Budapest-Komplex: Frankreich zweifelt an fairem Verfahren in Ungarn

Angehörige von Maja T. sind schockiert über das drohende Strafmaß. Die französische Justiz vertagt die Entscheidung über die Auslieferung eines Antifa-Aktivisten.

„Mein Kind soll ein halbes Leben weggesperrt werden“, sagt Wolfram Jarosch, der Vater von Maja T. Die deutschen Behörden hatten den:­die An­ti­fa­schis­t:in im Juni 2024 nach Ungarn ausgeliefert, obwohl das Bundesverfassungsgericht noch versuchte, die Aktion zu stoppen. Gegen T. wurde vergangene Woche Anklage erhoben, die ungarische Staatsanwaltschaft fordert wegen vier Angriffen auf Neonazis bis zu 24 Jahre Haft.

Der Vorwurf: schwere Angriffe auf Teilnehmende des rechtsextremen Aufmarschs „Tag der Ehre“ in Budapest im Februar 2023. Gesteht T., will Ungarn T. 14 Jahre einsperren – in jedem Fall unter „besonders strengen Bedingungen“.

Er glaube, dass Maja T. den Deal ablehnen wird, sagt Jarosch der taz. „Ein Strafmaß anzunehmen, was offensichtlich politisch motiviert ist und nicht in der vorgeworfenen Tat begründet liegt, ist für Maja vermutlich einfach völlig inakzeptabel.“ In Ungarn seien 15 Jahre das Mindeststrafmaß für Mord. Ein vergleichbares Strafmaß für Maja T. zu fordern – „da fehlen mir die Worte“, so Jarosch.

Auch das Budapest Antifascist Solidarity Committee (BASC) ist schockiert über das angestrebte Strafmaß. „Wir sind entsetzt, ja wirklich fassungslos über die geforderte Strafe und das Vorgehen der ungarischen Justiz“, heißt es in einem Statement der Gruppe, die die Soliarbeit für die im „Budapest-Komplex“ verfolgten Antifas koordiniert. Solche Deals seien dazu da, „Beschuldigte massiv unter Druck zu setzen und letztlich zu brechen“.

Auch Italien verweigert Auslieferung

Einen weiteren Beschuldigten der Antifa liefert Frankreich derweil nicht nach Ungarn aus – zumindest vorerst. Das Pariser Berufungsgericht traf am Mittwoch keine Entscheidung über die Vollstreckung des von Ungarn beantragten europäischen Haftbefehls gegen Rexhino A., Szenename „Gino“. Auch A. wird vorgeworfen, sich mit anderen Antifas im Februar 2023 an Attacken auf Neonazis beteiligt zu haben. „Gino“ war im Herbst vergangenen Jahres in Paris festgenommen worden, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.

Das Gericht gab der ungarischen Justiz eine Frist von 15 Tagen, um darzulegen, dass A. im rechtsautoritär geführten Ungarn ein rechtsstaatliches Verfahren erwartet. Die Entscheidung sei ein „wichtiger Erfolg“, so das Budapest Antifascist Solidarity Committee (BASC), das die Soliarbeit für die im „Budapest-Komplex“ verfolgten Antifas koordiniert.

Zuvor hatte schon ein italienisches Gericht die Auslieferung des in U-Haft sitzenden Gabriele M. verweigert. Der zuständige stellvertretender Generalstaatsanwalt von Mailand, Cuno Jakob Tarfusser, hatte die Entscheidung deutscher Gerichte, Antifas nach Ungarn auszuliefern, kürzlich als „grottenschlecht“ bezeichnet. Nicht nur bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns, die dort drohenden Strafen stünden auch in keinem Verhältnis zu den vorgeworfenen Taten.

„Nachdem inzwischen auch die französischen Gerichte die Zustände der Justiz und die Bedingungen, unter welchen diese agiert, mindestens infrage stellen und sogar systematische Mängel feststellen, stellt sich uns umso mehr die Frage, wie dies der deutschen Justiz entgehen kann?“, heißt es in einer Stellungsnahme des BASC.

Prozessbeginn im Februar

Auch die Linkspartei übt heftige Kritik am Vorgehen der ungarischen und deutschen Behörden. „In Ungarn herrscht eine politische Justiz, die Angeklagte vorverurteilt“, sagte etwa der Europaabgeordnete Martin Schirdewan der taz und forderte einen europaweiten Auslieferungsstopp nach Ungarn. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner spricht von einem drohenden „politischen Schauprozess“ und forderte die Bundesregierung zum Handeln auf.

Wolfram Jarosch hofft, dass Maja T. nach einem Urteil in Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof Gerechtigkeit erfahren könnte. Zudem fordert er ein Umdenkens der deutschen Politik. Zwar gebe es Unterstützung, etwa durch das Konsulat. Doch er erwarte, dass die Bundesregierung „Klartext spricht – wie es auch in Italien passiert ist“. Vom Auswärtigen Amt hieß es auf taz-Anfrage, die deutsche Botschaft in Ungarn betreue den Fall Maja T. und setze sich für bessere Haftbedingungen ein. Eine Aussetzung der Untersuchungshaft und eine Rückkehr nach Deutschland vor einem ungarischen Urteil sei aber eine Entscheidung der dortigen Gerichte.

Der erste Prozesstag gegen Maja T. in Budapest ist für den 21. Februar angesetzt. Jarosch hofft, dass Maja T. nach einer möglichen Verurteilung wieder zurück nach Deutschland überführt werden könnte. Dennoch drohe T., noch längere Zeit in der nun schon seit einem halben Jahr andauernden Isolationshaft verbleiben zu müssen. Laut den Vereinten Nationen ist Isolationshaft von mehr als 15 Tagen als Folter zu bewerten. „Maja hält sich dort sehr tapfer und bleibt stark, auch unter diesen Bedingungen“, so Jarosch.