Oberlandesgericht Dresden will keinen Prozess gegen Zschäpe-Vertraute führen

Susann E. soll den NSU-Terroristen beim Leben im Untergrund geholfen haben. Das Oberlandesgericht Dresden lehnt die Anklage wegen Terror-Unterstützung gegen sie allerdings ab. Verhandelt werden soll nun vor einem Landgericht.

13 Jahre nach Bekanntwerden der rassistisch motivierten Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) hat das Oberlandesgericht Dresden die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen Susann E. wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung abgelehnt. Nur einen Punkt aus der Anklage der Bundesanwaltschaft hat das Gericht nach SPIEGEL-Informationen zur Hauptverhandlung zugelassen, es geht um den Vorwurf der Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung. Verhandelt werden soll darüber am Landgericht Zwickau.

Der Beschluss des Dresdner Gerichts trägt das Datum vom 25. Oktober 2024, er ist fast 50 Seiten lang und liegt dem SPIEGEL vor. Der Generalbundesanwalt kann gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde einlegen.

Zehn Morde in acht Jahren

Susann E. gilt als engste Vertraute der NSU-Terroristin Beate Zschäpe im Untergrund. 1998 war Zschäpe gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergetaucht. In den Jahren 2000 bis 2006 erschoss das Trio neun Männer türkischer und griechischer Herkunft, 2007 töteten sie eine Polizistin. Susann E. lernte die drei Neonazis über ihren späteren Ehemann André E. kennen. Ab 2006 habe sich zwischen ihr und Susann E. eine enge Freundschaft entwickelt, so hatte Zschäpe es im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München ausgesagt.

Im Februar 2024 hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Susann E. erhoben.
Die Behörde wirft der heute 43-Jährigen vor, in drei Fällen die terroristische Vereinigung NSU unterstützt zu haben. Laut Anklage soll Susann E. spätestens seit Anfang 2007 gewusst haben, dass die Mitglieder des NSU mit falschen Identitäten im Untergrund lebten und bereits rassistisch motivierte Morde begangen hatten.
In diesem Wissen soll Susann E. ihnen dabei geholfen, unentdeckt zu bleiben.

Laut Anklage soll sie Zschäpe mindestens fünfmal ihre Krankenkassenkarte für Zahnarztbesuche überlassen haben. Auch soll Susann E. damit einverstanden gewesen sein, dass Zschäpe über Jahre eine auf ihren Namen ausgestellte Bahncard 25 verwendete. Ende Oktober 2011 soll sie den Terroristen zudem dabei geholfen haben, ein Wohnmobil anzumieten, das diese für einen Banküberfall nutzten.

Anders als die Bundesanwaltschaft sieht das Oberlandesgericht Dresden keinen hinreichenden Tatverdacht dafür, dass Susann E. damals wusste, dass sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen hatten, um rassistisch motivierte Morde und Bombenanschläge zu begehen. Aus Sicht des Staatsschutzsenats unter Vorsitz von Richter Hans Schlüter-Staats reichen die Ergebnisse der Ermittlungen nicht aus, um Susann E. wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung auf die Anklagebank zu bringen. So steht es im Beschluss.

Übrig bleibt der Vorwurf der Beihilfe zur räuberischen Erpressung

Von der Anklage der Bundesanwaltschaft bleibt damit lediglich der Vorwurf der Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung übrig, er bezieht sich auf die Anmietung des Wohnmobils: Am 25. Oktober 2011 soll Susann E. Zschäpe und Böhnhardt in Zwickau mit dem Auto abgeholt und zu einem Wohnmobilverleih gefahren haben. Das gemietete Fahrzeug nutzte der NSU bei seinem letzten Raubüberfall am 4. November 2011 in Eisenach. Umstellt von der Polizei nahmen sich Mundlos und Böhnhardt in dem Wohnmobil noch am selben Tag das Leben.

Nach dem Tod der Männer zündete Zschäpe die Wohnung des NSU in Zwickau an, verschickte mehrere Bekennervideos und stellte sich nach wenigen Tagen der Polizei. 2018 wurde sie zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die Richter stellten zudem die besondere Schwere ihrer Schuld fest.

Das Oberlandesgericht Dresden hält eine Verurteilung von Susanne E. wegen ihrer mutmaßlichen Hilfe bei der Wohnmobilanmietung für überwiegend wahrscheinlich. E. sei hinreichend verdächtig, damals gewusst oder zumindest für möglich gehalten zu haben, dass das Wohnmobil für einen bewaffneten Raubüberfall genutzt wird, heißt es im Beschluss. Nur in diesem Punkt hat der Staatsschutzsenat die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren gegen Susann E. eröffnet.

Doch anders als die Bundesanwaltschaft wertet das Oberlandesgericht Dresden auch diese mutmaßliche Hilfeleistung nicht als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, sondern nur als Beihilfe zur räuberischen Erpressung in einem besonders schweren Fall. Deshalb soll der Fall nicht vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden, sondern vor einer Großen Strafkammer des Landgerichts Zwickau verhandelt werden. Susann E. hat ihren Wohnsitz im Landkreis Zwickau.

Die Dresdner Richter stützen ihre Bewertung unter anderem auf Aussagen, die Zschäpe im August und Oktober 2023 gegenüber dem Bundeskriminalamt (BKA) und im Mai 2023 vor dem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags gemacht hat. Auch ihre Angaben im Münchner NSU-Prozess werteten die Richter aus.

Den BKA-Beamten sagte Zschäpe demnach, dass André E., der Mann von Susann E., im Januar 2007 erfahren habe, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ihr Leben im Untergrund durch Banküberfälle finanzierten. Wenig später habe Susann E. Zschäpe darauf angesprochen. Sie habe ihrer Freundin bestätigt, dass sie Raubüberfälle verübten. Von den Morden hätten André und Susann E. aber nichts gewusst.

Zweifel an der Auffassung des Münchner Gerichts

André E. wurde 2018 im Münchner NSU-Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Das Oberlandesgericht München sah es als erwiesen an, dass er im Januar 2007 – anders als von Zschäpe behauptet – nicht nur von den Raubüberfällen, sondern auch von den Morden erfahren hatte. Das Oberlandesgericht Dresden macht in seinem Beschluss nun deutlich, dass es Zweifel an dieser Auffassung des Münchner Gerichts hat.

Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hätten über Jahre unter »extremen Sicherheitsmaßnahmen« mit falschen Namen und aufwendiger Überwachungstechnik im Untergrund gelebt, heißt es in dem Beschluss. Aus Sicht des Dresdner Staatsschutzsenats lässt dieses kontrollierte Handeln der Terroristen nicht vermuten, dass sie das Risiko eingegangen wären, Dritte über ihre Morde und Bombenanschläge zu informieren.

Da die Dresdner Richter schon bezweifeln, dass André E. vor dem Auffliegen des NSU von den Morden wusste, gehen sie auch nicht davon aus, dass er seiner Ehefrau davon berichtet hat. Im Beschluss heißt es, dem Senat fehlten tragfähige Anhaltspunkte für eine solche Vermutung.

Zwar teilte das Ehepaar E. auch nach Ansicht der Dresdner Richter die rechtsextreme Gesinnung der NSU-Terroristen und hätte deren rassistische Morde womöglich gebilligt. Doch der NSU habe seine Morde eben über Jahre konspirativ geplant und durchgeführt, das Gericht halte es daher für fernliegend, dass die Terroristen ihre Taten ohne Not gegenüber André und Susann E. offenbart hätten.

Aus Sicht der Richter reichte es völlig, dass Susann E. von den Raubüberfällen und falschen Identitäten Kenntnis hatte. Auch so habe sie gewusst, wie sie sich zu verhalten habe, damit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht aufflogen. Eine Kenntnis von den Morden und Bombenanschläge hätte ihre Vorsichtsmaßnahmen kaum verändert.

Dass Susann E. wusste, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ihr Leben mit Raubüberfällen finanzierten und unter falscher Identität lebten, daran hat der Senat nach Stand der Ermittlungen wenig Zweifel. Nach Überzeugung des Gerichts ist Susann E. damit eigentlich hinreichend verdächtig, zwar keine terroristische, aber eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben. Wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung könne sie jedoch nicht mehr verurteilt werden, diese Tatvorwürfe seien inzwischen verjährt, stellt der Senat fest.

Bleibt es bei dem Beschluss, wird sich Susann E. daher lediglich wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur besonders schweren Erpressung vor dem Landgericht Zwickau verantworten müssen. Einen neuen NSU-Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden wird es dann nicht geben.

Beate Zschäpes beste Freundin: https://archive.ph/VKozs

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04.11.2024 Spiegel

Beste Freundin von Beate Zschäpe – Kein Prozess gegen mutmaßliche Terrorhelferin – Beschwerde eingelegt

Susann E. soll den Rechtsterroristen des NSU geholfen haben, doch ein Dresdner Gericht lehnte einen Prozess wegen Terrorunterstützung ab. Die Bundesanwaltschaft akzeptiert das nicht.

Hat die beste Freundin der Rechtsterroristin Beate Zschäpe, Susann E., die Terrorgruppe NSU unterstützt? Davon ist die Bundesanwaltschaft offenbar überzeugt: Die Behörde hat nach SPIEGEL-Informationen sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden eingelegt, Susann E. keinen Prozess wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu machen.

Das Gericht hatte Ende Oktober entschieden, nur die Anklage wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung zuzulassen. Sie verwiesen den Fall zur Verhandlung an das Landgericht Zwickau.

Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte dem SPIEGEL, dass die Karlsruher Behörde sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Dresdner Senats eingelegt hat. Bleibt das OLG Dresden auch nach der Beschwerde der Bundesanwaltschaft bei seiner Entscheidung, muss der Bundesgerichtshof entscheiden, wegen welcher Vorwürfe E. der Prozess gemacht wird.

Susann E. soll Zschäpe ihre Krankenkassenkarte geliehen haben

Die Bundesanwaltschaft hatte Susann E. im Februar wegen Unterstützung der rechtsterroristischen Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) angeklagt. Die heute 43-Jährige soll laut Anklage ab September 2008 den NSU-Mitgliedern Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dabei geholfen haben, unerkannt im Untergrund zu leben. Sie soll Zschäpe ihre Personalien für Bahncards zur Verfügung gestellt und ihr ihre Krankenkassenkarte für Zahnarztbesuche überlassen haben.

Wusste Susann E., dass der NSU rassistisch mordete?

Anders als die Bundesanwaltschaft sah das Dresdner Gericht keinen hinreichenden Tatverdacht dafür, dass Susann E. damals wusste, dass die drei bereits rassistisch motivierte Morde begangen hatten. Die Richter sahen lediglich Anhaltspunkte dafür, dass Susann E. wusste, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ihr Leben im Untergrund mit Raubüberfällen finanzierten.

Nur einen Punkt der Anklage ließ das OLG Dresden zu: Susann E. wird vorgeworfen, Zschäpe und Böhnhardt Ende Oktober 2011 mit ihrem Auto zu einem Wohnmobilverleih gefahren zu haben. Der NSU nutzte das Wohnmobil bei seinem letzten Raubüberfall am 4. November 2011 in Eisenach. Noch am selben Tag nahmen sich Mundlos und Böhnhardt, umstellt von der Polizei, in dem Wohnmobil das Leben. Zschäpe zündete das NSU-Versteck in Zwickau an und stellte sich nach mehreren Tagen auf der Flucht der Polizei.

Für die Richter besteht der hinreichende Verdacht, dass Susann E. damals billigend in Kauf genommen hat, dass das Wohnmobil bei einem Raubüberfall zum Einsatz kommt. Das Dresdner Gericht wertet das aber lediglich als mutmaßliche Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung und verwies den Fall ans Landgericht Zwickau. Die Bundesanwaltschaft hingegen warf Susann E. in ihrer Anklage vor, auch durch diese mutmaßliche Hilfeleistung eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben.

Der NSU hatte bis zu seiner Selbstenttarnung im November 2011 zehn Menschen ermordet, 15 Raubüberfälle begangen und mindestens zwei Bombenanschläge verübt. Zschäpe wurde 2018 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Richter stellten zudem die besondere Schwere ihrer Schuld fest.