski, hat für das Verhalten der Staatsanwältin im Einsatz, sollte sie so aufgetreten sein, kein Verständnis: „Es ist für mich eine Zumutung. Wenn sich jemand eindeutig als Jugendpresse-Vertreter identifiziert, verbietet das Grundgesetz die Beschlagnahmung von journalistischem Material. Die Staatsanwältin hätte sofort ein Stoppzeichen setzen müssen“, sagte Gajowoski MDR SACHSEN. Wenn eine Staatsanwältin im sächsischen Staatsdienst keine Jugendpresseausweise eines anerkannten Verbandes kenne, dann „ist sie eindeutig falsch an ihrem Platz“.

Offenbar Ermittlungen wegen zweiten Brandsatzwurfs

Nach MDR-Informationen ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig inzwischen wegen eines zweiten Brandsatzwurfs. Dabei geht es um eine auf Polizisten geworfene Brandflasche in der Scharnhorststraße. Das bisher schon bekannte Verfahren wegen versuchten Mordes betrifft den Wurf eines Brandsatzes auf dem Alexis-Schumann-Platz. In beiden Fällen detonierten die Brandsätze. Verletzt wurden dabei keine Beamten.

Hintergrund der Durchsuchung sind Krawalle am 3. Juni in Leipzig. Damals hatte es nach dem Urteil gegen die Linksextremistin Lina E. mehrfach Ausschreitungen gegeben. So wurden Polizisten mit Steinen und Böllern angegriffen. Mehrere Männer waren in Untersuchungshaft gekommen. Ihnen wurde schwerer Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie teilweise versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.