Nach Rauswurf bei Besuch des Verfassungsschutzpräsidenten in Meerane: Wer steckt hinter „Weichreite TV“?

Weil der umstrittene Streamer eine Veranstaltung in Meerane verlassen muss, fordert die AfD eine Erklärung des Bürgermeisters. Wer ist der Mann, der offenbar gerne Eklats provoziert?
Zwickau, Meerane.
Sebastian Weber hat in der ersten Reihe Platz genommen an diesem Abend Ende Februar, an dem der Präsident des Sächsischen Verfassungsschutz Dirk-Martin Christian in Meerane zum Gesprächsabend geladen hat. Weber freut sich, dass er ohne Probleme Zugang zum Veranstaltungsort bekommen hat, um Videos für seinen YouTube-Kanal „Weichreite TV“ zu produzieren.
Die Freude währt kurz. Bürgermeister Jörg Schmeißer (parteilos) macht von seinem Hausrecht Gebrauch und verweist Weber aus der Karl-Heinz-Freiberger-Sporthalle. Begründung: Von ihm sei Ärger zu erwarten. 84.000 Nutzer auf Webers Youtube-Kanal können sehen und hören, wie er Mitarbeiter des Meeraner Ordnungsdiensts bei Hinausgehen anschreit: „Das ist Faschismus!“
Alle zwei Sekunden ein neuer Kommentar
Es war nicht das erste Mal, dass Sebastian Weber eine Veranstaltung in Westsachsen mit der Kamera begleiten wollte. Im vergangenen Sommer versuchte er, sich Zutritt zu einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Meerane zu verschaffen. Auch bei einem Gegenprotest zum Christopher-Street-Day in Zwickau war er dabei und übertrug minutenlang Aussagen junger Neonazis live auf Youtube.
Bei einer Gedenkdemonstration für die Opfer des NSU wurde Weber von Teilnehmern erkannt. Sie hielten aufgespannte Regenschirme gegen seine Kamera, sodass er ihre Gesichter nicht filmen konnte. Später wurde er sogar körperlich angegriffen.
Die Reichweite seines Kanal ist enorm: Wie aus Daten des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena hervorgeht, kommentierte während der Landtagswahlkämpfe, die der Medienaktivist vor allem im Umfeld der AfD mit der Kamera begleitete, durchschnittlich alle zwei Sekunden ein Nutzer die Live-Reportagen.
„Er gilt als Brückenbauer der verschiedenen Milieus im rechten Spektrum“, sagt Maik Fielitz vom IDZ, der gemeinsam mit seinem Kollegen Harald Sick zu rechten Alternativmedien forscht.
Weber selbst sieht sich als freier Journalist, schreibt er auf Anfrage der „Freien Presse“. Wieso in seinen Videobeiträgen insbesondere Personen aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum ein Podium bekommen, erklärt er mit Bedauern: Er könne ja nichts dafür, wer mit ihm reden wolle und wer nicht.
Steven Hummel vom Leipziger Dokumentationsprojekt Chronik.LE, das rechtsextremen Aktivitäten im Internet nachspürt, sieht das anders. „Sebastian Weber ist kein Journalist“, sagt Hummel. Weber gehe es nicht um die Darstellung und Einordnung von Geschehnissen, sondern um Politik für eine extrem rechte Zielgruppe.
Eine Strategie erkennt auch Melanie Riedlinger vom Kulturbüro Sachsen: Demonstrationen, die vor Ort nur wenig Zuspruch erhalten, erreichten durch Webers Livestreams dennoch Reichweite. Zudem verhalte er sich selten neutral.
„Sein eigentliches Ziel ist dort häufig die Störung und Bloßstellung der Teilnehmenden“, sagt Riedlinger. Nicht selten führe dieses Verhalten zum Platzverweis vonseiten der Polizei. Weber führe das dann als Beweis für angebliche Pressezensur an.
Mit politischer Neutralität ist es bei dem Influencer nicht weit her. Sebastian Weber sitzt seit mehreren Jahren für die AfD im Leipziger Kreistag. „Es liegt nahe, dass sich diese beiden Rollen gegenseitig beeinflussen“, sagt Melanie Riedlinger. Wer aber seine Streaming-Kanäle besucht, findet dort keinen Hinweis, dass Weber aktiver Politiker der AfD ist. „Wie neutral kann ein gewähltes Mitglied einer rechten Partei sein“, fragt Steven Hummel.
Weber beteuert Unabhängigkeit
Weber selbst beteuert, dass seine Funktion als Kreistagsabgeordneter keinerlei Einfluss auf die Arbeit bei „Weichreite TV“ habe. Bezüglich des Vorfalls in Meerane Ende Februar kritisiert er, dass er des Platzes verwiesen wurde, während ein anderes Kamerateam aber filmen durfte.
Die AfD in Meerane forderte in der jüngsten Stadtratssitzung eine Rechtfertigung des Bürgermeisters. Diese fiel kurz und knapp aus: Nur das MDR-Kamerateam habe sich vorab für die Veranstaltung akkreditiert, sagte Bürgermeister Jörg Schmeißer. Nachfragen aus Reihen der AfD-Fraktion blieben danach aus.
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Holger Weiß freie presse
Verfassungsschutz-Präsident tritt in Meerane auf – rechtsextremer Influencer muss draußen bleiben
Mehr als 70 Personen haben beim Format „Die da oben“ Sachsens Verfassungsschutzchef bei einem seiner wenigen öffentlichen Auftritte erlebt. Warum die jüngsten Vorfälle in Meerane keine Rolle spielten.
Meerane.
Öffentliche Auftritte des Verfassungsschutzes sind selten, etwa beim Vorstellen des Verfassungsschutzberichtes, was für Sachsen wieder im Frühsommer ansteht. Die Männer und Frauen im Landesamt für Verfassungsschutz, wie die Behörde korrekt heißt, arbeiten vorrangig mit Polizei und Politik, streben eher nicht an die Öffentlichkeit. Auch nicht Dirk-Martin Christian, Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes.
Vorfälle in Freiberger-Sporthalle liegen noch nicht lange zurück
Sein Auftritt im Gesprächsformat „Die da oben“ am Freitagabend in Meerane sei sein erster öffentlicher Auftritt dieser Art, bekannte der Jurist. Entsprechend groß war das Interesse: Über 70 Zuhörer kamen in die Karl-Heinz-Freiberger-Sporthalle, dazu Medienvertreter. Die Sporthalle war als Veranstaltungsort bewusst gewählt.
Bürgermeister Jörg Schmeißer (parteilos) erinnerte an die Vorfälle in und an der Halle, wo nach Weihnachten und zu Jahresbeginn mehrfach Sachbeschädigungen verübt und Nazi-Schmierereien hinterlassen worden waren. „Nach den Angriffen auf die Sporthalle, die für viele ein Ort der Begegnung und des Miteinanders ist, setzt die Stadt Meerane ein klares Zeichen: Wir sagen nein zu Extremismus“, sagte Schmeißer und schlug so den Bogen zum Thema der Veranstaltung: „Wie schützen wir unsere Demokratie?“
Schauplatz der Veranstaltung war die Karl-Heinz-Freiberger-Sporthalle. Die war um den Jahreswechsel Ziel von Vandalismus-Vorfällen und Nazi-Schmierereien geworden.
Dirk-Martin Christians Vortrag über Demokratie mündete in der Frage „Ist unsere Demokratie in Gefahr?“ Trotz wachsender Angriffe von rechts und links sowie islamistischen Gefährdern wurde sie von Martin verneint. „Die deutsche Demokratie ist wehrhaft.“ Diese Lehre aus dem Ende der Weimarer Republik und dem Beginn des Nationalsozialismus sei im Grundgesetz verankert.
Ein „Selbstläufer“ sei Demokratie damit nicht: „Wenn Demokraten mit Extremisten paktieren, kann ein demokratisches System schnell erodieren“, mahnte Christian unter Verweis auf die kurze Zeitspanne zwischen Hitlers Wahl zum Reichskanzler am 30. Januar und der Machtergreifung der Nazis per Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933.
Ohne den Willen der Bevölkerung zur Demokratie, ihre Bereitschaft, sich Extremisten entgegenzustellen, funktioniere ihre Verteidigung nicht. Das fange bei einer zivilen Gesprächskultur ohne Hass und Hetze an, verlange Sensibilität und Reaktionen bei extremistischen Äußerungen oder Aktivitäten in Vereinen und erfordere mehr politische Bildung. Nicht nur in der Schule. Denn: „Der Anteil Minderjähriger bei rechten Veranstaltungen und Protesten ist besorgniserregend“, so Christian.
Sachsens Nachrichtendienst macht auch Öffentlichkeitsarbeit: Verfassungsschutzbericht, Bildungsbroschüren und Werbeartikel des Verfassungsschutzes waren bei den Besuchern gefragt.
Im zweiten Teil des Abends, den Moderator Alexander Fischer mit schriftlich eingereichten Fragen der Zuhörer bestritt, schilderte der sächsische Verfassungsschützer die Arbeit seiner Behörde, soweit Einblicke in die Arbeit eines Nachrichtendienstes möglich sind.
Man sammle Informationen auf verschiedenen Wegen und stelle diese der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Politik zur Verfügung. Dabei ging Christian auch auf die Arbeit der V-Leute und ihrer Führer ein, beschrieb den Verfassungsschutz als „Frühwarnsystem zum Schutz der Demokratie vor ihren Feinden“.
Extremistische Strukturen in Region bleiben außen vor
Wer sich von der Veranstaltung Einblicke in extremistische Strukturen in Meerane und Westsachsen oder gar Hintergrundinformationen zu den jüngsten Vorfällen an der Karl-Heinz-Freiberger-Sporthalle erhofft hatte, wurde enttäuscht. Auf Nachfrage dazu sagte Christian der „Freien Presse“: Der Abend sei „nicht Meerane-spezifisch gedacht“ gewesen. „Und wenn es was zu Meerane gibt, dann klären wir das bilateral mit der Stadt.“
Der „Freien Presse“ sagten Besucher, sie fanden den Abend „trotz aller Einschränkungen ziemlich informativ.“ Viele wünschten sich eine Fortsetzung des Formats „Die da oben“.
Weil die Veranstaltung vorab in rechtsextremen Foren geteilt worden war, zeigten in und an der Freiberger-Sporthalle Sicherheitskräfte starke Präsenz. Die erwarteten Störungen blieben aus. Bis auf einen Zwischenfall bei Veranstaltungsbeginn, als ein rechtsextremer Influencer von Ordnern aus der Halle geführt wurde. Meeranes Bürgermeister hatte von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht.
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Holger Frenzel freie presse
Rauswurf von rechtsextremen Influencer in Meerane: AfD will Vorfall im Stadtrat zum Thema machen
Bürgermeister Jörg Schmeißer verweist auf sein Hausrecht, von dem er am 28. Februar auch Gebrauch gemacht hat. Auf welchen Punkt die Fragen von Stadtrat Andreas Gerold abzielen sollen.
Meerane.
Den Rauswurf eines rechtsextremen Influencers aus der Karl-Heinz-Freiberger-Halle in Meerane will die AfD-Fraktion im Stadtrat thematisieren. Das kündigt der Fraktionsvorsitzende Andreas Gerold an. „Parteikollegen haben mich darauf angesprochen und darum gebeten“, sagt Andreas Gerold nach dem Vorfall beim Gesprächsformat „Die da oben“ am 28. Februar mit Dirk Martin Christian, Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes.
Was war passiert? Kurz vor dem Beginn führten Mitarbeiter des Ordnungsamtes einen rechtsextremen Influencer aus der Halle. Die Entscheidung begründete Bürgermeister Jörg Schmeißer (parteilos) mit seinem Hausrecht und seinen Erfahrungen bei anderen Veranstaltungen, auf denen der Mann gefilmt und für Ärger gesorgt habe. Schmeißer teilte mit, dass er den Influencer aufgefordert habe, die Filmaufnahmen zu unterlassen.
Jenen Dialog bestätigt Andreas Gerold. Er saß – neben dem Influencer – beim Gesprächsformat in der ersten Reihe. „Der Bürgermeister hat ihn aufgefordert, die Dreharbeiten zu beenden“, sagt Gerold. Dem sei der Mann nicht nachgekommen und deshalb aus der Halle geführt worden.
Obwohl es an der Vorgehensweise nichts zu rütteln gebe, würde er das Thema im Stadtrat ansprechen. Gerold: „Mit Blick auf die Erteilung von Drehgenehmigungen. Ein MDR-Team hat während des Vortrages gefilmt.“