Neue kommunistische Partei: Twinten für Lenin
Hintergrund zur Relevanz für Leipzig: Diese jetzige Partei gibt es auch mit Ortsgruppe in Leipzig, auf deren Profil heißt es: „Der Funke in Leipzig –Der Funke ist die deutsche Sektion der International Marxist Tendency (IMT). Kapitalismus stürzen, Sozialismus erkämpfen!“
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Parlamentssitze will die eben erst gegründete Revolutionäre Kommunistische Partei keine gewinnen – sondern die Revolution herbeiführen. Und nebenbei Spenden generieren.
Hundert Jahre nach seinem Tod blickt Lenin von einem neun Meter breiten Plakat hinunter in den Saal des Bieler Volkshauses. Er sieht dort gut 200 mehrheitlich junge, weisse Menschen, unzählige A4-Blätter mit aufgedruckten QR-Codes von Twint an den Wänden und eine Art Gemischtwarenladen in einer Ecke des Saals.
Dort werden von Buttons mit dem Aufdruck «I am a Communist – are you?» über Feuerzeuge bis zu T-Shirts allerhand Merchandisingartikel verkauft. Auf dem zugehörigen Büchertisch liegen Texte von und über Männer. Ein Plakat weist auf eine «Lenin-Promotion» hin: zwei Bücher über Lenin zum exklusiven Preis von dreissig statt vierzig Franken. Geschrieben hat sie Alan Woods, Gründer der International Marxist Tendency (IMT).
Die Schweizer Sektion der IMT heisst Der Funke und ist seit 2007 aktiv. Bis anhin fiel sie vor allem damit auf, an Demonstrationen ihre Zeitung verkaufen zu wollen. Hier in Biel lanciert sie jetzt ihren neuen Auftritt: als Revolutionäre Kommunistische Partei (RKP).
Zuletzt erregte Der Funke vermehrt mediale Aufmerksamkeit. Mit seiner schweizweiten Plakatkampagne «Bist du Kommunist?», vor allem aber mit seiner Haltung zum Nahostkonflikt.
Unter anderem wurde eine Kundgebung von Der Funke vor der Universität Zürich verboten. Die Gruppe hatte dafür mit dem Slogan «Intifada bis zum Sieg!» geworben. Hinzu kamen zwei Artikel auf dem linken Infoportal «Barrikade»: ein ausführlicher und vernichtender Text mit dem Titel «Was ist ‹Der Funke› und warum machen wir uns über sie lustig?» sowie einer, in dem ein ehemaliges Mitglied zu Wort kommt und beschreibt, wie bei der Organisation Leute dazu gedrängt würden, horrende Mitgliederbeiträge zu bezahlen.
Vor dem Eingang des Volkshauses widersprechen drei junge Mitglieder den Schilderungen in den «Barrikade»-Artikeln. Gibt es also keine hohen Mitgliederbeiträge? Beiträge gebe es zwar, räumt einer der drei ein. Deren Höhe könne man aber selbst bestimmen. Es sei allerdings ein Zeichen der Überzeugung, wenn man viel investiere. Er selbst sei zum Beispiel Lernender und habe darum nicht Tausende Franken, die er dem revolutionären Kampf spenden könne. Er bezahle ungefähr 200 Franken monatlich.
Ein Revolutionär gibt, was er kann
Die 200 Franken des jungen Mitglieds werden gebraucht. Auf die aktuell etwa 270 Funke-Mitglieder kommen nach eigenen Angaben nämlich rund zehn Vollzeitangestellte, sogenannte Fulltimer. Diese sollen monatlich ungefähr 2800 Franken verdienen, heisst es im «Barrikade»-Artikel. Hinzu kommen Mieten für Büros in Bern und Genf.
Ein ehemaliges Mitglied, das anonym bleiben möchte, erzählt der WOZ von Spendenveranstaltungen, die sich über mehrere Stunden hingezogen hätten, bis das Spendenziel erreicht worden sei. «Ein bewusster Revolutionär gibt, was er kann», sei dabei immer wieder gesagt worden.
Der Kampagnenleiter der RKP, Caspar Oertli, bestreitet im Bieler Volkshaus gegenüber der WOZ, dass die Organisation auf aggressive Finanzappelle setze. Beiträge seien aber nötig, weil sich die RKP ausschliesslich über Mitglieder und Gönner:innen finanziere. Über seinen Lohn will er zunächst nicht sprechen. Erst im Nachgang zur Veranstaltung sagt er per Telefon, dass sich die Angaben im «Barrikade»-Artikel in der richtigen Grössenordnung bewegten.
Lieber als über Geld spricht Oertli über den Erfolg der «Bist du Kommunist?»-Kampagne und die positiven Rückmeldungen zu ihrer Haltung in der Palästinafrage. Gerade letztens habe ihm nach einer Rede in Bern ein junger Versicherungsberater aus Palästina 300 Franken getwintet.
«Leninistisches Zentralorgan»
Als in der ersten Rede des Tages die Gründung der Kommunistischen Revolutionären Partei ausgerufen wird, sind die Anwesenden begeistert: «RKP, RKP, RKP!», hallt es durch das Volkshaus. Darauf folgt eine historische Abrechnung des Redners mit linken Organisationen; der Juso (mittlerweile reformistisch), der Partei der Arbeit (PdA, von Tag eins an reformistisch) und schliesslich mit der Revolutionären Marxistischen Liga (RML).
Diese formierte sich 1969 als trotzkistische Abspaltung aus der PdA, nannte sich später Sozialistische Arbeiterpartei und löste sich 1991 wieder auf. Die RML sei mal gut gewesen, sagt der Redner. Sie sei aber irgendwann dazu übergegangen, den Marxismus modernisieren zu wollen. Sie habe damit verkannt, dass der Marxismus «die modernste Idee der Welt» sei.
Es gebe eine Leerstelle, und deshalb brauche es nun die RKP, glaubt auch Caspar Oertli. Deren Ziel sei nicht ein Sitz im Parlament, sondern der Sturz des Systems. Die neue Partei ist, wie schon Der Funke, revolutionär, und strikt antiimperialistisch. Gegendert wird in der RKP nicht. Politisiert wird hier noch wie in der guten alten Zeit.
Mit der Gründung der RKP löst sich Der Funke auf, und auch sein bis anhin gleichnamiges Magazin wird umbenannt. «Der Kommunist» heisst die neue alte Zeitung. 5000 Exemplare davon will die RKP verkaufen.
Zwei Genossinnen, die laut dem Redaktionsleiter des «Kommunisten» mehrere Stunden am neuen Layout gearbeitet hätten, werden auf die Bühne gerufen. Als Dank für ihre Arbeit nehmen sie je ein Buch über den Bolschewismus entgegen.
Der von ihnen gestaltete «Kommunist» solle ein «leninistisches Zentralorgan» sein, heisst es in der ersten Ausgabe. Das wahre Zentralorgan der RKP bleibt aber die Zentrale der International Marxist Tendency in London.
Von da aus würden alle politischen Inhalte diktiert, erzählt das ehemalige Mitglied. Egal ob es um die Haltung zu Konflikten oder eine neue Kampagne gehe: Die zentrale Führung in London gebe die Richtung vor, die dann von den weltweit mehr als vierzig nationalen Sektionen verfolgt werde.
Auch die jetzige Parteigründung wird von oben koordiniert: In Grossbritannien soll die Revolutionary Communist Party entstehen. Die schwedische und die kanadische Sektion der IMT haben ebenfalls die Gründung einer Partei angekündigt.
Das ehemalige Mitglied beschreibt, wie strategische Entscheidungen aus London jeweils Stufe für Stufe hinunter in die Ortsgruppen wandern. Wenn sich dort ein Mitglied dagegen ausspreche, würden Anrufe und Einladungen zu persönlichen Gesprächen folgen. Abweichler würden sozial isoliert, sagt der Aussteiger. Oertli entgegnet, dass die Organisation durchaus demokratisch sei: Positionen seien verhandelbar, jede Ortsgruppe könne am Kongress Anträge stellen, und alle Führungsmitglieder könnten auch abgewählt werden.
Beim Klimastreik andocken
Die Lancierung der RKP markiert einen Strategiewechsel der IMT. Jahrelang wollte diese keine eigenen Parteien gründen, sondern stattdessen Einfluss in bestehenden Parteien und Gewerkschaften aufbauen. Und mit ihr auch der Schweizer Funke, allerdings ab 2018 mit neuem Ansatz: Man habe damals beobachtet, wie feministische Organisationen und die Klimabewegung zu grossen Demos mobilisieren konnten, und daraufhin die Strategie umgestellt, sagt Caspar Oertli. «Wir sind jeweils dort, wo die radikalisiertesten Leute sind.»
Nun soll die RKP diese Leute anziehen. Ebenfalls nicht unerheblich für den Strategiewechsel dürfte es gewesen sein, dass die britische IMT-Sektion 2021 aus der Labour Party ausgeschlossen wurde.
In der Schweizer Juso hätten sich die Funke-Mitglieder nie recht mit dem feministischen Kurs von Tamara Funiciello anfreunden können, sagt Juso-Präsident Nicola Siegrist zur WOZ. Stattdessen nahmen Funke-Mitglieder fortan vermehrt an Sitzungen des Klimastreiks teil. Man habe aber schnell gemerkt, dass diese nicht wirklich zur Zusammenarbeit taugten, heisst es dort auf Nachfrage.
Funke-Mitglieder hätten zwar gerne lange Monologe gehalten, zur tatsächlichen Arbeit seien sie jedoch in der Regel nicht bereit gewesen. Als zum Beispiel eine Gruppe junger Menschen im Berner Oberland eine Klimademo organisieren wollte, hätten Funke-Mitglieder darauf gedrängt, lieber einen Lesekreis zu gründen.
Quelle: https://www.woz.ch/2407/neue-kommunistische-partei/twinten-fuer-lenin/!FK4YN7HTT0HZ