Früheres KZ als Neonazi-Treffpunkt – Leipzig setzt auf neues Gutachten
Ein mutmaßlich Rechtsradikaler besitzt das einst größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Um diesen Skandal zu beenden, hat sich in Leipzig nun ein ungewöhnliches Bündnis zusammengefunden.
Es gibt nur wenige Immobilien, die seit Jahren Politik und Gesellschaft in Leipzig dermaßen umtreiben wie dieses Gebäude: Im Nordosten der Großstadt, umgeben von Autohäusern, Lagerhallen und einem FKK-Saunaklub, steht ein früheres Außenlager des KZ Buchenwald, in dem SS-Schergen Tausende Zwangsarbeiterinnen drangsalierten. Und ausgerechnet dieses Gebäude gehört einem mutmaßlichen Rechtsextremisten, der es über Jahre zu einem Treffpunkt für Neonazis werden ließ.
Die Stadt hat mehrmals vergeblich versucht, das historisch belastete Areal zu kaufen – und nun vorgeschlagen, die Kaufverhandlungen für gescheitert zu erklären. Das hat der Stadtrat verhindert, und dafür haben sich ausgerechnet Linke und CDU zusammengetan, die sonst nur selten zusammenarbeiten. Sie wollen in einem neuen Verfahren klären lassen, ob der Gebäudekomplex unter Denkmalschutz kommen kann. Bislang ist nur ein kleiner Teil des früheren KZ-Areals ein offizielles Bodendenkmal.
Ein Denkmalstatus, so die Hoffnung, könnte die Verhandlungsposition der Stadt deutlich verbessern. Die CDU denkt etwa daran, ein Vorkaufsrecht für die Stadt festschreiben zu lassen. In der Vergangenheit stand auch die Idee einer Enteignung im Raum. Bislang handelt es sich rechtlich um eine private Gewerbefläche. Das Bauwerk am Stadtrand befindet sich in keinem guten Zustand, trotzdem verlangt der aktuelle Eigentümer nach SPIEGEL-Informationen annähernd zehn Millionen Euro dafür. Die Stadt lehnt einen Kauf zu solchen »Fantasiepreisen« ab: Man wolle nicht mit Millionen aus Steuergeldern eine Neonazi-Truppe finanzieren.
Das einstige Außenlager gehörte während der NS-Diktatur zum sogenannten Nordwerk der Hugo Schneider AG, kurz HASAG, die zu den größten Rüstungskonzernen im Deutschen Reich zählte. Im Laufe des Jahres 1944 kamen mehr als 5000 Zwangsarbeiterinnen an, die dort Munition und Panzerfäuste für den vermeintlichen »Endsieg« produzieren mussten – umzäunt von Stacheldraht, bewacht von SS-Männern.
Die sächsischen Sicherheitsbehörden führen den Bau heute als »Treff- und Trainingsort« von Rechtsextremisten, es gab dort auch mehrere rechtsextremistische Konzerte. Bundesweites Aufsehen erregte der Ort zuletzt vor zwei Jahren, als Ballermann-Sängerin Melanie Müller dort auf einem Fest der Rockergruppe Rowdys Eastside auftrat – und mehrmals den Arm in die Höhe reckte, während das Publikum »Sieg Heil« rief.
Das Landesamt für Denkmalpflege hatte vor vier Jahren den zweigeschossigen Bau geprüft und die Einstufung als Denkmal abgelehnt. Schon das äußere Erscheinungsbild zeige nicht das »notwendige Maß an Originalität und Authentizität«, zudem hätten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg einen Teil des unterkellerten Steingebäudes gesprengt. Archivfotos würden verdeutlichen, »dass das jetzige Erdgeschoss keine unverfälschten Spuren des früheren Zwangsarbeiterinnenlagers mehr bergen wird«.
Das Innere des Gebäudes kennen die Denkmalpfleger aber gar nicht – und genau darin erkennen diejenigen, die nun einen Eigentümerwechsel erzwingen wollen, ihre Chance: Der Stadtrat hat die Verwaltung von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) aufgefordert, unverzüglich ein »ausführliches Gutachten« zur Denkmaleigenschaft in Auftrag zu geben, das »eine Begehung der Innenräume des Objektes einschließt«. Dem Antrag schlossen sich alle Fraktionen an – mit Ausnahme der AfD.
Die Historikerin Josephine Ulbricht, Mitarbeiterin der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, betrachtet den Bau als historisch bedeutsam: »Es handelt sich immerhin um das einst größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald und das einzige noch erhaltene Baurelikt eines KZ-Außenlagers in Leipzig«, sagte sie 2022 dem SPIEGEL. »Das ist also ein zentraler Tatort, an dem man zeigen könnte, dass NS-Zwangsarbeit ein in der ganzen Stadt sichtbares Massenverbrechen war.«
Ob der jüngste Vorstoß zu einem Erfolg führt, ist derweil offen – ebenso wie die Frage, wann mit ersten Ergebnissen der Behörden zu rechnen ist. »Ein umfassenderes Denkmalschutzgutachten«, so teilt die Stadt nun mit, »wird voraussichtlich in diesem Jahr beauftragt.« Der Grünenpolitiker Thomas Dienberg, als Baubürgermeister für die Angelegenheit zuständig, formuliert es so: »Wir haben es hier mit von uns nicht beeinflussbaren Zeiträumen zu tun.«
Anders gesagt: Vermutlich wird dieses einstige KZ noch lange ein Neonazi-Treffpunkt sein.