Sebnitzer OB zur rassistischen Anzeige im Amtsblatt: „Das steht nicht für die Mehrheit der Menschen hier”

Eine Anzeige mit antisemitischem und rassistischem Inhalt im Amtsblatt von Sebnitz hat landesweit für Entsetzen gesorgt. Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar erklärt, wie es dazu kommen konnte und warum gerade engagierte Einwohner darunter leiden.

Durch eine menschenverachtende Anzeige in ihrem Amtsblatt ist die Stadt Sebnitz in der Sächsischen Schweiz negativ in die bundesweite Öffentlichkeit gerückt. Der örtliche Dachdeckermeister Ronney W. hatte darin ein Firmenjubiläum bekanntgegeben und parallel nach Auszubildenden gesucht, versehen mit dem Zusatz „Keine Hakennasen, Bimbos oder Zeppelträger“ – abfällige Bezeichnungen unter anderem für Juden und Menschen mit dunkler Hautfarbe.

Das Rathaus und der Stadtrat haben sich umgehend distanziert, die Stadt erstattete Strafanzeige gegen den Verfasser und den Verlag. Im Interview erklärt Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar (parteilos), wie die Anzeige ins Amtsblatt gelangen konnte und warum er den Verfasser nicht anrufen wird.

Wer aktuell „Sebnitz“ in eine Suchmaschine eingibt, der sieht als Erstes die Schlagzeilen über die rassistische Anzeige im Sebnitzer Amtsblatt. Sämtliche Medien deutschlandweit berichten darüber. Wie groß ist der Schaden für die Stadt, Herr Kretzschmar?

Der Ruf der Stadt wird darunter leiden, das mussten wir in der Vergangenheit schon mehrfach leidlich erfahren. Das größere Problem ist, dass alle Menschen auf die Aussage eines Einzelnen reduziert werden. Alle Menschen, die hier leben und etwas für die Gemeinschaft tun und sich einbringen, landen dann wieder in einer Schublade.
Daneben kann uns das auch langfristig treffen, angefangen vom Tourismus, über Projekte, die wir versuchen mühsam aufzubauen, bis hin zu Aufträgen an Unternehmen oder Dienstleister aus der Region. Wir sind in den vergangenen Tagen überschwemmt worden mit negativen Mitteilungen.

Es gibt allerdings auch Menschen, die die Äußerungen des Dachdeckers noch verteidigen. Als am Ostermontag die Linke in Sebnitz gegen Rassismus demonstrierte, gab es Gegenprotest von rechts. Wie beurteilen sie das?

Mit so einer Aussage zieht man natürlich die an, die krampfhaft immer wieder eine Bühne suchen, um sich mit ihrem Gedankengut darzustellen. Wir reden von Minderheiten, die so tun, als wären sie in der Mehrzahl und stünden für die komplette Gesellschaft, und das ist definitiv nicht der Fall.

Wenn eine solche Wortwahl wie in der Anzeige so unverblümt geäußert wird, ist das zugrundeliegende Gedankengut dann für einen Teil der Einwohner nicht vielleicht sogar normal?

Es gibt Menschen, die so denken. Wegreden kann man es nicht. Und ich will da auch nicht in jeden Keller und in jeden Schuppen gucken.

Aber noch mal: Das steht nicht für die Mehrheit der Menschen hier. Der überwiegende Teil ist friedliebend. Das möchte ich klar sagen: Man sollte sich nicht davon runterziehen lassen, dass hier Einzelne mit solchem Gedankengut unterwegs sind.

Wie geht die Stadt Sebnitz dagegen an?

Wir tun sehr viel für das gemeinschaftliche Zusammenleben. Wir haben das Programm der „Aktion Zivilcourage“ von Anfang an genutzt. Wir haben seit 2011 beim Thema Demografie viele Projekte umgesetzt. Wir haben fast 70 Vereine und damit ein ganz reges Vereinsleben, was für unsere kleine Stadt wirklich beeindruckend ist. Wir haben eine immens hohe Vereinsförderung von über 100.000 Euro pro Jahr, um das bestmöglich zu unterstützen, weil uns das wirklich wichtig ist. Wir haben zig Begegnungstreffen und kulturelle Veranstaltungen. Wir haben einen Jugendstammtisch, wo wir uns mit den Jugendlichen auseinandersetzen, Vereine und Organisationen sind in den Schulen aktiv.

Ob man alle erreicht, ist die andere Frage. Es sind immer freiwillige Angebote. Ich kann niemanden zwingen. Viele wollen sich auch nicht dazu äußern, weil sie sich nicht in eine Gemengelage begeben wollen. Auf der anderen Seite gibt es genug Menschen, die mit ihrem Alltag, mit Kindern, Arbeit, Haus und Garten ganz andere Sachen im Kopf haben, als sich darüber großartig Gedanken zu machen.

Ich bin jedem unglaublich dankbar, der sich auch nur eine Minute in seiner Freizeit engagiert und Zeit aufbringt für das Gemeinwohl. Umso tragischer ist es dann, wenn mit so einer Aussage alles wieder eingerissen wird, was man sich aufgebaut hat.

Wie konnte eine Anzeige mit diesem Wortlaut in das Amtsblatt gelangen? Schaut da niemand vorher drüber, dem das auffällt?

Das Amtsblatt ist in zwei Abschnitte aufgeteilt. Es gibt den redaktionellen Teil, der von der Stadt befüllt wird mit amtlichen Nachrichten, Vereinsmitteilungen und Terminen. Um den anderen Teil kümmert sich der Verlag. Er finanziert den Druck durch private Anzeigen, diese kennen wir vorher nicht. Wir kriegen am Montagmittag ein PDF als Korrekturabzug zugesandt, darin sind die Anzeigenplätze noch weiß. Das vollständige Amtsblatt sehen wir erst, wenn die gedruckte Ausgabe vor uns liegt. Ich weiß vom Verlag, dass er ein mehrstufiges Kontrollsystem hat. Das hat an dieser Stelle versagt. Die Verantwortung dafür liegt beim Verlag.

Die Fraktionschefin der Linken im sächsischen Landtag, Susanne Schaper, hat gesagt, die Stadt Sebnitz könne sich nicht damit rausreden, dass sie nur den redaktionellen Teil verantwortet.

Entgegen der Aussage von Frau Schaper wollen wir uns da keinesfalls rausreden. Wir hätten es nicht kontrollieren können. Wenn wir künftig die Möglichkeit bekommen, dann werden wir es tun. Ein Anruf von Frau Schaper hätte da viel klären können. Das Gleiche gilt für Lisa Thea Steiner vom Kreisverband der Linken, die uns als Stadtverwaltung angezeigt hat. Das ärgert mich als Bürgermeister. Ich würde mich freuen, wenn sich diejenigen nicht nur bei so einem Ereignis mit Kritik hervortun, sondern sich auch sonst mal vor Ort sehen lassen würden.

Sebnitz hat in den vergangenen Jahren einen großen Anteil geleistet, um Asylsuchende unterzubringen. Wir gehören zu den drei Kommunen mit der höchsten Belegung im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Das haben wir hingekriegt. Das wird dann schnell vergessen und alle werden über einen Kamm geschoren, dass sie solche Äußerungen womöglich gutheißen.

Wie stellen Sie sicher, dass so etwas in Zukunft nicht noch einmal passieren kann?

Der Verlag will seine Struktur ändern und eine weitere Kontrollstufe einbauen, Konkreteres wird man uns im Laufe der Woche mitteilen. Ob es datenschutzrechtlich zulässig ist, dass wir den privaten Anzeigenteil künftig vorab zu sehen bekommen, muss noch geprüft werden. Das betrifft ein Vertragsverhältnis zwischen dem Verlag und dem jeweiligen Anzeigenkunden.

Mit dem Verlag für das Amtsblatt werden Sie demnach auch weiterhin zusammenarbeiten?

Das steht für mich nicht in Frage. Der Vertrag mit dem Verlag Linus Wittich besteht seit 1992, das Sebnitzer Amtsblatt erscheint wöchentlich mit 50 Ausgaben im Jahr. Es gab in all den Jahren nicht einen vergleichbaren Vorfall. Wir müssen aufpassen, dass wir es uns da nicht zu einfach machen und das Problem einfach verlagern. Die Ursache ist eine gänzlich andere.

Was ist die Ursache?

Der Verfasser. Derjenige, der die Anzeige mit seinem menschenverachtenden Gedankengut so geschaltet hat und diese auch bewusst so geschaltet hat. Nach dem, was in den Medien zu lesen war, ist da auch keine Reue zu erkennen. Wenn man dann sagt, dass der Redakteur des Verlags einen hätte darauf hinweisen müssen, dass man solche Begriffe nicht verwenden kann, dann finde ich das schon mehr als dreist.

Hat sich der Dachdeckermeister bei Ihnen gemeldet?

Nein, gar nicht. Und ich werde das auch nicht machen. Wenn man 30 Jahre ein Unternehmen leitet und Mitarbeiter führt, sollte man sich der Tragweite seiner Worte bewusst sein. Nach dem Presseecho und dem Schaden, der hier schon entstanden ist und noch kommen wird, gibt es für mich keinen Grund dort anzurufen. Der Ball liegt beim Verfasser der Anzeige.