Schwarze Tage für die lohnabhängige Klasse
Die neue Phase des Krieges zwischen Russland und der Ukraine ruft in uns tiefe Bestürzung und Wut hervor. Es ist eine neue Phase eines Krieges, der vor acht Jahren begann und schon tausende Menschen das Leben gekostet hat. Dass dieser Krieg nun neu entflammt und außerhalb des Donbass wütet, wäre ohne die Beteiligung beziehungsweise Verwicklung der imperialistischen Kräfte Russlands, der NATO und der EU kaum vorstellbar. Allerdings muss klar benannt werden, dass dieser Krieg in erster Linie ein russischer Krieg ist. Er ist Produkt des russischen Nationalismus und der aggressiven russischen Außenpolitik. Wie in den imperialistischen Kriegen zuvor werden angebliche Kriegsgründe erfunden, Einflusszonen geschaffen und die Lage medial sowie durch Waffenlieferungen auf allen Seiten angeheizt. Vollkommen egal ist den Herrschenden in diesem Zusammenhang die Lage der Bevölkerung. Denn für diesen Krieg gilt wie für jeden vor ihm, dass die lohnabhängige Klasse auf allen Seiten der Verlierer sein wird.
Da dieser Umstand schon vor dem Krieg feststeht, ist es für uns als klassenkämpferische Anarchist:innen keine Option für eine der Kriegsparteien Position zu beziehen. Wir konnten wie die restliche Bevölkerung in den letzten Wochen die massive Kriegspropaganda aller Parteien beobachten. Dieses mediale Spiel, welches die Aufmerksamkeit auf die herrschende Klasse richtet und mit Nationalismus und Militarismus aufgeladen uns davon ablenken soll, welche Klasse die Last des Krieges trägt, wird uns in der Zukunft wahrscheinlich regelmäßiger begegnen. Wir dürfen auf dieses Spiel nicht hereinfallen. Während es der NATO an anderer Stelle vollkommen egal ist, dass ihr Verbündeter Türkei einen brutalen Feldzug gegen Rojava führt, sind Russland die Autonomiebestrebungen der Donbass-Bevölkerung von 2014 herzlich egal. Es geht einzig um den Ausbau der eigenen imperialistischen Herrschaft.
Doch lassen wir es nicht zu, dass die lohnabhängige Klasse und unsere Genoss:innen vergessen werden. Wir als Plattform hätten euch an dieser Stelle viel lieber ein Interview mit anarchistischen Genoss:innen aus der Ukraine vorgestellt. Dieses Vorhaben müssen wir nun leider auf unbestimmte Zeit verschieben. Wir sind in großer Sorge um ihre Gesundheit und das Überleben der anarchistischen Bewegung in der Ukraine. Dass die Lage für unsere anarchistischen Genoss:innen sich weiterhin verschlimmert trotz der bereits prekären Lage im Land mit der wahrscheinlich stärksten Naziszene Europas, ist ein schwerer Schlag. Uns bleibt nur ihnen und der gesamten lohnabhängigen Klasse der Ukraine unsere Solidarität auszusprechen. Sollten wir in den nächsten Tagen und Wochen von Unterstützungsmöglichkeiten erfahren, werden wir diese verbreiten.
Eine weitere Konsequenz aus den vergangenen Wochen ist, dass wir der anarchistischen, aber auch der gesamten linksradikalen Bewegung Europas bescheinigen müssen, dass wir nicht in der Lage sind auf diese Form von Konflikten zu reagieren. Wir sind zu schwach, zu unorganisiert und zu wenig vernetzt, um der imperialistischen Kriegspropaganda etwas entgegensetzen oder die lohnabhängige Klasse vor Ort effektiv unterstützen zu können. Ohne große Friedensbewegung, internationale Solidaritätsaktionen und die politische Unterstützung der lohnabhängigen Klasse in den beteiligten Ländern werden wir weiterhin auf die Konfliktlösungsstrategien der Herrschenden schauen müssen. Eine bittere Erkenntnis für uns alle.
Das Wettrüsten in Osteuropa hat unterdessen längst begonnen. Viele osteuropäische Staaten haben angekündigt, ihre Militärhaushalte drastisch zu erhöhen und fordern offensiv die Stationierung von NATO-Truppen auf ihrem Staatsgebiet. Diese Militarisierung bedeutet auch, dass die gesellschaftlichen Ressourcen zum Militär hin umverteilt werden. Eine Entwicklung, welche die NATO seit vielen Jahren fordert. Modernste Waffensysteme haben ihren Preis und den soll die lohnabhängige Klasse zahlen. Dass Russland in diesem Säbelrasseln dieselben Methoden anwenden wird, sollte spätestens nach den jüngsten Ereignissen offensichtlich sein. Wir werden schon bald erleben, wie mit nationalistischen Argumenten gesellschaftlicher Fortschritt bekämpft werden wird. Wenn die Rüstung läuft, werden Klimawandel und soziale Kälte als Probleme ersetzt durch die Propaganda des Kampfes gegen einen gemeinsamen äußeren Feind.
Doch auch wenn die Lage erdrückend ist, sollten wir trotzdem dort, wo es geht, unsere Stimme gegen Krieg, Nationalismus, Aufrüstung und Imperialismus erheben. Beteiligt euch also an Mobilisierungen in euren Städten und zeigt: Unsere Antwort ist der Klassenkampf gegen die Herrschenden und den Imperialismus. Wir müssen der Kriegspropaganda etwas entgegensetzen und dürfen nicht auf die Ablenkungsmanöver der Herrschenden hereinfallen. Unsere Solidarität gilt der lohnabhängigen Klasse und insbesondere der anarchistischen Bewegung weltweit. Unser Klassenzusammenhalt kennt keine Grenzen und Uniformen. Für die anarchistische Organisierung gegen Krieg und Nationalismus!