Kritik am Umgang mit der Covid 19 Pandemie
Positionspapier
Autonomie und Solidarität
Die in Schockstarre und Ohnmacht gefangene linke Szene hat auch nach zwei Jahren Corona-Pandemie noch keine Position gefunden, welche eine Antwort auf die staatliche Pandemiepolitik darstellt. Wir wollen hiermit eine anti-autoritäre, staatskritische, wissenschaftsbasierte und solidarische Position der Linken in der Coronakrise vorschlagen. Selbst wenn sich das Ganze jetzt dem Ende zuneigen sollte, wollen wir dazu anregen ein Resümee zu ziehen und die Rolle der Linken zu reflektieren. Gesundheitsschutz und Ablehnung von Autorität schließen sich dabei nicht aus. Man kann sehr gut autonom und solidarisch handeln anstatt fremdbestimmt und unsolidarisch. Dass „Menschen vor Corona schützen“ und „autoritäre Maßnahmen ablehnen“ einander ausschließen, ist ein konstruierter Gegensatz.
Die staatliche Gesundheitspolitik ist unsolidarisch, kapitalistisch und autoritär!
Es gilt zu realisieren, dass die Maßnahmen, die es gibt, nicht als gnädiger staatlicher Gesundheitsschutz angesehen werden können, sondern Ausdruck eines autoritären Staates sind, der eine Krisensituation zur Autoritarisierung ausnutzt. Der Staat ist nicht am Schutz unserer Gesundheit interessiert. Das äußert sich u.a. durch die aktuelle Untätigkeit im bewusst zerstörten Gesundheitswesen, durch die Verkürzung des Genesenstatus, die Nicht-Gültigkeit von Antikörpertests oder das Unterlassen jeglicher Maßnahmen zur Verbesserung der Raumluft. Die Krisenpolitik ist eine schwer einsehbare und alles andere als übersichtliche Politik. Von Masken-Deals bis zum Aussetzen kostenloser Schnelltests wirkten die staatlichen Maßnahmen weder beruhigend, noch folgten sie einem nachvollziehbaren, rationalen Plan. Das Gesundheitswesen ist staatlich geduldet und offensichtlich gewollt nicht auf Gesundheitsfürsorge und die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet, sondern auf Umsatzgewinne. Es wurden in der Pandemie über 5000 Intensivbetten meist aufgrund von Personalmangel abgebaut. Kontakbeschränkungen sind nicht primär für die Verhinderung von Fällen geeignet, sondern für die Verschiebung dieser bzw. zur Verhinderung von Kapazitätsüberlastungen („flatten the curve“). Eine staatlich verordnete Impflicht widerspricht unseren Vorstellungen von einer selbstbestimmten Gegenwart und autonomen Entscheidungen über das eigene Leben und der Gesundheit. Nur weil eine Impfung einen persönlichen Schutz bieten kann, bedeutet das nicht, dass dieser Schutz die Motivation von Politiker*innen ist. Anzunehmen, dass die systemisch bedingten profitorientierten Unternehmen in Kooperation mit dem Staat nichts anderes als unser gesundheitliches Wohlbefinden im Fokus haben, ist schlichtweg naiv.
Autoritarisierung als Gefahr
Mit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 beobachteten wir, wie die Autoritarisierung, Überwachung und digitale Kontrolle sehr vieler Lebensbereiche eine Beschleunigung erfuhren. Wir mussten mitansehen, wie Staat und Gesellschaft durch Lockdowns, nächtliche und tägliche Ausgangssperren, 3G, 2G, 2G-Plus-Regelungen, Registrierungsapps, Tracing-Apps, Impfausweisapps und Pflichten zur Datenherausgabe und Nachweisen gegenüber Behörden/Polizei immer weiter ins offen autoritäre glitten. Wir sehen seither, dass sich digitale und analoge Kontrollmethoden weiter im Alltag verfestigen. Wir bekamen mit, wie der Datenschutz und die Privatsphäre der Menschen von weiten Teilen der Politik zum Feindbild erklärt wurden. Wir hörten, wie der Überwachungskapitalismus „Lösungen“ versprach, deren Beiträge zur Pandemiebekämpfung bestenfalls fragwürdig schienen aber die zu noch mehr Kontrolle und Überwachung beigetragen hätten.Wir erlebten, wie technische Infrastrukturen und gesetzliche Grundlagen zur Kontrolle und Überwachung von Staat und Privatunternehmen vorangebracht wurden, die unter anderen Umständen vermutlich auf größere Widersprüche und Widerstände gestoßen wären, nun aber in der Krise weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz fanden. Wir fühlten uns dabei immer wieder an Naomi Kleins Werk zur Schockstrategie erinnert.
Mit den Plänen zur Einführung der Corona-Warn-App sahen wir dabei schon sehr früh, wie unter anderem der deutsche Staat versuchte, eine ursprünglich zentralisierte Tracking-App zu erschaffen. Diese hätte z.B. einen sozialen Graphen der gesamten Bevölkerung erschaffen können. Immerhin führte das im Frühjahr 2020 noch zu Widerständen in Teilen der Öffentlichkeit, darunter von nicht wenigen Linken und linksradikalen Gruppen. Die Einführung von digitalen Test- und Impfausweisen, die seitdem ständig in Kombination mit Identitätsdokumenten kontrolliert und abgescannt werden und zum Einlass- und Ausschlusskriterium wurden, führte kaum ein Jahr später zu weitaus weniger Widerspruch in der Gesellschaft. Wenig überraschend war dann, dass Polizeibehörden auf die Datentröge der Luca-App zugriffen. Und zwar unabhängig davon, ob ihnen das gesetzlich erlaubt war oder nicht. Denn wenn Daten einmal gesammelt worden sind und irgendwo zur Verfügung stehen, wird auch von allen möglichen Seiten irgendwann darauf zugegriffen. Forderungen nach gesetzlichen Erlaubnissen lassen dabei meist nicht lange auf sich warten. Und selbst wenn einige der digitalen Kontroll- und Überwachungswerkzeuge wie die Luca-App doch wieder verschwinden, so könnte die Gewöhnung an Kontrollen und „freiwilligen Zwang“ zur Nutzung von ähnlichen Werkzeugen lange überdauern.
Auch an die Impfkampagnen und Debatten um Impfpflichten waren und sind weitergehende Kontrollvorhaben geknüpft, die wir ablehnen. Impfungen als hilfreich und empfehlenswert zu sehen, steht auch nicht im Widerspruch zur Ablehnung von Pflichten und direkten oder indirekten Impfzwängen. Dass Akteur*innen des Überwachungskapitalismus wie die Konzerne um „ID2020″, die Bundesdruckerei, der Rüstungskonzern Thales oder IBM über Impfkampagnen und Impfpässe digitale Identitäten, Zertifikate und biometrische Verifizierungs- und Überwachungsprodukte ausrollen wollen, zählt zu den gut belegbaren, von den jeweiligen Seiten sogar offen kommunizierten Fakten. Dass dystopische Vorhaben, wie solche errichtet werden, nicht als Dystopie sondern im besten „Tech-Solutionismus“-Sprech als Hilfe mit den bestmöglichsten Absichten beworben werden, überrascht uns nicht, denn so funktioniert (Überwachungs-)Kapitalismus nun mal. Auch staatlicherseits war die Impfkampagne früh mit weitergehenden Kontrollvorhaben verbunden. So sollten mit dem Gesetz und Vorschlägen zur Impfpflicht auch polizeiliche Kontrollen von Gesundheits- und Identifizierungsdaten eingeführt werden. Eine indirekte Mitführungspflicht des Personalausweises drohte ebenfalls. Mehr noch steht die Erstellung eines Impfregisters nach wie vor im Raum das zu einem zentralen Gesundheitsregister werden könnte. Diesen „bestmöglichen Absichten“ des Staates vertrauen wir nicht.
Die zunehmende Verschmelzung von Staaten und Konzernen und die Digitalisierung verändern die Realitäten von Arbeit und Alltag, die Rollen von Staat, Gesellschaft und vom Individuum. Wir sollten Begriffe wie „Fortschritt“ kritischer hinterfragen und uns nicht mit vermeintlichen „Alternativlosigkeiten“ abfinden. Wir brauchen eine kritische, differenzierende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Verschwörungstheorie. Und als Mindestanspruch müssen wir gegen digitalen und zunehmend offen autoritär auftretenden Kapitalismus auftreten, welcher in seiner jetzigen Form übergriffiger und unmenschlicher wird. Kämpfen wir für den Erhalt von Freiräumen!
Nachhaltiger Gesundheitsschutz
Da der Staat offensichtlich nicht an dem Schutz unserer Gesundheit interessiert ist, müssen wir uns fragen, wie wir einen solidarischen Gesundheitsschutz schaffen wollen bzw. welche Forderungen effektiv wären. Wissenschaftlicher Konsens ist es, dass Corona nicht verschwinden wird, und wo Kontaktbeschränkungen nur verschieben können, brauchen wir weiterhin nachhaltigen und solidarischen Gesundheitsschutz. Dass seit den 2000ern jährlich Krankenhausbetten abgebaut und Krankenhäuser geschlossen werden, sowie die Tatsache, dass Menschen im Gesundheitssektor unterbezahlt und unter schlechten Arbeitsbedingungen zur Profitrendite einzelner Großverdiener*innen arbeiten müssen, ist Ausdruck der Neoliberalisierung des Gesundheitssektors und hauptsächlich für die Überlastung von Intensivstationen verantwortlich. Nachhaltiger Gesundheitsschutz würde bedeuten, Interventionen gegen die Kapitalisierung des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt zu stellen, ebenso die damit verbundenen Kämpfe des Gesundhetspersonal um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn. Zugleich muss sichergestellt werden, dass Menschen, für die Corona eine Gefahr darstellt, sich unabhängig von Einkommen, Klasse oder Herkunft schützen können. Neben kostenlosen PCR-Tests und Masken gehört dazu auch ein jährliches Impfangebot im August/September. Auch ein Bewusstsein für die Übertragungswege von Coronaviren über Aerosole sowie die damit verbundene Verbesserung der Raumluft fehlen. Indien und Südafrika haben den sogenannten „Trips Waiver“ Antrag gestellt, in dem die Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Covid-19-Technologien für den Zeitraum der Pandemie gefordert wird. Seit über einem Jahr stimmt Deutschland diesem Antrag nicht zu und verhindert somit eine Verteilung des Impfstoffes weltweit. Wir sollten die Konzerne in die Mangel nehmen und konsequent eine Aufhebung der Impfpatente fordern.
Unteilbare Solidarität
Solidarität darf nicht nur selektiv die von Coronaviren gefährdeten Menschen einschließen, sondern genauso auch von Maßnahmen Betroffene. Die Maßnahmen haben sowohl psychische Krankheiten ausgelöst oder befördert als auch Armut verstärkt und Existenzen zerstört. Generell ist die Corona-Politik eine zutiefst unsoziale Politik, durch die gesellschaftliche Ungleichheiten massiv verschärft werden: In den letzten zwei Jahren hat das globale Arm-Reich-Gefälle drastisch zugenommen. Von einer internationalen „Krise der Frauen“ ist zudem die Rede – in ökonomischer ebenso wie in gesundheitlicher Hinsicht, wobei der Anstieg genderbasierter Gewalt ebenfalls eine Rolle spielt. Besonders in Deutschland wurden die Rechte von Kindern und Jugendlichen stark beschnitten, Schüler*innen und Student*innen aus weniger privilegierten Milieus im Bildungssystem weiter abgehängt, während Menschen in Alten- und Pflegeheimen seit fast zwei Jahren sozial isoliert leben – und sterben! – müssen. Inflation und stark erhöhte Strompreise treffen nun vor allem diejenigen, die über wenige finanzielle Ressourcen verfügen. Kontinuierlich schreitet die Aushöhlung von Arbeitnehmer*innenrechten voran, indem etwa Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall vom Corona-Impfstatus abhängig gemacht werden. Grundsätzlich zeigt sich: Je marginalisierter Menschen sind, desto heftiger treffen sie die „Maßnahmen“. So wurden im Zuge der Lockdowns ganze Wohnblocks abgeriegelt, in denen Menschen in prekären Verhältnissen leben, Geflüchtete auf „Quarantäneschiffen“ festgehalten oder in den Sammelunterkünften weiter segregiert. Die später geltenden 2G/3G-Regeln begünstigten Racial Profiling und bedeuteten eine zusätzliche Bedrohung für Menschen ohne Ausweispapiere. Zuletzt hatten zahlreiche Obdachlose und Geflüchtete kurzfristig sogar ihren Impfstatus verloren. Diese Maßnahmen und ihre Folgen sind als unsolidarisch abzulehnen und zu hinterfragen. Eine echte solidarische Position muss sich von Lockdowns und 2G/3G-Regelungen verabschieden und richtigen Gesundheitsschutz fordern.
Solidarität ist unteilbar!
In welcher Gesellschaft wollen wir leben
Die vielen kleinen und größeren Maßnahmen, Gesetze, Vorschriften, Lizenzen, Identitätsnachweise und Formulare, schrittweise eingeführt mit den Verweis auf ihre Rationalität, formen ein immer straffer werdendes Gehäuse der Hörigkeit. Mit jeder neuen Regel, jeder neuen Verordnung und jeder Beschneidung der individuellen Handlungsfreiheit verliert der Mensch ein Stück seiner Menschlichkeit. In der Corona-Pandemie haben die Zertifizierung, die Kontrollen und das Misstrauen gegenüber den Menschen zugenommen. Überall wird man kontrolliert, kategorisiert und durchnummeriert, muss sich ausweisen und beweisen. An jeder Straßenecke und in jeder Institution des öffentlichen Lebens werden Menschen gezwungen zu kontrollieren, sich kontrollieren zu lassen, dabei ihre Daten offenzulegen, und wenn eine*r (z.B. kein Pass) sich nicht einfügt, wird er*sie ausgeschlossen. Wer anders sein will, nonkonform, oder die Autorität in Frage stellt, gilt als unangepasst und als Außenseiter. Es braucht ein System, welches von unten nach oben organisiert ist, von den Rändern zum Zentrum hin. Ein System freier Menschen, die freiwillig zusammenkommen, um ihre Probleme zu lösen. Ein System, in dem sich jeder Mensch frei entfalten und solidarisch mit seinen Mitmenschen leben kann. Die Corona-Politik hat genau das Gegenteil vermittelt und normalisiert. Die Träume von Dezentralisierung und Selbstverwaltung, von Mutualismus, von einer Geselschaft ohne Monopole, offenen Grenzen und der Auflösung des Arbeitnehmer-Monopols rücken durch die Corona-Politik in immer weitere Ferne.In einer idealen Gesellschaft sind Konsens und Freiwilligkeit, sowie das Recht am eigenen Körper, unverzichtbar.
Umgang mit Maßnahmenkritik/Querdenken
Die „maßnahmenkritische Bewegung“ besteht zum größten Teil aus einem (klein-)bürgerlich-unpolitischen Milleu. Dieses Milleu kann man als Maßnahmenverlierer*innen bezeichnen. Von Rechtsextremen gibt und gab es taktische Überlegungen, die Bewegung zu übernehmen, um eigene Propaganda zu verbreiten und die Menschen zu radikalisieren. Dabei inszenieren sie sich ganz bewusst als Nicht-Nazis.
Gegendemonstrationen bzw. das Abwerten der Bewegung mit politischen Kampfbegriffen wie „Coronaleugner*innen“ (wohl kaum eine*r leugnet Corona) oder Ableismus sind absolut nicht dazu geeignet, diesem Phänomen zu begegnen. Gegendemonstrationen sind letztlich nicht nur staatstragend und verteidigen die absolut desaströse Politik, sie setzen auch nicht an der Wurzel des Problems, sondern nur an den Symptomen an. Es gab und gibt so viele Änderungen und moralische Erwartungen an das „Solidarisch“-Sein, da ist es nicht verwunderlich, dass Menschen dies hinterfragen. Die jahrzehntelange kapitalistische Gesundheitspolitik gegen ärmere Schichten hat dazu beigetragen, dass jene Schichten oft dem Gesundheitssystem nicht mehr vertrauen.
Eine Kooperation mit der Querdenken-Bewegung aus der Hoffnung heraus, man könne – wie in Frankreich – die Bewegung von links übernehmen und das revolutionäre Potential nutzen, ist derweil nicht nur absolut illegitim, da man so mit knallharten Faschos, neuen Rechten gemeinsam demonstrieren müsste. Sie wäre auch absolut ineffektiv, weil die Bewegung schon so mit Faschos durchsetzt ist, dass wir einfach zu wenige wären. Im Gegenteil, den Faschos würde es am meisten schaden, eine staatskritische linke Position in die Öffentlichkeit zu tragen und die bürgerlichen und linken Maßnahmenkritiker*innen von ihnen weg zu ziehen.
Was es zu tun gibt
Wir stellen uns gegen:
– unsolidarische, aufschiebende Maßnahmen zu Lasten von Armen und Marginalisierten
– Überwachung, Kontroll- und Auschlussmechanismen durch digitale Zertifikate und ähnliche Instrumente
– die symbolische, autoritäre Impfpflicht
– Verschwörungstheorien
– Autoritarisierung des kapitalistischen Staates
Wir sind für:
– eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne für Gesundheitspersonal
– ein auf Gesundheit ausgelegtes Gesundheitssystem und die Freigabe von Impfstoffpatenten
– kostenlose Schutzmöglichkeiten für jede*n und Verbesserung der Lufthygiene
– unteilbare Solidarität sowohl mit jenen, die von Corona betroffen sind, als auch mit Maßnahmenverlierer*innen
– eine konsequent antiautoritäre, staatsablehnende Haltung
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Gruppe Autonomie und Solidarität
Wir sind eine autonome Gruppe von Antiautoritären, die sich im Laufe des vergangenen Jahres zusammengefunden hat. Uns eint unsere Kritik und Ablehnung des staatlichen Umgangs mit der Corona-Pandemie. Mehr noch aber hat uns das Verhalten der linken und linksradikalen, in Teilen auch anarchistischen Szenen und einiger Antifa-Gruppen in Deutschland während der Pandemie erschrocken und entsetzt. Daher haben wir uns Gedanken dazu gemacht, wie wir aufzeigen können, was alles schiefgelaufen ist, welche Kritikpunkte und Gefahren wir sehen und welche Perspektiven und Positionen wir bei so vielen Genoss*innen in den letzten zwei Jahren vermisst haben. Herausgekommen ist eine Reihe von Texten, die wir aus unseren unterschiedlichen Perspektiven individuell verfasst haben und nun gemeinsam veröffentlichen möchten.
Zur Reflexion und zum Verfassen unserer Gedanken haben wir einige Zeit benötigt. Schlussendlich kamen wir ins Grübeln, ob unsere Positionen überhaupt noch eine Aktualität besitzen und ihre Veröffentlichung überhaupt noch notwendig und hilfreich ist. Wir kamen jedoch schnell zu dem Schluss, dass das alles noch immer der Fall ist. Auch wenn der Umgang mit der Corona-Pandemie nicht mehr, das Thema innerhalb der Medienlandschaft und gesellschaftlichen Debatten sein mag; wenn vormalige Reizthemen in der deutschen Linken, wie der Umgang mit „Querdenken“, „Schwurbel“ und „ZeroCovid“ zunehmend an Bedeutung verlieren mögen; wenn das autoritäre Handeln des Staates in einigen Bereichen von diesem wieder zurückgefahren und der Umgang mit der Pandemie routinierter geworden zu sein scheint und sich nicht zuletzt ein paar unserer Befürchtungen vorrübergehend oder vielleicht endgültig nicht bewahrheitet haben – die Corona-Krise und ihre Folgen für die Gesellschaft und die Linke sind längst nicht überwunden und wird viele von uns noch lange beschäftigen.
Zum einen könnten einmal eingeführte autoritäre Praktiken noch lange erhalten bleiben oder rasch auch unter geringeren Umständen wieder eingeführt werden. Der Staat und Teile der Gesellschaft haben sich daran gewöhnt, mit der pauschalen Einschränkung von Freiheitsrechten und anderem autoritären Vorgehen, statt mit gezielten und nachhaltigen Lösungen, Probleme und Krisen wie die Pandemie anzugehen. Corona ist nicht die einzige gegenwärtige Krise und wird auch leider nicht die letzte gewesen sein: Die Klimakrise, die Folgen von Inflation, von wachsender Armut und Ungleichheit, die voranschreitende Ausbeutung von Menschen und Umwelt, daraus resultierende Fluchtursachen, Proteste, Aufstände, Bewegungen verschiedener politischer Spektren und Ideologien, der digitale Überwachungskapitalismus, eine zunehmende Militarisierung und permanente Kriege – das sind bereits gegenwärtige Realitäten und sie drohen zu einer noch dystopischeren Zukunft zu werden, wenn sich der „Ausnahmezustand als Normalzustand“ für die Herrschenden erweisen sollte . In Politik, Teilen der Gesellschaft und für den Staat könnten sich weitere Tendenzen zum offen Autoritären gegen einen befürchteten Kontrollverlust, zur Verwaltung des Elends und zur Wahrung eines Gefühls von Sicherheit und Effizienz, ja letztlich zum Erhalt des herrschenden Systems verstärken und sich aufgrund ausbleibender solidarischer und antiautoritärer Perspektiven ohne Widerstände von Links durchsetzen. Schon jetzt drohen einige eingeführte autoritäre Maßnahmen des Staates nicht mehr von diesem zurückgenommen zu werden. Ähnlich wie nach den Anschlägen seit dem 11. September 2001 könnten nun unter der Begründung der „Biosicherheit“ oder der „Alternativlosigkeit“; Maßnahmen erhalten bleiben und über ihren ursprünglich verkündeten Zweck erweitert werden, auch nachdem der Anlass ihrer Einführung einmal weit zurück liegen wird. Dies umfasst nicht nur jene sogenannte „Basisschutzmaßnahmen“, von denen manche ein sinnvoller Schutz sein mögen, sondern auch Behördenbefugnisse, digitale Überwachungstools, erhobene Datenschätze, absehbare Gesetzesvorhaben und gesellschaftlich normalisierte Verhaltensweisen und Affekte des einstigen Ausnahmezustandes. In der gegenwärtigen Debatte scheinen Themen wie weitere Impfpflichten, Impfregister, digitale Zertifikate und neue Lockdowns mit Ausgangssperren zumindest noch längst kein endgültiges Ende gefunden zu haben.
In keinem Fall sind die sogenannten „Kollateralschäden“ der Krise überwunden. Auch wenn sie zum Teil längst nicht im ganzen Ausmaß erfasst wurden und oftmals „unsichtbare Leiden“ sein mögen, verschwinden die in der Corona-Krise entstandenen psychischen und sozialen Probleme der Menschen nicht einfach so. Sie dürfen auch nicht anderen Ursachen zugeschrieben, verdrängt oder marginalisiert werden. Mit unseren Texten wollen wir auch daran erinnern, dass Linke schlichtweg in der Verantwortung stehen, dieses Thema konstruktiv anzugehen. Auch der Umgang mit verschiedenen (bürgerlichen / rechten) Protestbewegungen in der Corona-Pandemie soll hinterfragt und konstruktivere Alternativen aufgezeigt werden. Und schließlich sollen unsere Texte, die wir in den nächsten Wochen jeden Samstag/samstäglich veröffentlichen möchten, vor allem ein Angebot an alle Leser*innen sein. Auch wenn unsere Positionen vielleicht provokante und kontroverse Stellen enthalten mögen, sollen sie weder unversöhnliche Abrechnungen noch herablassende Belehrungen sein. Wir erheben auch nicht den Anspruch, dass unsere Positionen der Weisheit letzter Schluss sind. Vielmehr wollen wir damit zur kritischen Reflexion der Entwicklung der vergangenen Jahre anregen und erhoffen uns nicht zuletzt, somit auch zur Selbstreflexion der Leser*innen beizutragen. Wir erhoffen uns, dass sie zu kritischen Diskussionen und/oder zum Hinterfragen von etablierten Positionen, eigenen Privilegien und Selbstverständnissen der Leser*innen anregen können. Schlussendlich möchten wir auch aufzeigen, wie ein Umgang mit der Pandemie möglich gewesen wäre, der statt autoritärem Handeln und dessen Einforderung durch die Gesellschaft, lieber Wege der Autonomie und echte Solidarität in der Krise anstrebt. Denn in einer Sache sind wir uns besonders einig: Das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, möchten wir nie wieder erleben!