ANTIFA gegen den Rechtsruck

An der Demo nahmen trotz Internet-Shitstorm ungefähr 250 Antifas in Salzwedel teil. Der Aufruf und auch der Demokonsens, der ähnlich wie in Eisenach zum Shitstorm von K-Gruppen und Co. führten, ist recht lesenswert und sei deshalb hier dokumentiert (https://de.indymedia.org/node/523768):
ANTIFA – gegen den Rechtsruck!
Aufruf und Demokonsens zur Antifa-Demonstration am 5.7.2025, 14 Uhr, Salzwedel Bahnhof
Wir sind wütend. Über schwer zu verdauende Wahlergebnisse der offensichtlichen Nazipartei AfD. Über alltägliche rechte Gewalt in den Straßen und im Netz. Und über die Leugnerei, Verharmloserei, über die demonstrative Unbekümmertheit eines Großteils der Deutschen. Wir sagen es seit 50 Jahren: Der Nazismus ist nicht tot. Er sucht sich nur neue Formen und Wege seiner Rückkehr.
Seit dem Neubeginn der Antifa-Bewegung vor einem halben Jahrhundert wurde ihr unterstellt, hysterisch zu sein, zu übertreiben und Teufel an die Wand zu malen, die nicht da seien. Es sind dies die selben Leute, die selben Milieus der Mehrheitsgesellschaft, die heute dem Aufstieg des neuen Faschismus tatenlos zusehen, die ihn so lange nicht kommen sehen wollten, die glauben: Es trifft ja nur die anderen. Wir sind wütend. Auf euch.
Wir sagen es seit 100 Jahren: Kapitalismus kippt in Faschismus. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Grundbedingungen der vor 80 Jahren niedergerungenen Nazi-Barbarei bestehen fort. Statt Produktion und Fürsorge so zu organisieren, dass sie die Bedürfnisse aller Menschen decken, herrscht das Prinzip der Akkumulation von Wert. Das heißt: Aus Kapital muss um jeden Preis mehr Kapital werden. Ob Lebensmittel, Wohnhäuser oder Bücher, Blinddarm-OPs, Schule oder Kuss & Pflaster von Mama für die blutige Schramme am Knie: Nie geht es hier vorrangig um menschliche Zwecke.
Unser aller Wohl? Zufälliges Bei-Produkt, nur Mittel zu etwas ganz anderem. Denn nicht die Menschen benutzen unter kapitalistisch-patriarchalen Vorzeichen die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit. Es sind die von uns produzierten Gegenstände, Maschinen, Computer, die umgekehrt uns benutzen, einsetzen, kontrollieren. Die uns ihre Logik aufzwingen. Dieser uns entfremdete Berg der Reichtümer, „unserer“ Reichtümer, will wachsen. Und menschliche Lebensenergie ist seine Leibspeise. Genau in dem Maße, wie das Reich der Sachen expandiert, schrumpft das Reich menschlicher Freiheit und Zärtlichkeit in sich zusammen.
In so einer völlig durchgeknallten Gesellschaftsordnung soll dann auch noch jede:r Schmied:in des eigenen Glücks sein. Pausenlos werden wir zu mehr Leistung, mehr Arbeit, schlaueren Schachzügen mobilisiert in unserem kleinen Unternehmen, das unser Leben ist. Das heißt: Wer die anderen benutzen und für sich arbeiten lassen kann, gewinnt. Wem das nicht gelingt oder wer das nicht will, zieht nicht nur das Los, arm zu sein. Man ist dann auch noch schön selbst schuld an der Scheiße und darf sich den lieben langen Tag damit herumschlagen, was für ein:e Versager:in man doch ist.
Die kapitalistisch-patriarchale Gesellschaft folgt der Parole, dass schon für alle gesorgt sei, wenn jede:r an sich denkt. Wessen Leben zur Katastrophe gerät, hat es dann schlicht nicht anders verdient. Und so dümpeln die meisten Menschen irgendwo zwischen arm und reich, Zwang und Freiheit, materiellem wie geistigem Elend und kleinem Glück hin und her. Nach unten ist viel Luft. Nach oben aber auch. So weit, so schlecht.
Der Kapitalismus entzweit und vereinzelt uns. Eigentlich sind Menschen zwar fundamental aufeinander angewiesen, um Menschen zu sein und als Menschen zu leben. Und doch erkennen sie einander im Kapitalismus vornehmlich als Werkzeuge, Konkurrent:innen oder Feind:innen im Kampf um den persönlichen Platz an der Sonne. Statt mit Zärtlichkeit begegnen wir uns bestenfalls mit Argwohn. Und verwandeln uns so nur selbst in die Verlierer*innen unseres eigenen Verhaltens. Kein Wunder, dass Menschen, die so erniedrigt, geknechtet, verlassen und verächtlich vor sich hin existieren, periodisch auf dumme Gedanken kommen.
Nicht nur, dass sie denen noch den Dreck unter den Fingernägeln neiden, die unter ihnen stehen. Wo der Mensch so grundsätzlich aus seinen solidarischen Bindungen gerissen ist, wo er so grundsätzlich infrage gestellt ist, sucht er sich – zumeist als Nationalismus – Autoritäten und Gruppenzugehörigkeiten.
Sie versprechen, ihn über seine Einsamkeit hinwegzutrösten, ihn von den schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Lebensbedrohung auf sein Selbstwertgefühl abzuschirmen und ihm wenigstens ein paar mickrige Krümel vom großen nationalen Kuchen zu reservieren. Der verwandelt sich im Faschismus nur noch stärker als sonst in einen mit Gewehren und Kanonen bewachten und zusammengemordeten Raubschatz.
Wer erfolgreich darauf konditioniert wurde, nicht Auge zu machen im Angesicht von Villen, Yachten, Privatjets und Traumurlauben der Reichen, sondern ranzuklotzen, der kann sich wenigstens noch etwas darauf einbilden, nicht zu denen zu gehören, die elendig an den Toren Europas im Mittelmeer ersaufen. Es ist eine von Grund auf menschenfeindliche Haltung, die Kapitalismus und Patriarchat in uns anlegen. Und die ist stets nur die nächste Weltwirtschaftskrise davon entfernt, sich lustvoll daran zu beteiligen, unsere Wirtschaftordnung in den Modus des Autoritarismus zu versetzen. It’s fascism!
Wenn aber die Logik der Sachen regiert statt die der Menschen, ist dann niemand schuld an all dem? Jein. Mag sein, dass die wenigsten Menschen durchschauen, wie der Kapitalismus ihnen ein Spiegelbild individueller Freiheit vorhält, während in Wahrheit niemand wirklich frei und vernünftig entscheidet. Und doch ist hinlänglich bekannt, unter welchem Elend so viele Menschen in Deutschland und auf der ganzen Erde leben müssen.
Und doch sind es die Menschen selbst, ihre Arbeits- und Lebenspraxis, die Kapitalismus und Patriarchat „machen“. Und doch ist hinlänglich bekannt, was Faschismus und Nationalsozialismus sind. Jede:r in Deutschland kennt die Aufnahmen aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern, Erzählungen von Gräueln und Sadismus. Dass sich solche oder ähnliche Bilder wiederholen, wird von eben diesen Menschen hingenommen. Sie könnten anders handeln. Sie hätten gute Gründe. Es gibt Spielräume. Aber sie nutzen sie nicht.
Im April 2025, 80 Jahre nach dem Ende der „Volksgemeinschaft“, ist mit der AfD erstmals eine NS-Nachfolgepartei in der Sonntagsfrage stärkste Kraft im Bund. Danke für nichts, Deutschland! 38 Prozent im Norden von Sachsen-Anhalt wählen einen offensichtlichen Nazi zu ihrem Direktkandidaten ins Bundesparlament. Das ist kein „Protest“, kein Ausrutscher. Große Teile der hiesigen Bevölkerung sind kulturell und politisch im Faschismus verwurzelt.
Let’s face the facts! Auch die breit aufgestellten Bürger:innen-Proteste gegen von der AfD geplante Massendeportationen Anfang 2024 haben die Faschisierung nicht aufgehalten. Möglichst breit, möglichst bunt, möglichst nett – das hat nicht funktioniert. Daraus gilt es zu lernen. Wir sind wütend!
Im ganzen Bundesland sprießen neue Gruppen jugendlicher Neonazis hervor. Mitunter 13-, 12-Jährige marschieren in Magdeburg gegen einen CSD auf. Es gibt keinen Grund, zu hoffen, dass sich das Problem bald von allein beruhigt. Egal ob „JS“, „DJV“, „DJZ“, „JN“, „Harz verteidigen“ oder rechte Jugendgangs: Es wird schlimmer werden! Auch in Salzwedel bilden sich Cliquen jugendlicher Neonazis, schüchtern andere Jugendliche ein und praktizieren Raumnahme, gehen mit Gewalt gegen die Objekte ihrer Verachtung vor. Derweil greifen Nazis und Faschisten mit ein wenig mehr Erfahrung und Gewaltkompetenz das Autonome Zentrum mit Steinen und Flaschen an, treten die Türen ein und werden dann noch von zwei dahergelaufenen Arschlöchern spontan unterstützt, just because.
Den Großteil dieser Gesellschaft lockt das nicht hinterm Ofen hervor. Sie haben sich daran gewöhnt, keinerlei Verantwortung für ihre Mitmenschen zu tragen. Lieber hoffen sie darauf, im aufziehenden Faschismus zum Kreis der Begünstigten statt zum Kreis der Beschämten, Bestraften, Entrechteten und Abgeschobenen zu gehören.
Wir müssen damit rechnen, dass unsere Mitbürger:innen Mitte 2026 die AfD in die Landesregierung wählen. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die Zeiten eines einigermaßen freien Lebens und individuellen Glücks sind für uns vorerst vorbei. Betrauern wir diesen Verlust lieber früh als spät.
Nach der Trauer kann diese unsere Realität von falschen Hoffnungen unverzerrt wahrgenommen werden. Und um sich gegen diese hässliche Realität zur Wehr zu setzen, hilft nur eins: Sich in der Antifa zu organisieren, auf die Erfahrungen der autonomen Antifa-Bewegung zurückzugreifen, Strukturen aufzubauen und zurückzuschlagen.
Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln, die klug und verhältnismäßig sind. In dieser Auseinandersetzung – die bereits begonnen hat, deren wahre Ausmaße wir jedoch nur erahnen können – kommt es auf jede:n einzelne:n von uns an. Wir brauchen euch.
Jetzt ist die Zeit.
Und hier ist unsere Wut.
Gegen den Rechtsruck: ANTIFA!
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Demokonsens zur Antifa-Demonstration
Unsere Versammlung am 5.7. ist eine Demonstration, die dafür eintritt, sich in der Antifa zu organisieren und zu engagieren. Um den Charakter dieser Demonstration zu wahren und nicht zu vereinnahmen, bitten wir Teilnehmer*innen, folgenden Demokonsens zu beachten:
– bitte zeigt keine Fahnen, die Logos oder Symbole von Parteien/Organisationen enthalten
– bitte zeigt keine Nationalfahnen
– bitte ruft keine Parolen, die sich auf den Nahostkonflikt beziehen
Uns allen sind die unerträgliche Lage im Gazastreifen und die durch nichts zu rechtfertigende Kriegsführung der israelischen Regierung schmerzlich bewusst. Wir möchten jedoch nicht, dass unsere Antifa-Demonstration als Austragungsort des Konflikts um die Deutung der Situation im Nahen Osten instrumentalisiert wird.
Wir werden insbesondere keine Transparente, Symbole oder Äußerungen dulden, die in irgendeiner Form die weitere Anwendung von Gewalt rechtfertigen oder auf die Vertreibung von Menschen aus dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan hinauslaufen. Die dort lebenden Menschen haben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit.
Wir haben vom Jugend Kollektiv Salzwedel die verbindliche Zusage erhalten, dass sich der heute Mittag [Mittwoch] bekanntgewordene „antikapitalistische Block“ an den Demokonsens halten werde.