Angriffe auf Neonazis in Ungarn: Eltern bitten um Prozess in Deutschland
Im Februar 2023 sollen bei einem Neonazi-Aufmarsch in Budapest Teilnehmer schwer verletzt worden sein. Zehn Beschuldigte kommen aus Sachsen und Thüringen. Deren Eltern fürchten Schauprozesse in Ungarn.
Die Eltern der wegen mutmaßlicher Angriffe auf Rechtsextreme in Ungarn Angeklagten aus Sachsen und Thüringen wenden sich mit einen Brief an die Öffentlichkeit. Sie verweisen auf rechtsstaatliche Missstände und prekäre Haftbedingungen in Ungarn. Deswegen baten sie am Mittwoch die deutsche Justiz, ihre Kinder nicht auszuliefern.
Die Beschuldigten sollen teils zum Umfeld der verurteilten Leipziger Studentin Lina E. gehören. Ihnen wird vorgeworfen, im Februar 2023 beim jährlichen Neonazi-Aufmarsch „Tag der Ehre“ in der ungarischen Hauptstadt Budapest mehrere Rechtsextreme teils schwer verletzt zu haben. Nach Fahndungen auch in Deutschland wurde Simeon T., die sich inzwischen Maja T. nennt, im Dezember 2023 in Berlin festgenommen. Seitdem sitzt sie auf Antrag der bis dato ermittelnden sächsischen Generalstaatsanwaltschaft in Dresden in Haft. Sowohl die ungarischen als auch die deutschen Behörden suchen weiterhin nach den anderen neun Beschuldigten.
GBA hat Ermittlungen übernommen
Im März 2024 übernahm der Generalbundesanwalt (GBA) die Ermittlungen in Deutschland – was für ein Strafverfahren im Land und gegen eine Auslieferung sprechen konnte. Doch die Ermittler in Karlsruhe schlossen eine Auslieferung an die ungarische Justiz nicht aus, heißt es im Offenen Brief der Eltern. Dies nährt nun deren Sorge, dass die Beschuldigten unter nicht rechtsstaatlichen Bedingungen verurteilt und inhaftiert werden könnten.
Eltern befürchten Schauprozesse in Ungarn
In den vergangenen 20 Jahren habe sich die politische Lage in Ungarn stark verändert, heißt es weiter im Brief. „Die fehlende Unabhängigkeit der Justiz, der Abbau freier Medien, Korruption und Berichte über menschenunwürdige Haftbedingungen sind allseits bekannt. […] In der aktuellen politischen Situation, in der Ungarn aufgrund fehlender Rechtsstaatlichkeit und fehlender Unabhängigkeit der Justiz auf EU-Ebene verklagt wird, ist unsere berechtigte Angst, dass es dort einen politisch motivierten Schauprozess geben könnte.“
Es wird befürchtet, dass die zehn Beschuldigten aus Deutschland in Ungarn zu 24 Jahren Haft verurteilt werden könnten. Zum Vergleich: Die Leipziger Studentin Lina E. wurden wegen ähnlicher Vorwürfe sowie Bildung einer kriminellen Vereinigung zuletzt in Dresden zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Italienerin in Ketten präsentiert – Deutsche wollen sich stellen
Tatsächlich offenbart die ungarische Justiz aktuell gerade bei Strafprozessen gegen Personen aus dem Ausland außergewöhnliche Härte und schwierige Haftbedingungen. So gingen Anfang des Jahres Bilder von Ilaria Salis um die Welt. Der Italienerin wird von der ungarischen Justiz wegen der Teilnahme an einer Gegendemo zum „Tag der Ehre“ und angeblichen Angriffen in Budapest der Prozess gemacht.
Salis wurde mit schweren Eisenketten im Gericht präsentiert. Ihre Anwälte berichten, in ihrer Einzelzelle wimmele es von Kakerlaken und sie habe keine Möglichkeit für ausreichende Hygiene. Der italienische Staat bemüht sich seit Bekanntwerden um die Rückführung in die Heimat und hat die Auslieferung eines weiteren Verdächtigen untersagt.
Da Ilaria Salis im selben Verfahren wie die zehn deutschen Beschuldigten angeklagt ist, befürchten die Eltern der Sachsen und Thüringer nun ähnliches Vorgehen in Ungarn. Sie fordern in ihrem Brief ein rechtsstaaliches Verfahren in Deutschland. „Mehrere Betroffene haben schon vor einiger Zeit den Behörden signalisiert, sich stellen zu wollen – sofern der Prozess in Deutschland stattfindet und sie nicht nach Ungarn ausgeliefert werden“, heißt es weiter im Offenen Brief.