Chemtrails und kostenloses Schulessen: Mit der AfD auf Sachsentour
Die AfD hat sich eigene Informationsräume geschaffen, nicht nur in Sozialen Medien wie Tiktok. Im Wahljahr dominiert sie auch das Geschehen in sächsischen Kommunen. Eine Reportage aus der Gegenöffentlichkeit.
Limbach-Oberfrohna/Auerbach. Jonas Dünzel, ein junger Mann mit über 63.000 Followern bei Facebook, steht vor einer Bühne, links ein Sachsen-, rechts ein AfD-Banner. „Ich begrüße Sie zu unserem heutigen Geheimtreffen“, sagt er.
Die Pointe sitzt. Schon die ersten Worte des Zwickauer AfD-Kreisvorsitzenden sorgen für Beifall und allgemeine Heiterkeit. Es ist ein Abend Ende Februar, und Sachsens größte Oppositionspartei sucht in einer Kleinstadt bei Chemnitz Bürgernähe. Im Saal der „Parkschänke“ in Limbach-Oberfrohna, einem über 100 Jahre alten, sorgfältig restaurierten Gasthaus, sitzen gut 200 Leute unter weiß lackiertem Gebälk und Diskokugeln, es gibt Fassbier.
Zur Einstimmung flimmerte ein mit Popmusik unterlegter AfD-Werbefilm über die Leinwand. Dann ergreift Jörg Urban, der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Partei, das Wort. „Wir wollen Ihnen heute unsere Fraktionsarbeit vorstellen“, sagt er. Aus den Medien würden die Bürger davon ja nichts erfahren. Dort werde nur berichtet, „wenn ein Mitglied mal wieder ein falsches Wort gesagt hat“.
Die AfD hat fast 200.000 Tiktok-Follower, bei der CDU sind es nicht mal 700
Die AfD tourt durch Sachsen. Schon seit Monaten macht sie das, weitgehend unbeachtet von Presse und Rundfunk. Teilweise mehrmals pro Woche füllt die Alternative für Deutschland Säle zwischen Plauen und Görlitz. Wo andere Parteien kaum Präsenz zeigen, ist sie vor Ort. Vielleicht erklärt auch das, warum sie im Freistaat in den Wahlumfragen führt.
Was die AfD auf Bürgerforen tut, folgt ihrer Strategie im Internet. In Teilen der Sozialen Medien hat sie bereits die Meinungsführerschaft übernommen. Schon länger dominiert sie das parteipolitische Geschehen bei Facebook und Youtube, im Wahljahr 2024 ist Tiktok hinzugekommen. Die sächsische AfD hat dort aktuell rund 198.000 Follower. Bei der CDU Sachsen sind es 680, Grüne und SPD sind überhaupt nicht auffindbar.
Die Kurzvideoplattform eröffnet der AfD den Zugang zu ihren potenziellen Erstwählern. Zwei Drittel der Nutzer sind zwischen 18 und 24 Jahre alt. Beliebte Beiträge der AfD Sachsen auf Tiktok sind „Chrupalla zerlegt Lanz“ oder ein Clip mit dem Titel „Wenn die AfD verschwunden wäre“.
Jörg Urban erklärt darin, für alle Übel dieser Welt seien „Altparteien“ und Medien verantwortlich. Die seien eigentlich gar nicht gegen die AfD, sondern „gegen Sie, gegen die Bürger“. Schon über 345.000-mal wurde das Video angesehen. Der Algorithmus von Tiktok belohnt Krawall. Er nützt der AfD.
Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje wertete die Tiktok-Aktivitäten der Parteien auf Bundesebene für einen Zeitraum von zwei Jahren aus. Ergebnis: AfD-Videos werden im Schnitt dreimal so häufig aufgerufen wie die Videos aller anderen Parteien zusammen.
Urban holt die Zuhörer geschickt ab
In Limbach-Oberfrohna ist das Publikum zum großen Teil aus dem Tiktok-Alter raus. Hier berichtet eine scheinbar ganz normale Partei über ihre Arbeit im Sächsischen Landtag. 35 Abgeordnete zähle seine Fraktion, erläutert Urban und behauptet: „Diese Menschen haben alle schon mal in einem bürgerlichen Beruf gearbeitet.“ In den Parlamenten sei das heute eine Seltenheit. Seine Parteikollegen wüssten, wie normale Leute ihr Geld verdienen müssen, sie wüssten, was Arbeitslosigkeit, auch was Insolvenz bedeutet.
Es gibt Applaus, Urban holt die Zuhörer im Saal geschickt ab. In einer Präsentation mit bunten Folien arbeitet er gemeinsam mit dem AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner verschiedene Politikfelder ab.
Wiesner, ein junger Leipziger, Jahrgang 1989, sagt, die Regierung arbeite daran, dass Familien „immer weniger Kinder bekommen sollen“. Es ist eine durch nichts belegte Behauptung, hinterfragt wird sie nicht. Wiesner redet auch über Probleme im Bildungssystem, über den Lehrermangel, den niemand bestreitet, aber auch über angebliche „ideologische Schulinhalte“. Ausländische Schüler will die AfD von den übrigen Schülern trennen und „in separaten Klassen beschulen“ – eine Absage an Integration, genauso wie bei Schülern mit Förderbedarf. Die AfD lehnt auch Inklusion ab.
Demokratieförderung? „Können wir komplett weglassen“
Was die beiden Politiker vortragen, ist eine Mischung aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und einzelnen Falschaussagen, die teilweise seriös wirkt, die aber auch subtile Andeutungen und Polemik enthält und schwer zu durchschauen ist. Wiesner beklagt einen Sanierungsstau bei Straßen und Brücken und verspricht, man könne das schnell regeln. Mit welchem Geld? Urban redet von Einsparpotenzial bei der „Integrationsindustrie“ und bei der Demokratieförderung. „Die können wir komplett weglassen, ohne dass sie jemand vermisst.“
Sachsen ohne Demokratieförderung, das ist die Vision der AfD. Wenn der Landesvorsitzende über Extremismus spricht, dann meint er Linksextremismus. Der sei das eigentliche Problem, mit Gewalttätern wie in Leipzig.
Der Rechtsextremismus hingegen werde aufgebauscht. Dabei bestehe dieser fast nur aus „Meinungsdelikten“. Was Urban damit meint, sind nach der polizeilichen Kriminalstatistik Propagandadelikte und Volksverhetzung. Bei ihm klingt es, als seien Rassismus, Menschenverachtung und die Leugnung des Holocausts nur Meinungsäußerungen.
„Correctiv musste zurückrudern“ – das Publikum glaubt es
Als Urban gefragt wird, ob sich seine Partei vom Extremismus abgrenze, behauptet er: „Wir haben in unseren Reihen keine Extremisten.“ Er behauptet auch, die derzeit vielerorts stattfindenden Demonstrationen gegen Rechtsextremismus beruhten auf einer Lüge.
Auf dem Treffen in Potsdam sei nicht über die Ausweisung deutscher Staatsbürger gesprochen worden, „Correctiv musste zurückrudern.“ Das Publikum glaubt ihm, viele applaudieren. Man nimmt hier nicht zur Kenntnis, dass das Medienhaus Correctiv nach Gerichtsurteilen nur einen einzigen Satz aus seinem Artikel streichen musste, dass die Kernaussagen weiter Bestand haben.
Parlamentsreden werden auf Tiktok-Format zugeschrieben
Wie erfolgreich die AfD ihre Politik verkauft, beschrieb Kommunikationsberater Hillje als „Propaganda 4.0“. Diese beruhe auf vier Elementen: Delegitimierung der etablierten Medien, Aufbau eigener parteinaher Medienkanäle, Schaffung einer kollektiven Identität, also einer rechtspopulistischen Parallelgesellschaft, und extreme Polarisierung im öffentlichen Diskurs.
Hillje sagt, die Offensive der AfD bei Tiktok und ihre Sachsentour müsse man zusammendenken. Social Media, Parlament und Straße seien die drei strategisch wichtigsten Arenen der Partei. Weil ihre Videos im Netz teilweise ein Millionenpublikum erreichten, hielten AfD-Abgeordnete plattformkonforme Parlamentsreden.
„Da gibt es häufig 60- bis 90-sekündige Passagen, die perfekt für die Verbreitung in sozialen Medien geeignet sind.“ Die Straße wiederum, also auch Bürgerforen wie in Limbach-Oberfrohna, dienten der lokalen Verwurzelung. „In persönlichen Begegnungen wird Vertrauen aufgebaut, es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl“, sagt der Kommunikationsexperte. „Die AfD kann sich als persönlich ansprechbar und bürgernah geben.“
Die AfD ist überall – die anderen Parteien sind nahezu unsichtbar
Jörg Urban arbeitet unermüdlich. Abend für Abend schlägt er sich für seine Partei um die Ohren. Ob im „Goldenen Löwen“ in Hainichen oder im Ballsaal Hilbersdorf am Stadtrand von Chemnitz: Überall stößt die AfD auf Aufmerksamkeit. Und die anderen Parteien kommen nicht in die Gänge. Jenseits der drei sächsischen Großstädte sind sie nahezu unsichtbar.
Vorvergangene Woche im Erzgebirge. Im „Stift“ in Auerbach, einem Dorf mit gut 2000 Einwohnern, findet man noch das Flair der DDR. Im Sozialgebäude des ehemaligen Strumpfkombinats Esda versammeln sich rund 200 Menschen in einem Saal mit Holzvertäfelung, über eine Theke wird Bier in Flaschen gereicht. Am Werbemittelstand der AfD decken sich Rentner mit Kugelschreibern ein, ein Pärchen kommt mit blauen Schals mit der Aufschrift „Unser Land zuerst“. Auch junge Leute sind da. Eine schwarzgekleidete Gruppe, das Ur-Krostitzer in der Hand, lässt sich auf eine hintere Stuhlreihe fallen.
In diesem Saal hatte die AfD Erzgebirge im November den Rechtsextremisten Arthur Österle als einen ihrer Direktkandidaten zur Landtagswahl aufgestellt – einen Mann, der ein Flüchtlingsheim in Einsiedel blockierte, der mit Neonazis marschierte, bei rechtsextremen Kundgebungen in Chemnitz als Ordner auftrat und der sich „Politiker aus Notwehr“ nennt. Überraschend schlug er bei seiner Kandidatur den Landtagsabgeordneten und AfD-Kreisvorsitzenden Torsten Gahler.
Der AfD-Mann vor Ort: Er gibt sich volksnah, spricht Erzgebirgisch
Gahler ist jetzt wieder da, zusammen mit dem Landesparteichef führt er durch den Abend. Der Thalheimer gibt sich als Mensch von nebenan, den man kenne aus dem Stadtrat, vom Tischtennis, als Familienvater, der die Kinder zum Training oder zur Schule fährt. Auf Erzgebirgisch sagt er: „Mir sei hier überall verwurzelt.“
Der lokale AfD-Politiker redet über den Niedergang der Wirtschaft im Erzgebirge. In der Esda-Halle erinnert er daran, was einst mit der Strumpffabrik passierte und wie es heute beim Leiterplattenhersteller und beim Kabelproduzenten im Nachbarort ausschaut: „KSG in Kurzarbeit. Sachsenkabel überlegt, nach Mazedonien abzuziehen.“ Tatsächlich ist die Lage für viele Unternehmen gerade nicht einfach. Hohe Energiepreise, Konjunkturdelle und das ewige Gezerre der Ampel in Berlin: Es ist offensichtlich, dass es gerade nicht so läuft in Deutschland. Die AfD ist auch Krisengewinner.
Der AfD-Kreischef glaubt ein bisschen an Chemtrails
Torsten Gahler spricht über die Idee eines kostenlosen Schulessens ebenso wie über Chemtrails. Auf eine Frage aus dem Publikum antwortet er, sein gesunder Menschenverstand sage ihm zwar, „wenn die dort oben tatsächlich Gift versprühen“, dann träfe es ja auch CDU- und Grünen-Wähler. Aber: „Es ist nicht so, dass ich es ausschließen würde. Ich traue denen inzwischen alles zu.“ Legitime Forderungen Seite an Seite mit Verschwörungstherorien.
Der AfD-Kreischef erzählt auch von der angeblich einseitigen Berichterstattung der Medien, von einem redaktionsinternen Schreiben der „Sächsischen Zeitung“ zum Umgang mit seiner Partei. Die Redakteure, so behauptet er, sollten nur negativ über die AfD berichten.
„Sie sollen sich auch nicht scheuen, wenn sie mal paar Lügen einbauen.“ Richtig ist: Das Dresdner Medienhaus beschloss Leitlinien zum Umgang mit der AfD, seit diese vom Verfassungsschutz in Sachsen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde. Die Aussagen der Partei bedürften daher der Einordnung, findet die „Sächsische Zeitung“. Was Gahler daraus macht, ist frei erfunden.
Warum sie wirklich hier stehen: Bald wird gewählt
Auch in Auerbach spult die AfD ihr bewährtes Programm ab. Fraktionschef Urban wendet sich gegen Ärztemangel und hohe Pflegekosten, beklagt eine mangelnde Aufarbeitung der Politik in der Coronapandemie, fordert im Kampf gegen illegale Migration eine lückenlose Überwachung der grünen Grenze zu Tschechien und Polen. Bei all dem deutet er immer wieder an, warum er eigentlich hier steht. Er erinnert an die Landtagswahl am 1. September und appelliert: „Machen Sie uns stark. Ändern Sie das Parlament.“ In Auerbach wird er schon als künftiger Ministerpräsident vorgestellt.
Urban sagt auch: „Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren Energien beenden.“ Der Landesparteichef erwähnt Deutschlands größten Solarpark im Leipziger Land. Den Menschen werde dort die Landschaft kaputt gemacht. „Da wächst nichts mehr.“ Was Urban nicht sagt: Die Anlage wurde auf einem ehemaligen Braunkohletagebau errichtet.
Das Weltbild der AfD: Klimawandel? Geht uns nichts an
Die AfD will am liebsten weiter ungebremst Braunkohle zur Stromerzeugung verbrennen. Worüber sie überhaupt nicht spricht, ist die Erderwärmung und ihre massiven Folgen, über Klimaschutz als Generationenaufgabe. Warum? Jörg Urban antwortet im Nebensatz:
„Weil ich nicht daran glaube, dass der Klimawandel menschengemacht ist und dass er uns bedroht.“ Auch der wissenschaftliche Konsens, der hier besteht, ist für ihn nur eine Erfindung von Medien und „Altparteien“.
So einfach ist das Weltbild der AfD. Und es bleibt gerade im ländlichen Raum in Sachsen oft unwidersprochen stehen. Urbans Sachsentour geht weiter, auch für April gibt es schon Termine. Politikberater Johannes Hillje sieht hier die gleiche Dominanz der AfD wie bei Tiktok und anderen Sozialen Medien. Er warnt: „Andere Parteien haben in manchen Landstrichen regelrechte Parteiwüsten entstehen lassen.“ Diese politisch verlassenen Regionen müssten dringend zurückgewonnen werden.