»Antifa Ost«: Wer sind die Angegriffenen?
Beim Antifa-Verfahren in Dresden geht es um Angriffe auf Rechtsextreme. Einige von ihnen wurden selbst schon wegen schwerer Gewalttaten verurteilt
Wenn in der kommenden Woche der zweite Teil des Antifa-Ost-Prozesses ansteht, richtet sich der Blick auch auf jene Neonazis, die in der Anklage als Geschädigte auftauchen. Dabei handelt es sich um Rechte aus Thüringer und sächsischen Netzwerken. Einige waren seit den 2010er Jahren in lokalen Kameradschaften, NPD-Jugendstrukturen oder Kampfsportgruppen aktiv. Andere beteiligten sich an Aufmärschen und Angriffen auf politische Gegner. Dazu kommen die Angegriffenen von Februar 2023 in Budapest.
Vier Mitglieder von »Knockout 51« wurden wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung und gefährlicher Körperverletzung zu mehreren Jahren Haft verurteilt.
Der Überfall auf die Neonazi-Kneipe »Bulls Eye« im Oktober 2019 in Eisenach, jener Stadt, in der sich der NSU enttarnte, gehört sicherlich zu den spektakulärsten Aktionen, die den angeklagten Antifaschist*innen zugeordnet werden. Inhaber der Kneipe ist Leon Ringl, Anführer der Kampfsportgruppe Knockout 51, die 2019 gegründet wurde und von der auch die Bundesanwaltschaft meint, sie sei »von Beginn an auf die Begehung von Körperverletzungsdelikten angelegt« gewesen.
Dem Sprecher der Mobilen Beratung in Thüringen Felix Steiner zufolge stellte Knockout51 »eine enorme Gefahr für Menschen in Thüringen dar«, wobei politische Gegner und vermeintliche Drogenkonsumenten im Fokus der Angriffe standen. Geleakte Informationen aus einem Chat-Forum legen zudem nahe, dass der Kreis einen Ableger der rechtsterroristischen US-amerikanischen »Atomwaffen Division« aufbauen wollte.
Vier Mitglieder von Knockout 51 wurden 2024 wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung und gefährlicher Körperverletzung zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf der geplanten Tötung von Linken hingegen wurde fallengelassen. Laut Felix Steiner existiert das »Bulls Eye« bis heute. Erst am vergangenen Wochenende habe dort ein Lagerverkauf für Szenekleidung der extremen Rechten stattgefunden. Durch den Prozess sei »Knockout« zwar zerfallen, doch Teile der Gruppe seien weiter gemeinsam bei Demonstrationen zu sehen.
Im Dresdner Antifa-Verfahren geht es weiterhin auch um Angriffe auf Neonazis aus Leipzig und Wurzen, die sich u.a. am Angriff auf den Leipziger Szenestadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt hatten. Cedric S. beispielsweise, der als Nebenkläger im ersten Antifa-Ost-Verfahren auftrat, gehört seit Jahren der rechten Szene in der sächsischen Kleinstadt Wurzen an und war bei der Jugendorganisation der NPD aktiv. Die Wurzener Szene machte immer wieder mit gewalttätigen Aktionen Schlagzeilen, so etwa 2018 beim Angriff von zwei Vermummten auf eine schwangere 19-jährige Eritreerin.
Enrico Böhm, ebenfalls Nebenkläger im Verfahren gegen Lina E., gilt wie Cedric S. als gut in der Fußball-Fanszene verankert. Böhm, der für die NPD im Leipziger Stadtrat saß, betreibt diverse rechtsextreme Versandhandel wie etwa »Der Schelm« oder »Lokis Truhe« und stand schon mehrfach wegen Gewaltdelikten und Volksverhetzung vor Gericht. 2024 wurde ihm mit zwei weiteren Personen wegen der Verbreitung von Nazi-Propaganda in Dresden der Prozess gemacht.
Böhm gilt auch als Schlüsselfigur bei den polizeilichen Ermittlungen der Soko Linx gegen die Antifa Ost. Das Leipziger Stadtmagazin »Kreuzer« berichtete 2021, Böhm habe mit der Soko Informationen über Antifas ausgetauscht und dies eidesstaatlich bekräftigt.
Auch beim Personenkreis, der im Februar 2023 in Budapest angegriffen wurde, handelt es sich keineswegs um Zufallsopfer. Einer der dort Attackierten war der ungarische Rechtsextreme László Dudog, der auf Social Media mit seinem »88«-Tattoo (ein Akronym für »Heil Hitler«) posiert und Teil der Blood&Honour-Band »Divine Hate« ist. Im Interview mit der italienischen Tageszeitung »Il Giornale« bestätigte Dudog, sich jedes Jahr am »Tag der Ehre« zu beteiligen, bei dem Soldaten von Wehrmacht, Waffen-SS und faschistisch-ungarischer Armee gedacht wird, die im Februar 1945 von der Roten Armee besiegt wurden. »Ich mache es, um den Gefallenen, die ich als Helden betrachte, meinen Respekt zu bekunden«, so Dudog.
nd-aktuell.de
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14.05.2021 Aiko Kempen Edgar Lopez
»Fragwürdige Arbeitsmethoden«
Die Soko Linx erhält Material aus rechtsextremen Kreisen – und nutzt es
Ex-NPD-Stadtrat Enrico Böhm versichert eidesstattlich, er habe Informationen von einem Beamten des Landeskriminalamtes Sachsen erhalten. kreuzer-Recherchen zeigen nun: Zumindest in die andere Richtung gab es einen solchen Informationsaustausch. Die Soko Linx arbeitet mit Material, das ihr aus rechtsextremen Kreisen übergeben wurde.
Hat ein Polizist des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen Informationen an einen mehrfach vorbestraften Kader der rechtsextremen Szene gegeben? Diese Frage steht seit Ende April im Raum. Damals legte das rechtsextreme Magazin Compact in einem Rechtsstreit mit der Leipziger Linken-Politikerin Juliane Nagel am Landgericht Leipzig einen Schriftsatz vor, in dem das Magazin erklärte, warum es an einer strittigen Behauptung über die Politikerin festhalten wolle.
Eine ihrer angeblichen Quellen: Der ehemalige NPD-Kreischef, Ex-Stadtratsmitglied und mehrfach vorbestrafte Enrico Böhm will die strittige Information über Nagel von einem Beamten des LKA Sachsen bestätigt bekommen haben. Dies erklärt Böhm in einer eidesstattlichen Versicherung und nennt den Beamten, der im Bereich Staatsschutz arbeitet, sogar namentlich. Doch warum sollte ein Polizist bereitwillig Informationen an einen bekannten Rechtsextremen geben? Ob die Schilderung Böhms den Tatsachen entspricht, ist fraglich. Gegen den LKA-Beamten wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am Ende könnte die Aussage Böhms gegen die Aussage des Beamten stehen – Ausgang unklar.
Klar ist jedoch: In die andere Richtung gab es einen offenbar produktiven Informationsaustausch zwischen rechtsextremen Kreisen und der Staatsschutzabteilung des LKA Sachsen. Seit 2018 verwendet das LKA Sachsen in mehreren Ermittlungsverfahren Material über vermeintliche Linksextreme, das ihnen aus dem direkten persönlichen Umfeld des Ex-NPD-Politikers Enrico Böhm übergeben wurde – obwohl diese Verfahren weder mit Böhm noch mit seinem Umfeld zusammenhängen. Dies zeigen Unterlagen des LKA Sachsen, die dem kreuzer vorliegen.
Soko Linx nutzte Material, das ihr aus rechtsextremen Kreisen übergeben wurde
Demnach legte die ehemalige Lebensgefährtin Böhms, Annemarie K., dem Staatsschutz im Oktober 2018 ein 14-seitiges Dossier mit Namen, Fotos und Personenbeschreibungen von vermeintlichen Beteiligten der linken Szene Leipzigs vor. Auch angebliche Beziehungen und Verbindungen zwischen den dort Abgebildeten werden dort skizziert. Eine Stunde und zwanzig Minuten lang schilderte Annemarie K. dem Protokoll zufolge gegenüber einem LKA-Beamten und einem Staatsanwalt, warum sie die abgebildeten Personen für relevant hält.
Viele ihrer Schilderungen wirken beliebig. Ein Foto, auf dem eine Frau zu sehen ist, hält sie für bedeutsam, weil bei einem früheren Angriff auf Enrico Böhm auch eine Frau mit Bob-Haarschnitt dabei gewesen sein soll. Eine andere Person sei ihr aufgefallen, weil einer der Angreifer auf ihren damaligen Lebensgefährten als »groß und kräftig« beschrieben wurde.
Auch woher die Informationen stammen, legt Böhms Ex-Partnerin dem LKA gegenüber offen. Über die Verfahrensakten in Ermittlungen gegen einen befreundeten Neonazi sei sie an die private Handynummer einer der Personen gekommen, die sie dem LKA gegenüber als potenziellen Linksextremen benannte. Anschließend habe sie Profilbilder in Messengerdiensten wie Telegram und WhatsApp gesichert und in sozialen Netzwerken Informationen gesammelt.
Es sind unter anderem diese Bilder, die Annemarie K. dem LKA Sachsen 2018 übergeben hat. Und es sind eben diese Bilder, auf die sich die Soko Linx des LKA Sachsen noch zwei Jahre später in vollkommen anderen Ermittlungsverfahren bezieht.
Weitere Unterlagen des LKA Sachsen, die dem kreuzer vorliegen, zeigen: Bei der Suche nach mutmaßlich linksextremen Tätern griff die Soko Linx auch mehrfach auf das Dossier zurück, das aus rechtsextremen Kreisen stammt – obwohl in diesen Verfahren Enrico Böhm oder Annemarie K. weder als Geschädigte noch als Zeugen auftauchten. Selbst in den Ermittlungen nach mehreren Unbekannten, die in Leipzig-Connewitz Wasserbomben auf eine Gruppe Deutschlandfans geworfen hatten, griffen Beamte des LKA noch Monate nach dem Vorfall auf die Bilder zurück, die Annemarie K. ihnen gegeben hatte.
In wie vielen Fällen die Soko Linx insgesamt die vermeintlichen Erkenntnisse aus Enrico Böhms Umfeld und die auf juristisch fragwürdigem Weg beschafften Fotos nutzte, ist unklar. Auf eine kreuzer-Anfrage zu dieser Ermittlungsweise antwortete das LKA Sachsen erst nach Ablauf der erbetenen Antwortfrist mit dem Hinweis, man könne sich wegen laufender Ermittlungen nicht äußern und verwies an die Staatsanwaltschaft Leipzig. Von dort war bis Redaktionsschluss noch keine weitere Auskunft möglich.
»Ein weiterer Beleg für mehr als fragwürdige Arbeitsmethoden dieser Soko«
Der Innenexperte der Sächsischen Grünen, Valentin Lippmann, zeigt sich angesichts der kreuzer-Recherchen verwundert über die Arbeitsweise des LKA. »Sollte die Soko Linx derartige Informationen ohne weitere Ermittlungen und Überprüfungen in Ermittlungsverfahren verwenden, wäre dies nicht nur fachlich bedenklich, sondern auch mit Blick auf die politische Brisanz ein weiterer Beleg für mehr als fragwürdige Arbeitsmethoden dieser Soko«, erklärt er.
Auch die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz, die im Innenausschuss des Sächsischen Landtags sitzt, nennt es eine »absolut verstörende Vorstellung, dass das Landeskriminalamt seine Ermittlungen auf dubioses Material aus Neonazi-Kreisen stützt.« Für Köditz ergebe sich daraus ein fataler Eindruck: »Was hier läuft, grenzt an Kumpanei und hat aus meiner Sicht mit professioneller kriminalpolizeilicher Arbeit nichts mehr zu tun«, kritisiert die Innenpolitikerin.
Neue Strategie? Informationsfluss über vermeintliche politische Gegner
Es ist nicht der einzige Fall, in dem Menschen aus rechtsextremen Kreisen den Ermittlungsbehörden gezielt Material über vermeintliche politische Gegner zukommen lassen. In den letzten Monaten haben mehrere Mitglieder der rechten Szene versucht, auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen und der Soko Linx des LKA Sachsen teils mehrseitige Dossiers über vermeintliche politische Gegner übergeben.
Anfang Mai kündigte ein rechtsextremes Bündnis unter Führung von rechtsextremen Kadern wie dem Thüringer Tommy Frenck und NPD-Bundesvorstand Thorsten Heise an, die »Deutsche Opposition« werde »künftig gewonnene Erkenntnisse den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen«.
Keineswegs dürfe der Eindruck entstehen, dass sich Ermittlungsbehörden zum politischen Handlanger von verfassungsfeindlichen Strukturen machen, warnt daher Valentin Lippmann.
»Gerade mit Blick auf den hohen Verfolgungseifer sächsischer Behörden gegenüber der linken Szene, bei denen in der Vergangenheit auch immer wieder fragwürdige und rechtswidrige Ermittlungsmethoden angewendet wurden, gilt es daher hier besonders wachsam zu sein«, sagt er dem kreuzer.