Debatte um Kriminalität von Nichtdeutschen: Komplizierte Statistik
Laut den Kriminalstatistiken mehrerer Bundesländer ist der Anteil Nichtdeutscher unter den Tatverdächtigen im vergangenen Jahr angestiegen. Der Kriminologe Tobias Singelnstein warnt vor falschen Interpretationen der Statistiken. Über die tatsächliche Entwicklung der Kriminalität sagten sie wenig aus.
Nach der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistiken in mehreren Bundesländern ist eine neue Debatte über Kriminalität unter Zuwanderern in Deutschland entbrannt. In Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und weiteren Ländern weisen die Statistiken einen gestiegenen Anteil Nichtdeutscher unter den Tatverdächtigen im Jahr 2023 aus. Das sei ein Zeichen, „dass sich die unkontrollierte Zuwanderung auch negativ auf die Sicherheitslage auswirkt“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Der Frankfurter Kriminologieprofessor Tobias Singelnstein warnt dagegen vor solchen Interpretationen der Polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS). „Über die Kriminalitätsentwicklung in der Gesellschaft lassen sich anhand der PKS praktisch keine belastbaren Aussagen treffen. Man kann höchstens, wenn man daneben auch andere Untersuchungen heranzieht, vorsichtige Schlussfolgerungen ziehen“, sagte der Kriminologe dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Die PKS ist lediglich eine Tätigkeitsstatistik der Polizei, in der diese dokumentiert, wie viele Verfahren sie bearbeitet und erledigt“, erklärte Singelnstein. „Darin sind keine abgeschlossenen Fälle verzeichnet, sondern nur Verdachtssituationen – und auch das nur aus einer polizeilichen Perspektive.“ Ein Anstieg in der Statistik müsse nicht zwingend einen tatsächlichen Anstieg der Kriminalität zeigen, sondern könne auch durch eine bessere Aufhellung des Dunkelfeldes entstehen.
Zuwachs von 3,1 Prozent in Bayern
In Bayern stieg der Anteil Nichtdeutscher unter den Tatverdächtigen laut der Statistik von 36,5 Prozent im Jahr 2022 auf 39,6 Prozent im vergangenen Jahr an, in Nordrhein-Westfalen von 32,8 auf 34,9 Prozent. Zumindest in Nordrhein-Westfalen ist bei der Interpretation dieser Zahlen zusätzliche Vorsicht geboten: Während die Kriminalitätszahlen aktuell sind, stammten die jüngsten Daten zur Bevölkerungsentwicklung von Ende 2022. Seitdem sind jedoch weitere Zuwanderer nach NRW gekommen. Ob sich der Anteil Nichtdeutscher an den Tatverdächtigen stärker erhöht hat als der Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung des Bundeslandes, blieb deshalb zunächst unklar.
Singelnstein wies zudem darauf hin, dass als nichtdeutsche Tatverdächtige in der Kriminalstatistik auch Touristen oder Durchreisende gelten. Diese Menschen würden jedoch nicht in der Bevölkerungsstatistik erfasst. Wer die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen mit der Gesamtbevölkerung in ein Verhältnis setze, vergleiche deshalb Äpfel mit Birnen.
Für eine Überrepräsentation nichtdeutscher Tatverdächtiger in den polizeilichen Statistiken könne es grundsätzlich unterschiedliche Gründe geben, erklärte Kriminologe Singelnstein. Untersuchungen zeigten etwa, dass Menschen, die als fremd wahrgenommen würden, schneller bei der Polizei angezeigt würden. Menschen begingen nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Migrationsstatus häufiger Straftaten. Die Kriminalitätsrate hänge vielmehr entscheidend von den Lebensumständen und dem sozioökonomischen Status ab.
„Es gibt Gruppen von Nichtdeutschen, die in besonderer Weise sozial marginalisiert sind und wo es deshalb auch nicht überraschend ist, dass sie bestimmte Straftaten häufiger begehen als andere gesellschaftliche Gruppen. Das hängt aber nicht damit zusammen, dass sie Nichtdeutsche sind, sondern mit ihrer sozialen Lage“, so Singelnstein. Auch seien junge Männer unter Zugewanderten überrepräsentiert – eine Gruppe, die in jeder Gesellschaft mehr Straftaten begehe als andere Teile der Bevölkerung.
In Sachsen betonte Innenminister Armin Schuster (CDU) bei der Vorstellung der Kriminalstatistik des Landes am Dienstag, dass er für den Anstieg der Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen nicht die breite Masse an Zuwanderern in der Verantwortung sehe. Wie die „Leipziger Volkszeitung“ berichtete, wies Schuster auf die Rolle einer vergleichsweise kleinen Zahl von „Mehrfach-Intensivtätern“ hin: Eine Gruppe von 1415 Personen werde verdächtigt, fast die Hälfte aller 16.500 Straftaten begangen zu haben, die von Nichtdeutschen begangen worden sein sollen.