Razzia gegen Reichsbürger: Ex-AfD-Kreisrat im Erzgebirge festgenommen

Im Visier der Ermittler ist eine terroristische Vereinigung, die mit Waffengewalt einen Umsturz plante. Ein festgenommener Olbernhauer war im Schützenverein aktiv.

Es war noch dunkel, als am frühen Morgen die Polizeiwagen auf dem Grundstück im Süden von Olbernhau vorfuhren. Auf einem Foto ist später zu sehen, wie Christian W. am Mittwoch bei Schneefall von mehreren Beamten in Handschellen aus seinem Wohnhaus geführt wird. Der ehemalige AfD-Politiker und Inhaber einer kleinen Firma ist einer von insgesamt 25 festgenommenen Personen aus der Reichsbürgerszene, die nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft mit Waffengewalt einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen.

Ein Sprecher des Generalbundesanwalts in Karlsruhe sagte der „Freien Presse“, in Sachsen seien Objekte von insgesamt zwölf Personen durchsucht worden, vor allem im Erzgebirgskreis, aber auch Nordsachsen, in Mittelsachsen, in Chemnitz und im Vogtland. Unter den zwölf Personen seien sechs Beschuldigte, es habe zwei Festnahmen gegeben, nach Informationen der „Freien Presse“ beide in Olbernhau.

Neben Christian W., der als mutmaßliches Mitglied der terroristischen Vereinigung gilt, wurde in Olbernhau auch der mutmaßliche Unterstützer Frank R. festgenommen. Er führt einen Handwerksbetrieb in der Stadt. Zudem gab es in Olbernhau Durchsuchungen bei einer weiteren Beschuldigten und einem Mann, der bislang nicht als tatverdächtig gilt.

Christian W. hatte selbst Waffen besessen, bis April 2022 war er Mitglied der Olbernhauer Schützengesellschaft. Wegen Fehlverhaltens sei er ausgeschlossen worden, heißt es aus dem Verein. Nun ist er als mutmaßliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Visier der obersten Bundesermittler. Ein Nachbar, der den Polizeieinsatz auf dem Grundstück des 44-Jährigen beobachtet hat, beschreibt Christian W. als einen Mann, der schon vor einigen Jahren durch ausländerfeindliches Verhalten aufgefallen sei. Anfangs habe man noch gute Kontakte gehabt – „bis er sich als Nazi entpuppte“.

Christian W. war auch Mitglied der AfD, saß für die Partei im Olberhauer Stadtrat und im Kreistag des Erzgebirgskreises. Als Unternehmer soll er Aufträge von der Stadt bekommen haben, wie ein Stadtratsmitglied berichtet. Bereits im Oktober 2020 legte Christian W. sein Stadtratsmandat nieder, aus persönlichen Gründen und weil er sich nach eigenen Aussagen bedroht fühlte. Im Juli dieses Jahres gab er auch sein Kreistagsmandat ab. Die Partei, so erklärt der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Dietz vom Kreisvorstand Erzgebirge, habe Christian W. bereits vor längerer Zeit verlassen. Der Mann sei „völlig abgedriftet“, sagt Dietz.


Freie Presse 07.12.2022

Mutmaßliche „Reichsbürger“ wollten Staat stürzen

Sie glauben an den „tiefen Staat“, planten einen Umsturz. Mehrere Tausend Polizisten sind gegen eine mutmaßlichen Terrorgruppe ausgerückt. Was die Ermittler berichten, kann Angst einflößen.

Karlsruhe/Berlin.In der Reichsbürgerszene soll sich eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereitet hat. Die Bundesanwaltschaft ließ am Mittwoch 25 Menschen in mehreren Bundesländern sowie in Italien und Österreich festnehmen, darunter eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und amtierende Richterin. Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen.

„Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu blicken“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die bundesweite Razzia als „Anti-Terror-Einsatz“.

„Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Für den Umsturz auch Tote in Kauf genommen

Spätestens Ende November 2021 haben die Beschuldigten den Ermittlungen zufolge die Vereinigung gegründet. Sie wollten die staatliche Ordnung in Deutschland durch eine eigene ersetzen, wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dazu mitteilte. Diese Strukturen hätten sie in Grundzügen schon ausgearbeitet – samt einer Art Minister um ein Staatsoberhaupt. Für den Umsturz hätten sie auch Tote in Kauf genommen und gezielt Soldaten und Polizisten rekrutiert. Die Gruppe sei von Verschwörungsideologien getrieben.

Rund 3000 Polizeibeamte waren in elf Bundesländern im Einsatz, dabei eine außergewöhnlich hohe Zahl an Spezialkräften. 22 der Festgenommenen wirft die Bundesanwaltschaft vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, zwei davon als Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Mit Ausnahme einer Russin haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft.

Ein Schwerpunkt mit acht Festnahmen war in Baden-Württemberg. „Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung“, sagte die Sprecherin der Behörde. Darüber hinaus gebe es 27 weitere Beschuldigte. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.

Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde, hieß es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Sie erwarteten, dass eine „Allianz“ sie befreie. Das sei ein technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Militärs und Nachrichtendiensten verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vereinigung gehe fest davon aus, deren Angriff stehe kurz bevor.

Angestrebte Machtübernahme in Deutschland

Die Begriffe „Deep State“ oder „tiefer Staat“ werden in Verschwörungsmythen verwendet. Dahinter versteckt sich die Idee, im Hintergrund von politischen Entscheidungen zögen geheime Mächte die Fäden.

Zentrales Gremium der Gruppe sei ein „Rat“. Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. „Die Mitglieder des „Rates“ haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs hätte eine Übergangsregierung die neue staatliche Ordnung in Deutschland verhandeln sollen. „Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen ist aus Sicht der Vereinigung derzeit ausschließlich die Russische Föderation.“

Ein „militärischer Arm“ sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen „beseitigen“, hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. „Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten „Systemwechsels auf allen Ebenen“ zumindest billigend in Kauf.“ Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Auch KSK-Soldat in Verdacht

Vor allem hätten sie auch Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Angehörige des „militärischen Arms“ hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, „um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren“.

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes.

Dass die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann unter den Verdächtigen sei, beunruhige sehr, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich (SPD).

Malsack-Winkemann saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und ist am Landgericht Berlin tätig. „Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen“, sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke).

Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg (8), Bayern (4), Hessen (3), Niedersachsen (3), Sachsen (2), Thüringen (2) und Berlin (1) sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen.

Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe „Vereinte Patrioten“ sein, die im April festgenommen worden waren und wohl Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen wollten. (dpa)


Sächsiche Zeitung 07.12.2022

Von Ulrich Wolf & Franziska Anders & Franziska Klemenz & Karin Schlottmann & Erik-Holm Langhof

Razzia bei Reichsbürgern: Erste Festgenommene bereits in U-Haft

Bei einer der größten Razzien gegen Extremisten in Deutschland wurden am Mittwoch 25 mutmaßliche Reichsbürger festgenommen – zwei davon in Sachsen. Beschuldigt sind ein Ex-Stadtrat der AfD und ein Werkstattinhaber aus dem Erzgebirge.

In Olbernhau im Erzgebirge haben am Mittwochmorgen zahlreiche Beamte mehrere Objekte durchsucht, die im Zusammenhang mit einer Reichsbürger-Grupierung stehen sollen.

  • Deutschlandweite Razzia in der Reichsbürgerszene
  • Einsatz in elf Bundesländern – darunter auch Sachsen
  • 25 Personen wurden festgenommen – zwei Festnahmen in Sachsen
  • Acht mutmaßliche „Reichsbürger“ schon in U-Haft
  • Reußen-Prinz sollte Regierung übernehmen
  • Ex-AfD-Stadtrat und Werkstattinhaber aus Olbernhau in Verdacht
  • Festnahmen auch bei ehemaliger AfD-Bundestagsabgeordneten und Ex-Offizieren
  • Vereinigung plante Angriff auf Bundestag
  • Kontaktsuche nach Russland

Karlsruhe/Berlin. Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der Reichsbürgerszene festnehmen lassen, zwei davon in Sachsen. Acht der 25 am Mittwoch festgenommenen Verdächtigen seien inzwischen in Untersuchungshaft, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank in Karlsruhe.

Rund 3.000 Polizeibeamte seien in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, teilte er mit. Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

Razzien in sieben Bundesländern – und im Ausland

22 der Festgenommenen sollen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte eine Sprecherin der Behörde. Mehr als 130 Objekte seien durchsucht worden. Den Angaben nach nahmen die Polizisten die Personen fest in

  • Sachsen
  • Thüringen
  • Baden-Württemberg
  • Bayern
  • Berlin
  • Hessen
  • Niedersachsen

sowie in Österreich und Italien.

Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben.

Zwei Festnahmen bei Durchsuchungen in Sachsen

Nach Informationen von Sächsische.de durchsuchten Polizeibeamte auch mehrere Hallen und Wohnhäuser im erzgebirgischen Olbernhau. Dort wurde der ehemalige AfD-Stadtrat Christian W. festgenommen. Der 44-Jährige war für die Partei bis Oktober 2020 im Gremium, sei dann aber „aus persönlichen Gründen“ zurückgetreten. Die Freie Presse berichtete seinerzeit, W. sei mehrfach bedroht worden. Außerdem habe es Angriffe und Sachbeschädigungen gegeben.

Christian W. ist gelernter Fliesenleger, gründete aber 2003 eine Firma zur Landschaftspflege. Die Polizei sperrte die Zufahrt zu einer dazugehörigen Halle. Einschlägigen Wirtschaftsdatenbanken zufolge läuft das Geschäft gut, W. hat zwölf Mitarbeiter. Und demnach auch eine Niederlassung im südthüringischen Saale-Holzland-Kreis.

An seinem Auto hat Christian W. Sticker von der Olbernhauer Schützengesellschaft sowie vom Bund der Militär- und Polizeischützen aufgeklebt.

Dort sei er im Naturschutzbund engagiert gewesen, berichtet eine Weggefährtin jener Zeit. W. sei im Vorstand gewesen und habe sich immer sehr für Naturschutzbelange eingesetzt, „egal, ob es um Fledermäuse, Reptilien oder Landschaftspflege ging.“ Sie könne „absolut nichts Negatives“ über ihn sagen. Ihr zufolge war W. nicht länger als fünf Jahre dabei.

Bis April dieses Jahres war der Beschuldigte zudem Mitglied der Olbernhauer Schützengesellschaft. Wegen Fehlverhaltens sei er anschließend ausgeschlossen worden, heißt es aus dem Verein. Ein Informant, der W. dort erlebt hat, berichtet, dass man über die Neuigkeit „verwundert“ ist. W. sei nie mit irgendwelchen extremen Tendenzen aufgefallen.

„Er hatte auf jeden Fall einen Waffenschein“, sagt das Schützenvereinsmitglied. Ob das noch so sei, könne es aber nicht beurteilen. Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft soll W. innerhalb der mutmaßlichen terroristischen Gruppierung unter anderem für die Beschaffung von Waffen zuständig gewesen sein.

In Olbernhau im Erzgebirge haben am Morgen zahlreiche Beamte eine Halle von Ex-AfD-Stadtrat Christian W. durchsucht.

Durchsuchungen gab es unweit der Objekte von Christian W. in Olbernhau auch in einer Autowerkstatt. Diese gehört nach Informationen von Sächsische.de Frank R. Er gilt den Ermittlern zufolge als Unterstützer der vermuteten terroristischen Vereinigung und wurde ebenfalls festgenommen. Der 52-Jährige ist Kfz-Meister und gründete seine Werkstatt bereits 1996. Auf seinem Facebook-Profil gibt er sich als Sympathisant der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, aber auch der AfD zu erkennen.

R. war in Olbernhau durch seine Autowerkstatt sehr bekannt. Mehrere Anwohner erzählten gegenüber Reportern von Sächsische.de ausschließlich von positiven, freundlichen Begegnungen. Viele waren Kunden in seinem Reparaturbetrieb. Demnach seien einige über die Anschuldigungen sehr überrascht, andere aber auch enttäuscht von ihm.

Die Werkstatt von Frank R. in Olbernhau wurde von der Polizei durchsucht. Er selbst wurde festgenommen.

Anders waren die Reaktionen zu Christian W. Er soll etwa sieben Jahre in der erzgebirgischen Stadt wohnen und zunächst sehr aufgeschlossen gewesen sein. Ein Kommunalpolitiker der SPD erzählte von gemeinsamen Abenden sowie großer Hilfsbereitschaft unter der Nachbarschaft. Später sei es jedoch zu Entgleisungen gekommen, wodurch die Freundschaft endete. W. sei auch dadurch aufgefallen, dass er unter anderem Gebühren für das Abwasser nicht bezahlt haben soll.

Machtübernahme in Deutschland angestrebt

Die Bundesanwaltschaft will noch am Mittwoch mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen. Die Sprecherin sagte, man habe bisher noch keinen Namen für die mutmaßliche terroristische Vereinigung. Die Gruppe begründe sich auf Verschwörungsmythen.

Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde. Ihren Ansichten zufolge stehe ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika kurz bevor.

Die Gruppe soll spätestens Ende November 2021 gegründet worden sein. Ihr zentrales Gremium sei ein „Rat“. Dieser verfüge ähnlich einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. „Die Mitglieder des „Rates“ hätten sich regelmäßig im Verbogenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“, heißt es von der Bundesanwaltschaft.


MDR 07.12.2022

Razzia bei mutmaßlichen Reichsbürgern: Zwei Festnahmen in Sachsen

Die Bundesanwaltschaft führt seit dem frühen Mittwochmorgen Razzien gegen ein mutmaßlich militantes Netzwerk aus Reichsbürgern in Deutschland durch. Laut Generalbundesanwalt hat es 25 Festnahmen im Bundesgebiet gegeben, auch in Sachsen.

  • Im Zuge einer deutschlandweiten Razzia gegen mutmaßliche Reichsbürger wurden in Sachsen zwei Menschen festgenommen.
  • Das Netzwerk soll einen Umsturz in der Bundesrepublik geplant haben.
  • Insgesamt 25 Personen sollen dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeführt werden.

Bei der bundesweiten Razzia gegen mutmaßlich militante Mitglieder der Reichsbürgerszene sind in Sachsen zwei Personen festgenommen worden. Wie eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft MDR SACHSEN mitteilte, wurden sieben Orte im Freistaat durchsucht. Bei weiteren acht Personen in Sachsen fanden Durchsuchungen statt, darunter auch bei bislang nicht Tatverdächtigen, wie die Bundesanwaltschaft betonte. Nach MDR-Informationen wurde unter anderem mindestens ein Betrieb in Olbernhau im Erzgebirge durchsucht. Weitere Details zu dem Einsatz wurden mit Verweis auf andauernde Ermittlungen nicht bekannt gegeben.

Wie die Sächsische Zeitung berichtet, soll es sich bei einem der Festgenommenen um den Olbernhauer Ex-AfD-Stadtrat Christian W. handeln. In der Mitteilung des Generalbundesanwalts ist ein „Christian W.“ als Tatverdächtiger gelistet.

Netzwerk soll Umsturz in Deutschland geplant haben

Deutschlandweit nahmen Polizisten am Mittwochmorgen 25 Menschen fest, darunter jene in Sachsen. Laut Bundesanwaltschaft fanden die Durchsuchungen in elf Bundesländern statt. Die mutmaßliche terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet gewesen sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen, hieß es.

Tatverdächtige werden Ermittlungsrichter vorgeführt

Unter den Beschuldigten sind ehemalige Soldaten der Bundeswehr, Polizisten, Ärzte sowie eine Richterin und frühere Bundestagsabgeordnete der AfD. Die Festgenommenen werden den Angaben zufolge am Mittwoch und Donnerstag dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeführt. Acht der festgenommenen Verdächtigen sind laut Generalbundesanwalt Peter Frank mittlerweile in Untersuchungshaft. Über die weiteren Hafbefehle werde noch entschieden.


LVZ Sven Christian Schulz 07.12.2022

Von früheren KSK-Soldaten bis zum Survival-Experten: Das sind die Köpfe der Reichsbürger-Gruppe

Sie planten einen Umsturz: Gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe aus der Reichsbürgerszene sind am Mittwoch mehrere Tausend Polizisten vorgegangen. Was ist über die 25 Festgenommenen bisher bekannt? Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gibt einen Überblick.

Der Anführer

Heinrich XIII. P.R. aus Frankfurt am Main gilt als Anführer der Terrorzelle und ist selbstständiger Finanzberater. Er gehört einem alteingesessenen deutschen Adelsgeschlecht an, ist Eigentümer des Jagdschlosses Waidmannsheil und soll für den politischen Teil der Vorhaben zuständig gewesen sein. Nach dem Umsturz sollte er neues Staatsoberhaupt werden. Seine Lebensgefährtin, die Russin Vitalia B., wurde ebenfalls festgenommen. Thomas T. war sein persönlicher Referent, so die Generalstaatsanwaltschaft.

Die KSK-Soldaten

Gleich mehrere der festgenommenen Reichsbürger waren nach übereinstimmenden Medienberichten Teil der Kommando Spezialkräfte (KSK). Die militärische Spezialeinheit der Bundeswehr hat unter anderem Terrorismusbekämpfung als Aufgabe. Unter den festgenommenen Personen befindet sich der Ex-Soldat Maximilian E., der den Rang eines Oberst trägt, und aus dem Querdenker-Mileu stammen soll. Marco v. H. und Rüdiger v. P. waren ebenfalls beim KSK. Letzterer soll aus der Bundeswehr entlassen worden sein, weil er in der Vergangenheit Waffen veruntreut haben soll. In der Terrorzelle sollte er an der Spitze des „militärischen Arms“ in der neuen Struktur stellen. Über Marco v. H. ist bekannt, dass er wie Maximilian E. an Protesten gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen haben soll. Beide sollten ebenfalls dem Führungsstab des „militärischen Arms“ angehören.

Die Ermittlungen richten sich auch gegen einen aktiven Unteroffizier des KSK, der im Stab eingesetzt ist. Sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Baden-Württemberg sollen bereits durchsucht worden sein. Er war in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen.

Der Ex-Polizist

Michael F. soll bei der Landespolizei in Niedersachsen gearbeitet haben. Dass er Verbindungen in die Reichsbürgerszene hat, war seinem Arbeitgeber aber offenbar schon länger bekannt. Denn F. wurde bereits aus dem Polizeidienst entlassen, nachdem seine Mitgliedschaft bei den Reichsbürgern bekannt wurde. Er soll nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zusammen mit anderen festgenommenen versucht haben, gezielt Polizeibeamte in Norddeutschland anzuwerben.

Die Richterin

Birgit Malsack-Winkemann war AfD-Bundestagsabgeordnete, ehe sie 2021 aus dem Bundestag ausschied. Dann nahm sie ihren Beruf als Richterin in Berlin wieder auf. Die Berliner Senatsverwaltung hatte vergeblich versucht, sie wegen Ihrer AfD-Vergangenheit aus dem Richteramt zu entfernen. Ihre Rolle nach dem Umsturz: Justizministerin.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Malsack-Winkemann stellte der Präsident des Landgerichts am Mittwoch eine Eilverfügung aus, wonach die Richterin als Beisitzerin der Zivilkammer ausscheidet.

Der Survival-Experte

Peter W. ist jahrelang Fallschirmspringer bei der Bundeswehr gewesen und gilt als Survival-Experte. Er sollte ebenfalls dem Führungsstab des „militärischen Arms“ angehören. Laut der „Zeit“ habe W. bereits vor Jahren in einem Interview gesagt: „Schon ein Stromausfall für wenige Tage könnte die öffentliche Ordnung in den Städten zusammenbrechen lassen.“ Bei ihm soll man im April auch Waffen gefunden haben.

Der „militärische Arm“

Der „militärische Arm“ sollte die Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen. Die fünf Mitglieder Norbert G., Markus H., Matthias H., Harald P. und Ralf S. waren laut Staatsanwaltschaft mit Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikations- und IT-Struktur, der Durchführung von Schießübungen sowie Plänen für die künftige Unterbringung betraut. Angehörige des „militärischen Arms“ sollen Bundeswehrkasernen in mehreren Bundesländern ausgespäht haben, um dort nach dem Umsturz eigene Soldaten unterzubringen.

Die Minister

Vergleichbar mit den Ministern der Bundesregierung plante die Terrorzelle, nach dem Sturz Räte für verschiedene Ressorts aufzustellen. Neben der früheren AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann für den Bereich Justiz waren unter anderem auch Personen für die „Außenpolitik“ und das Ressort „Gesundheit“ vorgesehen. Paul G., Ruth L., René R. und Melanie R. seien laut Staatsanwaltschaft dafür vorgesehen gewesen.


LVZ 07.12.2022

Umsturz-Pläne: Kretschmer für mehr Befugnisse von Polizei und Justiz

Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich zu den bekannt gewordenen Umsturzplänen von Reichsbürgern positioniert: Man müsse dem Staat die Möglichkeit geben, Feinde der Demokratie auch wirkungsvoll zu verfolgen.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat nach Bekanntwerden von Umsturzplänen sogenannter Reichsbürger mehr Befugnisse für Polizei und Justiz gefordert. Die Bevölkerung stehe oft kopfschüttelnd daneben, dass unter dem Deckmantel des Datenschutzes vieles nicht möglich sei und Unsicherheiten in Kauf genommen würden, sagte er am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur am Rande eines Besuches von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Freiberg: „Wir sind eine Demokratie, wir sind ein Rechtsstaat. Die Dinge werden alle mit Richtervorbehalt geklärt. Deswegen muss man mehr Instrumente freigeben.“

„Die Sicherheit Deutschlands geht vor“

Kretschmer zufolge dürfe sich die Bundesregierung dabei nicht ständig gegenseitig die Beine stellen. „Die Sicherheit Deutschlands geht vor.“ Das habe die Razzia am Mittwoch gezeigt. Solchen Leute müsse man hart und entschieden entgegentreten. Dazu brauchten Polizei und Justiz die Instrumente.

Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen 25 Menschen aus der Szene der „Reichsbürger“ festnehmen lassen. Auch in Sachsen und Thüringen gab es Festnahmen. Die Bundesanwaltschaft wirft den Beschuldigten vor, den Umsturz des Staates vorbereitet zu haben.

„Wir müssen wehrhaft sein“

Kretschmer wertete das Vorgehen der Behörden als Beleg dafür, dass die Demokratie und der Rechtsstaat wehrhaft sind. „Es gibt Feinde der Demokratie, unseres Zusammenlebens, die sich zusammenrotten.“ Man müsse dem Staat die Möglichkeit geben, diese auch wirkungsvoll zu verfolgen. Dazu brauche man neben Technik und Personal vor allem eine rechtliche Klärung, was möglich ist. „Diese Verbrecher halten sich an keine Konventionen.“ Deutschland dürfe sich nicht „blind machen“. Eine Erfahrung aus der Zeitenwende sei auch, dass man die Demokratie schützen müsse: „Wir müssen wehrhaft sein.“


LVZ 07.12.2022

25 Verdächtige festgenommen – Razzia gegen Reichsbürger und Qanon: Thüringer soll Terror-Gruppe angeführt haben

Sie sollen einen Staatsstreich und den Überfall auf den Bundestag geplant haben: Mit Spezialkräften der Bundespolizei sind 22 mutmaßliche Mitglieder und drei Unterstützer einer mutmaßlichen Terror-Gruppe festgenommen worden. Einer der Anführer soll ein Prinz aus Thüringen sein.

Seit dem frühen Mittwochmorgen geht die Bundesanwaltschaft gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung aus dem rechtsextremen Verschwörungs-Milieu vor. Mehr als 3000 Beamte durchsuchen in elf Bundesländern sowie in Österreich und Italien die Wohnungen und Häuser von 52 Beschuldigten. 25 Menschen wurden festgenommen. Schwerpunkt der Razzia ist Baden-Württemberg, aber auch in Sachsen und Thüringen rückten die Beamten vor.

Unter den Festgenommenen ist auch ein 71 Jahre alter Prinz aus Thüringen. Er soll einer der Rädelsführer der Gruppe gewesen sein und war von ihnen offenbar als derjenige vorgesehen, der nach einem Umsturz als Staatsoberhaupt fungieren sollte.

Reichsbürger- und Qanon-Verschwörungserzählungen

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollten die einerseits zur Reichsbürgerszene zählenden Mitglieder die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen. Diese Staatsform sei schon in Grundzügen ausgearbeitet gewesen. Den Beschuldigten sei bewusst gewesen, dass ihr Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt verwirklicht werden kann und dass dabei auch Menschen sterben würden.

Wie die Ermittler weiter erklärten, seien die Mitglieder der Terrorgruppe auch Anhänger der rechtsextremen Qanon-Verschwörungserzählung. Diese behauptet, die Welt sei von einer kleinen Gruppe Politiker und jüdischer Industrieller bedroht, die im Verborgenen einen sogenannten „Deep State“ („tiefer Staat“) als Diktatur errichten wollten. Im Januar 2021 hatten „Qanon“-Anhänger das Kapitol in Washington D.C. (USA) gestürmt. Infolge dessen warnten Experten, dass die weltweite Vernetzung der Anhänger auch in Europa terroistische Anschläge zur Folge haben könnte.

Thüringer Prinz soll versucht haben, mit Russland zu verhandeln

Als einen der Rädelsführer sieht die Bundesanwaltschaft Heinrich XIII., einen Prinzen aus Thüringen, der in Bad Lobenstein ein Jagdschloss besitzen soll. Heinrich XIII. war schon seit Jahren mit Aussagen aufgefallen, die Bezüge zur Reichsbürger-Ideologie haben. So sprach er etwa in einer Rede vor drei Jahren davon, dass Deutschland kein völkerrechtlicher anerkannter Staat und das Deutsche Reich rechtlich nicht untergegangen sei. Im Sommer war Heinrich XIII. dabei, als der umstrittene Bürgermeister von Bad Lobenstein einen Journalisten angegriffen hatte.

In der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung soll Heinrich XIII. für den politischen Teil der Vorhaben zuständig gewesen sein. So habe er dem zentralen Gremium der mutmaßlichen Terror-Gruppe vorgestanden, dem „Rat“. Einer Reichsbürger-Ideologie, wonach Deutschland weiterhin von den Siegern des Zweiten Weltkrieges beherrscht ist, habe er bereits versucht, mit Offiziellen Russlands Verhandlungen über die zukünftige Staatsform Deutschlands zu führen. Russland sei aus Sicht von Heinrich XIII. der zentrale Ansprechpartner für diese Frage.

Es gebe aber, so die Bundesanwaltschaft, keine Hinweise darauf, dass diese Versuche erfolgreich gewesen wären. Heinrich XIII. hatte schon in der Vergangenheit die verwandtschaftlichen Verbindungen seiner Familie nach Russland betont und gesagt, dass sei „einer der Gründe, warum wir Russland mögen“.

Gruppe soll Schießtrainings organisiert haben

Zur Gruppierung soll auch ein „militärischer Arm“ gehört haben, den der ehemalige Bundeswehrsoldat Rüdiger v. P. angeführt haben soll. Der Tagesschau zufolge wurde dieser schon in den 1990er Jahren aus der Bundeswehr entlassen, weil er Waffen aus Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR veruntreut oder verkauft hatte. Der Mann soll für die Gruppe weitere militärische oder polizeilich ausgebildete Mitglieder angeworben und Schießtrainings durchgeführt haben. Den Ermittlungen zufolge war der Plan der Truppe, über ein deutschlandweites Netz von „Heimatschutzkompanien“ gewaltsam gegen staatliche Institutionen vorzugehen. Geplant war demnach die Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen.

Auch in Sachsen hat es nach LVZ-Informationen im Zuge der Razzia zwei Festnahmen gegeben. Demnach haben Polizisten des Landeskriminalamtes mehrere Objekte in Olbernhau im Erzgebirge durchsucht und dabei unter anderem den ehemaligen Olbernhauer AfD-Stadtrat Christian W. festgenommen. W. ist neben einer ehemaligen Bundestagsabgeordneten aus Berlin der zweite Politiker der AfD, der zum Kreis der Beschuldigten gehört.

Unter den 25 Festgenommen sind der Bundesanwaltschaft zufolge 22 mutmaßliche Mitglieder der Terror-Gruppe und drei Unterstützer, wovon eine Person aus Russland stammt. Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe „Vereinte Patrioten“ sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.

Angriff auf Bundestag geplant?

Ermittelt wird derzeit wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Womöglich, so die Bundesanwaltschaft, könnte der Gruppe aber auch die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund vorgeworfen werden. Demnach soll geplant gewesen sein, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen. Die Einzelheiten dazu seien aber noch aufzuklären. Am Mittwoch und Donnerstag sollen die in der Sache Festgenommen dem Haftrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt werden.

Das Fürstenhaus Reuss, zu dem der mutmaßliche Anführer der Terror-Gruppe Heinrich XIII. gehört haben soll, hat sich schon zu anderen Gelegenheiten von seinem Familienmitglied distanziert. Am Mittwoch war es für Anfragen bislang nicht zu erreichen.


Zeit Von Christian Fuchs, Astrid Geisler und Holger Stark 07.12.2022

Der Prinz, die Richterin und ein geplatzter Staatsstreich

Mit bundesweiten Razzien zerschlagen Ermittler eine Verschwörung im Reichsbürger-Milieu. Spuren führen in die Bundeswehr und zu einer Ex-Bundestagsabgeordneten.

Mit einer Festnahmewelle sind Ermittler gegen ein bundesweites Netzwerk von Rechtsextremisten und Reichsbürgern vorgegangen, die offenbar einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Seit den frühen Morgenstunden durchsuchten 3.000 Polizisten mehr als 130 Häuser und Wohnungen in ganz Deutschland. Die Antiterroreinheit GSG9 durchkämmte auf der Suche nach einem Bundeswehrangehörigen und Beweisen eine Liegenschaft des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Calw.

Dem Netzwerk sollen 52 Beschuldigte angehören, 25 Personen wurden festgenommen. Es handelt sich um eines der größten Terrorverfahren seit vielen Jahren. Es unterscheidet sich von ähnlichen Fällen nicht nur durch die Dimension und weitverzweigte Struktur mit diversen Untergruppen, sondern auch durch die Zusammensetzung der Beschuldigten: Zu den Verschwörern sollen mit Heinrich XIII. auch ein Prinz eines alteingesessenen deutschen Adelsgeschlechts sowie die frühere Bundestagsabgeordnete der AfD, Birgit Malsack-Winkemann, zählen, dazu ein ehemaliger Kommandeur einer Eliteeinheit der Bundeswehr. Zudem prüfen die Sicherheitsbehörden Verbindungen nach Russland. Am Mittwochmorgen, nur Minuten vor Beginn der Razzia, postete einer der Verdächtigen auf Telegram noch: „Es wird sich alles drehen: die bisherigen Staatsanwälte und Richter sowie zuständigen Leiter der Gesundheitsämter samt Vorgesetzten werden sich bald auf der Anklagebank in Nürnberg 2.0 wiederfinden…“

Die Ermittlungen werden vom Generalbundesanwalt wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung geführt, als Rädelsführer gelten der Prinz sowie der ehemalige Bundeswehr-Kommandeur. Nach Erkenntnissen der Fahnder unterteilte sich die konspirative Struktur in einen politischen Flügel, genannt der „Rat“, sowie einen militärischen Flügel, dessen Aufgabe der bewaffnete Umsturz war. Der Gruppe, die sich seit November 2021 getroffen habe, sei klar gewesen, dass diese „nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden“ könne. Einzelne Verschwörer des militärischen Arms sollen laut Ermittlern unter anderem einen Angriff auf den Bundestag und die Geiselnahme von Abgeordneten erwogen haben.

Elektromagnetische Impulse hätten in dem Szenario zu einem Stromausfall führen sollen, als eine Art Fanal. Damit sollte die Bevölkerung dazu gebracht werden, sich dem Aufstand anzuschließen. Im Herbst hatte eine Gruppe von Umstürzlern bereits den Besuch des Reichstages geplant, mutmaßlich zum Ausspähen des Parlaments. Das hat bei den Sicherheitsbehörden große Unruhe ausgelöst, die Ermittler hatten bereits die Festnahme der Rechtsextremisten vorbereitet. Doch der Besuch fiel aus.

Sogar ein Schattenkabinett stand bereit

Wie eine postrevolutionäre Ordnung aussehen sollte, war unter den Verschwörern noch umstritten. Allerdings waren die Pläne wohl weit fortgeschritten: So hatte man bereits den Prinzen als mögliches neues Staatsoberhaupt auserkoren, dem sogar ein persönlicher Referent zuarbeitete. Weitere Kabinettsposten etwa für „Gesundheit“ oder „Außen“ sollten Paul G., René R., Melanie R. und Ruth L. einnehmen. Als Justizministerin war laut Bundesanwaltschaft die AfD-Frau und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, 58, vorgesehen, die 2013 in die AfD eintrat und bis 2021 für die Partei im Bundestag saß. Zuletzt hatte sie Schlagzeilen gemacht, weil die Berliner Justizverwaltung ihr die Tätigkeit als Richterin am Berliner Landgericht untersagen wollte, damit aber vor dem Verwaltungsgericht gescheitert war.

Malsack-Winkemann, die seit Monaten überwacht worden ist, gilt unter Parteifreunden, Bekannten und Parlamentariern als Anhängerin von Verschwörungstheorien mit einer Neigung zur QAnon-Ideologie. Sie stehe der Reichsbürger-Ideologie nahe und glaube an Esoterik. Zuletzt soll sie innerhalb des Verschwörerkreises darauf gedrungen haben, möglichst bald aktiv zu werden. Am Mittwochmorgen umzingelten vermummte und schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei ihr Haus am Berliner Wannsee. Malsack-Winkemann wurde festgenommen.

Unterschiedliche Meinungen gab es unter den Umstürzlern offenbar noch, was den geplanten Tag X auslösen sollte. In einigen Diskussionen war zunächst vom Tod der britischen Queen die Rede, in anderen von einer Naturkatastrophe. Mehrere Termine verstrichen. In den vergangenen Wochen haben sich die Stimmen gemehrt, die darauf drängten, endlich loszuschlagen. Unter anderem hatte die Gruppe bereits Satellitentelefone für eine sichere Kommunikation beschafft, die auch im Fall eines Ausfalls des Handynetzes funktionieren.

Mit den Festnahmen und Hausdurchsuchungen wollten die Ermittler verhindern, dass die Gruppe überraschend zuschlägt. Unklar war den Fahndern bis zuletzt, ob sich Teile der Gruppe bereits bewaffnet hatten; mehrere der Beschuldigten haben nicht nur eine aktive Dienstzeit bei der Bundeswehr hinter sich, sondern stehen auch im Verdacht, in der Vergangenheit heimlich Waffen beiseitegeschafft zu haben. Andere sind im Besitz eines Waffenscheins und dürfen damit legal eine Waffe führen.

Dem Netzwerk auf die Spur gekommen sind die Ermittler im April dieses Jahres bei einer Durchsuchung bei Peter W., einem ehemaligen Fallschirmjäger der Bundeswehr und Survival-Experten, der vor einigen Jahren in einem Interview prophezeit hatte: „Schon ein Stromausfall für wenige Tage könnte die öffentliche Ordnung in den Städten zusammenbrechen lassen.“

Schusswaffen, Munition, Magazine

Als die Ermittler Mitte April W.s Wohnung bei Bayreuth durchsuchten, stießen sie auf Schusswaffen, Munition, Magazine, einen sogenannten Totschläger und eine Handgranatenattrappe – sowie einen Bekanntenkreis von ehemaligen Bundeswehrsoldaten. Darunter: Rüdiger von P., W.s früherer Vorgesetzter und Oberstleutnant a.D. im Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw, einer Elitetruppe der Fallschirmspringer, aus der 1996 das Kommando Spezialkräfte (KSK) hervorging. P. stand schon damals im Verdacht, Waffen beiseitegeschafft zu haben, seinerzeit noch aus dem Bestand der Nationalen Volksarmee der DDR. 1996 schied er aus dem Dienst aus. Die Bundesanwaltschaft beschuldigt ihn, den militärischen Flügel anzuführen, er gilt als Rädelsführer der Vereinigung.

Nach dem Waffenfund in Peter W.s Wohnung im April dieses Jahres begann das Bundesamt für Verfassungsschutz, sämtliche Erkenntnisse aus dem Umfeld der Ex-Soldaten zusammenzutragen. Operation Kangal, wie die Verfassungsschützer den Fall nannten, förderte diverse Querverbindungen und Kontakte zu weiteren Reichsbürgern zutage. Offenbar war die Szene nicht nur besser vernetzt als zunächst angenommen, sondern auch erstaunlich weit in den Planspielen eines Staatsstreiches. So weit, dass die Verschwörer bereits ungeniert in Kreisen ehemaliger und noch aktiver Polizisten und Soldaten zu rekrutieren begonnen hatten. Laut Bundesanwaltschaft soll Rüdiger von P. einen achtköpfigen Führungsstab eingesetzt haben, der „sich unter anderem mit der Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikations- und IT-Struktur, der Durchführung von Schießübungen“ und dem Aufbau sogenannter Heimatschutzkompanien befassen sollte, also bewaffneten paramilitärischen Verbänden.

Im Spätsommer gab der Verfassungsschutz die Ermittlungen an den Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt ab, das eine besondere Ermittlungsgruppe namens Schatten ins Leben rief – benannt nach dem von den Verschwörern eingesetzten Schattenkabinett.

Die GSG9 im Einsatz gegen ein KSK-Mitglied

Zu der Gruppe ehemaliger Bundeswehrsoldaten zählte etwa Maximilian Eder, ein Oberst a.D., der in den vergangenen zwei Jahren durch seine Aktivitäten in der Protestbewegung gegen die Corona-Politik bekannt wurde und dem militärischen Flügel der Putschisten angehören soll.

Seit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal engagierte sich Eder so lautstark im Milieu der Querdenker und Reichsbürger, dass die Bundeswehr laut Medienberichten ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleitete. Eder schreckte das nicht ab, im Gegenteil: Zuletzt verbreitete er auf Social Media Umsturzgedanken – es werde „eng für ein verrottetes, missbrauchtes und in die Enge getriebenes System“, schrieb Eder. Noch vor Weihnachten werde man mit dem „Akt der Vergeltung“ beginnen und die „Katharsis“ einleiten. Und dann, raunte er, „werden sich so Etliche warm anziehen müssen, nicht nur wegen fehlendem Gas!!!“

Mindestens ebenso brisant gilt unter Ermittlern der Fall von Andreas M., der noch bei der Bundeswehr beschäftigt ist, in der Logistik der Eliteeinheit KSK in Calw. Seine Verachtung für das demokratische System der Bundeswehr hat M. kaum kaschiert, er gilt als Anhänger des Deutschen Reichs. Aus Angst, er könnte bewaffnet sein und sich bei seiner Festnahme wehren, übernahm die Spezialeinheit der Bundespolizei GSG9 den Zugriff. Eine Eliteeinheit, die GSG9, im Einsatz gegen Angehörige einer anderen Eliteeinheit, des KSK – das hat es in der deutschen Geschichte auch nur selten gegeben.

Die wohl schillerndste Figur unter den Beschuldigten ist freilich Heinrich XIII., Prinz Reuß, ein Nachfahre des Reuss’schen Adelsgeschlechts, das etwa seit dem Jahr 1200 in Thüringen herrschte. Zuletzt pendelte der Prinz, 71, zwischen dem thüringischen Bad Lobenstein, wo ihm ein Jagdschloss gehört, und Frankfurt am Main, wo er eine Immobilienfirma führt.

Der Putsch-Prinz hält die Bundesrepublik für keinen souveränen Staat und schwärmt von der Monarchie. Seit Jahrzehnten pochte er darauf, dass ihm in Thüringen umfangreiche Ländereien und Güter zustehen, dafür hat er Prozess um Prozess geführt, die meisten davon allerdings mit keinem guten Ausgang für ihn. Glaubt man den anderen Adligen der Familie, dann hat sich Heinrich XIII. in den vergangenen Jahren schleichend radikalisiert. Er sei ein „teilweise verwirrter alter Mann, der verschwörungstheoretischen Irrmeinungen aufsitzt“, so sagt es das Oberhaupt des Reuss’schen Adelsgeschlechts, Fürst Heinrich XIV.

Die Gewaltenteilung? „Eine Illusion.“ Kriege und Revolutionen? Finanziert vom jüdischen Finanzkapital und den Freimaurern, Familien wie den Rothschilds. 2019 behauptete der Prinz bei einer Rede mit antisemitischem Unterton in Zürich, das Ziel des Ersten Weltkriegs sei es unter anderem gewesen, die „Verbreitung der jüdischen Bevölkerung voranzutreiben“.

Besuch im russischen Generalkonsulat

Wie der Prinz ins Umfeld der Verschwörergruppe gelangte, ist noch unklar, aber er gilt neben Rüdiger von P. als zweiter Rädelsführer und soll Teile der Ausrüstung mitfinanziert haben. Anfang Juni beobachteten die Ermittler seine russischstämmige Partnerin Vitalia B. dabei, wie sie im russischen Generalkonsulat in Leipzig verschwand. Einige Tage später, am russischen Nationalfeiertag, besuchten der Prinz und seine Partnerin das Konsulat erneut. Offen ist, ob sie dort ein politisches Anliegen hatten oder nur aus persönlichen Motiven vorsprachen, der Verdacht der Ermittler ist, dass auf diese Weise Verbindungen zur russischen Regierung etabliert werden sollten. Laut Bundesanwaltschaft gibt es allerdings keine Belege dafür, dass die russische Regierung positiv reagiert hätte.

Zuletzt hatte eine andere, im Frühjahr festgenommene Gruppe von Rechtsextremisten geplant, Kontakt mit der russischen Regierung aufzunehmen. In Russland hatten sie nach einer geplanten Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) für eine Anerkennung einer neuen deutschen Reichsregierung werben wollen.

In Sicherheitskreisen gilt die Mischung aus Adligen, einer AfD-Politikerin und ehemaligen und einem noch aktiven Soldaten als hochexplosiv. Das mutmaßliche Verschwörernetzwerk sei die „gefährlichste Form der Reichsbürger-Bewegung, die wir uns überhaupt vorstellen konnten“, gab ein Beamter bekannt – jenes Milieus also, das die Bundesrepublik Deutschland in ihrer jetzigen Form ablehnt und sich das Deutsche Reich zurückwünscht. Es handele sich um eine „aufrührerische Dimension ungekannten Ausmaßes“.

Die Übergänge von radikaler politischer Programmatik zu esoterischer Verschwörungserzählung sind in der Gruppe allerdings fließend. So hatten einige der Putschisten bereits nach so bezeichneten Sehern Ausschau gehalten, Spezialisten mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, deren Aufgabe es sein sollte, die Menschen nach dem Umsturz auf Chip-Implantate zu durchleuchten. Denn weite Teile der Bevölkerung, daran gibt es für die Verschwörer kaum Zweifel, würden längst von Bill Gates und der Pharmaindustrie kontrolliert.

Mitarbeit: Luisa Hommerich, Christina Schmidt, Martín Steinhagen, Sascha Venohr

Der Text wurde um eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft aktualisiert.